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VwGH vom 27.09.2010, 2009/22/0038

VwGH vom 27.09.2010, 2009/22/0038

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Heinzl und die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde der L, vertreten durch Dr. Peter Fichtenbauer und Dr. Klaus Krebs, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Kärntner Ring 10, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom , Zl. 316.538/2-III/4/07, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde den von der Beschwerdeführerin, einer serbischen Staatsangehörigen, am (noch während der Geltung des am außer Kraft getretenen Fremdengesetzes 1997) eingebrachten Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck "begünstigter Drittsta. - Ö, § 49 Abs. 1 FrG "gemäß § 21 Abs. 1 und 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab.

Begründend führte die belangte Behörde aus, die Beschwerdeführerin sei am mit einem bis gültigen Visum C eingereist. Am habe sie einen Asylantrag gestellt, den sie am wieder zurückgezogen habe. Am habe die Beschwerdeführerin neuerlich einen Asylantrag eingebracht. Dieser Antrag sei vom Bundesasylamt mit Bescheid vom "rechtskräftig negativ erledigt" worden.

Die Beschwerdeführerin, die bislang noch nie über einen Aufenthaltstitel verfügt habe, habe am mit einem österreichischen Staatsbürger die Ehe geschlossen.

Der gegenständliche Antrag sei auf Grund des am erfolgten In-Kraft-Tretens des NAG als auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Familienangehöriger" (§ 47 Abs. 2 NAG) gerichtet zu werten. Bei Erstanträgen sei § 21 Abs. 1 und 2 NAG zu beachten. Die Beschwerdeführerin sei sowohl nach Ablauf ihres Visums als auch nach Ende des Asylverfahrens und "auch während der Gültigkeit des NAG" im Inland geblieben. Spätestens mit In-Kraft-Treten des NAG hätte die Beschwerdeführerin das Bundesgebiet verlassen müssen. Der bei Erledigung des Antrages unrechtmäßige Aufenthalt der Beschwerdeführerin im Inland stehe gemäß § 21 Abs. 1 NAG der Bewilligung ihres Antrages entgegen.

Zur Prüfung nach §§ 72, 74 NAG führte die belangte Behörde aus, die Beschwerdeführerin habe weder in ihrem Antrag noch in der Berufung humanitäre Gründe bekannt gegeben. Die Einreise der Beschwerdeführerin sei illegal erfolgt, sie sei allein wegen ihres Asylantrages "vorübergehend aufenthaltsberechtigt" gewesen. Die Ehe mit einem österreichischen Staatsbürger stelle jedenfalls keinen ausreichenden humanitären Grund dar. Die Inlandsantragstellung bzw. die daraus resultierende Entgegennahme des Aufenthaltstitels im Inland werde daher nicht von Amts wegen nach § 74 NAG zugelassen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen:

Die Beurteilung des gegenständlichen Falles richtet sich mit Blick auf den Zeitpunkt der Erlassung des gegenständlichen Bescheides nach der Rechtslage des NAG in der Fassung des BGBl. I Nr. 99/2006.

Zunächst ist festzuhalten, dass keine Hinweise dafür vorhanden sind, dass die vorliegende Erledigung nicht als Bescheid zu qualifizieren wäre. Entgegen der von der Beschwerdeführerin vertretenen Ansicht war es nicht erforderlich, dass die für sie bestimmte Ausfertigung die Unterschrift desjenigen trägt, der die Erledigung genehmigt hat. § 18 Abs. 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz - AVG (in der hier maßgeblichen Fassung des BGBl. I Nr. 10/2004) sieht vor, dass die externe Erledigung (auch) als von der Kanzlei beglaubigte Ausfertigung ergehen kann. Die mittels dieser Vorgangsweise von der belangten Behörde hergestellte, für die Beschwerdeführerin vorgesehene und ihr übermittelte Bescheidausfertigung entspricht sohin dem Gesetz.

Gemäß § 21 Abs. 1 NAG sind Erstanträge vor der Einreise in das Bundesgebiet bei der örtlich zuständigen Berufsvertretungsbehörde im Ausland einzubringen. Die Entscheidung ist im Ausland abzuwarten. Abweichend von § 21 Abs. 1 NAG sind nach § 21 Abs. 2 Z 1 NAG Familienangehörige von Österreichern, EWR-Bürgern und Schweizer Bürgern, die in Österreich dauernd wohnhaft sind und denen das Recht auf Freizügigkeit nicht zukommt, nach rechtmäßiger Einreise und während ihres rechtmäßigen Aufenthalts zur Antragstellung im Inland berechtigt. Eine Inlandsantragstellung nach § 21 Abs. 2 Z 1 und Z 4 bis 6 und Abs. 3 NAG schafft gemäß § 21 Abs. 4 NAG kein über den erlaubten sichtvermerksfreien Aufenthalt hinausgehendes Bleiberecht.

Die Beschwerdeführerin bestreitet nicht, dass es sich bei ihrem Antrag um einen Erstantrag handelt, auf den § 21 Abs. 1 NAG Anwendung findet. Jedoch führt sie ins Treffen, es läge ein unrechtmäßiger Aufenthalt nicht vor, weshalb die Ausnahmebestimmung des § 21 Abs. 2 Z 1 NAG erfüllt sei. Es sei nämlich gegen sie weder ein Aufenthaltsverbot noch eine Ausweisung rechtskräftig erlassen worden. Diese Ansicht entspricht schon deshalb nicht dem Gesetz, weil ein Aufenthalt nicht nur dann unrechtmäßig ist, wenn eine Ausreiseverpflichtung auf Grund einer aufenthaltsbeendigenden Maßnahme besteht, sondern bereits dann, wenn die im Gesetz vorgesehenen Voraussetzungen für einen rechtmäßigen Aufenthalt (vgl. § 31 Fremdenpolizeigesetz 2005) nicht vorliegen. Dass aber andere als die von der Beschwerdeführerin genannten Gründe für einen rechtmäßigen Aufenthalt vorhanden seien, wurde von ihr weder behauptet noch ist dies ersichtlich. Zutreffend ist die belangte Behörde somit davon ausgegangen, dass § 21 Abs. 1 (letzter Satz) NAG, wonach die Entscheidung über einen Erstantrag im Ausland abzuwarten ist, der Bewilligung des von ihr gestellten Antrages grundsätzlich entgegensteht.

Das Recht, den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels im Inland zu stellen und die Entscheidung darüber hier abzuwarten, kommt daher im vorliegenden Fall nur gemäß § 74 iVm § 72 NAG in Betracht. Liegen die Voraussetzungen des § 72 NAG vor, so ist ungeachtet des Wortlautes des Gesetzes ("kann") die in § 74 NAG ausnahmsweise vorgesehene Antragstellung im Inland zuzulassen, wobei diese Zulassung im Rechtsweg erzwungen werden kann. § 72 NAG stellt auf mit besonderen Gefährdungen bzw. Notlagen verbundene Lebensumstände eines Fremden ab, die dazu Anlass geben, diesem aus humanitären Gründen eine Aufenthaltsbewilligung zukommen zu lassen. Weiters liegen besonders berücksichtigungswürdige Fälle im Sinn dieser Bestimmung dann vor, wenn - ausnahmsweise - ein aus Art. 8 EMRK direkt abzuleitender Anspruch, etwa auf Familiennachzug, besteht (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , 2008/22/0287, mwN).

Art. 8 EMRK verlangt eine gewichtende Gegenüberstellung des öffentlichen Interesses an einem geordneten Fremdenwesen mit dem persönlichen Interesse des Fremden an einem Verbleib in Österreich. Dieses Interesse nimmt grundsätzlich mit der Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden zu. Die bloße Aufenthaltsdauer ist freilich nicht allein maßgeblich, sondern es ist anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalles zu prüfen, inwieweit der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit dazu genützt hat, sich sozial und beruflich zu integrieren. Bei der Einschätzung des besagten persönlichen Interesses ist aber auch auf die Auswirkungen, die eine fremdenpolizeiliche Maßnahme auf die familiären oder sonstigen Bindungen des Fremden hätte, Bedacht zu nehmen (vgl. wiederum das Erkenntnis vom , mwN).

In diesem Zusammenhang wendet sich die Beschwerdeführerin gegen die Verfahrensführung der belangten Behörde und bringt dazu vor, sie sei zu "allfälligen humanitären Gründen" nicht befragt worden.

Gemäß § 45 Abs. 3 AVG ist den Parteien im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Gelegenheit zu geben, vom Ergebnis der Beweisaufnahme Kenntnis und dazu Stellung zu nehmen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits im Zusammenhang mit dem auch im Verwaltungsverfahren anerkannten "Überraschungsverbot" festgehalten, dass die Behörde, wenn sie gegenüber dem Bescheid der Vorinstanz den Versagungsgrund ändert, verpflichtet ist, der Partei die entsprechende Tatsachengrundlage vorzuhalten (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2008/22/0085, mwN).

Die Behörde erster Instanz begründete die Antragsabweisung ausschließlich damit, dass eine Aufenthaltsehe vorliege. Die belangte Behörde stellte bei ihrer Prüfung nach §§ 72, 74 NAG fest, die Beschwerdeführerin habe weder in ihrem Antrag noch in ihrer Berufung humanitäre Gründe geltend gemacht. Dies trifft zwar zu, jedoch hatte die Beschwerdeführerin, die in der Berufung das Vorliegen einer Aufenthaltsehe bestritt, keinen hinreichenden Anlass dafür, (insbesondere) in der Berufung ein näheres Vorbringen zu erstatten, warum nach Art. 8 EMRK die Erteilung des begehrten Aufenthaltstitels geboten wäre. Beim von der Behörde erster Instanz herangezogenen Versagungsgrund nach § 11 Abs. 1 Z 4 NAG handelt es sich nämlich um einen absoluten Versagungsgrund (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2009/21/0385, mwN), bei dessen Vorliegen gemäß § 11 Abs. 3 NAG eine Abwägung iSd Art. 8 EMRK nicht vorzunehmen ist.

Der vorliegende Verfahrensmangel erweist sich auch als relevant. Die Beschwerdeführerin bringt vor, sie hätte bei Wahrung des Parteiengehörs darlegen können, dass sie - zusätzlich zu den von der belangten Behörde festgestellten Umständen (Aufenthalt seit 1999, Ehe mit einem österreichischen Staatsbürger seit April 2003) - "die deutsche Sprache recht gut" spreche, in Österreich auch berufstätig gewesen sei, und die Versagung der Aufenthaltsberechtigung bedeuten würde, dass sie nicht in der Lage wäre, mit ihrem Ehemann in aufrechter Ehe zu leben, sohin ein Familienleben im Heimatland nicht möglich wäre. Es kann aber nicht ausgeschlossen werden, dass bei Zutreffen der Behauptungen der Beschwerdeführerin ein aus Art. 8 EMRK ableitbarer Anspruch (hier: auf Familiennachzug) bestünde (vgl. auch dazu das hg. Erkenntnis vom , 2008/22/0287).

Der angefochtene Bescheid war sohin wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. Das auf die Erstattung von Umsatzsteuer abzielende Mehrbegehren war abzuweisen, weil Umsatzsteuer im in der genannten Verordnung festgelegten Pauschalsatz bereits enthalten ist.

Wien, am

Fundstelle(n):
DAAAE-69970