VwGH vom 27.09.2010, 2009/22/0042
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Heinzl und die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des I, vertreten durch Mag. Nikolaus Rast, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schottengasse 10, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom , Zl. 149.973/2- III/4/07, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde den - noch während der Geltung des am außer Kraft getretenen Fremdengesetzes 1997 eingebrachten - Antrag des Beschwerdeführers, eines nigerianischen Staatsangehörigen, auf Erteilung eines Aufenthaltstitels, den er zum Zweck der Familienzusammenführung mit seiner die österreichische Staatsbürgerschaft besitzenden Ehefrau anstrebt, gemäß § 21 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab.
Begründend führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer sei am unrechtmäßig in das Bundesgebiet eingereist. Am habe er einen Asylantrag gestellt. Das Asylverfahren sei im Instanzenzug mit Bescheid vom "rechtskräftig negativ entschieden" worden.
Am sei der Beschwerdeführer vom Landesgericht für Strafsachen Wien wegen §§ 15 StGB, 27 Abs. 2 Z 2 SMG zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten, die teilweise, nämlich im Ausmaß von sechs Monaten, bedingt nachgesehen worden sei, rechtskräftig verurteilt worden. In weiterer Folge sei gegen den Beschwerdeführer ein für die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen worden. Die insoweit beim Verwaltungsgerichtshof erhobene Beschwerde sei mit Erkenntnis vom (Zl. 2000/18/0243) als unbegründet abgewiesen worden.
Am habe der Beschwerdeführer die österreichische Staatsbürgerin P geheiratet. Diese Ehe sei mit Urteil des Bezirksgerichts Leopoldstadt vom für nichtig erklärt worden.
Der Beschwerdeführer habe am die österreichische Staatsbürgerin O geheiratet. Den gegenständlichen Antrag habe er am eingebracht.
Das gegen den Beschwerdeführer erlassene Aufenthaltsverbot sei von der Bundespolizeidirektion Wien mit Bescheid vom gemäß § 65 Fremdenpolizeigesetz 2005 aufgehoben worden.
Der Beschwerdeführer sei unrechtmäßig eingereist und halte sich seit der rechtskräftigen Abweisung seines Asylantrages, somit auch im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides, nicht rechtmäßig im Bundesgebiet auf. Somit stehe § 21 Abs. 1 NAG der Bewilligung des von ihm gestellten Antrages entgegen. Zwar rechtfertige das bisherige Verhalten des Beschwerdeführers die Annahme einer Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, es sei jedoch ein weiteres Eingehen "auf den Versagungsgrund des § 11 Abs. 2 Z 1 NAG" entbehrlich, weil die Antragsabweisung ohnedies bereits nach § 21 NAG geboten sei.
Humanitäre Gründe im Sinn des § 72 NAG könnten nicht erkannt werden. Weder liege eine nach dieser Bestimmung relevante Bedrohung des Beschwerdeführers in seinem Heimatland vor, noch seien unter Berücksichtigung, dass die Einreise des Beschwerdeführers unrechtmäßig erfolgt und er allein wegen seines Asylantrages vorübergehend aufenthaltsberechtigt gewesen sei, humanitäre Gründe zu erkennen. Es werde daher die Inlandsantragstellung bzw. die daraus resultierende Entgegennahme des Aufenthaltstitels im Inland nicht von Amts wegen gemäß § 74 NAG zugelassen.
Abschließend führte die belangte Behörde noch aus, der Beschwerdeführer könne auch aus gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen kein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet geltend machen, weil kein Anhaltspunkt dafür vorhanden sei, dass seine die österreichische Staatsbürgerschaft besitzende Ehefrau das ihr nach gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen zustehende Recht auf Freizügigkeit in Anspruch genommen hätte.
Die Behandlung der gegen diesen Bescheid an den Verfassungsgerichtshof erhobenen Beschwerde wurde von diesem mit Beschluss vom abgelehnt und die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten. Der Verwaltungsgerichtshof hat über die - im Verfahren ergänzte - Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen:
Eingangs ist darauf hinzuweisen, dass sich die Beurteilung des gegenständlichen Falles mit Blick auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides nach der Rechtslage des NAG in der Fassung des BGBl. I Nr. 2/2008 richtet.
Soweit der Beschwerdeführer die Verfassungswidrigkeit näher bezeichneter Bestimmungen des NAG rügt, ist ihm entgegenzuhalten, dass sich nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Übergangsbestimmung des § 81 Abs. 1 NAG als verfassungsrechtlich unbedenklich darstellt (vgl. etwa aus jüngerer Zeit das hg. Erkenntnis vom , 2008/22/0457, mwN). Allfällige verfassungsrechtliche Bedenken hinsichtlich der Bestimmung des § 57 NAG hat der Verfassungsgerichtshof nicht geteilt (vgl. dessen Erkenntnis vom , G 244/09 ua).
Der Beschwerdeführer bestreitet die Richtigkeit der behördlichen Ausführungen, er habe sich im Zeitpunkt der Entscheidung über den von ihm gestellten Antrag unrechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten, nicht. Die Ansicht der belangten Behörde, § 21 Abs. 1 letzter Satz NAG (diese Bestimmung sieht vor, dass die Entscheidung über einen Erstantrag im Ausland abzuwarten ist) stehe sohin der Bewilligung seines Antrages grundsätzlich entgegen, kann daher nicht als rechtswidrig angesehen werden.
Das Recht, den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels im Inland zu stellen und die Entscheidung darüber hier abzuwarten, kommt im vorliegenden Fall nur gemäß § 74 iVm § 72 NAG in Betracht. Liegen die Voraussetzungen des § 72 NAG vor, so ist ungeachtet des Wortlautes des Gesetzes ("kann") die in § 74 NAG ausnahmsweise vorgesehene Antragstellung im Inland zuzulassen, wobei diese Zulassung im Rechtsweg erzwungen werden kann. § 72 NAG stellt auf mit besonderen Gefährdungen bzw. Notlagen verbundene Lebensumstände eines Fremden ab, die dazu Anlass geben, diesem aus humanitären Gründen eine Aufenthaltsbewilligung zukommen zu lassen. Weiters liegen besonders berücksichtigungswürdige Fälle im Sinn dieser Bestimmung dann vor, wenn - ausnahmsweise - ein aus Art. 8 EMRK direkt abzuleitender Anspruch, etwa auf Familiennachzug, besteht (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , 2008/22/0287, mwN).
Art. 8 EMRK verlangt eine gewichtende Gegenüberstellung des öffentlichen Interesses an einem geordneten Fremdenwesen mit dem persönlichen Interesse des Fremden an einem Verbleib in Österreich. Dieses Interesse nimmt grundsätzlich mit der Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden zu. Die bloße Aufenthaltsdauer ist freilich nicht allein maßgeblich, sondern es ist anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalles zu prüfen, inwieweit der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit dazu genützt hat, sich sozial und beruflich zu integrieren. Bei der Einschätzung des besagten persönlichen Interesses ist aber auch auf die Auswirkungen, die die fremdenpolizeiliche Maßnahme auf die familiären oder sonstigen Bindungen des Fremden hätte, Bedacht zu nehmen (vgl. wiederum das Erkenntnis vom , mwN).
Dabei hat die belangte Behörde aber in Verkennung der Rechtslage nicht berücksichtigt, dass das früher von der Fremdenpolizeibehörde erlassene Aufenthaltsverbot bereits im April 2006 aufgehoben wurde, wobei sich nach der Aktenlage maßgeblich für diese Entscheidung die Ehe mit der österreichischen Staatsbürgerin O darstellte. Der Verwaltungsgerichtshof hat nämlich bereits klargestellt, dass aus dem engen Zusammenhang der Berücksichtigung humanitärer Gründe im Verfahren zur Aufenthaltsbeendigung und im Niederlassungsverfahren eine Verknüpfung folgt, die das Ergebnis der Interessenabwägung gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK im aufenthaltsbeendenden Verfahren auch für die auf Art. 8 EMRK gestützte Erteilung einer humanitären Niederlassungsbewilligung jedenfalls bei gleichgebliebenen Umständen als relevant erscheinen lässt (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2008/22/0256, mwN).
Der angefochtene Bescheid war sohin wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am
Fundstelle(n):
VAAAE-69990