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VwGH vom 13.12.2011, 2009/22/0239

VwGH vom 13.12.2011, 2009/22/0239

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger, die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder und die Hofrätinnen Mag. Dr. Maurer-Kober und Dr. Julcher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peck, über die Beschwerde des M in Wien, vertreten durch Mag. Robert Bitsche, Rechtsanwalt in 1050 Wien, Nikolsdorfergasse 7-11/Top 2, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom , Zl. 148.265/3-III/4/09, betreffend Aufenthaltstitel und Wiederaufnahme des Verfahrens, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird, soweit damit der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels und auf Verlängerung des Aufenthaltstitels abgewiesen wird, somit in den Spruchpunkten 2.) und 3.), wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Im Übrigen, somit in der Bestätigung der Wiederaufnahme des Verfahrens (Spruchpunkt 1.), wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit erstinstanzlichem Bescheid vom verfügte die Behörde gemäß § 69 Abs. 3 iVm § 69 Abs. 1 Z 1 AVG die Wiederaufnahme des Verfahrens, "auf dessen Grundlage Ihnen mit Bescheid vom , rechtskräftig geworden am gemäß § 47 Abs. 2 NAG eine Erstniederlassungsbewilligung erteilt wurde", mit der Wirkung, "dass es in den Stand vor der Erlassung der Erstniederlassungsbewilligung am zurückversetzt wird" (Spruchpunkt 1.).

Mit Spruchpunkt 2. wies die erstinstanzliche Behörde den Antrag vom auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung mit der Begründung ab, dass der Aufenthalt "den öffentlichen Interessen durch Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit" widerspreche.

Mit Spruchpunkt 3. wies sie den (Verlängerungs )Antrag vom auf Erteilung eines Aufenthaltstitels für den Zweck "Familienangehöriger" wegen unzulässiger Inlandsantragstellung gemäß § 21 Abs. 1 NAG ab.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung gegen Spruchpunkt 1. des erstinstanzlichen Bescheides mit der Maßgabe ab, "dass das Verfahren über Ihren Erstantrag vom , auf dessen Grundlage Ihnen am mit Ausfolgung der Karte Nr. A11943910 der beantragte Aufenthaltstitel erteilt wurde, in jenen Stand zurückversetzt wird, den es vor der Bescheiderlassung (Ausfolgung der Karte Nr. A11943910) hatte" (Spruchpunkt 1.).

Im Spruchpunkt 2.) wies sie die Berufung gegen Spruchpunkt 2. des erstinstanzlichen Bescheides gemäß § 11 Abs. 2 Z 1 iVm Abs. 4 und § 11 Abs. 2 Z 4 iVm Abs. 5 NAG ab.

Letztlich wies sie mit Spruchpunkt 3.) die Berufung gegen Spruchpunkt 3. des erstinstanzlichen Bescheides gemäß § 24 Abs. 1, § 21 Abs. 1, § 11 Abs. 2 Z 1 iVm Abs. 4 und § 11 Abs. 2 Z 4 iVm Abs. 5 NAG ab.

Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, dass am der Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung als begünstigter Drittstaatsangehöriger gemäß § 49 Abs. 1 Fremdengesetz 1997 eingelangt sei. Dem sei die Urkunde vom über die Heirat mit einer österreichischen Staatsbürgerin angeschlossen gewesen. Die zum Nachweis ausreichender Unterhaltsmittel am und später vorgelegten Einkommensbestätigungen des Eduard W seien ohne jeden Zweifel falsch, weil dieser bereits im März 2006 verstorben sei. Sein Sohn mit gleichlautendem Namen habe gegen Entgelt weiterhin derlei Bestätigungen ausgestellt, obwohl die bezogenen Personen tatsächlich nie für diese Firma gearbeitet hätten. Die Bestätigungen seien daher inhaltlich unrichtig und zur Täuschung vorgelegt worden. Welche Rolle der Beschwerdeführer als begünstigte Partei bei der strafbaren Handlung gespielt habe, sei irrelevant.

Der Beschwerdeführer habe am persönlich den Erstaufenthaltstitel (Karte Nr. A11943910) mit Gültigkeit vom bis übernommen. Dieser Aufenthaltstitel sei ein begründungsloser, weil dem Antrag vollinhaltlich stattgebender Kurzbescheid.

Am habe der Beschwerdeführer persönlich einen Verlängerungsantrag gestellt. Erst im Zuge des Verfahrens über diesen Antrag sei erkannt worden, dass im Erstverfahren gefälschte Bestätigungen vorgelegt worden seien.

Der Beschwerdeführer habe entgegen § 47 Abs. 2 NAG nicht nachgewiesen, wesentliche Erteilungsvoraussetzungen des ersten Teiles des NAG zu erfüllen.

Aufenthaltstitel dürften einem Fremden gemäß § 11 Abs. 2 Z 4 NAG nur erteilt werden, wenn sein Aufenthalt zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen könnte. Der Beschwerdeführer habe vor dem und am über keinerlei eigenes Einkommen verfügt. Er und seine Ehefrau hätten auf Dauer ein monatliches durchschnittliches Einkommen von zumindest EUR 1.091,14 benötigt. Die Ehefrau des Beschwerdeführers sei erwerbstätig gewesen und habe EUR 771,65 verdient. Die gefälschten Einkommensbestätigungen seien nicht heranzuziehen. Somit werde das erforderliche Haushaltsnettoeinkommen nicht erreicht.

Weiters habe der Beschwerdeführer durch seine Passivität die Vorgangsweise seiner Ehefrau zu korrigieren unterlassen, gefälschte Urkunden über das Familieneinkommen vorzulegen, und diese Vorgangsweise dadurch zumindest so lange begünstigt, als sie dem Antrag zum Verfahrenserfolg verholfen habe. Durch diese Täuschung sei der Tatbestand des § 11 Abs. 2 Z 1 iVm Abs. 4 Z 1 NAG verwirklicht worden, wonach einem Fremden Aufenthaltstitel nur erteilt werden dürften, wenn sein Aufenthalt nicht öffentlichen Interessen widerstreite, was insbesondere dann gegeben sei, wenn sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung gefährde.

Der als Verlängerungsantrag bezeichnete Antrag vom sei nach Wiederaufnahme des Verfahrens über den Erstantrag und dessen Abweisung als Erstantrag zu werten, der gemäß § 21 Abs. 1 NAG im Ausland einzubringen gewesen wäre. Gemäß § 21 Abs. 1 NAG dürfe schon deswegen der Aufenthaltstitel nicht erteilt werden.

Weiters verwies die belangte Behörde auch hier auf das Fehlen ausreichender Unterhaltsmittel nach § 11 Abs. 2 Z 4 iVm Abs. 5 NAG und auf die Gefährdung der öffentlichen Ordnung nach § 11 Abs. 2 Z 1 iVm Abs. 4 Z 1 NAG.

Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:

Zunächst bekämpft die Beschwerde die verfügte Wiederaufnahme. Sie meint, dass die belangte Behörde über einen Verfahrensgegenstand entschieden habe, der nicht Sache des erstinstanzlichen Verfahrens gewesen sei.

Dem kann nicht gefolgt werden. Das wiederaufgenommene Verfahren wurde dadurch beendet, dass dem Beschwerdeführer der Aufenthaltstitel "Familienangehöriger" in Kartenform mit der Nr. A11943910 ausgefolgt wurde. Die vorbereitete Übernahmebestätigung ist mit datiert, die Übernahme wurde am durch den Beschwerdeführer bestätigt.

§ 8 Abs. 3 NAG in der Stammfassung ordnet an, dass der Bundesminister für Inneres das Aussehen und den Inhalt der Aufenthaltstitel nach § 8 Abs. 1 NAG durch Verordnung festlegt. Gemäß § 1 der Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz-Durchführungsverordnung werden Aufenthaltstitel als Karte entsprechend der Verordnung (EG) Nr. 1030/2002 zur einheitlichen Gestaltung des Aufenthaltstitels für Drittstaatsangehörige ausgestellt. Durch die Ausfolgung der Karte an den Beschwerdeführer wurde das Verfahren in gesetzmäßiger Weise abgeschlossen. Wenn die erstinstanzliche Behörde nun einen "Bescheid vom " zitiert, besteht kein Zweifel daran, dass damit die Verfahrensbeendigung mit Ausfolgung der Karte gemeint ist, deren vorbereitete Übernahmebestätigung mit datiert ist. Durch die Wiederaufnahme dieses Verfahrens "in den Stand vor der Erlassung der Erstniederlassungsbewilligung" ist klargestellt, inwieweit und in welcher Instanz das Verfahren im Sinn des § 70 Abs. 1 AVG wieder aufzunehmen ist.

Die belangte Behörde hat daher mit ihrer Maßgabebestätigung nicht über einen Verfahrensgegenstand entschieden, der nicht Sache des erstinstanzlichen Verfahrens gewesen ist. Dass die erstinstanzliche Behörde zusätzlich von einer Erstniederlassungsbewilligung "am " spricht, macht die Wiederaufnahme nicht rechtswidrig.

Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, dass die vorgelegten Einkommensbestätigungen, ausgestellt von Eduard W, falsch sind. Daraus folgt, dass die erstinstanzliche Behörde zu Recht das Verfahren wieder aufgenommen hat (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2009/22/0078, auf dessen Entscheidungsgründe gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen wird).

Mit der Abweisung der Anträge hat die belangte Behörde jedoch die Rechtslage verkannt.

Es trifft zwar zu, dass den die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Normen aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung - und damit eines von Art. 8 Abs. 2 EMRK erfassten Interesses - ein hoher Stellenwert zukommt. Es ist der belangten Behörde daher auch darin beizupflichten, dass die Vorlage gefälschter Urkunden durch einen Antragsteller mit dem Ziel der Erlangung eines Aufenthaltstitels eine schwere Beeinträchtigung des öffentlichen Interesses an einem geordneten Fremdenwesen, insbesondere an einer geregelten Zuwanderung, darstellt. Bei der Auslegung der unbestimmten Gesetzesbegriffe "sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden würde" in § 11 Abs. 4 Z 1 NAG ist aber eine das Gesamtverhalten eines Fremden berücksichtigende Prognosebeurteilung geboten (vgl. für viele das hg. Erkenntnis vom , 2008/22/0908).

Der Beschwerdeführer hat bereits in der Berufung vorgebracht, er habe die ihm von seiner Frau gesendeten Unterlagen an die österreichische Botschaft in New Delhi übermittelt. Zu keinem Zeitpunkt sei er in der Lage gewesen, die Richtigkeit der ihm übermittelten Unterlagen zu prüfen. Darüber hinaus sei der Großteil der Unterlagen nicht von ihm, sondern von seiner Frau direkt in Österreich vorgelegt worden. Der Beschwerdeführer habe somit entgegen der Annahme der Erstbehörde keine Täuschungshandlung gesetzt.

Die belangte Behörde hat dem Beschwerdeführer lediglich vorgeworfen, er habe "die Vorgangsweise der Ehefrau zu korrigieren unterlassen". Dass ihm die Fälschung bekannt war, hat sie jedoch - von einer unrichtigen Rechtsansicht ausgehend - nicht festgestellt.

Bei Zutreffen des Vorbringens, dass er von der Fälschung der Einkommensbestätigungen nichts gewusst habe, könnte nicht davon ausgegangen werden, der Beschwerdeführer habe ein Verhalten gesetzt, das die Gefährdungsprognose rechtfertigen würde (vgl. das hg. Erkenntnis vom heutigen Tag, 2009/22/0227).

Die belangte Behörde hat aber auch dadurch den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit belastet, dass sie die Erteilungsvoraussetzung ausreichender Unterhaltsmittel verneint hat.

Die erstinstanzliche Behörde hat diesen Umstand nicht zur Antragsabweisung herangezogen. Entgegen der Beschwerdeansicht war es der belangten Behörde zwar nicht benommen, den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels wegen des Fehlens einer anderen Erteilungsvoraussetzung abzuweisen. Sie hat damit nicht die Sache des Berufungsverfahrens überschritten (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , 2002/18/0068).

Zu Recht bringt die Beschwerde aber vor, dass die belangte Behörde, weil die Frage der Einkommens- und Vermögensverhältnisse nicht verfahrensgegenständlich war, dem Beschwerdeführer Parteiengehör hätte einräumen müssen. In der Beschwerde wird vorgebracht, der Beschwerdeführer hätte nach Gewährung des Parteiengehörs einen aktuellen Einkommensnachweis der Ehefrau über monatlich EUR 921,14 und über ein eigenes Einkommen (laut vorgelegter Urkunde von EUR 972,91) vorlegen können. Da mit diesen Einkommen das erforderliche Haushaltseinkommen erreicht würde, wurde die Relevanz des aufgezeigten Verfahrensmangels dargelegt.

Wegen der Aufhebung der Abweisung des Erstantrags kann auch die Abweisung des Antrags vom nicht Bestand haben.

Zum einen wäre die nur für Erstanträge normierte Voraussetzung der Auslandsantragstellung nach § 21 Abs. 1 NAG nicht anzuwenden. Zum anderen wäre - verneint in einem solchen Fall die Behörde das Vorliegen von allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nach § 11 NAG - ihr eine Abweisung der Verlängerungsanträge verwehrt und sie hat gemäß § 25 Abs. 1 NAG vorzugehen und die zur Aufenthaltsbeendigung zuständige Fremdenpolizeibehörde - gegebenenfalls unter Anschluss einer Stellungnahme des Fremden - zu verständigen.

Der angefochtene Bescheid war daher in seinen Spruchpunkten 2.) und 3.) wegen der vorrangig wahrzunehmenden inhaltlichen Rechtswidrigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Von der beantragten Durchführung einer Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 und 6 VwGG Abstand genommen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf den § 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am