VwGH vom 03.03.2011, 2009/22/0088
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok, die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder und die Hofrätinnen Mag. Merl und Dr. Julcher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des A, vertreten durch Mag. Dr. Vera M. Weld, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Himmelpfortgasse 7/2, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom , Zl. 152.280/3- III/4/08, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 57,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers, eines algerischen Staatsangehörigen, vom auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zwecks Familienzusammenführung mit seiner österreichischen Ehefrau gemäß § 21 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab.
Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, dass der Beschwerdeführer nach seinen Angaben im Februar 2008 ohne Sichtvermerk in das Bundesgebiet eingereist sei. Er sei ohne entsprechenden Aufenthaltstitel im Bundesgebiet geblieben. Am habe er eine österreichische Staatsbürgerin geheiratet und sei am Vater einer gemeinsamen Tochter geworden.
Gemäß § 21 Abs. 1 NAG seien Erstanträge vor der Einreise in das Bundesgebiet bei der örtlich zuständigen Berufsvertretungsbehörde im Ausland einzubringen und es sei die Entscheidung im Ausland abzuwarten. Diese Bestimmung stehe einer Bewilligung des gegenständlichen Antrags entgegen.
Die Ehe mit einer österreichischen Staatsangehörigen "stellt keinesfalls ein Aufenthaltsrecht nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsrecht dar". Die öffentliche Ordnung werde schwerwiegend beeinträchtigt, wenn einwanderungswillige Fremde sich unerlaubt in Österreich aufhielten, um damit die österreichischen Behörden vor vollendete Tatsachen zu stellen. Der Beschwerdeführer zeige, dass er nicht gewillt sei, sich an die in Österreich geltende Rechtsordnung zu halten.
Die Behörde könne einen im Inland gestellten Antrag auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung aus besonders berücksichtigungswürdigen humanitären Gründen gemäß § 72 NAG von Amts wegen zulassen. Humanitäre Gründe hätten trotz diesbezüglicher Prüfung seitens der belangten Behörde nicht festgestellt werden können. In Bezug auf die behauptete depressive Erkrankung der Ehefrau des Beschwerdeführers (amtsärztliches Gutachten vom ) werde bemerkt, dass die vorgebrachte Krankheit und Pflegebedürftigkeit keinen Anspruch auf Familiennachzug begründen könnten, zumal es sich dabei nicht um Lebensumstände handle, die für den Betroffenen mit besonderen Gefährdungen bzw. Notlagen für ihn selbst verbunden wären. Das Verhalten des Beschwerdeführers, der zu keiner Zeit über ein Visum oder einen Aufenthaltstitel für Österreich verfügt habe und nach seiner illegalen Einreise im Bundesgebiet ohne entsprechenden Aufenthaltstitel geblieben sei, rechtfertige in jedem Fall die Annahme einer Gefährdung der öffentlichen Ordnung. Sein Familienleben in Österreich sei zu einem Zeitpunkt begründet worden, in dem er sich seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst gewesen sei. Eine Inlandsantragstellung werde gemäß § 74 NAG nicht von Amts wegen zugelassen. Dem Beschwerdeführer könne der Zuzug nach Österreich unter Einhaltung der "üblichen gesetzlichen Bestimmungen" zugemutet werden.
Der Verfassungsgerichtshof hat die gegen diesen Bescheid an ihn gerichtete Beschwerde nach Ablehnung ihrer Behandlung mit Beschluss vom , B 144/09-3, gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten, der über die ergänzte Beschwerde nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen hat:
Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, dass er unberechtigt nach Österreich gereist ist, hier den gegenständlichen Antrag gestellt hat und im Inland geblieben ist.
Das Recht, den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels im Inland zu stellen und die Entscheidung darüber hier abzuwarten, kommt daher im vorliegenden Fall nur gemäß § 74 NAG (in der Stammfassung) in Betracht. Liegen die Voraussetzungen des § 72 NAG (ebenfalls in der Stammfassung) vor, ist ungeachtet des Wortlautes des Gesetzes ("kann") die in § 74 NAG ausnahmsweise vorgesehene Antragstellung im Inland zuzulassen, wobei die Zulassung im Rechtsweg erzwungen werden kann. § 72 NAG stellt auf mit besonderen Gefährdungen bzw. Notlagen verbundene Lebensumstände eines Fremden ab, die dazu Anlass geben, diesem aus humanitären Gründen eine Aufenthaltsbewilligung zukommen zu lassen. Weiters liegen besonders berücksichtigungswürdige Fälle im Sinn dieser Bestimmung dann vor, wenn - ausnahmsweise - ein aus Art. 8 EMRK direkt abzuleitender Anspruch (etwa auf Familiennachzug) besteht (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2008/22/0265 bis 0267).
Entgegen der Beschwerdeansicht kann das Ergebnis der behördlichen Interessenabwägung nach den §§ 72 und 74 NAG nicht als rechtswidrig gesehen werden.
Zunächst ist jedoch festzuhalten, dass die behördliche Ansicht nicht zu billigen ist, dass eine Krankheit und Pflegebedürftigkeit des zusammenführenden Angehörigen nicht in die Verhältnismäßigkeitsprüfung nach Art. 8 EMRK einzubeziehen ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2009/21/0002, unter Hinweis auf jenes vom , 2008/22/0111). Wohl aber durfte die belangte Behörde ein großes Gewicht auf den Umstand legen, dass aus dem Verhalten des Beschwerdeführers eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung in Bezug auf die Einhaltung fremdenrechtlicher Bestimmungen abzuleiten ist. Dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung derartiger Vorschriften kommt aus der Sicht des Schutzes der öffentlichen Ordnung ein hoher Stellenwert zu.
In der Beschwerde wird ausgeführt, dass der Beschwerdeführer seine spätere Ehefrau während eines Urlaubs in Frankreich im Sommer 2007 kennen und lieben gelernt habe und aus dieser Liebe die im Mai 2008 geborene Tochter entstanden sei. Der Beschwerdeführer sei von Anfang an in der Absicht eingereist, "rechtskonform" in Österreich zu leben.
Dass die Einreise im Jahr 2008 ohne Berechtigung und mit der Absicht, in Österreich zu bleiben, den inländischen Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen nicht entsprochen hat, war dem Beschwerdeführer - was sich aus den Beschwerdeausführungen zweifelsfrei ergibt - klar. Er begründete sein Familienleben somit zu einem Zeitpunkt, als er auf einen legalen Aufenthalt in Österreich nicht vertrauen durfte. Daran ändert der in der Beschwerde behauptete Umstand nichts, dass er zum Zeitpunkt der Zeugung seiner Tochter nicht an einen Aufenthalt in Österreich, geschweige denn an die Unsicherheit eines solchen Aufenthaltes gedacht habe. Eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem diesbezüglichen Beschwerdevorbringen ("Wie die Natur lehrt, sind gezielte und berechnende Gedanken dem Menschen in einem Moment, in dem er sich geschlechtlich verbindet, zumeist nur allzu fern.") ist nicht erforderlich. Es ist dem Beschwerdeführer auch zuzugestehen, dass er "geringe Hemmung spürte, seinem Heimatstaat den Rücken zu kehren".
Entscheidend ist, dass einwanderungswillige Fremde die gesetzlichen Bestimmungen einzuhalten haben. Nur dann, wenn die persönlichen Interessen des Fremden das genannte öffentliche Interesse im Sinn einer Verhältnismäßigkeitsprüfung nach Art. 8 EMRK überwiegen, ist eine sofortige Familienzusammenführung zuzulassen. Unbestreitbar besteht ein großes Interesse des Beschwerdeführers an einem Zusammenleben mit Frau und Kind in Österreich. Diesem Wunsch allein kommt aber für sich gesehen noch keine maßgebliche Bedeutung zu. Die behauptete Pflegebedürftigkeit seiner Ehefrau vermag der Beschwerdeführer nicht in entscheidender Weise für sich ins Treffen zu führen. Die belangte Behörde verwies auf das amtsärztliche Gutachten vom . Demzufolge ist zwar bei der Ehefrau des Beschwerdeführers ein "leichtgradig reaktiv-depressives Zustandsbild mit Einschlafstörungen und subdepressiver Stimmungslage" gegeben. Ihr Gedankenduktus ist jedoch "formal und inhaltlich richtig". Der Gutachter sieht keine Notwendigkeit für weitere psychiatrische Interventionen und für eine antidepressive Medikation. Gegen die Richtigkeit dieses Gutachtens zeigt die Beschwerde keine Argumente auf.
Somit ist dem Beschwerdeführer - worauf schon die belangte Behörde hingewiesen hat - zumutbar, nach Österreich unter Einhaltung der "üblichen" gesetzlichen Bestimmungen zuzuziehen. An diesem Ergebnis ändert die Beschwerdebehauptung nichts, dass der Beschwerdeführer "nicht um der Erlangung von Vorteilen willen … in Frankreich - fern von Österreich - ein Kind zeugte". Es ist Sache seiner Lebensplanung, ob er andernfalls "viel einfacher mit einer Französin ein Kind zeugen (hätte) können, weil er dann gleich im richtigen Land gewesen wäre und nicht erst mühsam nach Österreich einreisen hätte müssen".
Zur abschließenden Beantwortung des in der Beschwerde eingehend behandelten Themenbereichs sei erwähnt, dass es dem Gerichtshof fern liegt, einen Fremden zu tadeln, der sich - wie behauptetermaßen der Beschwerdeführer - verpflichtet fühlt, seiner nunmehrigen Ehefrau nach der Zeugung eines Kindes beizustehen, ihr in das Heimatland zu folgen (auch wenn dies durch die "geringe Hemmung", das eigene Heimatland zu verlassen, erleichtert wird) und mit ihr ein Familienleben zu führen. Dennoch sieht sich der Gerichtshof nicht in der Lage, aus dem Verhalten des Beschwerdeführers bei seiner Einreise auf eine in der Beschwerde behauptete "Rechtstreue" zu schließen.
Im Ergebnis durfte daher die belangte Behörde berücksichtigungswürdige humanitäre Gründe verneinen und demzufolge den gegenständlichen Antrag wegen der fehlenden Auslandsantragstellung abweisen.
Da somit dem angefochtenen Bescheid die behauptete Rechtswidrigkeit nicht anhaftet, war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Von der beantragten Durchführung einer Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am
Fundstelle(n):
NAAAE-70122