VwGH vom 26.06.2012, 2009/22/0234
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger und die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober sowie den Hofrat Mag. Straßegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des I, vertreten durch Dr. Peter Philipp, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Graben 17, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom , Zl. 153.596/2-III/4/09, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde den vom Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, am (noch während der Geltung des Fremdengesetzes 1997 - FrG) bei der (damals zuständigen) Bundespolizeidirektion Wien eingebrachten Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung "begünstigter Drittsta. - Ö., § 49 Abs. 1 FrG" gemäß § 21 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab.
Begründend führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer sei am unrechtmäßig in das Bundesgebiet eingereist. Am habe er einen Asylantrag gestellt, welcher am "rechtskräftig negativ entschieden" worden sei. Ein weiterer Asylantrag, den er am eingebracht habe, sei am in zweiter Instanz rechtskräftig zurückgewiesen worden.
Der Beschwerdeführer habe am neuerlich einen Asylantrag gestellt. Am habe er die österreichische Staatsbürgerin P geheiratet, worauf er diesen Asylantrag am wieder zurückgezogen und am selben Tag den hier gegenständlichen Antrag eingebracht habe.
Da der Beschwerdeführer die Entscheidung über den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels - infolge des mittlerweile erfolgten In-Kraft-Tretens des NAG () sei der Antrag nach den Bestimmungen dieses Gesetzes zu beurteilen - im Inland abgewartet habe und darüber hinaus keine der in § 21 Abs. 2 NAG genannten Voraussetzungen gegeben seien, stehe der Bewilligung des Antrags § 21 Abs. 1 NAG entgegen.
Gemäß § 21 Abs. 3 Z 2 NAG könne die Behörde zwar auf begründeten Antrag die Antragstellung im Inland zulassen, wenn kein Erteilungshindernis gemäß § 11 Abs. 1 Z 1, 2 oder 4 NAG vorliege und die Ausreise des Fremden aus dem Bundesgebiet zum Zweck der Antragstellung zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinn des Art. 8 EMRK nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar sei. Der Beschwerdeführer habe diesbezüglich auch ein - im angefochtenen Bescheid näher wiedergegebenes - Vorbringen erstattet. Jedoch sei aus "aktuellen Auszügen aus dem 'Zentralen Melderegister'" ersichtlich, dass der Beschwerdeführer nicht im gemeinsamen Haushalt mit seiner Ehefrau lebe. Es sei auch kein gemeinsames Eheleben anzunehmen, weil der Beschwerdeführer keine Lohnzettel seiner Ehefrau vorgelegt habe, obwohl diese nachweislich einer Beschäftigung nachgehe. Im Rahmen einer Gesamtbetrachtung der vom Beschwerdeführer geltend gemachten Umstände "sowie der Aktenlage" könne nicht davon ausgegangen werden, dass eine Verletzung des Art. 8 EMRK gegeben sei, wenn die Inlandsantragstellung nicht zugelassen werde. Bei der Vorgangsweise des Beschwerdeführers handle es sich vielmehr um eine Umgehung der Einwanderungsbestimmungen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen:
Der Beschwerdefall gleicht vor dem Hintergrund der Ausführungen des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) im Urteil vom , C-256/11, darin, dass die belangte Behörde in Verkennung der durch den EuGH nunmehr klargestellten Rechtslage nicht anhand des unionsrechtlich vorgegebenen Maßstabes geprüft hat, ob der vorliegende Fall einen solchen Ausnahmefall, wonach es das Unionsrecht gebietet, dem Drittstaatsangehörigen den Aufenthalt zu gewähren darstellt, jenem Fall, der dem hg. Erkenntnis vom , Zl. 2011/22/0313, zu Grunde lag. Dies gilt auch für die Frage, ob dem Beschwerdeführer als türkischen Staatsangehörigen die im Assoziationsrecht EU-Türkei enthaltenen Stillhalteklauseln zugute kommen. Gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG wird sohin auf die Entscheidungsgründe dieses Erkenntnisses verwiesen.
Auch im vorliegenden Fall wird die belangte Behörde im fortzusetzenden Verfahren nach Einräumung von Parteiengehör - die eingangs genannte Frage ist nicht mit der Beurteilung nach Art. 8 EMRK gleichzusetzen und war bisher nicht Gegenstand des behördlichen Verfahrens - entsprechende Feststellungen zu treffen haben.
Vor dem Hintergrund der behördlichen Ausführungen, dass zwischen dem Beschwerdeführer und seiner Ehefrau ein Familienleben nicht bestehe, wäre zwar bei Zutreffen dieser Annahme auch nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht davon auszugehen, ein Ausnahmefall im Sinn des oben Gesagten läge vor (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2009/22/0127). Der Beschwerdeführer wendet sich allerdings im Ergebnis zu Recht gegen die Verfahrensführung und der Sache nach auch gegen die Beweiswürdigung der belangten Behörde. Er bringt vor, es hätten weitere Urkunden berücksichtigt werden müssen, aus denen ersichtlich gewesen wäre, dass der Beschwerdeführer bereits seit sieben Jahren im Inland aufhältig sei und er in aufrechter Ehe mit einer Österreicherin lebe.
Ein solches Vorbringen hat der Beschwerdeführer bereits im Verwaltungsverfahren erstattet. Dementgegen hat aber die belangte Behörde, ohne dem Beschwerdeführer zu ihren erstmals im Berufungsverfahren getroffenen sachverhaltsbezogenen Annahmen - die Behörde erster Instanz hat zur Frage des Bestehens eines Familienlebens überhaupt keine Feststellungen getätigt - Parteiengehör einzuräumen und ohne auf die im Verwaltungsverfahren noch vor Erlassung des angefochtenen Bescheides vom Beschwerdeführer vorgelegten Urkunden und auf das Vorbringen, mit der österreichischen Staatsbürgerin P "in aufrechter Ehe verheiratet" zu sein, einzugehen, die oben genannten Feststellungen getroffen. Mit dieser Vorgangsweise hat sie den angefochtenen Bescheid mit einem relevanten Verfahrensmangel belastet. Es kann aber auch nicht gesagt werden, die behördliche Beweiswürdigung zum Fehlen eines Familienlebens zwischen dem Beschwerdeführer und seiner Ehefrau, die allein auf Eintragungen im Zentralen Melderegister und dem Unterbleiben der Vorlage einer Lohnbestätigung der Ehefrau (wozu der Beschwerdeführer der Aktenlage zufolge von der belangten Behörde im Übrigen auch gar nicht aufgefordert wurde) beruht, stelle sich als schlüssig dar.
Der angefochtene Bescheid war sohin wegen - vorrangig wahrzunehmender - Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am
Fundstelle(n):
EAAAE-70498