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VwGH vom 09.11.2011, 2009/22/0082

VwGH vom 09.11.2011, 2009/22/0082

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok und die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder sowie die Hofrätinnen Mag. Merl und Dr. Julcher als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Henk, über die Beschwerde des H B in W, vertreten durch Dr. Robert Galler und Dr. Rudolf Höpflinger, Rechtsanwälte in 5020 Salzburg, Viktor-Keldorfer-Straße 1, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom , Zl. 149.665/12-III/4/09, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, reiste am nach Österreich ein und stellte hier am einen Asylantrag. Der diesen Antrag abweisende Bescheid des Bundesasylamtes erwuchs am in Rechtskraft, weil der Beschwerdeführer, der am eine österreichische Staatsbürgerin geheiratet hatte, die dagegen erhobene Berufung zurückzog.

Ein im Oktober 2005 gestellter Antrag auf Ausstellung einer Niederlassungsbewilligung als Angehöriger einer Österreicherin gemäß § 49 Fremdengesetz 1997 wurde mit im Instanzenzug ergangenem Bescheid der belangten Behörde vom nach den Bestimmungen des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes - NAG wegen unzulässiger Inlandsantragstellung abgewiesen. Die Behandlung einer dagegen erhobenen Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof wurde abgelehnt, nach Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof wurde das Verfahren wegen Unterlassung der aufgetragenen Beschwerdeergänzung mit hg. Beschluss vom , Zl. 2008/22/0242, eingestellt.

Am stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Familienangehöriger". Dieser wurde mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde gemäß § 21 Abs. 1 NAG abgewiesen.

Begründend führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer hätte seinen Antrag vor der Einreise in das Bundesgebiet im Ausland einbringen und die Entscheidung im Ausland abwarten müssen. Der Gesetzgeber habe bereits bei Erlassung des § 21 Abs. 1 NAG auf die persönlichen Verhältnisse der Antragsteller Rücksicht genommen und die Regelung eines geordneten Zuwanderungswesens über die persönlichen Verhältnisse gestellt. Ein weiteres Eingehen auf die persönlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers, auch im Hinblick auf Art. 8 EMRK, sei entbehrlich.

Gemäß § 74 NAG könne die Behörde einen im Inland gestellten Antrag auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung aus besonders berücksichtigungswürdigen humanitären Gründen im Sinn des § 72 NAG von Amts wegen zulassen; dies sei jedoch kein subjektiver Anspruch, und es bestehe daher kein Recht auf Inlandsantragstellung.

Besonders berücksichtigungswürdige Gründe lägen insbesondere vor, wenn der Drittstaatsangehörige einer Gefahr gemäß § 50 Fremdenpolizeigesetz 2005 ausgesetzt sei.

Drittstaatsangehörigen, die ihre Heimat als Opfer eines bewaffneten Konflikts verlassen hätten, dürfe eine solche Aufenthaltsbewilligung nur für die voraussichtliche Dauer des Konflikts, höchstens jedoch für drei Monate erteilt werden.

Im gegenständlichen Fall könne - insbesondere angesichts des langjährigen unrechtmäßigen Aufenthalts des Beschwerdeführers im Bundesgebiet - kein besonders berücksichtigungswürdiger humanitärer Aspekt festgestellt werden. Das bloße, auch längere Zeit bestehende Zusammenleben von Familienangehörigen (Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin sowie bevorstehende Geburt eines Kindes) könne für sich genommen - ohne dass damit besondere Gefährdungen bzw. Notlagen verbundene Lebensumstände des Fremden in den Blick treten würden - keine Grundlage dafür bieten, einen besonders berücksichtigungswürdigen Fall im Sinn des § 72 NAG anzunehmen.

Überdies habe der Beschwerdeführer sein Familienleben zu einem Zeitpunkt begründet, als er sich bewusst gewesen sei, dass sein Aufenthaltsstatus bzw. der Fortbestand des Familienlebens im Gastland von vornherein unsicher sei. Der Beschwerdeführer habe auch sonst keinen Umstand aufzeigen können, der eine sofortige oder auch nur eine beschleunigte Familienzusammenführung als einzig zumutbare Möglichkeit fordern würde.

Es folgen weitere Ausführungen dazu, dass der Aufenthalt des Beschwerdeführers auf einen unberechtigten Asylantrag zurückzuführen und seit Abschluss des Asylverfahrens unrechtmäßig sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen hat:

Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Beurteilung der Behörde, es seien keine besonders berücksichtigungswürdigen Gründe im Sinn des § 74 iVm § 72 NAG vorgelegen, und weist in diesem Zusammenhang insbesondere auf die Risikoschwangerschaft seiner Frau hin, die er schon im Verwaltungsverfahren geltend gemacht hatte. Gegen die Ausführungen der belangten Behörde, er habe sein Familienleben in einem Zeitpunkt begründet, in dem ihm sein unsicherer Aufenthaltsstatus bewusst sein hätte müssen, wendet er ein, dass er zur Zeit seiner Hochzeit im Jahr 2005 auf Grund der Ehe mit einer Österreicherin noch einen Rechtsanspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gehabt habe. Außerdem wendet er sich gegen die Auffassung der belangten Behörde, § 74 NAG stelle bloß eine Ermessensbestimmung dar.

Dieses Vorbringen führt die Beschwerde zum Erfolg:

Liegen die Voraussetzungen des § 72 NAG (in der Stammfassung) vor, ist ungeachtet des Wortlautes des Gesetzes ("kann") die in § 74 NAG (ebenfalls in der Stammfassung) ausnahmsweise vorgesehene Antragstellung im Inland - einschließlich des Abwartens der Entscheidung über den Antrag im Inland - zuzulassen, wobei die Zulassung im Rechtsweg erzwungen werden kann. § 72 NAG stellt auf mit besonderen Gefährdungen bzw. Notlagen verbundene Lebensumstände eines Fremden ab, die dazu Anlass geben, diesem aus humanitären Gründen eine Aufenthaltsbewilligung zukommen zu lassen. Weiters liegen besonders berücksichtigungswürdige Fälle im Sinn dieser Bestimmung dann vor, wenn - ausnahmsweise - ein aus Art. 8 EMRK direkt abzuleitender Anspruch (etwa auf Familiennachzug) besteht (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/21/0238, mwN).

Die belangte Behörde ist zwar ansatzweise auf die vor dem Hintergrund des Art. 8 EMRK relevanten persönlichen und familiären Verhältnisse des Beschwerdeführers in Österreich eingegangen. Einer näheren Auseinandersetzung mit diesen Verhältnissen hat sie sich allerdings im Hinblick darauf entzogen, dass sie ein weiteres Eingehen darauf ausdrücklich für "entbehrlich" erachtete. Diese Auffassung ist nach dem Gesagten nicht zutreffend. Im Rahmen der geforderten Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK hätte sich die belangte Behörde vielmehr insbesondere mit den näheren Lebensverhältnissen des Beschwerdeführers und seiner Ehefrau und (allenfalls) mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob der österreichischen Ehefrau des Beschwerdeführers und ihrem gemeinsamen, wenige Tage vor Erlassen des angefochtenen Bescheides geborenen Kind ein Familiennachzug in das Herkunftsland des Beschwerdeführers möglich und zumutbar ist. Es hätte in einer Gesamtbetrachtung auch darauf Bedacht genommen werden müssen, dass dem Beschwerdeführer nach der im Zeitpunkt der Eheschließung und ersten Antragstellung im Jahr 2005 geltenden Rechtslage als Ehemann einer Österreicherin ein Anspruch auf Ausstellung einer Niederlassungsbewilligung und das Recht zur Inlandsantragstellung zugekommen war (vgl. zum Ganzen abermals das bereits genannte hg. Erkenntnis vom ).

Die in Verkennung der Rechtslage nur unzureichend erfolgte Auseinandersetzung mit den Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich belastet den bekämpften Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes. Er war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. Wien, am

Fundstelle(n):
ZAAAE-70105