VwGH vom 21.12.2010, 2009/21/0403
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher, Dr. Pfiel und Mag. Eder als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Henk, über die Beschwerde des E, vertreten durch Dr. Paul Delazer, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Maximilianstraße 2/1, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom , Zl. 137.539/10-III/4/09, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Zur Vorgeschichte (Ausweisung des Beschwerdeführers nach rechtskräftiger Abweisung seines Asylantrages mit im Instanzenzug ergangenem Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol vom ) wird auf das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2003/18/0012, verwiesen, mit dem eine gegen den genannten Bescheid erhobene Beschwerde als unbegründet abgewiesen wurde. In der Folge war dem Beschwerdeführer, der sich nach der Aktenlage durchgehend im Bundesgebiet aufgehalten hat, kein Aufenthaltstitel erteilt worden.
Mit dem nunmehr angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde den am gestellten "Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung für beschränkt" des Beschwerdeführers, eines Staatsangehörigen Nigerias, gemäß § 44b Abs. 1 Z. 1 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes - NAG zurück.
Begründend führte sie - nach Darstellung der Rechtslage - aus, der Beschwerdeführer sei am illegal in das Bundesgebiet eingereist und habe am selben Tag einen Asylantrag gestellt. Das hierüber geführte Verfahren sei "mit in 2. Instanz rechtskräftig negativ beschieden" worden. Danach sei der Beschwerdeführer mit im Instanzenzug ergangenem Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol vom ausgewiesen worden. Dem Beschwerdeführer sei am von der Nigerianischen Botschaft in Wien ein bis zum gültiger Reisepass ausgestellt worden. Über den Verbleib dieses Dokuments habe er allerdings keine Angaben gemacht und dessen Vorlage bei der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck-Land vermieden, um so einer Abschiebung zu entgehen. Allerdings habe er (anwaltlich vertreten) eine Kopie des Reisepasses im August 2003 der Österreichischen Botschaft in Budapest zwecks Ausstellung einer Aufenthaltserlaubnis mit dem Zweck "Saisonarbeit bis " vorgelegt. Zuletzt sei er vom 4. Jänner bis zum , vom bis zum und vom bis zum , insgesamt also "12 Monate seit 2001" unselbständig beschäftigt gewesen. Er sei ledig und habe keine Sorgepflichten. Familiäre Bindungen "zum österreichischen Bundesgebiet" seien nicht feststellbar. Ebenso sei eine soziale Integration nicht ersichtlich, betreffend angeblicher Deutschkenntnisse habe der Beschwerdeführer keine Nachweise vorgelegt.
Bereits im genannten Ausweisungsverfahren des Jahres 2002 sei - so argumentierte die belangte Behörde weiter - auf die persönlichen und familiären Verhältnisse des Beschwerdeführers Rücksicht genommen worden. Es sei festgestellt worden, dass die öffentlichen gegenüber den privaten Interessen überwögen. Seit der Erlassung dieser Ausweisung seien keine maßgeblichen Änderungen eingetreten. Auch mache der Beschwerdeführer in seinem Antrag "keine weiteren maßgeblichen Gründe für die Erteilung einer Bewilligung" geltend. Weder habe sich in seinem familiären Umfeld etwas geändert, noch sei es zu einer Integration am Arbeitsmarkt gekommen. Zuletzt sei der Beschwerdeführer nicht mehr berufstätig gewesen. Insgesamt sei daher gemäß § 11 Abs. 3 NAG im Blick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens kein maßgeblich geänderter Sachverhalt erkennbar.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:
§ 44 Abs. 3, § 44a sowie § 44b Abs. 1 und 2 NAG lauten wie folgt:
"§ 44. (3) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen (§ 44a) oder auf begründeten Antrag (§ 44b), der bei der örtlich zuständigen Behörde im Inland einzubringen ist, eine quotenfreie 'Niederlassungsbewilligung - beschränkt' zu erteilen, wenn kein Erteilungshindernis gemäß § 11 Abs. 1 Z 1, 2 oder 4 vorliegt und dies gemäß § 11 Abs. 3 zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist.
§ 44a. Die Behörde hat einen Aufenthaltstitel gemäß §§ 43 Abs. 2 oder 44 Abs. 3 von Amts wegen zu erteilen, wenn eine Ausweisung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 10 AsylG 2005 oder gemäß § 66 FPG rechtskräftig auf Dauer für unzulässig erklärt wurde. § 73 AVG gilt. Die Frist gemäß § 73 Abs. 1 AVG beginnt mit der Zustellung der gemäß § 22 Abs. 9 AsylG 2005 oder § 105 Abs. 7 FPG zu übermittelnden Entscheidung an die Behörde.
§ 44b. (1) Liegt kein Fall des § 44a vor, sind Anträge gemäß §§ 43 Abs. 2 und 44 Abs. 3 als unzulässig zurückzuweisen, wenn
1. gegen den Antragsteller eine Ausweisung rechtskräftig erlassen wurde, oder
2. rechtskräftig festgestellt wurde, dass eine Ausweisung bloß vorübergehend (§ 10 AsylG 2005,§ 66 FPG) unzulässig ist, oder
3. die Sicherheitsdirektion nach einer Befassung gemäß Abs. 2 in der Stellungnahme festgestellt hat, dass eine Ausweisung bloß vorübergehend unzulässig ist
und aus dem begründeten Antragsvorbringen im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens gemäß § 11 Abs. 3 ein maßgeblich geänderter Sachverhalt nicht hervorkommt.
(2) Liegt kein Fall des Abs. 1 Z 1 oder 2 vor, hat die Behörde unverzüglich die der zuständigen Fremdenpolizeibehörde übergeordnete Sicherheitsdirektion von einem Antrag gemäß §§ 43 Abs. 2 oder 44 Abs. 3 zu verständigen und eine begründete Stellungnahme zu fremdenpolizeilichen Maßnahmen, insbesondere ob eine Ausweisung auf Dauer oder bloß vorübergehend unzulässig ist, einzuholen. Bis zum Einlangen der begründeten Stellungnahme der Sicherheitsdirektion ist der Ablauf der Frist gemäß § 73 Abs. 1 AVG gehemmt. § 25 Abs. 2 gilt sinngemäß."
Die eben zitierten Bestimmungen wurden mit der Novelle BGBl. I Nr. 29/2009 geschaffen. Im "Allgemeinen Teil" der ErläutRV zu dieser Novelle (88 BlgNR 24. GP 2) wird u.a. ausgeführt:
"Ausgehend von der Grundannahme, dass das Vorliegen der Gründe gemäß Art. 8 EMRK möglichst nur von einer zuständigen Behörde geprüft werden soll und 'Kettenanträge' bei unterschiedlichen Behörden hintanzuhalten sind, sieht der Entwurf einerseits vor, dass die Niederlassungs- und Aufenthaltsbehörde einen Aufenthaltstitel von Amts wegen zu erteilen hat, wenn die dauerhafte Unzulässigkeit einer Ausweisung gemäß Art. 8 EMRK in einem asyl- oder fremdenpolizeilichen Verfahren bereits festgestellt wurde. Andererseits ist ein Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels unter Berufung auf Art. 8 EMRK als unzulässig zurückzuweisen, wenn eine Ausweisung bereits als zulässig erachtet wurde, es sei denn, die Umstände haben sich seither maßgeblich geändert."
Die ErläutRV zu § 44b NAG (aaO., 12) präzisieren das wie folgt:
"Gemäß Abs. 1 sind Anträge auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung gemäß §§ 43 Abs. 2 und 44 Abs. 3 als unzulässig zurückzuweisen, wenn gegen den Antragsteller eine Ausweisung bereits rechtskräftig erlassen wurde (Z 1), rechtskräftig festgestellt wurde, dass eine Ausweisung bloß vorübergehend unzulässig ist (Z 2), oder die Sicherheitsdirektion in ihrer Stellungnahme nach Abs. 2 diesen Umstand feststellt (Z 3). In allen Fällen hat die Zurückweisung nur dann zu erfolgen, wenn aus dem Antragsvorbringen ein maßgeblich geänderter Sachverhalt im Hinblick auf Art. 8 EMRK nicht hervorkommt. Diese Bestimmung normiert den Grundsatz, dass die Niederlassungs- und Aufenthaltsbehörde eine bereits getroffene Ausweisung zu beachten und den Antrag daher mittels Formalentscheidung zurückzuweisen
hat. ... Eine Zurückweisung soll nur dann nicht erfolgen, wenn
sich die Verhältnisse, sei es durch Zeitablauf oder auf Grund persönlicher Umstände, soweit geändert haben, dass eine neuerliche Beurteilung im Hinblick auf Art. 8 EMRK notwendig ist. Dabei kommt es weder darauf an, ob die Ausweisung in einem asyl- oder fremdenpolizeilichen Verfahren ausgesprochen wurde, noch ob es sich um eine Ausweisung nach dem AsylG 2005 oder dem FPG oder nach früheren asyl- oder fremdenrechtlichen Bestimmungen (wie z. B. FrG 1997, Asylgesetz 1997) handelt. ..."
Entgegen der in der Beschwerde vertretenen Ansicht setzt eine Zurückweisung nach § 44b Abs. 1 Z. 1 NAG somit nach dieser zum Ausdruck gebrachten Ansicht des Gesetzgebers keine Ausweisung voraus, die im Anwendungsbereich des § 66 Abs. 2 FPG idF der Novelle BGBl. I Nr. 29/2009 erlassen wurde. Dafür spricht weiters der Umstand, dass durch die eben genannte Novelle die im Hinblick auf Art. 8 EMRK gebotene Interessenabwägung im § 66 Abs. 2 FPG nur abgebildet werden sollte, ohne dass damit eine inhaltliche Änderung der Rechtslage verbunden gewesen wäre (vgl. dazu ausführlich das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2009/21/0348, mwN).
Soweit die Beschwerde mit § 44 Abs. 4 NAG argumentiert, kann ihr - abgesehen davon, dass der Beschwerdeführer einen eindeutigen Antrag nach dieser Bestimmung gar nicht gestellt hat - schon deshalb kein Erfolg beschieden sein, weil im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides (im November 2009) weniger als die Hälfte des Zeitraums des festgestellten durchgehenden Aufenthalts des Beschwerdeführers im Bundesgebiet (ab April 2001) rechtmäßig gewesen ist.
Den Ausführungen der Beschwerde mit dem in § 75 NAG vorgesehenen Beirat ist zu entgegnen, dass dem NAG keine Verpflichtung entnommen werden kann, diesen Beirat im Fall der (beabsichtigten) Ab- oder Zurückweisung von Anträgen der hier in Rede stehenden Art zu befassen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2009/22/0219).
Allerdings zeigt die Beschwerde zu Recht auf, dass die Prüfung der vom Beschwerdeführer während seines langjährigen Aufenthalts in Österreich erreichten - vor allem - beruflichen Integration mangelhaft erfolgt ist:
Im vorliegenden Fall liegt gegenüber dem Beschwerdeführer bereits seit eine rechtskräftige Ausweisung vor, was bedeutet, dass seine Verbringung außer Landes vor dem Hintergrund des Art. 8 EMRK als damals zulässig angesehen wurde. Mit seinem Antrag nach § 44 Abs. 3 NAG hat der Beschwerdeführer demgegenüber der Sache nach geltend gemacht, dass die Erteilung eines Aufenthaltstitels zur Aufrechterhaltung seines Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 EMRK geboten sei. Mit einer Zurückweisung ist in diesem Fall (nur) dann nicht vorzugehen, wenn im Hinblick auf - seit der rechtskräftigen Ausweisungsentscheidung eingetretene - maßgebliche Sachverhaltsänderungen eine neuerliche Beurteilung unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK erforderlich ist (vgl. zum Ganzen etwa die hg. Erkenntnisse vom , Zlen. 2010/21/0073 bis 0076, und vom , Zl. 2010/22/0075).
Als relevante Änderungstatsachen hat der Beschwerdeführer seinen langjährigen Aufenthalt im Bundesgebiet und das Ausmaß der dabei erreichten beruflichen Integration ins Treffen geführt. Dazu wurden im angefochtenen Bescheid zwar die eingangs dargestellten, zuletzt bis zum dauernden Zeiten unselbständiger Beschäftigung angeführt. Trotz aktenkundigen Vorliegens wiederholter früherer Berufstätigkeiten (vom bis zum , vom 12. Juni bis zum , vom bis zum , vom 8. August bis zum , vom bis zum , vom 13. Mai bis zum , vom bis zum und vom 12. Mai bis zum ) kam die belangte Behörde aber ohne Begründung zum Ergebnis, der Beschwerdeführer sei insgesamt nur "12 Monate seit 2001" unselbständig beschäftigt gewesen.
Auf Grund dieser Begründungsmängel war der angefochtene Bescheid daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich - im Umfang des Begehrens - auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. Ein Zuspruch der verzeichneten Pauschalgebühr kam im Hinblick auf die Bewilligung von Verfahrenshilfe nicht in Betracht.
Wien, am