VwGH vom 09.06.2004, 2004/16/0096
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Steiner und die Hofräte Dr. Höfinger und Dr. Zehetner als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Siegl, über die Beschwerde der R reg. Gen.m.b.H. in O, vertreten durch Dr. Ferdinand Weber, Dr. Hannes Hirtzberger und Mag. Herbert Nigl, Rechtsanwälte in 3500 Krems, Ringstraße 50, gegen den Bescheid des Unabhängigen Finanzsenates (Zoll-Senat 4) vom , Zl. ZRV/101-Z4I/03, betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
Aus der Beschwerde und dem angefochtenen Bescheid ergibt sich folgender Sachverhalt:
Ein Unternehmen der R-Gruppe beantragte eine Ausfuhrerstattung für landwirtschaftliche Erzeugnisse. Auf Grund einer Abtretungserklärung wurde der diesbezügliche Erstattungsbetrag vom Zollamt Salzburg/Erstattungen an dessen Bank, die Beschwerdeführerin, als Zessionarin ausbezahlt. Als sich herausstellte, dass die Erstattung zu Unrecht gewährt worden war, forderte das Zollamt den ausbezahlten Betrag von der Beschwerdeführerin zurück. Der Rückforderungsbescheid wurde der Beschwerdeführerin am zugestellt.
Mit Schreiben vom beantragte die Beschwerdeführerin die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und brachte - unter gleichzeitiger Nachholung der versäumten Berufung -
vor, ihr seien im Februar und März 2002 zahlreiche Rückforderungsbescheide des Zollamtes Salzburg/Erstattungen im Zusammenhang mit Unternehmen der R-Gruppe zugestellt worden. Anlässlich der Zustellung der ersten Rückforderungsbescheide im Februar 2002 sei der Beschwerdeführerin von ihrem Anwalt mitgeteilt worden, es sollte kein Problem darstellen, hinsichtlich beabsichtigter Rechtsmittel generell eine Erstreckung der Berufungsfrist um etwa drei Monate zu erlangen. Dies sei von den Geschäftsleitern der Beschwerdeführerin dahingehend interpretiert worden, dass für sämtliche Rückforderungsbescheide im Zusammenhang mit Unternehmen der R-Gruppe eine um drei Monate verlängerte Rechtsmittelfrist zur Verfügung stünde. Die einlangenden Bescheide seien daraufhin mit kalendiert worden. Am - also nach Ablauf der Rechtsmittelfrist - seien die Geschäftsleiter vom Anwalt darauf aufmerksam gemacht worden, dass eine Verlängerung der Berufungsfrist nur auf Antrag gewährt werde, der für jeden Rückforderungsbescheid einzeln zu stellen sei. Erst bei dieser Besprechung sei hervorgekommen, dass die Fehlinterpretation der Geschäftsleiter zur Versäumung der Rechtsmittelfrist für den am zugestellten Bescheid geführt habe. Ein den Geschäftsleitern allenfalls anzulastendes Verschulden daran weise bloß einen minderen Grad auf. Es wurden eidesstattliche Erklärungen der Geschäftsleiter und des Anwaltes vorgelegt.
Mit Bescheid vom wurde der Antrag vom Zollamt Salzburg/Erstattungen im Wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, dass kein minderer Grad des Versehens vorliege.
Im Berufungsverfahren betreffend die Abweisung des Wiedereinsetzungsantrages führte die Beschwerdeführerin ua aus, die übereinstimmende falsche Interpretation der Aussagen des Anwalts habe die Geschäftsleiter davon abgehalten, bei diesem nachzufragen oder individuelle Erledigungen im Sinne einer Verlängerung der Berufungsfrist abzuwarten. Sie hätten überdies geglaubt, die Verlängerung der Rechtsmittelfrist hemme auch die in den Rückforderungsbescheiden enthaltenen Zahlungsfristen. Die Nichteinhaltung der Zahlungsfristen sei ein Beleg für die falsche Interpretation der Sachlage und Aussage des Anwaltes. Die Geschäftsleiter der Beschwerdeführerin seien bisher noch nie mit Rückforderungen von Ausfuhrerstattungen konfrontiert gewesen.
Mit Bescheid vom wurde die Berufung als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin erhob dagegen Beschwerde und führte darin zusätzlich aus, dass sie hinsichtlich der im Februar 2002 zugestellten Bescheide den Antrag gestellt habe, die Berufungsfrist um drei Monate zu verlängern. Dass die Geschäftsleiter der Beschwerdeführerin eine diesbezügliche Mitteilung ihres Anwaltes dahingehend verstanden hätten, dass dadurch auch später einlangende Bescheide generell von dieser Verlängerung der Berufungsfrist betroffen sein sollten, könne nicht als grobes Fehlverhalten angesehen werden.
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen und nach Wiedergabe der Sach- und Rechtslage begründend ausgeführt, es sei Aufgabe der Partei, sich über die Rechtslage ausreichend zu informieren. Im Beschwerdefall hätten die Geschäftsleiter der Beschwerdeführerin nach Ergehen von neun Rückforderungsbescheiden des Zollamtes Salzburg/Erstattungen im Februar 2002 den Anwalt kontaktiert. Dieser habe ihnen mitgeteilt, es sollte kein Problem darstellen, hinsichtlich beabsichtigter Rechtsmittel generell eine Erstreckung der Berufungsfrist um etwa drei Monate zu erlangen. Der Irrtum der Beschwerdeführerin habe nicht den Umstand, dass es zur Verlängerung der Berufungsfrist eines entsprechenden Antrages bedürfe, betroffen; sie sei jedoch der Ansicht gewesen, dass ein einziger Antrag genüge, um die Frist zur Einbringung der Berufung für sämtliche Rückforderungsbescheide zu verlängern. Individuelle Anträge für jeden Einzelfall habe sie nicht für erforderlich gehalten.
Zur Prüfung, ob die Berufungsfrist im Zusammenhang mit den im Februar 2002 zugegangenen Rückforderungsbescheiden wenigstens in einem einzigen Fall verlängert worden sei, sei das Zollamt Salzburg/Erstattungen ersucht worden, die diesbezüglichen Berufungen und Anträge der Beschwerdeführerin vorzulegen. Aus den vorgelegten Unterlagen gehe hervor, dass die Beschwerdeführerin (vertreten durch ihren Anwalt) gegen die neun Rückforderungsbescheide vom Februar 2002 mit Schreiben vom - somit innerhalb der Berufungsfrist von einem Monat - Berufung erhoben habe. Unter Punkt II. des betreffenden Schreibens - der in der Übersicht als "Antrag auf Fristverlängerung gem. 245 BAO" bezeichnet werde - sei zusammengefasst vorgebracht worden, dass der Beschwerdeführerin weitere Rückforderungsbescheide betreffend Ausfuhrerstattungen im Zusammenhang mit Unternehmen der R-Gruppe in Aussicht gestellt worden seien. Aus Gründen der Verfahrensökonomie erscheine es dieser zweckmäßig, eine möglichst große Anzahl dieser Bescheide gemeinsam zu behandeln. Der Beschwerdeführerin würden (noch) nicht alle Unterlagen vorliegen, die ihr eine vollständige Begründung der Berufung ermöglichen würden. Zeitaufwändige umfangreiche Prüfungen würden es rechtfertigen, im gegenständlichen Fall die Frist zur Ergänzung der Begründung bis zum zu erstrecken. Mit Schreiben vom und vom sei eine weitere Verlängerung der Frist zur Ergänzung der Berufung beantragt worden. Laut Stellungnahme des Zollamtes Salzburg/Erstattungen vom sei bislang über die Berufungen bzw. Anträge noch nicht abgesprochen und eine Bewilligung zur Verlängerung der Frist für die Einbringung einer Berufung im Sinne des § 245 BAO nicht erteilt worden. Die Beschwerdeführerin habe somit gegen die Rückforderungsbescheide vom Februar 2002 fristgerecht berufen. Sie habe in keinem einzigen Fall einen Antrag gemäß § 245 Abs. 3 BAO gestellt, sondern angekündigt, die Begründung der Berufung ergänzen zu wollen und dies unzutreffend als "Antrag auf Fristverlängerung gem. 245 BAO" bezeichnet.
Die Geschäftsleiter der Beschwerdeführerin hätten die ihnen nach ihren persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt außer Acht gelassen, als sie nach Erhalt des Rückforderungsbescheides am innerhalb der Rechtsmittelfrist von einem Monat, auf die in der Rechtsmittelbelehrung unmissverständlich hingewiesen werde, weder mit ihrem Anwalt noch mit dem zuständigen Zollamt in Kontakt getreten seien, um abzuklären, ob die Berufungsfrist tatsächlich um drei Monate verlängert bzw. ob überhaupt ein entsprechender Antrag gestellt worden sei. Die Beschwerdeführerin habe es auch nicht für notwendig erachtet, ihren Anwalt zu kontaktieren, als ihr am 5. und weitere Rückforderungsbescheide des Zollamtes Salzburg/Erstattungen zugestellt worden seien. Weder seien die (insgesamt zwölf) Rückforderungsbescheide zur Information weitergeleitet, noch sei beim Zollamt Salzburg/Erstattungen veranlasst worden, derartige Bescheide direkt an den Rechtsvertreter zuzustellen. Erst als am - also über sieben Wochen nach Zustellung des Rückforderungsbescheides vom - in den Räumlichkeiten der Beschwerdeführerin ein Gespräch zwischen den Geschäftsleitern der Beschwerdeführerin und deren Anwalt stattgefunden habe, sei erwähnt worden, dass weitere Rückforderungsbescheide (über einen Gesamtbetrag von insgesamt fast EUR 100.000,--) zugestellt worden seien. Der Anwalt habe die Geschäftsleiter daraufhin darüber informiert, dass eine Verlängerung der Berufungsfrist nur über jeweils individuell gestellten Antrag gewährt werden könne. Der Irrtum hätte somit sofort aufgeklärt werden können, wenn der Anwalt vorher kontaktiert worden wäre. Selbst wenn ein Antrag auf (generelle) Verlängerung der Berufungsfrist gestellt worden wäre, hätten sich die Geschäftsleiter der Beschwerdeführerin vernünftigerweise erkundigen müssen, ob diesem Antrag stattgegeben worden sei, weil eine Entscheidung darüber im Ermessen der Behörde liege. In der Rechtsmittelbelehrung der am 1., 5. und zugestellten Rückforderungsbescheide sei die Berufungsfrist jeweils mit nur einem Monat angegeben worden. In keinem der betreffenden Bescheide finde sich ein Hinweis auf eine Verlängerung der Berufungsfrist. Von diesem Widerspruch ausgehend hätte es der zumutbaren Sorgfalt entsprochen, zeitnah (innerhalb der Monatsfrist) entweder beim Anwalt oder beim zuständigen Zollamt entsprechende Erkundigungen über den Fristverlängerungsantrag anzustellen. Nach der am erfolgten Zustellung des Rückforderungsbescheides wäre noch ein Monat zur Verfügung gestanden, um zu klären, ob die Berufungsfrist verlängert worden sei bzw. um fristgerecht einen Fristverlängerungsantrag zu stellen oder eine Berufung einzubringen. Wer Rechtsmittelbelehrungen bewusst ignoriere und es im Vertrauen auf eine vermeintliche Fristverlängerung unterlasse, Widersprüchen hinsichtlich der Berufungsfrist auf den Grund zu gehen, handle auffallend sorglos.
Die Beschwerdeführerin erhob Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof. Sie erachtet sich u.a. in ihrem Recht auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verletzt und begehrt die Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Nach § 308 Abs. 1 BAO ist gegen die Versäumung einer Frist auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist ein Ereignis als unabwendbar zu qualifizieren, wenn es durch einen Durchschnittsmenschen objektiv nicht verhindert werden kann; als unvorhergesehen, wenn die Partei es tatsächlich nicht einberechnet hat und mit zumutbarer Aufmerksamkeit nicht erwarten konnte. Von einem minderen Grad des Versehens kann nicht mehr gesprochen werden, wenn der Wiedereinsetzungswerber die im Verkehr mit Behörden und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt außer Acht lässt (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2000/16/0055, mwN).
Zunächst ist festzustellen, dass - wie in der Beschwerde auch zugestanden wird - die BAO keine Möglichkeit für eine "generelle" Verlängerung der Berufungsfrist, nämlich für eine Mehrzahl von (allenfalls noch nicht erlassenen) Bescheiden vorsieht. Die Beschwerdeführerin bringt vor, dass sich ihre Geschäftsleiter nicht nur über die rechtliche Unmöglichkeit einer solchen Vorgangsweise geirrt haben, sondern auch über das tatsächliche Vorliegen einer "generellen" Bewilligung der Verlängerung der Berufungsfristen für sämtliche Rückforderungsbescheide im Zusammenhang mit Ausfuhrerstattungen von Unternehmen der R-Gruppe. Damit wird in erster Linie ein Tatsachenirrtum behauptet. Es wird von der Beschwerdeführerin zwar Verschulden an diesem Tatsachenirrtum eingeräumt. Es besteht aber Streit darüber, ob dieses Verschulden - wie die Beschwerdeführerin vorbringt - lediglich einen minderen Grad des Versehens darstellt.
Ein zu einer Fristversäumung führender Tatsachenirrtum ist bereits dann nicht entschuldbar, wenn einem mit den rechtlich geschützten Werten verbundenen Durchschnittsmenschen, aber auch dem Irrenden auf Grund seiner besonderen Situation und seiner Eigenschaften eine Aufklärung des Irrtums innerhalb des maßgeblichen Zeitraumes möglich und zumutbar gewesen wäre. Es ist daher stets zu prüfen, ob die Umstände so geartet gewesen sind, dass der Tatsachenirrtum nicht nur im Zeitpunkt seines Entstehens, sondern auch im jeweils entscheidenden Zeitraum (im vorliegenden Beschwerdefall innerhalb der Berufungsfrist) entschuldbar ist (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom , 84/14/0064, betreffend das Vergessen einer Antragstellung im Zuge eines Todesfalles).
Das die Fristversäumung auslösende Ereignis - nämlich die Fehlinterpretation der (anlässlich der Zustellung der Rückforderungsbescheide im Februar 2002 getätigten) Aussage des Anwaltes durch die Geschäftsleiter der Beschwerdeführerin - fällt in die Zeit vor der Zustellung des dem Beschwerdefall zu Grunde liegenden Rückforderungsbescheides am . Die Geschäftsleiter sind - nach Aussage der Beschwerdeführerin - ohne Vorliegen sonstiger Hinweise oder Unterlagen lediglich im Vertrauen auf die Richtigkeit ihres Verständnisses der mündlichen Aussage des Anwaltes bei der Kalendierung des am zugestellten Rückforderungsbescheides von einer dreimonatigen Berufungsfrist ausgegangen, obwohl die Rechtsmittelbelehrung des genannten Bescheides unbestrittenermaßen eine Berufungsfrist von nur einem Monat enthielt. Am 5. und - sohin während der Berufungsfrist für den am zugestellten Bescheid - wurden der Beschwerdeführerin weitere Rückforderungsbescheide zugestellt, deren Rechtsmittelbelehrung ebenfalls eine Berufungsfrist von einem Monat enthielt. Bei (vollständiger) Lektüre der genannten Bescheide hätte aber einem mit den rechtlich geschützten Werten verbundenen Durchschnittsmenschen der Widerspruch der schriftlichen Rechtsmittelbelehrungen zu den (vermeintlichen) Aussagen des Anwaltes auffallen müssen. Wenn die Geschäftsleiter der Beschwerdeführerin die Rechtsmittelbelehrung der genannten Bescheide nur flüchtig oder gar nicht gelesen oder zwar gelesen, aber unbeachtet gelassen haben, so kann sich die Beschwerdeführerin schon aus diesen Gründen nicht mit Erfolg darauf berufen, es sei nicht auffallend sorglos gehandelt worden (vgl. dazu die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 90/16/0059, 0060, und vom , Zl. 91/16/0046, mwN). Der belangten Behörde ist daher zuzustimmen, dass (bereits) die (im Beschwerdefall wiederholte) Nichtbeachtung der im Widerspruch zur irrtümlichen Annahme einer Fristverlängerung stehenden Rechtsmittelbelehrungen der genannten Bescheide einer Beurteilung als bloß minderen Grad des Versehens entgegensteht.
Da bereits der Inhalt der vorliegenden Beschwerde erkennen lässt, dass die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren - sohin auch ohne Erteilung eines Mängelbehebungsauftrages - in nicht öffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen. Wien, am