VwGH vom 03.11.2010, 2007/18/0432
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok und den Hofrat Dr. Enzenhofer, die Hofrätin Mag. Merl sowie die Hofräte Dr. Lukasser und Mag. Haunold als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Schmidl, über die Beschwerde des S B B B in W, geboren am , vertreten durch Mag. Wilfried Embacher, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Kärntner Ring 6, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. E1/15506/2007, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom wurde gegen den Beschwerdeführer, einen tunesischen Staatsangehörigen, gemäß § 87 und § 86 Abs. 1 iVm § 60 Abs. 1 und 2 Z. 9 und § 63 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG, BGBl. I Nr. 100, ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen.
Der Beschwerdeführer sei auf Grund eines deutschen Schengen-Visums, das vom bis gültig gewesen sei, über Deutschland in das Bundesgebiet eingereist und vom bis sowie ab durchgehend in W behördlich gemeldet gewesen. Er befinde sich seinem Berufungsvorbringen zufolge bereits seit vier Jahren und seiner Stellungnahme vom zufolge beinahe fünf Jahre lang im Bundesgebiet.
Am habe der Beschwerdeführer einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck "begünstigter Drittstaatsangehöriger - § 49 Abs 1 FrG" eingebracht, weil er am die österreichische Staatsbürgerin L. geheiratet habe. Dem Beschwerdeführer sei jedoch weder die beantragte Niederlassungsbewilligung noch ein sonstiger Aufenthaltstitel erteilt worden.
Einem Bericht des Kriminalamtes Wien vom zufolge habe ein Erhebungsorgan des öffentlichen Sicherheitsdienstes wiederholt versucht, das Ehepaar an der ehelichen Adresse in W anzutreffen. Auf Grund einer dort hinterlegten Vorladung sei das Ehepaar zur Dienststelle gekommen, wo L. nach längerem Leugnen zugegeben habe, eine Scheinehe mit dem Beschwerdeführer eingegangen zu sein, ohne hiefür ein Entgelt bekommen zu haben. Der verärgert wirkende Beschwerdeführer habe hingegen sinngemäß angegeben, dass keine Scheinehe vorläge, obwohl er nur sporadisch bei seiner Frau wohnte. Er würde die Sache einem Rechtsanwalt übergeben und freiwillig keine weiteren Angaben zum Sachverhalt machen.
Bei ihrer Vernehmung als Zeugin am durch die erstinstanzliche Behörde habe L. u.a. wörtlich angegeben:
"Ich möchte zunächst bekannt geben, dass ich mich um die Scheidung bemühe. Wo genau sich mein derzeitiger Mann aufhält, kann ich nicht sagen. Ich bin aber telefonisch mit ihm in Kontakt. ... Ich habe ihn vor 10 Jahren in W ... kennen gelernt. Wir waren uns sympathisch und haben wir die Telefonnummern ausgetauscht. Es war zunächst eine Bekanntschaft. Zwischenzeitlich hatte ich ihn aus den Augen verloren. Vor ca. eineinhalb Jahren hat er mich wieder angerufen und hatten wir wieder Kontakt. Ich weiß von seinen Problemen bezüglich seines Aufenthalts in Österreich und hat er mit mir gleich Klartext gesprochen und erklärt, dass er in
Österreich bleiben möchte. ... Bei unserem neuerlichen Kontakt hat
er mir verzweifelt von seiner Lage erzählt und hat er mir leid getan und habe ich daraufhin seinen Heiratsantrag angenommen. Er ist einer von den wenigen Ausländern, die ein anständiges Leben führen, arbeiten gehen und sich eine Existenz aufbauen möchten. Nachdem wir einig geworden sind, hat er eine Wohnung in W(...) genommen und habe ich mich dort pro forma angemeldet, damit er leichter zu einem Aufenthaltstitel kommt. Zusammen habe ich nie mit ihm gelebt. Zweck der Ehe war, dass er eine Aufenthaltsbewilligung und eine Arbeitsbewilligung bekommt. ... Nach der Hochzeit waren wir essen und danach haben sich unsere Wege getrennt. Intimen Kontakt hatten wir nicht, doch habe ich den Eindruck, dass er sich mittlerweile in mich verliebt hat. Ein
gemeinsamer Wohnsitz bestand nie. ... Ich möchte angeben, dass es
sich um eine Scheinehe aus reiner Gefälligkeit gehandelt hat. ... Auch habe ich mit meinem Mann darüber gesprochen, dass ich nicht weiter lügen möchte und die Sachlage klären muss. Ich habe den Eindruck, dass mein Mann mir gegenüber (Anmerkung: Nach dem Zusammenhang fehlt das Wort "nicht") negativ eingestellt ist oder mich bedroht und hat er die Sache zur Kenntnis genommen."
Auf Vorhalt der Verfahrensergebnisse mit Schreiben (der erstinstanzlichen Behörde) vom an den Rechtsvertreter des Beschwerdeführers sei, abgesehen von der Mitteilung der Auflösung des Vollmachtsverhältnisses, keine Antwort erfolgt.
Auf Grund der vom Beschwerdeführer gegen den erstinstanzlichen Bescheid erhobenen Berufung habe die belangte Behörde die ergänzende Vernehmung der Ehegattin des Beschwerdeführers am veranlasst. L. habe als Zeugin u. a. dabei wörtlich angegeben:
"Ich habe noch nie mit meinem verheirateten Ehemann ein gemeinsames Familienleben geführt. Wir haben auch zu keiner Zeit zusammengelebt, es hat auch nie sexuelle Kontakte gegeben. ...Seit der Eheschließung haben wir uns etwa 2 - 4 mal im Kaffeehaus (...) getroffen. Pro Treffen haben wir uns maximal ca. eine Stunde
unterhalten. ... Ich habe nie vorgehabt, mit ihm zusammenzuziehen,
zumal ich nie in ihn verliebt war. ... Abschließend stelle ich
fest, dass ich entgegen der Berufung vom zu keinem Zeitpunkt ein Familienleben bzw. ein eheähnliches Verhältnis mit (dem Beschwerdeführer) gelebt habe."
Der Beschwerdeführer sei zwar Familienangehöriger im Sinn des § 2 Abs. 4 Z. 12 FPG, sodass im Sinn des § 87 leg. cit. § 85 Abs. 2 und § 86 leg. cit. anzuwenden seien, er sei jedoch kein begünstigter Drittstaatsangehöriger gemäß § 2 Abs. 4 Z. 11 leg. cit., weil er nicht Ehegatte einer Österreicherin sei, die ihr Recht auf Freizügigkeit in Anspruch genommen habe.
Es sei kein Grund ersichtlich, warum die Zeugin L. falsche Aussagen hätte machen sollen. Diese habe den Sachverhalt aus ihrer Sicht klar und schlüssig dargelegt, wobei auch keine Ressentiments gegen den Beschwerdeführer erkennbar gewesen seien. Durch ihre Aussagen sei klargestellt, dass zu keinem Zeitpunkt während der Ehe ein gemeinsames Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK bestanden habe und ein solches auch nicht vereinbart gewesen sei, weil die Ehe von vornherein nur zum Zweck der Erlangung der Aufenthalts- und Beschäftigungsbewilligung für den Beschwerdeführer eingegangen worden sei. Den Aussagen der Zeugin L. komme eine höhere Glaubwürdigkeit zu als dem bloß lapidar bestreitenden Vorbringen des Beschwerdeführers, der natürlich ein hohes Interesse an der Glaubhaftmachung eines gemeinsamen Familienlebens habe.
Das Verhalten des Beschwerdeführers, eine Scheinehe zwecks Erlangung aufenthalts- und beschäftigungsrechtlicher Vorteile einzugehen, laufe den öffentlichen Interessen zuwider und stelle eine grobe Verletzung der öffentlichen Ordnung, insbesondere auf dem Gebiet eines geordneten Ehe- und Fremdenwesens, dar, sodass die Erlassung des Aufenthaltsverbotes dringend geboten und zulässig sei. Das im Eingehen einer Aufenthaltsehe liegende Verhalten stelle auch eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr dar, die das Grundinteresse der Gesellschaft an einer gesetzlichen Zuwanderung, an der Einhaltung der hiefür maßgeblichen Rechtsvorschriften und am Recht auf wahrheitsgetreue Angaben gegenüber Staatsorganen berühre.
Bei der Interessenabwägung nach § 66 Abs. 1 und 2 FPG falle bloß der fünfjährige Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet ins Gewicht. Eine davon ausgehende Integration in Österreich werde in ihrer Relevanz dadurch gemindert, dass dem Beschwerdeführer die "legale" Aufnahme einer Beschäftigung nur auf Grund des Eingehens einer Aufenthaltsehe möglich gewesen sei. Da ihm die Stellung eines Erstantrages auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung am kein Aufenthaltsrecht habe verschaffen können, habe er sich jahrelang unrechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten.
Den persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an einem weiteren Aufenthalt in Österreich stehe gegenüber, dass er durch das rechtsmissbräuchliche Eingehen der Ehe und das Berufen darauf im Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung sowie durch seinen langen unrechtmäßigen Aufenthalt maßgebliche öffentliche Interessen im Sinn des Art. 8 Abs. 2 EMRK (Wahrung der öffentlichen Ordnung und geordnete Besorgung des Fremdenwesens) erheblich beeinträchtigt habe. Das Aufenthaltsverbot sei zur Erreichung von im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Zielen dringend geboten (§ 66 Abs. 1 FPG), und die Auswirkungen dieser Maßnahme auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers wögen nicht schwerer als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung (§ 66 Abs. 2 FPG).
Im Hinblick auf das genannte Gesamt(fehl)verhalten des Beschwerdeführers könne ein Wegfall des für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes maßgeblichen Grundes, nämlich der Gefährdung der öffentlichen Ordnung durch seinen Aufenthalt im Bundesgebiet, nicht vor Verstreichen eines zehnjährigen Zeitraumes erwartet werden.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die inhaltliche Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn aufzuheben.
3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1.1. Die Beschwerde wendet sich gegen die Beweiswürdigung der belangten Behörde hinsichtlich des Vorliegens einer Scheinehe (Aufenthaltsehe) und bringt vor, dass Eheleute keinen gemeinsamen Wohnsitz haben müssten und es ihre Sache sei, wie das Familienleben konkret ausgestaltet werde. Aus den Aussagen der Ehefrau des Beschwerdeführers ergebe sich eindeutig, dass beiden Details aus dem Leben des anderen bekannt seien, woraus ersichtlich sei, dass sehr wohl eine enge Bindung zwischen dem Beschwerdeführer und seiner Ehefrau bestehe und ein gemeinsames Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK geführt worden sei. Die belangte Behörde hätte daher Feststellungen darüber treffen müssen, wie sich deren Familienleben gestalte bzw. in der Vergangenheit gestaltet habe. Auch wären Feststellungen zu deren konkreten Wohnsituation erforderlich gewesen. Wenn bei Hauserhebungen keine der beiden Personen habe angetroffen werden können, so deute dies, wenn überhaupt, darauf hin, dass die Ehepartner gemeinsam außerhalb ihre Freizeit verbracht hätten. Wenn die Ehegattin des Beschwerdeführers ausführe, ihn nicht aus Liebe geheiratet zu haben, so seien diese Angaben vor dem Hintergrund zu würdigen, dass sie einen neuen Lebensgefährten habe und daher scheinbar beabsichtige, die Ehe mit dem Beschwerdeführer zu beenden. Dieser sei jedoch bestrebt, um seine Ehe zu kämpfen, und stehe nach wie vor in regelmäßigem Kontakt mit seiner Ehegattin.
1.2. Mit diesem Vorbringen zeigt die Beschwerde keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf.
Die belangte Behörde hat sich in ihrer Beweiswürdigung auf die Aussagen der Ehegattin des Beschwerdeführers gestützt, wonach es zwischen den Ehegatten nie zu einem intimen Kontakt gekommen sei und sie nie zusammengelebt hätten. Auch hat seine Ehegattin ihre Motive für das Eingehen der Ehe in einer für die Behörde glaubwürdigen Art und Weise dargelegt. Der von der belangten Behörde dadurch gewonnene Eindruck von der Richtigkeit dieser Aussagen wird noch dadurch verstärkt, dass bei wiederholten kriminalpolizeilichen Versuchen, das Ehepaar an der ehelichen Wohnadresse anzutreffen, die Eheleute dort nicht angetroffen werden konnten. Demgegenüber hat der Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren das Vorliegen einer Scheinehe lediglich bestritten, ohne einen konkreten Lebenssachverhalt zu behaupten und unter Beweis zu stellen, der für eine tatsächlich geführte eheliche Gemeinschaft spräche. Im Hinblick darauf kann die Beweiswürdigung der belangten Behörde im Rahmen der dem Verwaltungsgerichtshof zukommenden Kontrollbefugnis (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom , Zl. 85/02/0053) nicht als unschlüssig erkannt werden.
1.3. Auf dem Boden der von der belangten Behörde sohin auf Grund unbedenklicher Beweiswürdigung getroffenen Feststellungen erweist sich auch die weitere Beurteilung der belangten Behörde, dass der Beschwerdeführer eine Scheinehe zwecks Erlangung aufenthalts- und beschäftigungsrechtlicher Vorteile eingegangen sei und mit L. kein gemeinsames Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK geführt habe, als unbedenklich.
1.4. Im Hinblick darauf, dass der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ein sehr hoher Stellenwert zukommt (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2006/18/0304, mwN), begegnet die weitere Ansicht der belangten Behörde, dass das Fehlverhalten des Beschwerdeführers eine Gefährdung im Sinne des - im Beschwerdefall gemäß § 87 FPG anzuwendenden - § 86 Abs. 1 (erster und zweiter Satz) leg. cit. darstelle, keinem Einwand.
2. Bei der Prüfung der Zulässigkeit des Aufenthaltsverbotes gemäß § 60 Abs. 6 iVm § 66 Abs. 1 und 2 FPG hat die belangte Behörde den rund fünfjährigen inländischen Aufenthalt des Beschwerdeführers und seine Erwerbstätigkeit berücksichtigt und zutreffend einen mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen relevanten Eingriff in dessen persönliche Interessen angenommen. Diese sind jedoch an Gewicht insoweit zu relativieren, als dieser Aufenthalt und die Aufnahme einer Beschäftigung nur auf Grund des Eingehens der Scheinehe ermöglicht wurden.
Den persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an einem weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet steht - wie die belangte Behörde zutreffend ausgeführt hat - das große öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (eines geordneten Ehe- und Fremdenwesens) gegenüber.
Bei Abwägung dieser gegenläufigen Interessen begegnet die Ansicht der belangten Behörde, dass das Aufenthaltsverbot zur Erreichung von im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Zielen dringend geboten sei und § 66 Abs. 1 und 2 FPG der Erlassung dieser Maßnahme nicht entgegenstehe, keinem Einwand.
3. Ferner kann es nicht als rechtswidrig angesehen werden, wenn die belangte Behörde die Auffassung vertreten hat, dass in Anbetracht des Gesamtfehlverhaltens des Beschwerdeführers ein Wegfall des für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes maßgeblichen Grundes nicht vor Ablauf von zehn Jahren erwartet werden könne, und es zeigt die Beschwerde keine Umstände auf, die die Festsetzung einer kürzeren Dauer dieser Maßnahme geboten hätten.
4. Weiters kann keine Rede davon sein, dass der angefochtene Bescheid nur unzureichend begründet sei.
5. Die Beschwerde erweist sich daher als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.
6. Gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG konnte von der beantragten Verhandlung Abstand genommen werden.
7. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008. Wien, am
Fundstelle(n):
OAAAE-70379