VwGH vom 03.11.2010, 2007/18/0128
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok und den Hofrat Dr. Enzenhofer, die Hofrätin Mag. Merl sowie die Hofräte Dr. Lukasser und Mag. Haunold als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Schmidl, über die Beschwerde des D S in W, geboren am , vertreten durch die Wolf Theiss Rechtsanwälte GmbH, 1010 Wien, Schubertring 8, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. SD 2036/05, betreffend Ausweisung nach § 54 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom wurde der Beschwerdeführer, ein serbischer Staatsangehöriger, gemäß § 54 Abs. 1 Z. 2 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG, BGBl. I Nr. 100, ausgewiesen.
Der Beschwerdeführer sei laut seinen Angaben das erste Mal am in das Bundesgebiet eingereist und habe bis zum über Sichtvermerke und Aufenthaltsbewilligungen für den Zweck "selbstständige Erwerbstätigkeit" verfügt. Ein Antrag vom auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck "selbstständige Erwerbstätigkeit" sei mit Bescheid der "MA 20" (gemeint: des Landeshauptmannes von Wien) vom zurückgewiesen worden. Am habe der Beschwerdeführer die Erteilung einer Niederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck "selbstständige Erwerbstätigkeit" bei der Bezirkshauptmannschaft Mattersburg beantragt. Diesem Antrag sei stattgegeben worden, und der Beschwerdeführer habe bis zum über gültige Aufenthaltstitel, zuletzt über eine Niederlassungsbewilligung für jeglichen Aufenthaltszweck, verfügt. Zuletzt habe er am die Erteilung eines Niederlassungsnachweises beantragt.
Am sei der Beschwerdeführer im Rahmen einer Kontrolle in Wien in einem näher genannten Kaffeehaus angetroffen worden, wie er gerade mit Küchenarbeiten beschäftigt gewesen sei. Er sei mit einer kurzen Hose und einer blauen Schürze bekleidet gewesen. Gegenüber den einschreitenden Beamten habe er angegeben, als Grillkoch seit Juni 2005 beschäftigt zu sein und täglich acht Stunden im Kaffeehaus zu arbeiten, wofür er als Lohn EUR 1.000,-- monatlich erhielte. Der Beschwerdeführer sei nicht im Besitz einer Beschäftigungsbewilligung zur Ausübung der besagten Tätigkeit gewesen, und er sei diesbezüglich zur Anzeige gebracht worden.
In einer Stellungnahme vom habe der Beschwerdeführer geltend gemacht, dass in Österreich nahe Angehörige und seine Lebensgefährtin lebten. Nähere Angaben hiezu habe er nicht getätigt. Er lebte seit 1989 mit kurzen Unterbrechungen in Österreich. Bis 1999 wäre er selbstständig gewesen und hätte mehrere Lokale betrieben. Im Jahre 2000 hätte er die D. KEG erworben und versucht, mit diesem Unternehmen eine Videothek zu führen. Dies wäre jedoch nicht mit großem wirtschaftlichen Erfolg verbunden gewesen. Weiters hätte er versucht, eine unselbstständige Erwerbstätigkeit als Küchenhilfe aufzunehmen, jedoch sofort nach Kenntnis der Unerlaubtheit diese Tätigkeit eingestellt. Er hätte das Gewerbe "Begleitagentur" angemeldet. Entsprechende Nachweise über ein Einkommen (wie etwa Steuernummer, Bestätigung des Steuerberaters) würde er umgehend nachreichen.
In seiner Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid vom bringe der Beschwerdeführer vor, dass er bemüht wäre, entsprechende Unterlagen, die die Finanzierung seines Unterhaltes hinreichend darlegen könnten, vorzulegen.
Der Beschwerdeführer habe jedoch bisher keinerlei Nachweise über die Herkunft der Unterhaltsmittel erbracht.
Begründend führte die belangte Behörde weiter aus, dass der Beschwerdeführer mit seinem bisherigen Vorbringen nicht dargetan habe, einen Rechtsanspruch auf ausreichende Unterhaltsmittel zu haben, und daher unter Bedachtnahme auf § 11 Abs. 4 Z. 1 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes - NAG die Voraussetzungen des § 54 Abs. 1 Z. 2 FPG vorlägen.
Auf Grund seines bisherigen Aufenthaltes im Bundesgebiet sei von einem mit der Ausweisung verbundenen relevanten Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers im Sinne des § 66 Abs. 1 FPG auszugehen. Ungeachtet dessen sei jedoch die gegen ihn gesetzte fremdenpolizeiliche Maßnahme zur Erreichung von im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Zielen - hier: zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens und eines geregelten Arbeitsmarktes - dringend geboten. Den die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften und deren Einhaltung durch den Normadressaten komme aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ebenso ein besonders hoher Stellenwert zu wie dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung ausländerbeschäftigungsrechtlicher Vorschriften. Die Erlassung der Ausweisung sei dringend geboten und im Sinn des § 66 Abs. 1 FPG zulässig. Auch wenn man der Behauptung des Beschwerdeführers Glauben schenken wollte, er hätte eine Lebensgefährtin und mehrere Angehörige im Bundesgebiet, könnte dies nicht entscheidend zu seinen Gunsten ins Gewicht fallen.
Bei der gemäß § 66 Abs. 2 FPG durchzuführenden Interessenabwägung sei zunächst auf die aus der Dauer des Aufenthaltes abschätzbare Integration des Beschwerdeführers Bedacht zu nehmen. Diese erweise sich jedoch als keinesfalls ausgeprägt. Hinzu komme, dass die von ihm ausgeübte Tätigkeit nicht von dem ihm erteilten Aufenthaltstitel umfasst gewesen sei. Seinen Interessen stünden die hoch zu veranschlagenden öffentlichen Interessen an der Wahrung eines geordneten Fremdenwesens und der Aufrechterhaltung eines geordneten Arbeitsmarktes entgegen. Die Auswirkungen der vorliegenden Ausweisung auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers wögen keinesfalls schwerer als die gegenläufigen Interessen und damit die Abstandnahme von dieser Maßnahme.
Vor diesem Hintergrund und im Hinblick darauf, dass keine besonderen, zu seinen Gunsten sprechenden Umstände gegeben seien, könne sein weiterer Aufenthalt im Bundesgebiet auch nicht im Rahmen des der Behörde zuständigen Ermessens in Kauf genommen werden.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Die Beschwerde bestreitet nicht die im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen, dass der Beschwerdeführer entgegen seiner Ankündigung in seiner Berufung keinerlei Nachweise über die Herkunft seiner Unterhaltsmittel erbracht habe. Die Auffassung der belangten Behörde, dass eine allgemeine Voraussetzung für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nicht erfüllt ist und ein Versagungsgrund im Sinn des § 54 Abs. 1 Z. 2 FPG vorliegt, begegnet daher keinen Bedenken.
2. Wenn der Beschwerdeführer in der Beschwerde die Bestimmung des § 55 Abs. 1 FPG ins Treffen führt und vorbringt, dass der Beschwerdeführer am erneut einen Erstantrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung gestellt, bis über gültige Niederlassungsbewilligungen verfügt und sich bei Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides bereits mehr als fünf Jahre rechtmäßig und ununterbrochen im Inland aufgehalten habe, ist für seinen Standpunkt nichts gewonnen. So ist unter der in dieser Bestimmung angeführten Tatbestandsvoraussetzung "vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes" der Zeitpunkt vor Eintritt der ersten der in ihrer Gesamtheit für die Erlassung einer Ausweisung nach § 54 FPG (oder Verhängung eines Aufenthaltsverbotes) maßgeblichen Umstände zu verstehen, das ist vorliegend der Zeitpunkt vor dem Fehlen ausreichender Unterhaltsmittel im Sinn des § 11 Abs. 2 Z. 4 iVm § 11 Abs. 5 NAG (vgl. in diesem Zusammenhang etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/18/0485, mwN). Da - wie die Beschwerde selbst vorbringt - dem Beschwerdeführer auf Grund seines Erstantrages vom die Niederlassungsbewilligung (erst) mit Bescheid vom erteilt wurde und nach den im erstinstanzlichen Bescheid vom - auf dessen Gründe im angefochtenen Bescheid verwiesen wurde - getroffenen Ausführungen vom Beschwerdeführer keine ausreichenden Unterhaltsmittel nachgewiesen wurden, war nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes im oben genannten Sinn bereits fünf Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen gewesen sei, sodass § 55 Abs. 1 FPG der Ausweisung nicht entgegensteht.
3. Soweit hingegen die Beschwerde auf das Berufungsvorbringen des Beschwerdeführers hinweist, wonach sein "16-jähriger (von einigen Unterbrechungen abgesehener)" Aufenthalt in Österreich bei der Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK berücksichtigt werden müsse, ist ihr Erfolg beschieden.
Nach den im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen ist der Beschwerdeführer das erste Mal am in das Bundesgebiet eingereist. Er verfügte bis über Sichtvermerke und Aufenthaltsbewilligungen für den Zweck "selbstständige Erwerbstätigkeit". Nachdem sein Antrag vom auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck "selbstständige Erwerbstätigkeit" mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom zurückgewiesen worden war, wurde seinem am gestellten Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck "selbstständige Erwerbstätigkeit" - mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Mattersburg vom - stattgegeben. Er verfügte bis zum über gültige Aufenthaltstitel, zuletzt über eine Niederlassungsbewilligung für jeglichen Aufenthaltszweck, und beantragte vor Ablauf der Gültigkeitsdauer dieses Aufenthaltstitels die Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels. Seinem - im angefochtenen Bescheid wiedergegebenen - Vorbringen zufolge lebe er seit 1989 "mit kurzen Unterbrechungen" in Österreich, wobei er bis 1999 selbstständig tätig gewesen sei und mehrere Lokale betrieben habe sowie im Jahr 2000 ein Unternehmen (Videothek) erworben und dieses zu führen versucht habe, was jedoch nicht von großem wirtschaftlichen Erfolg gewesen sei. Ferner habe er das Gewerbe einer "Begleitagentur" angemeldet.
Unter Zugrundelegung dieser Ausführungen im angefochtenen Bescheid hielt sich der Beschwerdeführer (im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides) bereits über 18 Jahre überwiegend rechtmäßig und "mit kurzen Unterbrechungen" in Österreich auf. Ferner legte die belangte Behörde ihrer Interessenabwägung nach § 66 Abs. 1 und 2 FPG die Beschwerdebehauptung zu Grunde, dass der Beschwerdeführer eine Lebensgefährtin und mehrere Angehörige im Bundesgebiet habe.
Vor dem Hintergrund der Bestimmung des § 66 Abs. 2 FPG reichen die im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen zur Dauer des inländischen Aufenthaltes des Beschwerdeführers zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides unter dem Blickwinkel des § 66 Abs. 1 und 2 FPG nicht aus. Die belangte Behörde wäre gehalten gewesen, nähere Feststellungen zum Ausmaß der genannten "kurzen Unterbrechungen" zu treffen. Sollten diese Unterbrechungen nur vereinzelt und tatsächlich nur von kurzer Dauer gewesen sein und er die überwiegende Zeit einer erlaubten selbstständigen Erwerbstätigkeit nachgegangen sein, so könnte dies - auch vor dem Hintergrund, dass die belangte Behörde ihrer Beurteilung das Bestehen einer Lebensgemeinschaft und familiärer Bindungen des Beschwerdeführers im Bundesgebiet zu Grunde gelegt hat - zu einer anderen Abwägung der gegenläufigen Interessen im Sinn der genannten Bestimmung führen.
4. Der im angefochtenen Bescheid festgestellte Sachverhalt erweist sich daher als in einem wesentlichen Punkt ergänzungsbedürftig, sodass er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben war.
5. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008. Wien, am
Fundstelle(n):
QAAAE-69824