VwGH vom 30.06.2015, 2012/06/0104

VwGH vom 30.06.2015, 2012/06/0104

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung

verbunden):

2012/06/0203

2012/06/0132

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch und die Hofrätin Dr. Bayjones, den Hofrat Dr. Moritz, die Hofrätin Mag.a Merl sowie den Hofrat Mag. Haunold als Richter, im Beisein der Schriftführerin MMag. Lehner, über die Beschwerden 1. der Dr. M K in S 2. der G O in I, beide vertreten durch Dr. Klaus Nuener, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Anichstraße 40 (protokolliert zu Zl. 2012/06/0104), 3. der I GmbH Co KG G in I, vertreten durch Dr. Odo Schrott, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Andechsstraße 65/2 (protokolliert zu Zl. 2012/06/0132), 4. des Dipl. Ing. P K in L und 5. der E G in K, beide vertreten durch Dr. Christian Fuchshuber, LL.M., Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Adamgasse 9a (protokolliert zu Zl. 2012/06/0203), gegen den Bescheid der Tiroler Landesregierung vom , Zl. IIb1-L- 3106/60-2012, betreffend eine Baubewilligung nach dem Tiroler Straßengesetz (mitbeteiligte Partei: Land Tirol, Landesstraßenverwaltung), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Tirol hat der Erst- und Zweitbeschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von insgesamt EUR 1.326,40, der Drittbeschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 und den viert- und fünftbeschwerdeführenden Parteien Aufwendungen in der Höhe von insgesamt EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren der viert- und fünftbeschwerdeführenden Parteien wird abgewiesen.

Begründung

Gegenstand der Beschwerden ist der Umbau der G-Kreuzung im Stadtgebiet von I. Dazu beantragte das Land Tirol (Bauwerber) am gemäß § 41 Tiroler Straßengesetz bei der Tiroler Landesregierung als Straßenbehörde die Erteilung der Baubewilligung für eine Untertunnelung der G-Kreuzung (Einmündung der S-Straße und der L-Straße/B 182 B-Straße in die B 174 I-Straße und die westlich davon gelegenen Kreuzungen der B 174 I-Straße mit der T-Straße/F-Straße und mit der N-Straße). Die Länge der erforderlichen Untertunnelung der B 174 I-Straße beträgt 286 m. Der Fuß- und Radweg zwischen O-Brücke und K-Gasse wird ebenfalls erneuert. Innerhalb der Wendel für die KFZ wird eine kreisförmige Rampe für die Fußgänger und Radfahrer mit 5 m Breite errichtet, das heißt, die vom Hauptbahnhof kommenden, nicht motorisierten Verkehrsteilnehmer gelangen über die K-Gasse in eine neue Fuß- und Radwegunterführung unter der O-Straße. Über eine neue kreisförmige Rampenstrecke wird die bestehende Fuß- und Radwegbrücke parallel der O-Brücke erreicht.

Die beschwerdeführenden Parteien haben Grundeigentum, das vom gegenständlichen Straßenbauvorhaben teilweise dauernd, zum Teil nur vorübergehend beansprucht werden soll. Die Erst- und Zweitbeschwerdeführerin sind Eigentümerinnen des Grundstückes Nr. 605; dieses soll im Ausmaß von 180 m2 dauernd, im Ausmaß von 36 m2 vorübergehend beansprucht werden. Die Drittbeschwerdeführerin ist Eigentümerin des Grundstücks Nr. 598, das für den Radweg (kreisförmige Rampe für die Fußgänger und Radfahrer mit 5 m Breite innerhalb der Wendel für die KFZ) im Ausmaß von 463 m2 dauernd beansprucht werden soll. Die viert- und fünftbeschwerdeführenden Parteien haben Eigentum an den Grundstücken Nr. 773/5 und Nr. 773/6; ersteres soll im Ausmaß von 147 m2 dauernd und im Umfang von 37 m2 vorübergehend, zweites im Ausmaß von 164 m2 dauernd und im Umfang von 38 m2 vorübergehend beansprucht werden. Alle Grundstücke liegen in der KG W.

Alle beschwerdeführenden Parteien wandten sich anlässlich der mündlichen Verhandlung gegen das Straßenbauvorhaben. Die Erst- und Zweitbeschwerdeführerin sowie die viert- und fünftbeschwerdeführenden Parteien brachten unter anderem vor, insbesondere die Errichtung eines Grünstreifens zwischen dem motorisierten Verkehr und den Geh- und Radwegen sei nicht erforderlich. Die Erst- und Zweitbeschwerdeführerin rügten darüber hinaus, die derzeit bestehende Zufahrt zu ihrer Liegenschaft werde durch das gegenständliche Projekt vereitelt, weil in diesem Bereich das Gelände um rund 1 m abgesenkt werde. Die viert- und fünftbeschwerdeführenden Parteien bestritten, dass die Untertunnelung der G-Kreuzung erforderlich sei, und brachten vor, für die auf ihrem Grundstück bestehende Tankstelle seien massive Umsatzverluste zu erwarten. Die Drittbeschwerdeführerin rügte, die Rampen 3 und 4 seien als Teil der Landesstraße anzusehen, es sei jedoch kein Lärmschutzsachverständiger beigezogen worden, eine Verlegung und Umgestaltung der Rampen 3 und 4 samt Radwegen einerseits in Richtung Westen und andererseits in Richtung Norden sei wirtschaftlich vertretbar und würde die Beanspruchung des Grundstückes Nr. 598 wesentlich verringern. Die Erst- und Zweitbeschwerdeführerin beantragten unter anderem ein gänzliches Unterbleiben des begleitenden Geh- und Radweges bzw. der Grünfläche im Bereich ihres Grundstückes Nr. 605, wodurch eine Grundinanspruchnahme entbehrlich werde, weil dieser Teil des beantragten Vorhabens in keinem Zusammenhang mit dem Bauvorhaben B 174 in diesem Bereich stehe, in eventu, im Bereich ihres Grundstückes nur einen Gehweg mit einer maximalen Breite von 1,50 m auszuführen oder die Breite des Geh- und Radweges (ohne Errichtung eines Grünstreifens) auf das erforderliche Mindestmaß herabzusetzen, sodass die Grundinanspruchnahme verringert werde. Die viert- und fünftbeschwerdeführenden Parteien schlugen vor, den Radfahrstreifen in die T-Straße zu verlegen, wo die Radfahrer bei der Kreuzung mit der N-Straße eine weniger unfallträchtige Situation vorfänden; sie seien nicht bereit, Teile ihrer Liegenschaft für die Errichtung der Straßenanlage abzutreten, und beantragten in eventu, das Bauvorhaben derartig abzuändern, dass die Beanspruchung verringert werde. Die Drittbeschwerdeführerin beantragte eine Abweisung des Bauansuchens des Bauwerbers, in eventu die Änderung des Bauvorhabens hinsichtlich des Verlaufes der Straßentrasse (Rampe 3 und 4 samt Geh- und Fahrradweg) und der technischen Ausgestaltung derselben, weil dadurch die Beanspruchung des Grundstückes Nr. 598 wesentlich verringert werden könnte.

Die belangte Behörde zog einen straßenbautechnischen Amtssachverständigen bei, der in seiner Stellungnahme vom zu dem Vorbringen der beschwerdeführenden Parteien im Wesentlichen ausführte, die beanspruchten Flächen würden unbedingt für die Errichtung des gegenständlichen Straßenbauprojektes benötigt, besondere Lärmschutzmaßnahmen seien im Bereich des Grundstückes der Drittbeschwerdeführerin mit Ausnahme der Betonleitwände im gegenständlichen Projekt nicht ersichtlich; laut Lageplan sei ein Lärmschutz im Bereich der Rampen 3 und 4 mit einer Gesamthöhe von 2,30 m über Fahrbahnniveau vorgesehen; die künftige Zufahrt zum Grundstück der Erst- und Zweitbeschwerdeführerin werde gemäß Projekt nach Norden verschoben, jedoch nicht 1 Meter abgesenkt, sodass die Zu- und Abfahrt zur Liegenschaft jedenfalls möglich sei.

Auf Grund der Stellungnahmen unter anderem der beschwerdeführenden Parteien ergänzte der straßenbautechnische Amtssachverständige sein Gutachten vom zunächst mit Schriftsatz vom und neuerlich in seinem zweiten Ergänzungsgutachten vom . In letzterem führte er zum Vorbringen der Erst- und Zweitbeschwerdeführerin sowie der viert- und fünftbeschwerdeführenden Parteien, wonach insbesondere die Errichtung eines Grünstreifens zwischen dem motorisierten Verkehr und den Geh- und Radwegen nicht erforderlich sei, aus, es sei "die Errichtung eines Grünstreifens aus Gründen der Sicherheit vor allem zum Schutz des Fahrrad- und Fußgängerverkehrs zum motorisierten Verkehr sowie für die Charakteristik und Erkennbarkeit im Sinne des Orts- und Straßenbildes wünschenswert

und zu begrüßen. ... Laut gültigen Richtlinien und Vorschriften

für den Straßenbau ist es nicht zwingend erforderlich, zwischen Geh- und Radwegen und dem motorisierten Verkehr einen Grünstreifen vorzusehen. Um die Erfordernisse nach § 37 Abs. 1 TStG einzuhalten, ist jedoch bei einem kompletten Entfall des 2 Meter Grünstreifens die Breite des Radfahrstreifens von derzeit projektgemäß vorgesehenen 2,5 m auf 3 m zu verbreitern. Gemäß RVS 'Radverkehr' resultieren diese zusätzlichen 50 cm Breite aus der Vorgabe, dass im Ortsgebiet bei zwei Richtungsradwegen ein zumindest 50 cm breiter Schutzstreifen zur Fahrbahn vorzusehen ist. Somit verringert sich die in Anspruch genommene Straßenbreite um die Summe 1,5 m und die Beanspruchung der Fremdgrundstücke vermindert sich im entsprechenden Ausmaß."

Die belangte Behörde beauftragte weiter einen raumordnungstechnischen Sachverständigen mit der Erstellung eines Gutachtens zu der Frage, "ob ein Weglassen der Grünstreifen mit den Zielen der überörtlichen und örtlichen Planung in Einklang stehen würde". Dieser führte in seinem Gutachten vom im Wesentlichen aus, dass die Flächenzuweisung des prüfungsgegenständlichen Entwurfes zur Erreichung der im Raumordnungsplan "Zukunftsraum" vorgegebenen Ziele zur Attraktivitätssteigerung des Rad- und Fußgängerverkehrs sowie in planungstechnischer Hinsicht die Verhältnismäßigkeit der Flächenverteilung für die einzelnen Verkehrsmodi noch über viel rechnerischen Spielraum (ca. 5000 m2) verfüge, um die notwendigen, teilweise noch fehlenden Flächenvorhaltungen für den Umweltverbund durchzuführen. Wesentliche gesetzlich definierte Interessen/Zielvorgaben der Raumordnung seien die Wiederherstellung der Reinhaltung von Luft, die Vorsorge für eine zweckmäßige und bodensparende verkehrsmäßige Erschließung der bebauten und zu bebauenden Gebiete unter Berücksichtigung auch der Erfordernisse des öffentlichen Verkehrs, des Fußgänger- und Radverkehrs, sowie die Schaffung der erforderlichen Verkehrsflächen der Gemeinde unter weitestmöglicher Vermeidung von nachteiligen Auswirkungen des Verkehrs auf die Bevölkerung und die Umwelt. Im Sinne der "weitestmöglichen Zielerreichung", wie in § 1 Abs. 2b unter § 27 Abs. 2 I. Tiroler Raumordnungsgesetz 2011 (TROG 2011) vorgegeben, unter gleichzeitigem "sparsamen Umgang mit den zur Verfügung stehenden Flächen" gemäß § 27 Abs. 2e und f TROG 2011 sei es jedenfalls notwendig, die fehlenden Grünstreifen in drei näher genannten Bereichen in einer Breite von mindestens 2 m so zu vervollständigen, dass dort eine durchgehende pflanzliche Abschirmung der Geh- und Radwege entlang des Südrings ermöglicht werde. Die Vervollständigung dieser Maßnahmen (ca. 400 m2) reize den vorhandenen Spielraum (5000 m2) bei Weitem nicht aus, sodass angesichts der Rahmenvorgaben nach entsprechender Anpassung des prüfungsgegenständlichen Plans mit Grüngürteln im Ausmaß des generellen Projektes 2009 weiterhin von einem hinsichtlich der Flächenvorhaltung für den Umweltverbund sparsamen Entwurf gesprochen werden könne. Angesichts des Spielraums wären sogar Grünstreifenbreiten von 3 m zu empfehlen, doch übersteige diese Anmerkung bereits den Rahmen der Fragestellung. Sie diene hier nur, um zu verdeutlichen, dass eine noch größere Inanspruchnahme von Fremdgrund für den Umweltverbund planungstechnisch vertretbar sei, ohne dass man diese Flächeninanspruchnahme als unverhältnismäßig bezeichnen müsste. Die Durchsicht der drei angeführten Trassenabschnitte zeige darüber hinaus, dass alle geforderten Ergänzungen der Grünstreifen ohne Veränderung der Straßenachse realisierbar sein sollten, weil dort jeweils ausreichender Platz auf überwiegend unbebautem Fremdgrund vorhanden sei.

Die Erst- und Zweitbeschwerdeführerin sowie die viert- und fünftbeschwerdeführenden Parteien wandten sich in ihren Stellungnahmen vom mit umfangreichen Ausführungen gegen das raumordnungstechnische Gutachten.

Mit dem angefochtenen Bescheid (vom ) erteilte die belangte Behörde dem Bauwerber die Baubewilligung für das geplante Straßenbauvorhaben gemäß § 44 Abs. 3 Tiroler Straßengesetz nach Maßgabe des vorliegenden Projektes unter Vorschreibung zahlreicher Auflagen. In rechtlicher Hinsicht führte sie unter Hinweis auf die §§ 37, 41 Abs. 1, 42 Abs. 1, 43 Abs. 1 und 2 sowie § 44 Abs. 2 und 4 Tiroler Straßengesetz zu den Einwendungen der Drittbeschwerdeführerin im Wesentlichen aus, der Sachverständige habe begründet dargelegt, warum die gewählte Linienführung richtig sei. Die im Gutachten gemachten Äußerungen seien widerspruchsfrei und auch von der Partei nicht in Frage gestellt worden. Daher habe dem Einspruch kein Erfolg zukommen können. Zu den Einwendungen der Erst- und Zweitbeschwerdeführerin sowie der viert- und fünftbeschwerdeführenden Parteien hinsichtlich der Notwendigkeit der Errichtung des Radfahr- bzw. des Grünstreifens führte die belangte Behörde aus,

"(z)u dieser Frage führte der straßenbautechnische Sachverständige in seinem Ergänzungsgutachten vom , aus, warum und wieso diese Anlagenteile notwendig seien.

Die diesbezüglichen Gegenargumente vermögen die Behörde nicht zu überzeugen. Wenn nun argumentiert wird, dass die Errichtung von Grünstreifen nicht unbedingt erforderlich sein muss, so darf nicht

übersehen werden, dass diese notwendig sind. ... Laut

letztgültiger RVS ist die Straßenraumgestaltung als ein wesentliches Kriterium anzusehen. Dementsprechend ist ein 2 m breiter Grünstreifen mit Baumgestaltung als Abgrenzung zwischen dem motorisierten Verkehr und den Fußgängern und Radfahrern als schwächsten Verkehrsteilnehmern zweckmäßig und geboten. ... Betreffend der Gehsteige, ist auszuführen, dass die Anlage einen solchen, an einer stark befahrenen Durchzugsstraße keine Frage der Fußgängerfrequenz zu diesem Gehsteig ist. Allein schon aus Gründen der Verkehrssicherheit ist eine Errichtung notwendig. ...

Betreffend der Radfahrstreifen ist auszuführen, dass der eingeplante nordseitige Radweg von der Stadtgemeinde I(...) bereits seit vielen Jahren verfolgt wird. Bereits im Verkehrskonzept 1989/90, Band IV. Fußgänger und Fahrradverkehr, wird auf diese Radachse mit der internen Nr. 2, genau in der nun vorliegenden Form beschrieben. Das Verkehrskonzept wurde von Stadtsenat und Gemeinderat beschlossen. Das Radwegenetz wurde mit den Prioritäten, Katalog 2003, der städtischen Verkehrsplanung vorgeschrieben. ...

Auf die diesbezüglichen Ausführungen im Gutachten des straßenbautechnischen Amtssachverständigen kann verwiesen werden. Diese sind widerspruchsfrei und schlüssig und können als Basis für die Begründung des Bescheides dienen.

Auch seitens der Stadtgemeinde Innsbruck wurde im Raumordnungskonzept diese als notwendig erachtet.

Die Behörde hat die Frage, ob das Weglassen der Grünstreifen mit den Zielen der überörtlichen und örtlichen Planung in Einklang stehen würde (Beachtungsgebot im Sinn des § 37 Abs. 1 lit. d Tiroler Straßengesetz) sachverständig abklären lassen. In diesem Gutachten wurde zusammenfassend dargelegt, dass die Grünstreifen den Raumordnungsinteressen entsprechen. ...

Es ist daher nach Ansicht der Behörde sachverständig ausreichend abgeklärt, dass die Grünstreifen unbedingt im gegenständlichen Ausmaß notwendig sind.

In diesem Zusammenhang kann auch auf das Gutachten des raumordnungstechnischen Sachverständigen hingewiesen werden, wonach nach seiner Meinung die Flächen für die Grünstreifen als zu gering angesehen wurden. Es bleibt daher unter Beachtung der wiedergegebenen Gutachten letztlich die Wertungsfrage, ob bei einem so großen Projekt auch Platz für Fahrradstreifen und Grünstreifen sein kann. Diese Frage ist nach Ansicht der Behörde eindeutig mit Ja zu beantworten und ist es nicht sinnvoll, mit einer Minimalvariante, die nur die Fahrbahn für einen fließenden Verkehr beinhaltet, das Auslangen zu finden."

In weiterer Folge verwies die belangte Behörde auf das örtliche Raumordnungskonzept der Stadtgemeinde I. sowie das Verkehrskonzept I. aus den Jahren 1989/90, in denen die verkehrlichen Maßnahmen angeführt seien, die mit dem gegenständlichen Projekt umgesetzt würden.

Zu den Einwendungen der beschwerdeführenden Parteien gegen das raumordnungstechnische Gutachten führte die belangte Behörde unter anderem aus, aus den überörtlichen Vorgaben des TROG 2011 lasse sich ein Übergewicht gegenüber dem Ziel der sparsamen Erschließung auf örtlicher Ebene ableiten. Die behördliche Interessenabwägung ergebe, dass die Grünstreifen und der Radweg notwendig seien. Da das örtliche Raumordnungskonzept bindend für die Planungsmaßnahmen der örtlichen Raumordnung sei, seien diese Vorgaben auch im raumordnungstechnischen Gutachten zu berücksichtigen gewesen.

Gegen diesen Bescheid richten sich die Beschwerden der erstbis drittbeschwerdeführenden Parteien mit den Anträgen, diesen wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, in eventu wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufzuheben.

Die viert- und fünftbeschwerdeführenden Parteien erhoben zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom , B 817/12-10, ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

In der über Auftrag des Verwaltungsgerichtshofes ergänzten Beschwerde machten die viert- und fünftbeschwerdeführenden Parteien Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend und beantragten ebenfalls die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte in ihrer Gegenschrift - ebenso wie der Bauwerber - die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerden.

Der Verwaltungsgerichtshof hat die Beschwerden wegen ihres rechtlichen und sachlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbunden und darüber erwogen:

Auf die vorliegenden, mit Ablauf des beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Beschwerdefälle sind gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG die bis zum Ablauf des geltenden Bestimmungen des VwGG weiter anzuwenden.

Im gegenständlichen Fall ist das Tiroler Straßengesetz, LGBl. Nr. 13/1989, in der Fassung LGBl. Nr. 101/2006, anzuwenden. Dessen §§ 37, 41, 43 und 44 lauten (auszugsweise):

"§ 37

Allgemeine Erfordernisse

(1) Straßen müssen nach den Erfahrungen der Praxis und den Erkenntnissen der Wissenschaft so geplant und gebaut werden, daß

a) sie für den Verkehr, dem sie gewidmet sind, bei Beachtung der straßenpolizeilichen und der kraftfahrrechtlichen Vorschriften sowie bei Bedachtnahme auf die durch die Witterung oder durch Elementarereignisse hervorgerufenen Verhältnisse ohne besondere Gefahr benützt werden können,

b) sie im Hinblick auf die bestehenden und die abschätzbaren künftigen Verkehrsbedürfnisse den Erfordernissen der Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs entsprechen,

c) Beeinträchtigungen der angrenzenden Grundstücke durch den Bestand der Straße sowie Gefährdungen oder Beeinträchtigungen der Nachbarn durch den Verkehr auf der Straße oder durch Erhaltungsarbeiten an der Straße, soweit solche Beeinträchtigungen nicht nach den örtlichen Verhältnissen und der Widmung des betreffenden Grundstückes zumutbar sind, so weit herabgesetzt werden, wie dies mit einem im Verhältnis zum erzielbaren Erfolg wirtschaftlich vertretbaren Aufwand möglich ist und

d) sie mit den Zielen der überörtlichen und der örtlichen Raumordnung im Einklang stehen.

(2) Durch Abs. 1 lit. c werden subjektive Rechte der Nachbarn nicht begründet.

§ 41

Ansuchen

(1) Um die Erteilung einer Straßenbaubewilligung hat der Straßenverwalter bei der Behörde schriftlich anzusuchen.

(2) Dem Ansuchen sind die zur Beurteilung der Zulässigkeit des Bauvorhabens nach diesem Gesetz erforderlichen Unterlagen in dreifacher Ausfertigung anzuschließen. ...

(3) Bei einem Ansuchen um die Erteilung der Straßenbaubewilligung für eine bauliche Änderung einer Straße können sich die im Abs. 2 genannten Unterlagen auf die von der Änderung betroffenen Teile der Straße beschränken. ...

§ 43

Rechte der betroffenen Grundeigentümer

(1) Die Eigentümer der von einem Bauvorhaben betroffenen Grundstücke sowie jene Personen, denen an einem solchen Grundstück ein im Privatrecht begründetes dingliches Recht, das zum Gebrauch oder zur Nutzung des Grundstückes berechtigt, oder als Teilwaldberechtigten ein öffentlich-rechtliches Nutzungsrecht zusteht, können eine Änderung des Bauvorhabens hinsichtlich der Straßentrasse - unbeschadet des § 44 Abs. 4 - und der technischen Ausgestaltung der Straße beantragen, sofern dadurch die Beanspruchung ihrer Grundstücke vermieden oder verringert werden kann.

(2) Die Behörde hat bei der Erteilung der Straßenbaubewilligung einem Antrag nach Abs. 1 Rechnung zu tragen, soweit die beantragte Änderung


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a)
den Erfordernissen nach § 37 Abs. 1 entspricht und
b)
mit einem im Verhältnis zum erzielbaren Erfolg wirtschaftlich vertretbaren Aufwand durchgeführt werden kann. Die Behörde hat bei der Beurteilung eines Antrages nach Abs. 1 die aus der beantragten Änderung sich ergebende Beanspruchung anderer Grundstücke angemessen zu berücksichtigen.
§ 44
Straßenbaubewilligung

(1) Die Behörde hat über ein Ansuchen nach § 41 mit schriftlichem Bescheid zu entscheiden.

(2) Das Ansuchen ist abzuweisen, wenn das Bauvorhaben den Erfordernissen nach § 37 Abs. 1 nicht entspricht.

(3) Liegt kein Grund für eine Zurückweisung oder für eine Abweisung vor, so ist die Straßenbaubewilligung entsprechend dem Ansuchen zu erteilen. Sie ist unter Bedingungen und mit Auflagen zu erteilen, soweit dies erforderlich ist, damit den Erfordernissen nach § 37 Abs. 1 entsprochen wird. In der Straßenbaubewilligung ist ferner über allfällige Verpflichtungen des Straßenverwalters nach den §§ 38 und 39 abzusprechen.

(4) Soweit die Trasse einer Straße durch die Festlegungen des Flächenwidmungsplanes oder des Bebauungsplanes bestimmt ist, ist die Behörde bei der Erteilung der Straßenbaubewilligung daran gebunden.

(6) Bescheide, mit denen eine Straßenbaubewilligung erteilt wurde, leiden an einem mit Nichtigkeit bedrohten Fehler, wenn der mündlichen Verhandlung nach § 42 kein straßenbautechnischer Sachverständiger beigezogen wurde.

(7) Ergibt sich nach der Erteilung der Straßenbaubewilligung, daß trotz Einhaltung der darin enthaltenen Auflagen das Leben oder die Gesundheit von Nachbarn durch den Verkehr auf der Straße oder durch Erhaltungsarbeiten an der Straße gefährdet ist, so hat die Behörde andere oder zusätzliche Auflagen vorzuschreiben.

(8) ..."

Gemäß § 43 Abs. 1 Tiroler Straßengesetz können unter anderem Eigentümer der von einem Bauvorhaben betroffenen Grundstücke eine Änderung des Bauvorhabens hinsichtlich der Straßentrasse - unbeschadet des § 44 Abs. 4 leg. cit. - und der technischen Ausgestaltung der Straße beantragen, sofern dadurch die Beanspruchung ihrer Grundstücke vermieden oder verringert werden kann. Liegt ein solcher Antrag vor, hat die Behörde eine Interessenabwägung (§ 43 Abs. 2 Tiroler Straßengesetz) vorzunehmen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2013/06/0053).

Ein von einem zu bewilligenden Straßenprojekt betroffener Grundeigentümer hat im straßenbaurechtlichen Verfahren auch das Recht, das Vorliegen eines Bedarfes für das Vorhaben, dessen Deckung im öffentlichen Verkehrsinteresse gelegen ist, in Frage zu stellen. Die Straßenbaubehörde muss sich damit auseinandersetzen, ob das beantragte Vorhaben insbesondere angesichts des bestehenden Zustandes im Lichte des angeführten öffentlichen Interesses unbedingt notwendig und verhältnismäßig ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2010/06/0044, mwN).

Dazu ist zunächst auszuführen, dass die belangte Behörde den Bedarf für das gesamte Straßenvorhaben, dessen Deckung im öffentlichen Verkehrsinteresse gelegen ist, überhaupt nicht darlegte. Dies trifft auch - wie die Erst- und Zweitbeschwerdeführerin sowie die viert- und fünftbeschwerdeführenden Parteien zutreffend ausführten - auf die Notwendigkeit der Errichtung des Gehweges, des Radfahrstreifens sowie des Grünstreifens zu. Soweit die belangte Behörde hinsichtlich des Grünstreifens auf Gutachten des verkehrstechnischen und des raumordnungstechnischen Sachverständigen verwies, lässt sich aus diesen - entgegen der im angefochtenen Bescheid vertretenen Ansicht - nicht ableiten, dass die Errichtung des Grünstreifens erforderlich, sondern nur sinnvoll und zweckmäßig ist.

Dass die belangte Behörde im gegenständlichen Verfahren eine Interessenabwägung gemäß § 43 Abs. 2 Tiroler Straßengesetz durchgeführt hätte, ist dem angefochtenen Bescheid nicht zu entnehmen. Darin wird zwar einmal eine Interessenabwägung erwähnt, dies jedoch im Zusammenhang mit dem TROG 2011 hinsichtlich der Ziele der überörtlichen und der örtlichen Raumordnung. Die belangte Behörde kam - ohne nachvollziehbare Begründung - zu dem Ergebnis, die behördliche Interessenabwägung ergebe auf Grund eines Übergewichtes gegenüber dem Ziel der sparsamen Erschließung auf örtlicher Ebene, dass die Grünstreifen und der Radweg notwendig seien.

In Ermangelung einer gemäß § 43 Abs. 2 Tiroler Straßengesetz durchzuführenden Interessenabwägung kann das Beschwerdevorbringen der viert- und fünftbeschwerdeführenden Parteien, die Untertunnelung der G-Kreuzung sei nicht erforderlich, nicht überprüft werden, weil die belangte Behörde diesbezüglich keinerlei Feststellungen traf. Darüber hinaus rügen die Erst- und Zweitbeschwerdeführerin zu Recht, die belangte Behörde sei in ihrer Bescheidbegründung überhaupt nicht auf ihre Einwendung eingegangen, dass die derzeit bestehende Zufahrt zur Liegenschaft -

entgegen den Ausführungen im Gutachten des straßenbautechnischen Amtssachverständigen vom - durch das gegenständliche Projekt vereitelt werde, weil in diesem Bereich das Gelände um rund 1 m abgesenkt werde, und habe keinerlei Feststellungen getroffen, wie in Zukunft die Zufahrt zu ihrem Grundstück gesichert werden solle. Dazu wird auf das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2012/06/0039, hingewiesen, in dem der Umstand, dass die künftige Zufahrt zum Grundstück der Erst- und Zweitbeschwerdeführerin ungeklärt ist, ebenfalls bemängelt wurde.

Die Drittbeschwerdeführerin beantragte unter anderem eine Änderung des Bauvorhabens hinsichtlich des Verlaufes des Geh- und Fahrradweges und der technischen Ausgestaltung derselben, weil dadurch die Beanspruchung des Grundstückes Nr. 598 wesentlich verringert werden könnte. Dazu führte die belangte Behörde lediglich aus, "(s)eitens des Sachverständigen wurde begründet dargelegt, warum die gewählte Linienführung richtig ist"; die Äußerungen des Sachverständigen seien weder widerlegt noch in Frage gestellt worden; nachdem die widerspruchsfreien Sachverständigenaussagen betreffend die Linienführung eindeutig seien, habe dem Einspruch kein Erfolg zukommen können. Diese Ausführungen stellen jedoch keine Auseinandersetzung mit widerstreitenden Interessen dar.

Da die belangte Behörde keine Interessenabwägung gemäß § 43 Abs. 2 Tiroler Straßengesetz durchführte, war der angefochtene Bescheid schon aus diesem Grund wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Von der Durchführung der von der Erst- und Zweitbeschwerdeführerin beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG abgesehen werden.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455/2008 (siehe § 3 Z 1 VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014 in der Fassung BGBl. II Nr. 8/2014). Das Mehrbegehren der viert- und fünftbeschwerdeführenden Parteien war abzuweisen, weil die Umsatzsteuer in den Pauschalbeträgen der genannten Verordnung bereits berücksichtigt ist.

Wien, am