VwGH vom 28.03.2012, 2009/22/0243
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger und die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des K, vertreten durch die Rechtsanwaltsgemeinschaft Mory Schellhorn OEG in 5020 Salzburg, Wolf-Dietrich-Straße 19, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Salzburg vom , Zl. E1/2539/2009, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Beschwerdeführer, einen Staatsangehörigen von Nigeria, gemäß § 53 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG aus.
Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, der Beschwerdeführer sei am illegal eingereist und habe am einen Asylantrag gestellt. Dieser sei mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes mit rechtskräftig abgewiesen worden. Der Beschwerdeführer halte sich somit seither nicht rechtmäßig im Bundesgebiet auf.
Ihrer Interessenabwägung nach § 66 FPG legte die belangte Behörde zu Grunde, dass der Beschwerdeführer am eine österreichische Staatsbürgerin geheiratet habe und dieser Ehe ein am geborenes Kind entstamme. Unter Hinweis darauf, dass das Gewicht der aus dem langjährigen Aufenthalt im Bundesgebiet abzuleitenden Integration dadurch gemindert sei, dass der Aufenthalt lediglich auf einen unberechtigten Asylantrag zurückzuführen gewesen sei, dass die Ehe zu einem Zeitpunkt geschlossen worden sei, zu dem der Aufenthaltsstatus des Beschwerdeführers in Österreich unsicher gewesen sei, dass der Beschwerdeführer strafgerichtlich nicht unbescholten sei und dass der Beschwerdeführer gegen die öffentliche Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenrechts verstoßen habe, gelangte die belangte Behörde zur Ansicht, dass die Ausweisung nach § 66 FPG zulässig sei.
Die Ehefrau des Beschwerdeführers habe ihr Recht auf Freizügigkeit nicht in Anspruch genommen, weshalb der Beschwerdeführer kein begünstigter Drittstaatsangehöriger sei.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde in einem nach § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Der Beschwerdeführer behauptet nicht, dass seine österreichische Ehefrau ihr Unionsrecht auf Freizügigkeit in Anspruch genommen und somit einen Freizügigkeitssachverhalt verwirklicht hätte. Da der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis vom , G 244/09 u.a., gleichheitsrechtliche Bedenken in Bezug auf § 57 NAG nicht geteilt hat, vermag der Beschwerdeführer Rechte nach den §§ 52 ff NAG nicht geltend zu machen.
Allerdings hat der EuGH über ein Vorabentscheidungsersuchen des Verwaltungsgerichtshofes im Urteil vom , C- 256/11, "Dereci u.a.", unter Hinweis auf das Urteil vom , C-34/09, "Zambrano", ausgesprochen, dass Art. 20 AEUV nationalen Maßnahmen entgegensteht, die bewirken, dass den Unionsbürgern der tatsächliche Genuss des Kernbestands der Rechte, die ihnen dieser Status verleiht, verwehrt wird (Rn. 64). Das Kriterium der Verwehrung des Kernbestands der Rechte, die der Unionsbürgerstatus verleiht, bezieht sich auf Sachverhalte, die dadurch gekennzeichnet sind, dass sich der Unionsbürger de facto gezwungen sieht, nicht nur das Gebiet des Mitgliedstaats, dem er angehört, zu verlassen, sondern das Gebiet der Union als Ganzes (Rn. 66). Es betrifft Sachverhalte, in denen - obwohl das das Aufenthaltsrecht von Drittstaatsangehörigen betreffende abgeleitete Recht nicht anwendbar ist - einem Drittstaatsangehörigen, der Familienangehöriger eines Staatsbürgers eines Mitgliedstaats ist, ein Aufenthaltsrecht ausnahmsweise nicht verweigert werden darf, weil sonst die Unionsbürgerschaft der letztgenannten Person ihrer praktischen Wirksamkeit beraubt würde (Rn. 67). Sollten aber derartige Gründe bestehen, würde die gegenüber einem Fremden ausgesprochene Anordnung, das Bundesgebiet zu verlassen - hier bezogen auf die Erlassung einer auf § 53 Abs. 1 FPG (in der Stammfassung) gestützten Ausweisung - dem Unionsrecht widersprechen und daher nicht zulässig sein.
Die bloße Tatsache, dass es für einen Staatsbürger eines Mitgliedstaats aus wirtschaftlichen Gründen oder zur Aufrechterhaltung der Familiengemeinschaft im Gebiet der Union wünschenswert erscheinen könnte, dass sich Familienangehörige, die nicht die Staatsbürgerschaft eines Mitgliedstaats besitzen, mit ihm zusammen im Gebiet der Union aufhalten können, rechtfertigt allerdings für sich genommen nicht die Annahme, dass der Unionsbürger gezwungen wäre, das Gebiet der Union zu verlassen, wenn kein Aufenthaltsrecht gewährt würde (Rn. 68).
Die belangte Behörde wird daher im fortzusetzenden Verfahren nach Einräumung von Parteiengehör - diese Frage ist nicht mit der Beurteilung nach Art. 8 EMRK gleichzusetzen und war bisher nicht Gegenstand des behördlichen Verfahrens - entsprechende Feststellungen zu treffen haben.
Der angefochtene Bescheid war somit schon deswegen - ohne das Ergebnis der behördlichen Interessenabwägung im Blick auf Art. 8 EMRK einer Prüfung zu unterziehen - gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.
Von der beantragten Durchführung einer Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG Abstand genommen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am
Fundstelle(n):
IAAAE-70530