VwGH vom 19.09.2012, 2009/22/0275
Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung
verbunden):
2009/22/0276
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger, die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober sowie den Hofrat Mag. Straßegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerden 1. des D und 2. der V, beide vertreten durch Mag. Andreas M. Pfeifer, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Salesianergasse 25, Stiege 1 Tür 5, gegen die Bescheide der Bundesministerin für Inneres je vom ,
1.) Zl. 318.661/7-III/4/09 und 2.) Zl. 318.661/6-III/4/09, jeweils betreffend Abweisung eines Antrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitels, zu Recht erkannt:
Spruch
Die angefochtenen Bescheide werden im Umfang ihrer Anfechtung, sohin soweit der jeweilige Antrag der beschwerdeführenden Parteien auf Erteilung eines Aufenthaltstitels abgewiesen wird, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat den beschwerdeführenden Parteien Aufwendungen in der Höhe von jeweils EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die im Jahr 1988 und 1986 geborenen beschwerdeführenden Parteien, serbische Staatsangehörige, sind Geschwister. Deren Mutter, ebenfalls eine serbische Staatsangehörige, schloss im Juli 2004 mit einem österreichischen Staatsbürger die Ehe. Da die beschwerdeführenden Parteien infolgedessen als Stiefkinder eines österreichischen Staatsbürgers anzusehen waren, wurde ihnen von der damals nach dem Fremdengesetz 1997 zuständigen Bundespolizeidirektion Wien jeweils ein Erstaufenthaltstitel (jeweils gültig bis ) erteilt.
Am brachten die beschwerdeführenden Parteien - mit einer Zweckänderung verbundene - Verlängerungsanträge ein, die - den verwendeten Antragsformularen zufolge - jeweils auf Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung für: unbeschränkt" gerichtet wurden.
Diese Anträge nahm die Behörde erster Instanz im Hinblick darauf, dass mittlerweile gegen die Mutter der beschwerdeführenden Parteien Erhebungen wegen des Verdachts des Eingehens einer Aufenthaltsehe eingeleitet und gegen diese aus diesem Grund im Instanzenzug ein Aufenthaltsverbot erlassen worden war, zum Anlass, mit Bescheiden vom die Verfahren über die Erstanträge der beschwerdeführenden Parteien gemäß § 69 Abs. 3 iVm § 69 Abs. 1 Z 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz (AVG) von Amts wegen wiederaufzunehmen. Gleichzeitig sprach die Behörde erster Instanz aus, dass die jeweiligen Verfahren in den Stand vor der Erteilung der Erstniederlassungsbewilligungen zurückversetzt würden (jeweils Spruchpunkt 1.).
Mit jeweiligem Spruchpunkt 2. dieser erstinstanzlichen Bescheide wurde der jeweilige Antrag der beschwerdeführenden Parteien auf Erteilung "eines Aufenthaltstitels für den Zweck 'Familienangehöriger' abgewiesen", weil die beschwerdeführenden Parteien "die Voraussetzungen für den Familiennachzug" nicht erfüllten. Als Rechtsgrundlagen für die Antragsabweisungen wurden § 2 Abs. 1 Z 9, § 47 Abs. 2 und § 30 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) angeführt.
Die gegen diese Bescheide erhobenen Berufungen wies die belangte Behörde gestützt auf "§ 69 Abs. 3 iVm § 69 Abs. 1 Z 1 AVG Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz" ab.
Begründend führte die belangte Behörde - auf das hier Entscheidungswesentliche zusammengefasst und in beiden angefochtenen Bescheiden gleichlautend - aus, es könne die Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verwaltungsverfahrens von Amts wegen verfügt werden, wenn der Bescheid durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden sei.
Die Mutter der beschwerdeführenden Parteien habe am den österreichischen Staatsbürger K geheiratet. Auf Grund dieser Ehe habe diese für sich ein Aufenthaltsrecht abgeleitet. Der den beschwerdeführenden Parteien erteilte Aufenthaltstitel sei zum Zweck der Familienzusammenführung erteilt worden. Es stehe aber nunmehr fest, dass es sich bei der von ihrer Mutter geschlossenen Ehe um eine Aufenthaltsehe gehandelt habe, weshalb gegen sie auch ein Aufenthaltsverbot erlassen worden sei.
Bei Vorliegen einer Aufenthaltsehe sei die Erteilung eines Aufenthaltstitels zwingend zu versagen.
Infolge der mittlerweile eingetretenen Volljährigkeit könnten die beschwerdeführenden Parteien nicht mehr als "Familienangehörige" (im Sinn des § 47 Abs. 2 iVm § 2 Abs. 1 Z 9 NAG) angesehen werden. Sie seien vielmehr als "Angehörige" im Sinn des § 47 Abs. 3 NAG zu werten. Da die Mutter der beschwerdeführenden Parteien ihr Aufenthaltsrecht in Österreich durch eine Aufenthaltsehe erschlichen und darauf gegründet die beschwerdeführenden Parteien "nachgeholt" habe, fehle nunmehr "die Ankerperson (Zusammenführender) in Österreich". Somit mangle es an einer "Grundvoraussetzung" für den beantragten Aufenthaltstitel.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diese Bescheide gerichteten Beschwerden, die infolge ihres sachlichen und persönlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Beschlussfassung verbunden wurden, nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen:
Zunächst ist zum Inhalt der angefochtenen Bescheide und der vorliegenden Beschwerden festzuhalten, dass mit den angefochtenen Bescheiden unzweifelhaft sowohl über die Berufungen gegen die Verfügung der Wiederaufnahmen als auch die Versagung der Aufenthaltstitel im wiederaufgenommenen Verfahren abgesprochen wurde. Daran ändert nichts, dass im Spruch der angefochtenen Bescheide zusätzlich zu § 69 Abs. 3 und Abs. 1 Z 1 AVG lediglich - und zudem in einer grammatikalisch verfehlten Form - das Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz ohne Bezeichnung einer konkreten Bestimmung genannt wird. Es ergibt sich nämlich aus dem gesamten Inhalt des angefochtenen Bescheides in hinreichender Weise, dass mit den vorliegenden Entscheidungen nicht nur über die Frage der Wiederaufnahmen, sondern in weiterer Folge auch über die Anträge auf Erteilung der Aufenthaltstitel entschieden werden sollte und welche Rechtsvorschriften die belangte Behörde zur Anwendung gebracht hat.
Die vorliegenden Beschwerden wiederum enthalten zu den von Amts wegen verfügten Wiederaufnahmen weder eine Anfechtungserklärung noch inhaltliche Argumente, die der Rechtmäßigkeit derselben entgegentreten würden. Vielmehr ist dem Inhalt der Beschwerden zu entnehmen, dass sich diese nur gegen die Versagung der Aufenthaltstitel richten.
Dazu bringen die Beschwerden vor, die beschwerdeführenden Parteien seien nunmehr volljährig und stünden auf "eigenen Füßen"; auch hätte die belangte Behörde ihre Manuduktionspflicht verletzt. Dieses Vorbringen führt die Beschwerden - im Ergebnis - zum Erfolg.
Die belangte Behörde ging - ohne den beschwerdeführenden Parteien Gelegenheit zu geben, sich zu ihrer Annahme zu äußern - davon aus, die infolge der Wiederaufnahmen wieder offenen Anträge seien wegen der mittlerweile eingetretenen Volljährigkeit der beschwerdeführenden Parteien als auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 47 Abs. 3 (Z 3) NAG, also nach wie vor auf den Zweck der Familiengemeinschaft mit ihrem österreichischen Stiefvater, gerichtet anzusehen.
Dieser Annahme stehen aber schon die von den beschwerdeführenden Parteien am sohin vor den Wiederaufnahmen eingebrachten, eine Zweckänderung anstrebenden Verlängerungsanträge entgegen, mit denen jeweils die Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung - unbeschränkt" begehrt wird. Auch auf Grund der mit diesen Anträgen vorgelegten Urkunden wird zweifelsfrei erkennbar, dass die beschwerdeführenden Parteien geltend machen, sich künftig zum Zweck der Ausübung einer Erwerbstätigkeit in Österreich aufhalten zu wollen. Hinweise dafür, dass die beschwerdeführenden Parteien sich für die Erteilung eines Aufenthaltstitels auf die Familiengemeinschaft mit dem österreichischen Stiefvater berufen hätten, sind diesen Anträgen nicht zu entnehmen.
Darauf hat die belangte Behörde nicht Bedacht genommen, weshalb die angefochtenen Bescheide insoweit mit Rechtswidrigkeit belastet sind. Vor dem Hintergrund der behördlichen Feststellungen und dem Inhalt der in den Verwaltungsakten erliegenden weiteren Anträge der beschwerdeführenden Parteien hätte die belangte Behörde nach § 23 Abs. 1 NAG vorgehen müssen.
Soweit die belangte Behörde aber auch ins Treffen führt, der Erteilung von Aufenthaltstiteln an die beschwerdeführenden Parteien stehe das Erteilungshindernis des § 11 Abs. 1 Z 4 NAG entgegen, ist darauf hinzuweisen, dass diese keine Aufenthaltsehe im Sinn des § 11 Abs. 1 Z 4 iVm § 30 Abs. 1 NAG eingegangen sind. Das Eingehen einer Aufenthaltsehe durch ihre Mutter führt hingegen - anders als es die belangte Behörde vor Augen hat - nicht dazu, dass die beschwerdeführenden Parteien das genannte Erteilungshindernis verwirklicht hätten (vgl. auch die zur Frage der Zurechenbarkeit der durch einen Elternteil eingegangenen Aufenthaltsehe an dessen Kinder ergangenen hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2009/22/0325, vom , Zl. 2011/18/0039, und vom , Zl. 2012/23/0043).
Sohin waren die angefochtenen Bescheide im Umfang ihrer Anfechtung wegen - vorrangig wahrzunehmender - Rechtswidrigkeit des Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am
Fundstelle(n):
WAAAE-70615