VwGH vom 23.05.2012, 2009/22/0253
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger, die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober und den Hofrat Mag. Straßegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des Md. R, vertreten durch Mag. Wilfried Embacher, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Schleifmühlgasse 5/8, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom , Zl. 153.750/2-III/4/09, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen, angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers, eines Staatsangehörigen von Bangladesch, auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Familienangehöriger" gemäß § 47 Abs. 2 iVm § 11 Abs. 2 Z 2 und § 11 Abs. 2 Z 4 iVm Abs. 5 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab.
Zur Begründung führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, der Beschwerdeführer sei im Besitz einer Aufenthaltsbewilligung zum Zweck des Studiums. Am habe er eine österreichische Staatsbürgerin geheiratet und am iVm einem Verlängerungsantrag gemäß § 24 Abs. 4 NAG die Änderung der Aufenthaltsbewilligung "Studierender" auf den Aufenthaltstitel "Familienangehöriger" begehrt.
Der Beschwerdeführer habe aber nicht nachgewiesen, wesentliche Erteilungsvoraussetzungen zu erfüllen.
So verfüge er nicht über einen Rechtsanspruch auf eine ortsübliche Unterkunft im Sinn des § 11 Abs. 2 Z 2 NAG. Er wohne mit seiner Ehefrau in einer ca. 70 m2 großen Mietwohnung. Die dauernde Nutzung dieser Unterkunft durch fünf Personen (den Beschwerdeführer, seine Ehefrau und drei weitere an dieser Anschrift mit Hauptwohnsitz angemeldete erwachsene Personen) sei auf Grund der zu geringen Wohnungsgröße als nicht ortsüblich anzusehen.
Weiters dürften Aufenthaltstitel einem Fremden gemäß § 11 Abs. 2 Z 4 NAG nur erteilt werden, wenn sein Aufenthalt zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen könnte. Der Beschwerdeführer selbst verfüge über kein eigenes Einkommen. Seine Ehefrau sei derzeit selbständig erwerbstätig und könne seit Jänner 2008 monatlich einen "unbereinigten Bruttobezug" von EUR 1.100,-- erwirtschaften. Aus der Bilanz des Steuerberaters vom gehe hervor, dass die Ehefrau des Beschwerdeführers vom 1. Jänner bis einen vorläufigen Gewinn von EUR 8.249,48 erwirtschaftet habe. Dies entspreche einem monatlichen durchschnittlichen Bruttoeinkommen von EUR 1.031,19. Somit verfüge der Beschwerdeführer mit seiner Ehefrau über wesentlich weniger als das gesetzliche Mindesterfordernis von EUR 1.158,08.
Die Erteilung eines Aufenthaltstitels sei zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinn des Art. 8 EMRK nicht geboten. Durch den Aufenthalt seiner Ehefrau bestünden zwar familiäre Bindungen in Österreich. Der Beschwerdeführer lebe seit auf Grund einer Aufenthaltsbewilligung in Österreich, um ein Universitätsstudium zu betreiben. Er habe jedoch nie einen beobachtbaren Studienfortgang verwirklicht und keine einzige Prüfung als absolviert nachgewiesen.
Art. 8 EMRK enthalte nicht das Recht, den bestgeeigneten Ort für die Entwicklung des Familienlebens zu wählen. Ein Vertragsstaat der EMRK sei nicht generell verpflichtet, die Wahl des Familienwohnsitzes durch die Familienmitglieder anzuerkennen.
Letztlich habe die Ehefrau des Beschwerdeführers ihr Recht auf die gemeinschaftsrechtliche Freizügigkeit nicht in Anspruch genommen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:
Der angefochtene Bescheid ist in mehrfacher Hinsicht rechtswidrig.
Hinsichtlich des Erfordernisses ausreichender Unterhaltsmittel hat die belangte Behörde nicht berücksichtigt, dass der Beschwerdeführer die Fotokopie eines Sparbuchs vorgelegt hat; ein verfügbares Sparguthaben wäre jedoch bei der Berechnung der verfügbaren Mittel zum Unterhalt zu berücksichtigen (vgl. für viele etwa das hg. Erkenntnis vom , 2008/22/0391).
Soweit die belangte Behörde die Unterkunft des Beschwerdeführers als nicht ortsüblich beurteilt hat, überging sie seine Aussage in der Niederschrift vom , derzufolge die zwei volljährigen Kinder seiner Ehefrau nicht mehr im gemeinsamen Haushalt lebten. Die belangte Behörde stellte im angefochtenen Bescheid lediglich auf Hauptwohnsitzmeldungen ab, unterzog jedoch die genannte Aussage des Beschwerdeführers in keiner Weise einer Beweiswürdigung.
Weiters hat die belangte Behörde die Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK iVm § 11 Abs. 3 NAG nicht im geforderten Ausmaß vorgenommen. Gemäß dieser Bestimmung kann ein Aufenthaltstitel trotz Vorliegens bestimmter Erteilungshindernisse sowie trotz Ermangelung bestimmter Voraussetzungen erteilt werden, wenn dies zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinn des Art. 8 EMRK geboten ist. In diesem Zusammenhang ist festzuhalten, dass der Bindung eines Fremden an einen österreichischen Ehepartner im Rahmen der Abwägung nach Art. 8 EMRK große Bedeutung zukommt. In einem solchen Fall müssen nähere Feststellungen zu den Lebensverhältnissen des Fremden und seines Ehepartners getroffen werden (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2009/22/0272). Im vorliegenden Fall hat sich die belangte Behörde damit begnügt, auf die Erfolglosigkeit des Studiums des Beschwerdeführers hinzuweisen. Sie hat aber zu seinen Lebensverhältnissen und denen seiner in Österreich lebenden Familie keine näheren Feststellungen getroffen.
In diesem Zusammenhang sei bemerkt, dass der angefochtene Bescheid nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Erlassung zu überprüfen ist. Ob die Ehefrau des Beschwerdeführers - wie dies die belangte Behörde in der Aktenvorlage angesprochen hat - nachher gestorben ist, ist für die Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Bescheides nicht relevant.
Somit muss auch hier vor dem Hintergrund der Ausführungen des Gerichtshofes der Europäischen Union im Urteil vom , C-256/11, "Dereci u.a.", darauf hingewiesen werden, dass die belangte Behörde in Verkennung der durch den EuGH nunmehr klargestellten Rechtslage nicht anhand des unionsrechtlich vorgegebenen Maßstabes geprüft hat, ob der vorliegende Fall einen solchen Ausnahmefall darstellt, wonach es das Unionsrecht gebietet, dem Drittstaatsangehörigen den Aufenthalt zu gewähren (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , 2011/22/0309, auf dessen Entscheidungsgründe gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen wird).
Schließlich hätte die belangte Behörde in einer Konstellation, wie sie hier vorliegt, wegen Fehlens allgemeiner Erteilungsvoraussetzungen - nur solche hat die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid ins Treffen geführt - den Antrag des Beschwerdeführers nicht abweisen dürfen, sondern nach § 25 Abs. 1 NAG vorgehen müssen (vgl. dazu ausführlich das hg. Erkenntnis vom , 2008/21/0249).
Insgesamt war der angefochtene Bescheid daher wegen der vorrangig wahrzunehmenden inhaltlichen Rechtswidrigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Von der beantragten Durchführung einer Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG Abstand genommen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am
Fundstelle(n):
ZAAAE-70546