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VwGH vom 06.05.2019, Ra 2016/11/0091

VwGH vom 06.05.2019, Ra 2016/11/0091

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Rigler und den Hofrat Dr. Schick sowie die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Soyer, über die Revision des Dr. D L in I, vertreten durch die CHG Czernich Haidlen Gast & Partner Rechtsanwälte GmbH in 6020 Innsbruck, Bozner Platz 4, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Tirol vom , Zl. LVwG-2014/19/1202-2, betreffend Errichtungsbewilligung nach dem Tiroler Krankenanstaltengesetz (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Tiroler Landesregierung), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Tirol hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mit Bescheid der belangten Behörde vom wurde der Antrag des Revisionswerbers auf Errichtungsbewilligung für ein selbstständiges Ambulatorium für MRT-Untersuchungen (zum dritten Mal; siehe dazu die Erkenntnisse , und , mit denen die abweisenden Bescheide vom und vom aufgehoben wurden) abgewiesen. Dagegen erhob der Revisionswerber Beschwerde. 2 Mit Beschwerdevorentscheidung vom wies die belangte Behörde die Beschwerde als unbegründet ab. Der Revisionswerber stellte einen Vorlageantrag.

3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis hat das Verwaltungsgericht

"über den Vorlageantrag des (Revisionswerbers) gegen die Beschwerdevorentscheidung der Tiroler Landesregierung vom , Zahl ..., mit der die Beschwerde gegen den Bescheid der Tiroler Landesregierung vom , Zl ..., als unbegründet abgewiesen wurde,

zu Recht erkannt:

1. Gemäß § 14, 15 und 28 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensg esetz (VwGVG) wird der Vorlageantrag als unbegründet abgewiesen.

2. Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig."

4 Begründend stellte das Verwaltungsgericht nach Wiedergabe der Berufungsvorentscheidung als Sachverhalt lediglich fest, durch das antragsgegenständliche MRT-Ambulatorium "kann keine wesentliche Verbesserung des Versorgungsangebots im Einzugsgebiet erreicht werden". Der festgestellte Sachverhalt ergebe sich aus dem behördlichen Verfahren und sei durch das Beschwerdevorbringen nicht entkräftet worden. Rechtlich führte das Verwaltungsgericht aus, Gegenstand seines Verfahrens sei "nicht die ursprüngliche Beschwerde und der angefochtene Bescheid, sondern die Rechtmäßigkeit der Beschwerdevorentscheidung". Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren habe sich nicht ergeben, dass durch die beantragte Errichtungsbewilligung "eine wesentliche Verbesserung des Versorgungsangebots im Einzugsgebiet erreicht werden kann". Der Vorlageantrag erweise sich somit als nicht begründet.

5 Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde gemäß Art. 144 Abs. 1 B-VG vor dem Verfassungsgerichtshof. Dieser lehnte die Behandlung der Beschwerde mit Beschluss vom , E 698/2015-10, ab und trat sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab. 6 Daraufhin wurde die vorliegende Revision erhoben, zu deren Zulässigkeit im Wesentlichen ausgeführt wird, dass Rechtsprechung zu den Neuregelungen im Tiroler Krankenanstaltengesetz (TirKAG) fehle. Im Verfahren sei lediglich die planerische Aussage des Gutachtens der Gesundheit Österreich GmbH berücksichtigt worden. Auf die gesetzlich normierten Tatbestandsmerkmale des § 4b Abs. 3 lit a bis e TirKAG sei nicht eingegangen worden. Es sei ungeklärt, inwiefern die Behörde bei der Erteilung oder Versagung der Errichtungsbewilligung die gesetzlich normierten Tatbestandsmerkmale des § 4b Abs. 3 lit a bis e TirKAG im konkreten Fall überprüfen müsse, welchen Ermessensspielraum die Behörde dabei habe, welche Bedeutung die Wartezeiten dazu haben würden und inwieweit diese Ergebnisse im Rahmen der Entscheidung im Bedarfsprüfungsverfahren zu würdigen seien.

7 Die belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung, zu der der Revisionswerber eine Äußerung abgab.

8 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

9 Die Revision ist aus den in ihr genannten Gründen zulässig.

Sie ist auch begründet.

10 Die maßgeblichen Bestimmungen des Tiroler Krankenanstaltengesetzes, LGBl. Nr. 5/1958 idF LGBl. Nr. 152/2013 (Tir KAG), lauten auszugsweise:

"§ 4a

Errichtungsbewilligung für selbstständige Ambulatorien

(1) Die Errichtung eines selbstständigen Ambulatoriums bedarf der Bewilligung der Landesregierung (Errichtungsbewilligung). Um die Erteilung der Errichtungsbewilligung ist schriftlich anzusuchen.

...

(3) Zum Vorliegen der Voraussetzungen nach § 4b Abs. 3 ist im Errichtungsbewilligungsverfahren bzw. im Verfahren nach § 4b Abs. 9 eine planungsfachliche Stellungnahme der Gesundheit Österreich GmbH oder eines vergleichbaren Planungsinstitutes sowie eine begründete Stellungnahme der Gesundheitsplattform des Tiroler Gesundheitsfonds einzuholen.

(4) Vor der Entscheidung über ein Ansuchen um die Erteilung der Errichtungsbewilligung ist der Landessanitätsrat zu hören. Der Landessanitätsrat hat seine Stellungnahme innerhalb von zwei Monaten abzugeben.

...

§ 4b

Voraussetzungen für die Erteilung der Errichtungsbewilligung

für selbstständige Ambulatorien

(1) Die Landesregierung hat über ein Ansuchen um die Erteilung der Errichtungsbewilligung mit schriftlichem Bescheid zu entscheiden.

(2) Die Errichtungsbewilligung ist, soweit in den Abs. 4 und 7 nichts anderes bestimmt ist, zu erteilen, wenn:

a) nach dem angegebenen Anstaltszweck und dem in Aussicht genommenen Leistungsangebot im Hinblick auf das bereits bestehende Versorgungsangebot durch öffentliche, private gemeinnützige und sonstige Krankenanstalten mit Kassenverträgen sowie im Hinblick auf das Versorgungsangebot durch Ambulanzen der genannten Krankenanstalten und kasseneigene Einrichtungen, niedergelassene Ärzte, Gruppenpraxen und selbstständige Ambulatorien, soweit diese sozialversicherungsrechtlich erstattungsfähige Leistungen erbringen, bei selbstständigen Zahnambulatorien auch im Hinblick auf niedergelassene Zahnärzte, Dentisten und zahnärztliche Gruppenpraxen, soweit diese sozialversicherungsrechtlich erstattungsfähige Leistungen erbringen,

1. zur Aufrechterhaltung einer qualitativ hochwertigen, ausgewogenen und allgemein zugänglichen Gesundheitsversorgung und

2. zur Wahrung des finanziellen Gleichgewichts des Systems der sozialen Sicherheit

eine wesentliche Verbesserung des Versorgungsangebots im Einzugsgebiet erreicht werden kann und

b) die Voraussetzungen nach § 3a Abs. 2 lit. b bis f vorliegen.

(3) Bei der Beurteilung, ob eine wesentliche Verbesserung des Versorgungsangebotes im Einzugsgebiet erreicht werden kann, sind ausgehend von den Planungsergebnissen des Regionalen Strukturplanes Gesundheit Tirol folgende Voraussetzungen zu berücksichtigen:

a) die örtlichen Verhältnisse (regionale rurale oder urbane Bevölkerungsstruktur und Besiedlungsdichte),

  1. die für die Versorgung bedeutsamen Verkehrsverbindungen,

  2. das Inanspruchnahmeverhalten und die Auslastung von

  3. bestehenden Leistungsanbietern, die sozialversicherungsrechtlich erstattungsfähige Leistungen erbringen, durch Pfleglinge,

  4. d)die durchschnittliche Belastung bestehender Leistungsanbieter nach lit. c und

  5. e)die Entwicklungstendenzen in der Medizin bzw. Zahnmedizin.

  6. ..."

  7. 11 Der Verwaltungsgerichtshof hat zur in den entscheidungswesentlichen Teilen gleichen Bestimmung des § 10c NÖ KAG im Erkenntnis , ausgesprochen, dass die Beurteilung der Frage, ob durch die Errichtung (bzw. Änderung/Erweiterung) der in Aussicht genommenen Krankenanstalt "eine wesentliche Verbesserung des Versorgungsangebots im Einzugsgebiet erreicht werden kann", der Sache nach eine Bedarfsprüfung darstellt, hinsichtlich der die bisherige Judikatur zur Bedarfsfeststellung im Wesentlichen übernommen werden kann. Es besteht kein Grund, dies im Falle der zitierten Bestimmungen des TirKAG anders zu sehen (vgl. zum Salzburger KAG , mwN). 12 Nach der weiterhin maßgebenden ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist ein Bedarf nach einem selbständigen Ambulatorium dann gegeben, wenn dadurch die ärztliche Betreuung der Bevölkerung wesentlich erleichtert, beschleunigt, intensiviert oder in anderer Weise wesentlich gefördert wird. Als wichtigster Indikator für die Beantwortung der Bedarfsfrage betreffend selbständige Ambulatorien ist nach dieser Rechtsprechung die durchschnittliche Wartezeit anzusehen, die der Patient im Einzugsbereich in Kauf nehmen muss. Eine Wartezeit von etwa zwei Wochen in nicht dringenden Fällen hat der Verwaltungsgerichtshof in seiner Judikatur für durchaus zumutbar gehalten und selbst bei einem Überschreiten dieses Richtwertes in einzelnen Fällen um einige Tage noch kein unzumutbares Versorgungsdefizit gesehen. Von einem Bedarf nach einem beabsichtigten Ambulatorium kann der Judikatur zufolge nicht die Rede sein, wenn im Großen und Ganzen die Wartezeiten zwei Wochen nicht übersteigen und Akutpatienten noch am selben Tag behandelt werden.

  8. Zur Ermittlung der Wartezeiten sei auf die Erkenntnisse , und , hingewiesen, in denen der Verwaltungsgerichtshof unter Bezugnahme auf das Urteil Hartlauer () die Notwendigkeit objektiver Ermittlungsergebnisse betont und entschieden hat, dass eine Wartezeiterhebung "lediglich mittels Befragung bestehender, mit der zu bewilligenden Krankenanstalt in wirtschaftlicher Konkurrenz stehender Einrichtungen" nicht geeignet ist, eine objektive und unparteiliche Ermittlung der Wartezeiten zu gewährleisten.

  9. 13 Als unabdingbare Voraussetzung für die Feststellung des Bedarfs wurde angesehen, dass das Einzugsgebiet für das zu bewilligende Ambulatorium klar umrissen ist, wobei keine Bindung an Bezirks- und Landesgrenzen besteht. Bei der Bedarfsprüfung sind nach der zitierten Judikatur die im Einzugsgebiet des Ambulatoriums gelegenen bestehenden Behandlungseinrichtungen zu berücksichtigen. Die Größe des Einzugsgebietes hängt unter anderem wesentlich vom jeweiligen medizinischen Fachgebiet in der Weise ab, dass bei häufig in Anspruch genommenen Leistungen (zB allgemein- oder zahnmedizinischen Leistungen) das Einzugsgebiet kleiner anzusetzen ist als bei selten in Anspruch genommenen Facharztleistungen; bei solchen ist den Patienten eine längere Anreise zuzumuten als bei Inanspruchnahme von allgemeinmedizinischen Leistungen. Vor diesem Hintergrund, so die Judikatur, erfordert die Prüfung der Bedarfslage mängelfreie Feststellungen hinsichtlich des in Frage kommenden Einzugsgebietes des Ambulatoriums sowie darüber, in welchem Umfang ein Bedarf der in Frage kommenden Bevölkerung nach den angebotenen medizinischen Leistungen besteht und inwieweit er durch das vorhandene Angebot befriedigt werden kann. Dazu sind insbesondere Feststellungen hinsichtlich der Anzahl, der Verkehrsverhältnisse (Erreichbarkeit, insbesondere durch öffentliche Verkehrsmittel) und der Betriebsgröße der in angemessener Entfernung gelegenen bestehenden Behandlungseinrichtungen sowie deren Ausstattung und Auslastung (Ausmaß der Wartezeiten) erforderlich.

  10. 14 Nicht ausreichend ist nach der Judikatur hingegen die Übereinstimmung des zu beurteilenden Projekts mit dem Österreichischen Strukturplan Gesundheit, der die Prüfung des Bedarfs anhand der genannten Kriterien nicht ersetzt (, mwN).

  11. 15 Des Weiteren hat der Verwaltungsgerichtshof festgehalten, dass er in seiner ständigen Rechtsprechung zur Bedarfsprüfung nie die Auffassung vertreten hat, der Behörde wäre bei der Beurteilung des Bedarfs ein Ermessen eingeräumt ().

  12. 16 Im Revisionsfall hat das Verwaltungsgericht keinerlei Feststellungen zu den Voraussetzungen des § 4b Abs. 3 TirKAG getroffen. Derartige Feststellungen wären jedoch notwendig gewesen, um eine der dargestellten Judikatur entsprechende Bedarfsprüfung durchführen und (unter Mitberücksichtigung der nach § 4a TirKAG einzuholenden Stellungnahmen) über die beantragte Errichtungsbewilligung absprechen zu können.

  13. 17 Das Verwaltungsgericht, das durch einen Vorlageantrag zuständig geworden war, ging jedoch in Verkennung der Rechtslage davon aus, Gegenstand seines Verfahrens sei "nicht die ursprüngliche Beschwerde und der angefochtene Bescheid, sondern die Rechtmäßigkeit der Beschwerdevorentscheidung".

  14. 18 Wie der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis , dargelegt hat, bleibt das Rechtsmittel, über welches das Verwaltungsgericht zu entscheiden hat, im Fall eines zulässigen Vorlageantrages die Beschwerde. Der Vorlageantrag richtet sich nach dem VwGVG nämlich nur darauf, dass die Beschwerde dem Verwaltungsgericht vorgelegt wird. Da sich die Beschwerde gegen den Ausgangsbescheid richtet (und sich ihre Begründung auf diesen beziehen muss), bleibt der Ausgangsbescheid auch Maßstab dafür, ob die Beschwerde berechtigt ist oder nicht. Aufgehoben, abgeändert oder bestätigt werden kann aber nur die (außer in Fällen einer Zurückweisung der Beschwerde) an die Stelle des Ausgangsbescheides getretene Beschwerdevorentscheidung (zu den Spruchvarianten in den wichtigsten Fallkonstellationen siehe die ausführliche Darstellung in Ro 2015/08/0026).

  15. 19 Das Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

  16. 20 Die Durchführung der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG unterbleiben.

  17. 21 Die Kostenentscheidung beruht auf den § 47 ff VwGG iVm. der Verordnung BGBl. II Nr. 518/2013 idF BGBl. II Nr. 8/2014. Wien, am

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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2019:RA2016110091.L00

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