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VwGH vom 20.10.2011, 2009/21/0391

VwGH vom 20.10.2011, 2009/21/0391

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Senft, über die Beschwerde der I, vertreten durch Dr. Benno Wageneder, Rechtsanwalt in 4910 Ried im Innkreis, Promenade 3, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom , Zl. E1/17030/2009, betreffend Feststellung gemäß § 51 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 57,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die 1974 geborene und aus dem Kosovo stammende Beschwerdeführerin war bereits 1999 als Flüchtling in Österreich aufhältig, reiste aber dann zur Betreuung ihres Vaters in den Kosovo zurück. Die Beschwerdeführerin kam nach dessen Tod gemeinsam mit ihrer Schwester im September 2006 wieder nach Österreich. Sie hält sich seit damals bei ihrem Bruder, einem österreichischen Staatsbürger, in Steyr auf.

Mit Anwaltsschriftsatz vom stellten die Beschwerdeführerin und ihre Schwester, die sich als "Staatsangehörige der nicht anerkannten Republik Kosova" bezeichneten, einen Antrag auf Feststellung der Unzulässigkeit ihrer Abschiebung nach "Serbien-Kosova". Sie seien im Kosovo nach dem Tod des Vaters ohne männlichen Schutz und bereits wiederholt von Frauenhändlern kontaktiert und bedroht worden. Da die organisierte Kriminalität sehr mächtig sei, hätten sie beschlossen, sich dem Zugriff dieser Mädchen- und Frauenhändler zu entziehen und nach Österreich zu ihrem Bruder zu flüchten. In einer ergänzenden Stellungnahme wurde (u.a.) beantragt, zur Beurteilung der tatsächlichen Rückkehrgefährdung einen Erhebungsbericht der Außenstelle der österreichischen Botschaft in Pristina einzuholen.

Mit Bescheid vom (dessen Spruchpunkt II.) stellte die Bundespolizeidirektion Steyr gemäß § 51 Abs. 1 FPG fest, dass keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestünden, dass die Beschwerdeführerin "in Serbien" gemäß § 50 Abs. 1 oder Abs. 2 FPG bedroht sei. Der dagegen erhobenen Berufung gab die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich (die belangte Behörde) mit Bescheid vom keine Folge.

Hinsichtlich der Bestätigung des Ausspruchs nach § 51 Abs. 1 FPG verwies die belangte Behörde auf die im erstinstanzlichen Bescheid getroffenen Feststellungen betreffend die Situation im Kosovo, insbesondere in Bezug auf den Menschenhandel und auf die zu seiner Bekämpfung ergriffenen Maßnahmen. Danach sei der Kosovo zwar immer noch ein wichtiger Umschlagplatz, aber auch Ziel- und Ursprungsland für den Menschenhandel. UNMIK und KPS (Kosovo Police Service) versuchten aber immer wieder durch Intensivierung des Kampfes gegen die Menschenhändler das Problem allmählich in den Griff zu bekommen. Daran anknüpfend vertrat die belangte Behörde die Auffassung, die Beschwerdeführerin habe lediglich auf das Problem des Menschenhandels im Kosovo verwiesen. Sie habe aber in keinster Weise dargetan, dass der Heimatstaat außer Stande wäre, sie im Fall einer tatsächlichen Gefährdung in dieser Hinsicht ausreichend zu schützen.

Dieser Bescheid wurde mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Zlen. 2008/21/0423, 0424, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben, weil sich der Antrag lediglich auf den Kosovo bezogen habe, weshalb auch nur hinsichtlich des Kosovo (und nicht in Bezug auf "Serbien") eine Entscheidung nach § 51 Abs. 1 FPG hätte getroffen werden dürfen. Für das weitere Verfahren wurde noch angemerkt, dass es die belangte Behörde unterlassen habe, sich mit den Angaben der Beschwerdeführerin und ihrer Schwester in der (erst nach Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides vorgenommenen) niederschriftlichen Befragung durch die Bundespolizeidirektion Steyr am auseinander zu setzen. Das wäre aber vor allem deshalb geboten gewesen, weil sich dieser Niederschrift die näheren Schilderungen zu den Lebensumständen der Beschwerdeführerin und ihrer Schwester in ihrem Heimatland und über die behaupteten Nachstellungen durch Menschenhändler entnehmen ließen. In diesem Zusammenhang könnte - so der Verwaltungsgerichtshof im ersten Rechtsgang - auch dem Antrag der Beschwerdeführerin auf Veranlassung diesbezüglicher Ermittlungen durch die Botschaftsaußenstelle in Pristina Bedeutung zukommen. Die den aufgehobenen Bescheid tragende behördliche Annahme ausreichender staatlicher Schutzgewährung für die Beschwerdeführerin als alleinstehende Frau vor den Machenschaften von Menschenhändlern ließe sich in schlüssiger Weise nämlich nur vor dem Hintergrund der individuell zu befürchtenden Verfolgungsmaßnahmen und auf der Basis von konkreten Feststellungen zu staatlichen Maßnahmen zu ihrer wirkungsvollen Unterbindung beurteilen.

Nach Aufhebung des erstinstanzlichen Bescheides durch die belangte Behörde mit Bescheid vom und Erstattung einer ergänzenden Stellungnahme der Beschwerdeführerin vom holte die Bundespolizeidirektion Steyr den (neuerlich) beantragten Bericht des österreichischen Verbindungsbeamten in Pristina ein, den Oberstleutnant P. nach entsprechenden Erhebungen im Kosovo am übermittelte. Dazu äußerte sich die Beschwerdeführerin mit Schriftsatz vom , in dem sie insbesondere ergänzende Erhebungen durch Oberstleutnant P. zur Frage der Wohnmöglichkeit der Beschwerdeführerin bei ihrer Schwester in Pristina begehrte.

Mit Bescheid vom stellte die Bundespolizeidirektion Steyr fest, dass keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestünden, die Beschwerdeführerin sei in der Republik Kosovo gemäß § 50 Abs. 1 oder Abs. 2 FPG bedroht.

Die Erstbehörde legte dabei den erwähnten Bericht zugrunde und ging demzufolge davon aus, dass die Beschwerdeführerin nicht jenem Personenkreis angehöre, für den eine besondere Gefährdung im Kosovo (als Opfer von Zwangsprostitution und Menschenhandel) bestehe. Die Beschwerdeführerin habe im Kosovo noch nahe Familienangehörige (eine Schwester und deren Familie in Pristina und einen Cousin im Heimatdorf), die für eine Unterkunft sorgen könnten; die Unterstützung durch ihren Bruder in Form von Unterhaltsleistungen könne er ihr auch im Kosovo zukommen lassen. Die Beschwerdeführerin wäre daher dort weder in finanzieller noch in familiärer Hinsicht auf sich allein gestellt. Die Sicherheitslage erscheine durch den Einsatz der kosovarischen Polizei und UNMIK-Kräfte als gefestigt. Außerdem habe Österreich die Republik Kosovo mit der am in Kraft getretenen Herkunftsstaaten-Verordnung in die Liste der sicheren Drittstaaten aufgenommen.

Der dagegen erhobenen Berufung gab die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid vom keine Folge und bestätigte die erstinstanzliche Feststellung.

In der Begründung schloss sich die belangte Behörde zunächst den (im angefochtenen Bescheid wörtlich wiedergegebenen) Ausführungen im Bescheid der Bundespolizeidirektion Steyr an. Ergänzend führte sie aus, die Beschwerdeführerin habe bereits über mehrere Monate bei ihrer Schwester in Pristina gewohnt und keine nachvollziehbaren Gründe dafür dargelegt, weshalb dies bei einer Rückkehr in den Kosovo nicht wieder möglich sei. Die Erstbehörde habe auch herausgearbeitet, dass die Beschwerdeführerin nicht zum gefährdeten Personenkreis (in Bezug auf Frauenhandel) zähle. Auch wenn es - so wie die Beschwerdeführerin behauptet habe - tatsächlich zu einer Kontaktaufnahme durch Menschenhändler gekommen sei, habe sich das laut ihren eigenen Angaben lediglich auf ein mehrmaliges Ansprechen der Beschwerdeführerin beschränkt, ohne dass dabei irgendwelche Gewalttätigkeiten gesetzt worden wären. Aus der Stellungnahme von Oberstleutnant P. gehe auch sehr deutlich hervor, dass die Beschwerdeführerin wegen einer eventuell daraus resultierenden Gefahr den Schutz der kosovarischen Polizei in Anspruch nehmen könne.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage erwogen hat:

Im Rahmen eines Feststellungsverfahrens nach § 51 Abs. 1 FPG hat der Fremde das Bestehen einer aktuellen, also im Fall seiner Abschiebung in den von seinem Antrag erfassten Staat dort gegebenen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abwendbaren Bedrohung iSd § 50 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FPG glaubhaft zu machen, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mit konkreten, die Person des Fremden betreffenden, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerten Angaben darzutun ist. Ebenso wie im Asylverfahren ist auch bei der Beurteilung des Vorliegens einer Gefahr gemäß § 50 Abs. 1 oder Abs. 2 FPG im Verfahren gemäß § 51 FPG die konkrete Einzelsituation in ihrer Gesamtheit, gegebenenfalls vor dem Hintergrund der allgemeinen Verhältnisse, in Form einer Prognose für den gedachten Fall der Abschiebung des Antragstellers in diesen Staat zu beurteilen (vgl. aus der letzten Zeit etwa das hg. Erkenntnis vom , Zlen. 2008/21/0438, 0473).

Die Begründung der belangten Behörde lässt sich dahin zusammenfassen, dass sie die Glaubhaftmachung einer aktuellen und mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit ("real risk") zu befürchtenden Bedrohung der Beschwerdeführerin durch Menschenhändler für nicht gelungen erachtete, und zwar einerseits, weil die Beschwerdeführerin (u.a. auch altersmäßig) nicht zu jener Gruppe von Frauen gehöre, die gefährdet seien, Opfer von Zwangsprostitution oder Menschenhandel zu werden, und andererseits, weil die geschilderten Nachstellungen (vor der Ausreise im Jahr 2006) keine derartige Intensität aufgewiesen hätten, dass davor kein staatlicher Schutz bestünde.

Dem hält die Beschwerde nur entgegen, die "Belästigung" durch Menschenhändler werde "bagatellisiert". Dabei wird außer Acht gelassen, dass die Beschwerdeführerin in ihrer Vernehmung am (ebenso wie ihre Schwester bei der in der Berufung dargestellten Vernehmung im Asylverfahren) zwar (unsubstanziierte) Drohungen durch unbekannte Männer, jedoch keine darüber hinausgehenden, gegen sie gerichteten Gewalthandlungen behauptet hat. Angesichts dessen musste vor dem Hintergrund der mittlerweile verstrichenen Zeit und der in der Beschwerde unbeanstandet gebliebenen Annahme, die Beschwerdeführerin sei nicht zur gefährdeten Risikogruppe zu zählen, von der belangten Behörde nicht angenommen werden, die Beschwerdeführerin werde bei einer Rückkehr in den Kosovo der realen Gefahr ausgesetzt sein, Opfer von Frauenhändlern zu werden.

Außerdem tritt die Beschwerde auch der Annahme ausreichender staatlicher Schutzgewährung vor den behaupteten Nachstellungen nicht entgegen. Diese Einschätzung der belangten Behörde beruht auf einer entsprechenden zusammenfassenden Beurteilung in dem (über Antrag der Beschwerdeführerin eingeholten) Bericht des Oberstleutnant P. vom , die sich auf dort dargestellte Statistiken über derartige angezeigte Fälle und diesbezügliche gerichtliche Verurteilungen stützt. Die in der Beschwerde ins Treffen geführte Tatsache, dass es im Kosovo Menschen- und Frauenhandel gebe, wurde aber auch von der belangten Behörde nicht in Abrede gestellt; das allein führt jedoch noch nicht zum Abschiebungsschutz für alle aus dem Kosovo stammenden Frauen. Welche in diesem Zusammenhang relevanten Ergebnisse die Befragung der früheren Arbeitgeberin der Beschwerdeführerin in Pristina ergeben hätte, wird in der Beschwerde nicht ausreichend konkret dargetan. Zum diesbezüglich behaupteten Verfahrensmangel fehlt daher die erforderliche Relevanzdarstellung (siehe zu deren Notwendigkeit beispielsweise das schon zitierte Erkenntnis vom , Zlen. 2008/21/0438, 0473).

Im Übrigen ist auch die (aus dem Erstbescheid übernommene) Feststellung, die Beschwerdeführerin werde im Hinblick auf den Aufenthalt ihrer Schwester samt Familie in Pristina und die mögliche Alimentierung durch den in Österreich wohnhaften Bruder im Kosovo weder in finanzieller noch in familiärer Hinsicht auf sich allein gestellt sein, nicht zu beanstanden. Soweit in der Beschwerde eine Wohnmöglichkeit bei der Schwester in Pristina in Abrede gestellt und diesbezüglich ein Ermittlungsmangel geltend gemacht wird, kommt es darauf nicht an. Nach den eigenen Angaben der Beschwerdeführerin in der Vernehmung am hat sie nämlich von 2003 bis zur Weiterreise nach Österreich im August 2006 in Pristina (als Friseurin) gearbeitet, sodass dort auch eine Wohnsitznahme, bei der - wie die Erstbehörde angenommen hat - die Schwester und ihr Ehemann jedenfalls behilflich sein könnten, nicht unzumutbar scheint. Dem entsprechend hat die Beschwerdeführerin ihren Antrag auch gar nicht darauf gestützt, dass sie bei einer Rückkehr in den Kosovo keine Existenzgrundlage hätte und dadurch einer Art. 3 EMRK widersprechenden Situation ausgesetzt würde.

Soweit in der Beschwerde noch die "Methodik" von Oberstleutnant P. in Frage gestellt und auf das beim Verwaltungsgerichtshof anhängige Verfahren zur Zl. 2008/01/0149 verwiesen wird, ist auch diesen Ausführungen kein entscheidungswesentliches Substrat für den vorliegenden Fall zu entnehmen. Außerdem ist dazu noch anzumerken, dass die Behandlung der Beschwerde in dem genannten Verfahren mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom abgelehnt wurde.

Zusammenfassend ergibt sich daher, dass die Beschwerdeführerin durch die bekämpfte Feststellung der Zulässigkeit ihrer Abschiebung in den Kosovo nicht in Rechten verletzt ist. Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am

Fundstelle(n):
OAAAE-69829