VwGH vom 18.10.2012, 2009/22/0084

VwGH vom 18.10.2012, 2009/22/0084

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger, die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober sowie den Hofrat Mag. Straßegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde der M, vertreten durch Dr. Wolfgang Weber, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Wollzeile 12/1/27, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom , Zl. 148.515/8-III/4/09, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird, soweit damit der Antrag auf erstmalige Erteilung eines Aufenthaltstitels im Instanzenzug abgewiesen wird (Spruchpunkt II.), wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, und soweit ein "Antrag vom auf Verlängerung eines Aufenthaltstitels" zurückgewiesen wird (Spruchpunkt III.), wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben.

Im Übrigen, somit betreffend die Wiederaufnahme des Verfahrens (Spruchpunkt I.) wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

I.

Mit dem angefochtenen Bescheid verfügte die belangte Behörde gemäß § 69 Abs. 1 Z 1 und Abs. 3 sowie § 70 AVG die Wiederaufnahme des im Instanzenzug abgeschlossenen Verfahrens über den von der Beschwerdeführerin, einer pakistanischen Staatsangehörigen, am bei der Österreichischen Botschaft Islamabad persönlich gestellten und von dieser mit Schreiben vom an die erstinstanzliche Behörde (Landeshauptmann von Wien) weitergeleiteten Antrag auf erstmalige Erteilung eines Aufenthaltstitels "Familienangehöriger" im Hinblick auf ihren österreichischen Ehemann (Spruchpunkt I.). Mit Spruchpunkt II. wies die belangte Behörde diesen Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels im Instanzenzug gemäß § 11 Abs. 2 Z 1 iVm § 11 Abs. 4 Z 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab. Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides schließlich lautet:

"Ihr Antrag vom auf Verlängerung eines Aufenthaltstitels beim Amt der Wiener Landesregierung, Magistratsabteilung 35, wird als weiterer Antrag gewertet und gemäß § 19 Abs. 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) zurückgewiesen."

Begründend führte die belangte Behörde im Hinblick auf die Verfügung der Wiederaufnahme aus, die Beschwerdeführerin habe am nach erstinstanzlicher Abweisung ihres Erstantrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zum Zweck der Familienzusammenführung mit ihrem österreichischen Ehemann im Berufungsverfahren eine Einkommensbestätigung, ausgestellt am vom "Zeitschriftenhandel E W", vorgelegt. Auf Grund dieser zusätzlich vorgelegten Einkommensbestätigung habe die belangte Behörde der Berufung der Beschwerdeführerin (mit Bescheid vom ) stattgegeben und es sei der begehrte Aufenthaltstitel (mit Gültigkeit vom bis ) am ausgefolgt worden.

Kriminalpolizeiliche Ermittlungen hätten ergeben, dass E W als Inhaber des gleichnamigen Zeitschriftenhandels "im April 2006" verstorben und mit seinem Tod das Unternehmen geschlossen worden sei. Im Sinn des § 69 Abs. 1 Z 1 AVG stehe eindeutig fest, dass die nach dem Tod des Firmeninhabers ausgestellte Einkommensbestätigung als falsches Beweismittel in einem verwaltungsbehördlichen Verfahren zu werten sei, das durch die Erteilung des Aufenthaltstitels und den Eintritt der Rechtskraft abgeschlossen worden sei. Sowohl die objektive als auch die subjektive Tatseite einer gerichtlich strafbaren Handlung seien erfüllt. Es komme dabei nicht darauf an, ob die strafbare Handlung von der dadurch begünstigten Partei gesetzt oder veranlasst worden sei. Somit sei das Verfahren in den Stand vor der Erlassung des Berufungsbescheides vom zurückzuversetzen.

Zur Abweisung des Erstantrags im Instanzenzug (Spruchpunkt II.) führte die belangte Behörde aus, dass die Beschwerdeführerin bereits im Zuge des erstinstanzlichen Verfahrens zwei weitere falsche Einkommensbestätigungen des "Zeitschriftenhandels E W" mit jeweiligem Ausstellungsdatum und vorgelegt habe. Gegründet auf das Gesamtverhalten der Beschwerdeführerin - die mehrfache Verwendung von falschen Einkommensbestätigungen als Beweismittel zur Erlangung eines Aufenthaltstitels - werde im Hinblick auf die geforderte Gefährdungsprognose festgestellt, dass durch die falschen Angaben über ausreichende Unterhaltsmittel und wegen der damit verbundenen negativen Beispielwirkung auf andere Fremde eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung in hohem Maß gegeben sei. Damit widerstreite der Aufenthalt der Beschwerdeführerin dem öffentlichen Interesse nach § 11 Abs. 4 Z 1 NAG und sie erfülle nicht die Voraussetzungen des § 11 Abs. 2 Z 1 NAG für die Erteilung eines Aufenthaltstitels.

Zu dem oben zitierten Spruchpunkt III. schließlich hielt die belangte Behörde begründend fest, die Beschwerdeführerin habe am "beim Amt der Wiener Landesregierung" einen Antrag auf Verlängerung des Aufenthaltstitels gestellt, der durch den Gültigkeitsverlust des Aufenthaltstitels nunmehr als Erstantrag zu werten sei. Mit Schreiben vom sei die Beschwerdeführerin davon in Kenntnis gesetzt worden, dass dieser Antrag nunmehr als unzulässiger weiterer Antrag zu werten und gemäß § 19 Abs. 2 NAG das Stellen weiterer Anträge während eines anhängigen Verfahrens nicht zulässig sei. Nachdem die Beschwerdeführerin in ihrer Stellungnahme "vom " "keine Entscheidung geltend gemacht habe", welcher Antrag zurückzuziehen sei, sei der Antrag vom als weiterer Antrag gemäß § 19 Abs. 2 NAG zurückzuweisen gewesen.

In der Folge nahm die belangte Behörde eine (kursorische) Beurteilung nach den §§ 72 und 74 NAG vor und kam zu dem Schluss, dass keine humanitären Gründe vorlägen.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:

Vorweg wird festgehalten, dass im vorliegenden Fall das NAG in der Fassung BGBl. I Nr. 4/2008 zur Anwendung gelangt.

1. Zur Wiederaufnahme des Verfahrens:

Gemäß § 69 Abs. 1 Z 1 AVG ist ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren, wenn ein Rechtsmittel nicht oder nicht mehr zulässig ist, wieder aufzunehmen, wenn der Bescheid durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist. Unter diesen Voraussetzungen kann gemäß § 69 Abs. 3 leg. cit. die Wiederaufnahme des Verfahrens auch von Amts wegen verfügt werden. Das Gesetz verlangt somit nur, dass der Bescheid durch die strafbare Handlung herbeigeführt worden ist und nicht, dass die Straftat von der betroffenen Partei gesetzt wurde. Wer die strafbare Handlung begangen hat, ist für die Wiederaufnahme des Verfahrens aus diesem Grund ohne Bedeutung (vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG § 69 Rz. 9).

Dem angefochtenen Bescheid ist eindeutig zu entnehmen, dass die belangte Behörde von einer Fälschung der Einkommensbestätigung, somit von einem gerichtlich strafbaren Tatbestand ausgeht. Sie nimmt hingegen nicht an, dass die Beschwerdeführerin selbst die strafbare Handlung getätigt hat. Dass jedoch eine gefälschte Urkunde vorgelegt wurde, zumal der E W Zeitschriftenhandel zumindest zum Zeitpunkt der letzten beiden vorgelegten Bestätigungen vom und vom nicht mehr existierte, wird in der Beschwerde - die erkennbar die Verantwortlichkeit der Beschwerdeführerin verneint - nicht bestritten. Gegen die Wiederaufnahme des Verfahrens zur Erteilung des Aufenthaltstitels hegt der Gerichtshof somit keine Bedenken (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2009/22/0078).

2. Zur Abweisung der Berufung gegen die Versagung der erstmaligen Erteilung des Aufenthaltstitels:

Bei der Versagung des Aufenthaltstitels (im Instanzenzug) durfte die belangte Behörde grundsätzlich davon ausgehen, dass die Vorlage gefälschter Urkunden durch einen Antragsteller mit dem Ziel der Erlangung eines Aufenthaltstitels eine schwere Beeinträchtigung des öffentlichen Interesses an einem geordneten Fremdenwesen, insbesondere an einer geregelten Zuwanderung, darstellt. Bei der Auslegung des Gesetzesbegriffs der Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit in § 11 Abs. 4 Z 1 NAG ist aber eine das Gesamtverhalten eines Fremden berücksichtigende Prognosebeurteilung geboten (vgl. wiederum das bereits angeführte hg. Erkenntnis vom , mwH).

Im Verwaltungsverfahren hat die Beschwerdeführerin vorgebracht, dass ihr Ehemann Zeitschriften von E W erhalten hätte und es weder ihm noch ihr bekannt gewesen sei, dass der Sohn E W die Dokumente im Namen des Vaters Eduard W ausgestellt habe. Zu diesem Vorbringen traf die belangte Behörde keine Feststellungen, sondern ging in Verkennung der Rechtslage davon aus, dass bereits die Vorlage gefälschter Unterlagen allein für die Bejahung der nach § 11 Abs. 4 Z 1 NAG anzustellenden Prognose ausreiche (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/22/0908). Bei Zutreffen des Vorbringens, dass die Beschwerdeführerin nichts von der Fälschung der Einkommensbestätigung gewusst habe, könnte nicht davon ausgegangen werden, die Beschwerdeführerin habe ein Verhalten gesetzt, das die Gefährdungsprognose rechtfertigen würde (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2009/22/0227).

Wegen dieses Rechtsirrtums war der angefochtene Bescheid, soweit damit der Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels unter Hinweis auf § 11 Abs. 2 Z 1 NAG im Instanzenzug abgewiesen wurde, wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

3. Zur Zurückweisung des Verlängerungsantrags:

Zur Erledigung dieses am eingebrachten Antrages - anhand der Begründung hinreichend erkennbar wurde trotz der im Spruch des angefochtenen Bescheides zu III. erfolgten Erwähnung des Datums " " über diesen Antrag abgesprochen - war die belangte Behörde nicht zuständig, weil insoweit eine Entscheidung der nach § 3 Abs. 1 NAG zuständigen Behörde erster Instanz nicht vorlag. Dass sich aus sonstigen Vorschriften eine Zuständigkeit der belangten Behörde, über diesen Antrag zu entscheiden, ableiten ließe, ist nicht erkennbar; insoweit lag zu diesem Antrag kein den Zuständigkeitsübergang herbeiführender Devolutionsantrag vor.

Somit hat die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid insoweit mit Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit belastet, weshalb dieser in diesem Spruchpunkt gemäß § 42 Abs. 2 Z 2 VwGG aufzuheben war.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. Das auf Erstattung von Umsatzsteuer gerichtete Mehrbegehren war abzuweisen, weil diese im in der genannten Verordnung festgelegten Pauschalsatz bereits enthalten ist.

Wien, am