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VwGH vom 22.07.2011, 2009/22/0183

VwGH vom 22.07.2011, 2009/22/0183

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok und die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder sowie die Hofrätinnen Mag. Merl und Dr. Julcher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde der VS, vertreten durch Dr. Wolfgang Vacarescu, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Jakominiplatz 16/II, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Salzburg vom , Zl. Fr-764/08 (neu: E1/1045/2009), betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige von Weißrussland, gemäß § 53 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) aus Österreich aus.

Begründend führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführerin sei erstmals im Jahr 2003 gemäß § 7 Abs. 4 Z 4 Fremdengesetz 1997 (FrG) ein von bis gültiger Aufenthaltstitel erteilt worden. Dieser Aufenthaltstitel sei zuletzt mit Gültigkeit bis verlängert worden.

Am habe die Beschwerdeführerin in M den österreichischen Staatsbürger E geheiratet. Sie habe am bei der Bezirkshauptmannschaft S einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck "begünstigter Drittsta. - Ö., § 49 Abs. 1 FrG" eingebracht.

Die Beschwerdeführerin sei wegen des Verdachts der Fälschung eines Strafregisterauszuges ihres Heimatlandes bei der Staatsanwaltschaft S zur Anzeige gebracht worden. Von diesem Vorwurf sei sie am freigesprochen worden.

Der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels sei von der Bundesministerin für Inneres im Instanzenzug gemäß § 21 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) abgewiesen worden. Das Verfahren (zur Zl. 2008/21/0236) über die dagegen beim Verwaltungsgerichtshof eingebrachte Beschwerde sei noch nicht abgeschlossen.

Zwar habe die Beschwerdeführerin über Aufenthaltstitel verfügt. Der ihr zuletzt erteilte Aufenthaltstitel sei jedoch - infolge der Vorschriften des mittlerweile geltenden NAG - als "Aufenthaltsreisevisum gemäß § 24 FPG und nicht mehr als Aufenthaltstitel gemäß Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz" zu werten. Den zuletzt gestellten Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels hätte die Beschwerdeführerin gemäß § 21 Abs. 1 NAG im Ausland einbringen müssen. Über ein Aufenthaltsrecht nach der Richtlinie 2004/38/EG verfüge sie nicht. Der ihr zuletzt erteilte Aufenthaltstitel sei bereits abgelaufen. Sohin halte sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet auf.

Auf Grund des Aufenthalts im Bundesgebiet seit September 2003 - so die belangte Behörde im Rahmen der Interessenabwägung - sei von einem mit der Erlassung der Ausweisung einhergehenden Eingriff in das Privat- und Familienleben auszugehen. Allerdings wirke der seit bestehende unrechtmäßige Aufenthalt wesentlich interessenmindernd. Das "bloße über einen längeren Zeitraum bestehende Zusammenleben von Familienangehörigen" biete für sich genommen keine Grundlage, um eine Integration der Beschwerdeführerin ableiten zu können. Demgegenüber komme der Einhaltung der den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und der geordneten Abwicklung des Fremdenwesens ein sehr hoher Stellenwert zu. Da sich die Beschwerdeführerin erst seit fünfeinhalb Jahren im Bundesgebiet aufhalte und dieser Aufenthalt seit dreieinhalb Jahren unrechtmäßig sei, seien diese Vorschriften in gravierender Weise missachtet worden. Sohin seien die als hoch zu veranschlagenden öffentlichen Interessen an der Wahrung eines geordneten Fremdenwesens von solchem Gewicht, dass allfällige gegenläufige private Interessen jedenfalls nicht höher zu bewerten seien als das Interesse der Allgemeinheit an der Ausreise der Beschwerdeführerin aus dem Bundesgebiet.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom , B 627/09-3, ablehnte und die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat. Der Verwaltungsgerichtshof hat über die - im Verfahren ergänzte - Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen:

Im vorliegenden Fall kann mit Blick auf das vom Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom , Zl. EU 2011/0004 bis 0008, an den Gerichtshof der Europäischen Union gerichtete Vorabentscheidungsersuchen dahingestellt bleiben, ob der Aufenthalt der Beschwerdeführerin angesichts ihrer Ehe mit einem österreichischen Staatsbürger als rechtmäßig oder unrechtmäßig zu qualifizieren ist. Der angefochtene Bescheid erweist sich nämlich selbst im Falle des unrechtmäßigen Aufenthalts der Beschwerdeführerin als mit Rechtswidrigkeit belastet.

§ 66 FPG in der hier maßgeblichen Fassung des BGBl. I Nr. 29/2009 (samt Überschrift) lautet:

"4. Abschnitt

Gemeinsame Verfahrensbestimmungen

Schutz des Privat- und Familienlebens

§ 66. (1) Würde durch eine Ausweisung in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Ausweisung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war;


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2.
das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;
3.
die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;
4.
der Grad der Integration;
5.
die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden;
6.
die strafgerichtliche Unbescholtenheit;
7.
Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts;
8.
die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren.

(3) Über die Zulässigkeit der Ausweisung ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Ausweisung ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Ausweisung schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein gemeinschaftsrechtliches oder unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff NAG) verfügen, unzulässig wäre."

Art. 8 EMRK verlangt eine gewichtende Gegenüberstellung des öffentlichen Interesses an einem geordneten Fremdenwesen mit dem persönlichen Interesse des Fremden an einem Verbleib in Österreich. Dabei ist anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalls zu prüfen, ob bei einer Gesamtbetrachtung aller Umstände Art. 8 EMRK der Ausweisung entgegensteht. Maßgeblich sind dabei etwa die Aufenthaltsdauer, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens und dessen Intensität sowie die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, weiters der Grad der Integration des Fremden, der sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulausbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert sowie die Bindungen zum Heimatstaat (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2009/22/0247). Maßgebliche Bedeutung kommt aber auch der Frage zu, ob das Familienleben in einem anderen Staat geführt werden kann (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , 2008/21/0001, sowie jenes vom , 2009/21/0109, jeweils mwN).

Der belangten Behörde ist zunächst zum Vorwurf zu machen, dass sie die aus § 66 Abs. 3 letzter Satz FPG hervorgehende erkennbare besondere Wertung in Bezug auf Angehörige von österreichischen Staatsbürgern nicht gebührend beachtet hat (vgl. dazu ebenfalls das bereits genannte Erkenntnis 2009/21/0109). Vor diesem Hintergrund hat die belangte Behörde eine unzureichende Auseinandersetzung mit den persönlichen Interessen der Beschwerdeführerin an einem Verbleib in Österreich durchgeführt. Im Hinblick auf das Gewicht der Bindungen an einen österreichischen Staatsbürger kann diese nicht allein auf den Verweis auf die Unsicherheit des weiteren Aufenthalts nach Ablauf der zuletzt (nach dem FrG) erteilten Aufenthaltserlaubnis gegründet und dadurch substituiert werden, dass die belangte Behörde den Umstand hervorhob, dass den für die Einreise und den Aufenthalt von Fremden getroffenen Regelungen und deren Befolgung durch die Normadressaten aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ein hoher Stellenwert zukomme (vgl. auch dazu das Erkenntnis 2009/21/0109).

Darüber hinaus hat sich die belangte Behörde in offensichtlicher Verkennung der rechtlichen Notwendigkeit auch nicht mit der Frage auseinandergesetzt, ob dem Ehemann der Beschwerdeführerin, einem österreichischen Staatsbürger, ein Familienleben mit der Beschwerdeführerin in deren Herkunftsland zur Aufrechterhaltung der Ehegemeinschaft möglich und zumutbar wäre, obwohl die Beschwerdeführerin im Verwaltungsverfahren ausdrücklich mit näherer Begründung vorgebracht hat, dass dies nicht der Fall sei.

Der angefochtene Bescheid war sohin schon nach dem Gesagten gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am