VwGH vom 02.04.2009, 2007/18/0131

VwGH vom 02.04.2009, 2007/18/0131

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höfinger und die Hofräte Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Schmidl, über die Beschwerde des EP, geboren 1978, vertreten durch Dr. Walter Eisl, Rechtsanwalt in 3300 Amstetten, Ardaggerstraße 14, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom , Zl. St 62/05, betreffend Aufenthaltsverbot, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich (der belangten Behörde) vom wurde gegen den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 60 Abs. 1 und Abs. 2 Z. 9, § 63, § 66, § 86 und § 87 FPG ein mit fünf Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen. Der Beschwerdeführer sei am nach Österreich eingereist. Er habe am einen Asylantrag gestellt, den er am zurückgezogen habe, weil er am die österreichische Staatsbürgerin Nezafet Ü. geheiratet habe. Am habe er einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung gestellt. Bereits am habe die Ehegattin des Beschwerdeführers angegeben, ihr seien für das von ihrem geschiedenen Mann vermittelte Eingehen einer Scheinehe EUR 8.000,-- versprochen worden und sie habe vom Bruder des Beschwerdeführers zuvor schon EUR 1.500,-- erhalten. Die Ehe habe nur dem Zweck der Erlangung einer Aufenthaltsberechtigung gedient. Es sei vereinbart worden, dass der Beschwerdeführer bei ihrer Adresse angemeldet werden solle, obwohl er nicht bei ihr gewohnt habe.

Bei seiner Vernehmung am habe der Beschwerdeführer bestritten, eine Scheinehe eingegangen zu sein. Seine Ehefrau habe bei der neuerlichen Befragung am angegeben, dass ihre früheren Angaben nicht stimmen würden. Sie habe bereits vor der Eheschließung mit dem Beschwerdeführer bis etwa Mitte November (2004) zusammen gewohnt. Nach ihrer ersten Einvernahme sei sie von dort ausgezogen. Seit dem würde sie mit dem Beschwerdeführer wieder gemeinsam wohnen. Sie habe für die Eheschließung kein Geld bekommen. Es handle sich nicht um eine Scheinehe. Die EUR 1.500,-- habe ihr der Bruder des Beschwerdeführers nicht für die Eheschließung bezahlt, sondern nur geborgt, damit eine Kaution für eine Wohnung habe bezahlt werden können.

Den ersten Angaben der Ehefrau des Beschwerdeführers sei schon deshalb mehr Gewicht beizumessen, weil es der allgemeinen Lebenserfahrung entspreche, dass derartige Angaben (Eingeständnisse) gegenüber Behörden nicht leichtfertig gemacht würden, müsse der Betreffende doch davon ausgehen, sich "unangenehme Fragen" durch die Behörde stellen zu lassen. Zwar habe die Ehefrau des Beschwerdeführers ihre Erstaussage zurückgezogen, es sei jedoch nach der allgemeinen Lebenserfahrung davon auszugehen, dass gerade die Erstangaben der Wahrheit am nächsten kämen, weshalb diesen Angaben mehr Gewicht beizumessen seien.

Der Tatbestand des § 86 Abs. 1 iVm § 60 Abs. 2 Z. 9 FPG sei erfüllt. Das Eingehen einer Ehe lediglich zum Erlangen eines Aufenthaltstitels in Österreich sei gesellschafts- und integrationspolitisch unerwünscht und stelle einen krassen Rechtsmissbrauch dar. Es handle sich um eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre.

Der Beschwerdeführer halte sich seit ca. vier Jahren im Bundesgebiet auf und stehe hier im Erwerbsleben. Ihm sei eine der Dauer seines Aufenthaltes entsprechende Integration zuzubilligen. Dennoch wögen die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes wesentlich schwerer als die Auswirkungen dieser Maßnahme auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers. Das Aufenthaltsverbot sei iSd § 66 FPG zulässig. Vor diesem Hintergrund und in Ermangelung besonderer für den Beschwerdeführer sprechender Umstände könne auch im Rahmen des der Behörde zustehenden Ermessens nicht von der Erlassung des Aufenthaltsverbots Abstand genommen werden. Ein Wegfall der vom Beschwerdeführer ausgehenden Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit könne nicht vor Verstreichen der festgesetzten Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbots erwartet werden.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften (bzw. wegen Unzuständigkeit der belangten Behörde) aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, nahm jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1.1. Der Beschwerdeführer bestreitet die Zuständigkeit der belangten Behörde und bringt vor, er sei als Ehegatte einer österreichischen Staatsangehörigen begünstigter Drittstaatsangehöriger. Seine Ehefrau müsse ihr Recht auf Freizügigkeit nicht in Anspruch nehmen, weil dieses Recht in Österreich nur von Nicht-Österreichern in Anspruch genommen werden könne.

1.2. Diesem Vorbringen ist zu erwidern, dass der Metock u.a., C-127/08, zwar in Bezug auf Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, ausgesprochen hat, dass es keine Rolle spielt, ob Drittstaatsangehörige, die Familienangehörige eines Unionsbürgers sind, in den Aufnahmemitgliedsstaat eingereist sind, bevor oder nachdem sie Familienangehörige des Unionsbürgers wurden, bzw. ob diese Drittstaatsangehörigen den EWR-Bürger begleitet haben oder ihm nachgezogen sind. Voraussetzung ist jedoch auch nach dem genannten Urteil weiterhin, dass ein grenzüberschreitender Bezug bzw. ein gemeinschaftsrechtlicher Sachverhalt vorliegt, was bei einer österreichischen Staatsangehörigen, die von ihrem Freizügigkeitsrecht keinen Gebrauch gemacht hat, nicht der Fall ist. Sollte es sich daher bei der Ehe zwischen dem Beschwerdeführer und seiner österreichischen Ehegattin um eine Scheinehe handeln, so wären die unabhängigen Verwaltungssenate in den Ländern im vorliegenden Fall auch dann nicht zuständig, wenn im Übrigen die Voraussetzungen des Art. 6 des Beschlusses Nr. 1/80 des - durch das Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei errichteten - Assoziationsrates vom über die Entwicklung der Assoziation (ARB), insbesondere die geforderte Dauer einer unselbständigen Beschäftigung in Österreich, erfüllt wären (vgl. die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2008/18/0277, vom , 2006/18/0257, vom , Zl. 2006/21/0373, vom , Zl. 2006/18/0378, und vom , Zl. 2007/18/0005).

2.1. Die Beschwerde wendet sich gegen die Beweiswürdigung der belangten Behörde und bringt vor, die Ehefrau des Beschwerdeführers sei mit Urteil des Bezirksgerichtes Linz (vom ) wegen ihrer Falschaussage (am vor der Bundespolizeidirektion Linz als Erstbehörde) strafrechtlich verurteilt worden. Der Beschwerdeführer habe der "Behörde" (dem Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich, der mit Beschluss vom seine Unzuständigkeit für die Entscheidung über die vorliegende Berufung ausgesprochen hat) den Ablauf des Strafverfahrens, einschließlich der strafgerichtlichen Beweiswürdigung, dargelegt und darauf hingewiesen, dass das Strafgericht es als erwiesen angenommen habe, dass seine Ehefrau am falsch ausgesagt habe, indem sie angegeben habe, mit dem Beschwerdeführer eine Scheinehe gegen Geld geschlossen zu haben. Daraus sei der einzig zulässige und denkmögliche Umkehrschluss zu ziehen, dass es sich bei der Eheschließung nicht um eine Scheinehe gehandelt habe. Auf dieses Strafverfahren habe die belangte Behörde nicht Bezug genommen und die entsprechenden Überlegungen und Feststellungen seien in den angefochtenen Bescheid nicht eingeflossen.

2.2. Aus dem nicht im Verwaltungsakt erliegenden, jedoch mit der Beschwerde vorgelegten Urteil des Bezirksgerichts Linz vom sowie dem Urteil des Landesgerichtes Linz als Berufungsgericht vom ergibt sich, dass die Ehefrau des Beschwerdeführers wegen des Vergehens der falschen Beweisaussage vor einer Verwaltungsbehörde gemäß § 289 StGB verurteilt worden ist, weil sie am bei der Fremdenpolizei im Zuge ihrer förmlichen Vernehmung als Zeugin zur Sache falsch aussagte, indem sie angab, mit dem Beschwerdeführer "eine Scheinehe eingegangen zu sein, obwohl sie wusste, dass diese Angabe falsch war".

Die belangte Behörde war bei ihren Sachverhaltsfeststellungen in Bezug auf das Vorliegen einer Scheinehe nicht an den Spruch des seine Ehefrau verurteilenden Strafurteils gebunden, weil eine solche Bindung voraussetzen würde, dass der Beschwerdeführer als Partei am Strafverfahren beteiligt gewesen und ihm dort rechtliches Gehör gewährt worden wäre (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2005/18/0115). Dennoch handelt es sich bei den Ergebnissen dieses Strafverfahrens um Umstände, die in einer ordnungsgemäßen Beweiswürdigung hätten berücksichtigt werden müssen. Dies unterlassen zu haben, bewirkt die Unschlüssigkeit der Beweiswürdigung der belangten Behörde.

3.1. Überdies macht der Beschwerdeführer als Verfahrensmangel geltend, dass die Bundespolizeidirektion Linz den Feststellungen im erstinstanzlichen Bescheid vom eine anonyme Zeugenaussage zu Grunde gelegt hat. Dieses Beweisergebnis sei ihm nicht bekannt gegeben worden. Anonyme Zeugenaussagen könnten nicht zur Klärung eines Sachverhalts beitragen und seien kein geeignetes Beweismittel.

3.2. Die belangte Behörde hat die im erstinstanzlichen Bescheid getroffenen Feststellungen für ihre Beurteilung übernommen und bei der Wiedergabe des erstinstanzlichen Bescheides eine Person erwähnt, die von der Erstbehörde als Zeuge befragt worden sei und "anonym bleiben möchte". Diese Person habe angegeben, dass die Ehefrau des Beschwerdeführers erzählt habe, sie hätte Schulden, die sie nicht zurückzahlen könnte, wenn sie den Beschwerdeführer nicht heiraten würde. Sie müsse nur sechs Monate mit dem Beschwerdeführer verheiratet sein, weil dieser dann ein Visum haben werde.

Dem angefochtenen Bescheid kann nicht entnommen werden, dass die belangte Behörde die Feststellungen über das Vorliegen einer Scheinehe auch getroffen hätte, wenn die genannte anonyme Aussage nicht vorgelegen wäre.

Gemäß § 37 AVG ist es der Zweck des Ermittlungsverfahrens, den für die Erledigung einer Verwaltungssache maßgebenden Sachverhalt festzustellen und den Parteien Gelegenheit zur Geltendmachung ihrer Rechte und rechtlichen Interessen zu geben. Die Wahrung des Parteiengehörs ist von Amts wegen zu beachten und gehört zu den fundamentalen Grundsätzen der Rechtsstaatlichkeit der Hoheitsverwaltung. Es ist in förmlicher Weise zu gewähren.

Dem Beschwerdeführer wurde der Name des anonymen Zeugen nicht bekannt gegeben. Es wurde ihm daher nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes nicht ausreichend Gelegenheit gegeben, seine rechtlichen Interessen wahrzunehmen. Auf Grund der Anonymität des Zeugen hatte er keine Möglichkeit, auf allfällige Gründe für eine unrichtige Aussage durch diese Person hinzuweisen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 95/01/0051).

4. Da der Sachverhalt somit in wesentlichen Punkten einer Ergänzung bedarf und Verfahrensvorschriften außer Acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

5. Die Zuerkennung von Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008. Wien, am