VwGH vom 27.06.2018, Ra 2016/15/0061
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und die Hofrätin Dr. Büsser sowie die Hofräte MMag. Maislinger, Mag. Novak und Dr. Sutter als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Karlovits, LL.M., über die Revision des Finanzamtes Graz-Stadt in 8010 Graz, Conrad von Hötzendorf-Straße 14-18, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , Zl. RV/2100684/2011, betreffend Lohnsteuer 2005 bis 2009 (mitbeteiligte Partei: A, in G, vertreten durch die ASB Wirtschaftstreuhandgesellschaft mbH in 1100 Wien, Sonnleithnergasse 9), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Begründung
1 Im Gefolge einer Außenprüfung zog das Finanzamt die mitbeteiligte Partei, die ein Krankenhaus betreibt, zur Haftung für Lohnsteuer der Jahre 2005 bis 2009 heran. Die Nachforderung betraf zum einen Erschwerniszulagen, die die mitbeteiligte Partei an Dienstnehmer steuerfrei ausbezahlt hatte, die in der Ambulanz des Krankenhauses an einem Anmeldeschalter die Erstaufnahme der Patienten durchführen; zum anderen steuerfreie Erschwerniszulagen für Schreibkräfte, die bei der Erstuntersuchung im Behandlungssaal den Befund des untersuchenden Arztes zeitgleich am PC erfassen. Die Voraussetzungen der Steuerfreiheit seien nicht gegeben, weil § 68 Abs. 5 EStG 1988 Erschwerniszulagen nur dann von der Steuer befreie, wenn im Vergleich zu den allgemein üblichen Arbeitsbedingungen eine außerordentliche Erschwernis gegeben sei. Da weder Bildschirmarbeit eine außerordentliche Erschwernis darstelle (Hinweis auf ) noch Krankenhausschreibkräften eine steuerliche Begünstigung hinsichtlich Erschwernis zustehe (Hinweis auf ), seien die strittigen Erschwerniszulagen nachzuversteuern.
2 In der dagegen erhobenen Berufung wurde vorgebracht, die steuerfreie Behandlung entspreche der vom Finanzamt "akkordierten Tabelle" über die steuerliche Behandlung von Zulagen und Pauschalen. Diese Auskunft gemäß § 90 EStG 1988 sei bindend im Sinne des Grundsatzes von Treu und Glauben, zumal ein Verstoß gegen zwingendes Recht nicht gegeben sei.
3 Zusätzlich zu dieser "einvernehmlichen" Einordnung der Erschwerniszulage zu den steuerfreien Zulagen im Rahmen des § 68 EStG 1988 ergebe auch der vom Gesetz geforderte Vergleich innerhalb der Berufssparte beträchtliche Unterschiede in der Belastung. Die Arbeitsbedingungen als Schreibkraft im Erstuntersuchungsraum könnten im Vergleich zu einem normalen Bürobetrieb erheblich schwieriger sein. Die mitbeteiligte Partei habe daher ein Sachverständigengutachten in Auftrag gegeben. Der Gutachter komme zum Ergebnis, dass aus "berufskundlicher Sicht" eine außerordentliche Erschwernis bei Schreibkräften im Erstuntersuchungsbereich in Unfallkrankenhäusern auf Grund des Arbeitskontextes vorliege (Erstaufnahme, Untersuchungsraum, Kontakt zu den Patienten). Es gebe zwei Einsatzbereiche. Zum einen die Aufnahme der Patientendaten für die Erstuntersuchung. Zum anderen die Mitschrift der Daten bei der Erstuntersuchung durch den behandelnden Arzt. Bei der ambulanten Aufnahme der Daten für die Erstuntersuchung gebe es keinen zeitlichen Spielraum. Die verletzten Personen wünschten die sofortige Aufnahme ihrer persönlichen Daten. Bei größerem Andrang sei dies leider nicht möglich und es komme zu verbalen Entgleisungen der Patienten. Die Umreihung der Patienten nach Dringlichkeitsgrad führe meistens zu erheblichen Unmutsäußerungen im Aufnahmebereich. Diese Situation stelle eine große psychische Belastung bei der Tätigkeit dar. Die Mitschrift der Ergebnisse der Erstuntersuchung erfolge sofort und werde vom behandelnden Arzt laufend diktiert. Dies erfordere die volle Konzentration der Schreibkräfte, weil eine Wiederholung der Untersuchungsergebnisse nicht vorgesehen sei und manche Patienten auf Grund ihrer Verletzung schnellstens behandelt werden müssten. Dieses Erfassen "just in time" sei als Erschwernis der Tätigkeit einzustufen.
4 Zu der dargestellten Dringlichkeit auf Grund der Verletzungen der Patienten ergebe sich eine zusätzliche Dringlichkeit auf Grund der Patientenzahl. Die Anzahl der behandelten Patienten ergebe bei einer Durchschnittsrechnung von 300 Arbeitstagen eine Spitzenbelastung von 172 ambulanten Fällen. Beide dargestellten Erschwernisse (Dringlichkeit und Korrektheit) bei Erstuntersuchungen im Unfallkrankenhaus gingen weit über die von "normalen Schreibkräften" geforderte Arbeitsgeschwindigkeit und Richtigkeit hinaus. Bei Ärzten sei die Erschwernis für die Tätigkeit in Unfall- und Intensivstationen sowie in psychiatrischen Stationen laut Kommentar zum EStG anerkannt, was auch für die teilweise neben dem Arzt sitzende Schreibkraft gelten müsse. Die dargestellten Erschwernisse für Schreibkräfte im Erstuntersuchungsbereich würden nicht immer, aber im überwiegenden Arbeitszeitraum zutreffen.
5 Das Finanzamt legte die Berufung ohne Erlassung einer Berufungsvorentscheidung der Abgabenbehörde zweiter Instanz im August 2011 mit dem Antrag vor, die Berufung als unbegründet abzuweisen.
6 Das gemäß Art. 151 Abs. 51 Z 8 B-VG mit Ablauf des an die Stelle des unabhängigen Finanzsenates getretene Bundesfinanzgericht gab der Berufung (nunmehr Beschwerde) statt.
7 Nach Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens und allgemeinen rechtlichen Hinweisen wird im angefochtenen Erkenntnis ausgeführt, das Finanzamt übersehe, dass der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom , 85/14/0041, die Steuerbegünstigung nur deswegen nicht zuerkannt habe, weil im damaligen Fall bei lediglich drei täglichen Krankenhausaufnahmen keine Rede davon habe sein können, dass die Schreibkräfte überwiegend unter Umständen zu arbeiten gehabt hätten, die im Vergleich zu den allgemein üblichen Arbeitsbedingungen eine außerordentliche Erschwernis darstellten. Im vorliegenden Fall habe die mitbeteiligte Partei um die 170 Fälle pro Arbeitstag errechnet und ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die von den Schreibkräften im Erstuntersuchungsbereich zu erledigenden Arbeiten überwiegend unter erschwerten Bedingungen erfolgten. Weder der Prüfer noch das Finanzamt seien diesen Ausführungen entgegengetreten, sodass das Verwaltungsgericht von der Richtigkeit dieser Aussage ausgehen müsse. Im Gegensatz von lediglich drei Aufnahmen müsse bei Vorliegen von 170 Fällen pro Arbeitstag von einem deutlichen Überwiegen jener Arbeiten ausgegangen werden, die im Vergleich zu den allgemein üblichen Arbeitsbedingungen eine außerordentliche Erschwernis darstellten.
8 Die angefochtenen Bescheide erwiesen sich somit im Ergebnis als rechtswidrig, weshalb der Beschwerde Folge zu geben sei. Bei dieser Sach- und Rechtslage brauche auf die Frage nicht mehr eingegangen zu werden, ob einer Haftungsinanspruchnahme der mitbeteiligten Partei auch der im Abgabenrecht bedeutsame Grundsatz von Treu und Glauben auf Grund einer vom zuständigen Finanzamt erteilten Auskunft iSd § 90 EStG 1988 entgegenstehe. Auch habe von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung abgesehen werden können.
9 Seinen Ausspruch über die Unzulässigkeit einer Revision begründete das Verwaltungsgericht mit der Wiedergabe des Gesetzestextes des Art. 133 Abs. 4 erster Satz B-VG.
10 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die Revision des Finanzamtes. Die Revision sei zulässig, weil das angefochtene Erkenntnis zum einen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu Erschwerniszulagen für Schreibkräfte abweiche (Hinweis auf ). Zum anderen sei das Bundesfinanzgericht seiner Verpflichtung nicht nachgekommen, sich inhaltlich mit der Sachlage auseinanderzusetzen. Bei unklarer Sachlage stehe es dem Bundesfinanzgericht frei, Beweisaufträge zu erteilen oder Fragen selbst zu klären. Konkret gehe es dabei insbesondere um die grundsätzliche Frage, ob das Bundesfinanzgericht seine Pflicht erfüllt habe, sich auch inhaltlich mit der Sache zu beschäftigen, wenn es wie im Revisionsfall lediglich deshalb von der Richtigkeit des Berufungsstandpunktes ausgehe, weil bis zum Zeitpunkt der Vorlage der Berufung an den unabhängigen Finanzsenat weder der Prüfer noch das Finanzamt ausführlich zu der Berufung Stellung bezogen hätten.
11 Die mitbeteiligte Partei hat eine Revisionsbeantwortung eingebracht.
12 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
13 Die Begünstigung für Erschwerniszulagen nach § 68 Abs. 1 und 5 EStG 1988 setzt u.a. voraus, dass der Arbeitnehmer während der Arbeitszeit überwiegend mit Arbeiten betraut ist, die eine außerordentliche Erschwernis darstellen. Der Arbeitnehmer muss also während der Arbeitszeit überwiegend mit Arbeiten betraut sein, die eine außerordentliche Erschwernis darstellen. Dies erfordert nach Rechtsprechung und Lehre, dass der Behörde nachgewiesen wird, um welche Arbeiten es sich im Einzelnen gehandelt hat und wann sie geleistet wurden (vgl. ).
14 Das Bundesfinanzgericht beschränkt sich im Erwägungsteil des angefochtenen Erkenntnisses auf die Wiedergabe der gesetzlichen Bestimmung und dazu ergangener Rechtsprechung sowie auf die Feststellung, die mitbeteiligte Partei habe ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die von den Schreibkräften im Erstuntersuchungsbereich zu erledigenden Arbeiten überwiegend unter erschwerten Umständen erfolgen würden. Prüfer und Finanzamt seien diesen Ausführungen nicht entgegengetreten, sodass "das Verwaltungsgericht von der Richtigkeit dieser Aussage ausgehen muss."
15 Die Prüfung der inhaltlichen Rechtmäßigkeit durch den Verwaltungsgerichtshof setzt das Vorliegen einer Entscheidung voraus, in dessen Begründung die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammengefasst werden. Vor allem hat die Begründung der Entscheidung den für die rechtliche Beurteilung erforderlichen Sachverhalt in einer für die Nachprüfung durch den Gerichtshof tauglichen Weise festzustellen (vgl. ). Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Erkenntnis nicht.
16 Das Bundesfinanzgericht stützt die Stattgabe der Beschwerde auf die "Aussage" der mitbeteiligten Partei, dass die Schreibkräfte im Erstuntersuchungsbereich überwiegend unter erschwerten Umständen tätig würden und das Finanzamt dem nicht entgegengetreten sei. Bei der Frage des Vorliegens außerordentlich erschwerter Arbeitsbedingungen handelt es sich aber um eine (von der mitbeteiligten Partei getroffene) rechtliche Beurteilung, der das Finanzamt zum einen mit dem Antrag, die Berufung (Beschwerde) abzuweisen, ohnedies entgegengetreten ist. Zum anderen kommt es auch nicht darauf an, ob das Finanzamt die rechtliche Beurteilung der mitbeteiligten Partei geteilt hat oder nicht. Entscheidend ist im Hinblick auf die Verpflichtung des Bundesfinanzgerichts zur amtswegigen Ermittlung des Sachverhalts (vgl. ) vielmehr, ob die vom Bundesfinanzgericht getroffenen Sachverhaltsfeststellungen die rechtliche Beurteilung des Vorliegens einer "außerordentlichen Erschwernis" zu tragen imstande sind oder nicht. Sachverhaltsfeststellungen lässt das angefochtene Erkenntnis - mit Ausnahme der Patientenanzahl - aber zur Gänze vermissen. Schon deshalb erweist sich die Revision als zulässig und begründet.
17 Im Übrigen ist anzumerken, dass die Ausführungen der mitbeteiligten Partei die rechtliche Schlussfolgerung des Vorliegens erschwerter Bedingungen alleine nicht zu tragen vermöchten. So wird das Vorliegen außerordentlich erschwerter Bedingungen auf den Umstand gestützt, dass die Schreibkräfte das Untersuchungsergebnis "just in time" nach dem Diktat der untersuchenden Ärzte erfassen müssten. Welchen Umfang diese Diktate im Allgemeinen haben, kann aber auch dem Vorbringen der mitbeteiligten Partei nicht entnommen werden. Geht man davon aus, dass die ärztliche Untersuchung einige Zeit in Anspruch nimmt, kann jedenfalls nicht ohne Weiteres unterstellt werden, dass das Festhalten der Untersuchungsergebnisse durch die Schreibkräfte unter größerem Zeitdruck erfolgt, als dies von Schreibkräften im Allgemeinen erwartet wird. Ob für die Richtigkeit der Niederschrift der untersuchende Arzt oder die jeweilige Schreibkraft verantwortlich zeichnen, blieb im Berufungsschriftsatz unerörtert. Soweit im angefochtenen Erkenntnis von 170 "Fällen pro Arbeitstag" die Rede ist, entbehrt diese Feststellung schon deshalb jeglicher Aussagekraft, weil es an Feststellungen fehlt, auf wie viele Schreibkräfte sich die Anzahl der Patienten pro Arbeitstag verteilt.
18 Was schließlich den "zweiten Arbeitsbereich" der Dienstnehmer betrifft - die Erstaufnahme der Patientendaten -, wurde das Vorliegen erschwerter Arbeitsbedingungen mit Unmutsäußerungen von Patienten begründet, denen die Krankenhausbediensteten ausgesetzt seien, wenn es zu einer Vorreihung von Patienten auf Grund der Schwere ihrer Verletzung komme. Dass derartige Unmutsäußerungen einen Umfang annehmen würden, welcher die Beurteilung, es lägen "überwiegend" erschwerte Arbeitsbedingungen vor, rechtfertigen könnte, war dem Berufungsbzw. Beschwerdevorbringen aber gleichfalls nicht zu entnehmen.
19 Schon im Erkenntnis vom , 83/14/0095, das ebenso wie der vorliegende Fall in "Aufnahmekanzleien und ärztlichen Schreibstuben" tätige Schreibkräfte betraf, hat es der Verwaltungsgerichtshof als unerlässlich bezeichnet, vor der Entscheidung alle jene Tatsachen konkret festzustellen, aus denen sich ergibt, mit welcher Intensität, in welcher Art und vor allem auch in welchem zeitlichen und mengenmäßigen Ausmaß die von den Schreibkräften zu leistenden Arbeiten durch bestimmte belastende Umstände charakterisiert sind.
20 Da somit die Begründung des angefochtenen Erkenntnisses zur Prüfung seiner vom revisionswerbenden Finanzamt auch geltend gemachten inhaltlichen Rechtswidrigkeit nicht hinreicht, war das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG aufzuheben.
Wien, am
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ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2018:RA2016150061.L00 |
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