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VwGH vom 28.02.2018, Ra 2016/10/0055

VwGH vom 28.02.2018, Ra 2016/10/0055

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl und die Hofräte Dr. Lukasser, Dr. Hofbauer und Dr. Fasching sowie die Hofrätin Dr. Leonhartsberger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Kacic-Löffler, LL.M., über die Revision des S C in W, vertreten durch Dr. Julia Ecker, Mag. Wilfried Embacher und Dr. Thomas Neugschwendtner, Rechtsanwälte in 1040 Wien, Schleifmühlgasse 5/8, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom , Zl. VGW- 141/021/14919/2015-10, betreffend Mindestsicherung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Magistrat der Stadt Wien), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Wien hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mit Bescheid des Magistrats der Stadt Wien vom wurde der Revisionswerber verpflichtet, die für den Zeitraum vom bis zum aufgewendeten Kosten für Leistungen der Mindestsicherung in der Höhe von EUR 6.353,56 gemäß § 24 Wiener Mindestsicherungsgesetz (WMG) zu ersetzen.

2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom wurde eine dagegen vom Revisionswerber erhobene Beschwerde als unbegründet abgewiesen. Weiters wurde ausgesprochen, dass gemäß § 25a VwGG eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

3 Zur Begründung führte das Verwaltungsgericht nach Darstellung des Verfahrensganges und der maßgeblichen Rechtsvorschriften im Wesentlichen aus, der Revisionswerber habe im November 2015 einen Betrag in der Höhe von EUR 6.353,56 ausbezahlt erhalten, dies als Nachzahlung durch die Pensionsversicherungsanstalt laut deren Bescheid vom . Der Bedarfsgemeinschaft des Revisionswerbers seien insgesamt EUR 7.129,66 an Leistungen der Mindestsicherung für den Zeitraum vom bis zum zuerkannt und ausbezahlt worden.

4 Das WMG kenne keine Legaldefinition des Einkommensbegriffes, auch die Materialien äußerten sich diesbezüglich nicht. Auch die Art. 15a B-VG-Vereinbarung über eine bundesweite Bedarfsorientierte Mindestsicherung enthalte keine Definition, was unter "Einkommen" iSd WMG zu verstehen sei. Aus einer systematischen Gesamtbetrachtung des WMG könne geschlossen werden, dass dieses noch andere Arten von "Einkommen" als jene, die aufgrund einer Erwerbstätigkeit zufließen würden, kenne, zumal etwa § 24 WMG einen Kostenersatz für Einkommen, welches nicht aus eigener Erwerbstätigkeit stamme, anordne. Auch aufgrund des Begriffs "eigene Mittel", welche jedenfalls bei der Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen zu berücksichtigen seien, könne - unter Berücksichtigung des Subsidiaritätsgedankens des WMG und des Zwecks der Sicherung des Mindestbedarfs - davon ausgegangen werden, dass es sich dabei um jegliche der Hilfe suchenden Person "zufließende bzw. ihr zur Verfügung stehende Einkünfte (umfassender Einkommensbegriff) bzw. vorhandenes Vermögen handeln" müsse. Der Begriff "eigene Mittel" sei daher als Überbegriff für "alle Arten von monatlich zufließenden Einkünften (umfassender

Einkommensbegriff) sowie ... das Vermögen, welches sich aus dem im

jeweiligen Folgemonat aus den Restbeständen der Einkünfte der Vormonate gebildeten, im Verfügungsbereich des Hilfsbedürftigen noch vorhandenen Guthaben (vgl. steuerrechtliches Zufluss-Abfluss-Prinzip ...)" zusammensetze, anzusehen.

5 Der dem Revisionswerber im November 2015 seitens der Pensionsversicherungsanstalt zugeflossene Betrag in der Höhe von EUR 6.353,56 stelle daher ein "Einkommen iSd § 10 WMG im Monat November dar". Da es sich bei der gegenständlichen Leistung aus der Pensionsversicherung um keinen der Ausnahmetatbestände des § 11 WMG handle, scheide eine Ausnahme von der Anrechnung aus. Die Nachzahlung aus der Pensionsversicherungsanstalt stelle daher anrechenbares Einkommen im Sinne des WMG dar, das nicht aus eigener Erwerbstätigkeit stamme. Der Tatbestand des § 24 Abs. 1 und 2 WMG sei daher als erfüllt anzusehen, sodass spruchgemäß zu entscheiden gewesen sei.

6 Den Ausspruch nach § 25a Abs. 1 VwGG begründete das Verwaltungsgericht mit einem Verweis auf den Wortlaut des Art. 133 Abs. 4 B-VG.

7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

8 Das Verwaltungsgericht legte die Verfahrensakten vor. 9 Die belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

10 Das Wiener Mindestsicherungsgesetz, LGBl. Nr. 2/2011 in

der Fassung LGBl. Nr. 29/2013 (WMG), lautet auszugsweise:

"Allgemeine Anspruchsvoraussetzungen

§ 4. (1) Anspruch auf Leistungen der

Bedarfsorientierten Mindestsicherung hat, wer

...

3. die in § 3 definierten Bedarfe nicht durch den Einsatz seiner Arbeitskraft, mit eigenen Mitteln oder durch Leistungen Dritter abdecken kann,

...

Anrechnung von Einkommen und sonstigen Ansprüchen bei der Bemessung der Mindestsicherung

§ 10. (1) Auf den Mindeststandard ist das Einkommen der Person, für die der jeweilige Mindeststandard gilt, anzurechnen.

...

Ausnahmen von der Anrechnung von Einkommen und sonstigen

Ansprüchen

§ 11. (1) Von der Anrechnung ausgenommen sind

...

Anrechnung von Vermögen

§ 12. (1) Auf die Summe der Mindeststandards ist das verwertbare Vermögen von anspruchsberechtigten Personen der Bedarfsgemeinschaft anzurechnen.

(2) Soweit keine Ausnahmeregelung nach Abs. 3 anzuwenden ist, gelten als verwertbar:

1. unbewegliches Vermögen;

2. Ersparnisse und sonstige Vermögenswerte.

(3) Als nicht verwertbar gelten:

...

5. verwertbares Vermögen nach Abs. 2 bis zu einem Freibetrag in Höhe des Fünffachen des Mindeststandards nach § 8 Abs. 2 Z 1 (Vermögensfreibetrag);

...

Kostenersatz bei verwertbarem Vermögen oder Einkommen, das

nicht aus eigener Erwerbstätigkeit stammt

§ 24. (1) Für Kosten, die dem Land Wien als Träger der Bedarfsorientierten Mindestsicherung durch die Zuerkennung von Leistungen zur Mindestsicherung entstehen, ist dem Land Wien als Träger der Bedarfsorientierten Mindestsicherung nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen Ersatz zu leisten.

(2) Ersatzpflichtig sind alle anspruchsberechtigten Hilfe suchenden oder empfangenden Personen, soweit sie zu verwertbarem Vermögen oder Einkommen, das nicht aus eigener Erwerbstätigkeit stammt, gelangen. Es sind jene Kosten zu ersetzen, die dem Träger der Bedarfsorientierten Mindestsicherung durch Hilfegewährungen in den letzten drei Jahren der Hilfeleistung entstanden sind. Stichtag für die Berechnung der Frist ist der letzte Tag des Jahres in dem Leistungen an die Ersatzpflichtige oder den Ersatzpflichtigen geflossen sind.

(3) Über die Verpflichtung zum Kostenersatz ist mit Bescheid zu entscheiden. Die Behörde ist berechtigt, die Aufrechnung gegen Ansprüche auf Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung zu verfügen.

..."

11 Die Revision bringt vor, aufgrund der Tatsache, dass es sich im Fall "einer rückwirkenden Einmalzahlung der Ausgleichszulage um keine regelmäßigen Einnahmen handelt", sei von einem Vermögen auszugehen, weshalb der Vermögensfreibetrag gemäß § 12 Abs. 3 Z 5 WMG Berücksichtigung hätte finden müssen. In der Zulässigkeitsbegründung wird diesbezüglich geltend gemacht, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes "zum Vermögens- und Einkommensbegriff" nach dem WMG. Zudem weiche das Verwaltungsgericht "hinsichtlich der Kriterien für die Einordnung als Vermögen oder Einkommen" von näher bezeichneter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab.

12 Die Revision erweist sich im Hinblick auf die Frage der Einordnung einer Pensionsnachzahlung als "Einkommen" oder "Vermögen" im Sinne des § 24 Abs. 2 WMG als zulässig. Sie ist auch begründet.

13 Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits ausgesprochen, dass § 24 Abs. 2 WMG darauf abstellt, dass der Hilfeempfänger zu verwertbarem Vermögen oder Einkommen, das nicht aus eigener Erwerbstätigkeit stammt, "gelangt". § 24 Abs. 2 WMG beschränkt die Ersatzpflicht des Hilfeempfängers insoweit, als dieser Ersatz nur aus (verwertbarem) Vermögen oder Einkommen zu leisten hat, welches er nach Empfang der Leistungen aus der Mindestsicherung erhalten hat; insofern ist das Wort "gelangen" im Sinne von "nachträglich erwerben" zu verstehen (vgl. ; , 2013/10/0163).

14 Im vorliegenden Fall ist unstrittig, dass dem Revisionswerber im November 2015 - sohin nach Empfang der Leistungen aus der Mindestsicherung für den Zeitraum vom bis zum - eine Pensionsnachzahlung in der Höhe von EUR 6.353,56 ausbezahlt wurde. Das Verwaltungsgericht geht nun davon aus, dass diese Nachzahlung im November 2015 ein Einkommen, das nicht aus eigener Erwerbstätigkeit stamme, dargestellt habe, das - zu Gänze - einem Ersatzanspruch nach § 24 Abs. 2 WMG zugrunde zu legen sei.

15 Dem ist aus folgenden Gründen nicht beizupflichten:

16 Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem Fall der Gewährung von Sozialhilfe - unter Verweis auf Pfeil, Österreichisches Sozialhilferecht, 1989, S. 402 ff - zwar darauf hingewiesen, dass der Einsatz eigener Mittel (nämlich des Einkommens und des verwertbaren Vermögens) unabhängig davon vorzunehmen ist, von wem und aus welchem Rechtsgrund bzw. Titel der Hilfesuchende dieses Einkommen und/oder Vermögen erhält bzw. erhalten hat. Der wesentliche Unterschied zwischen diesen beiden Arten eigener Mittel besteht unter dem zu behandelnden Gesichtspunkt lediglich darin, dass es sich beim Einkommen um laufende, aber nicht unbedingt regelmäßige Einnahmen in Geld handelt, beim Vermögen hingegen um (im jeweiligen Zeitraum) bereits vorhandene Werte, mögen sie auch aus dem Überschuss nicht verbrauchten Einkommens entstanden sein (vgl. ).

17 Bei der hier relevanten Frage des nachträglichen Kostenersatzes aus verwertbarem Vermögen oder aus nicht aus eigener Erwerbstätigkeit stammendem Einkommen, welches nach Empfang der Leistungen aus der Mindestsicherung erworben wurde, geht es aber nicht um die Frage, ob Geldmittel in einem bestimmten Zuerkennungszeitraum zugeflossen oder bereits vorhanden waren. Vielmehr ist nach § 24 Abs. 2 WMG entscheidend, ob - aufgrund von nachträglich erworbenem verwertbarem Vermögen oder Einkommen, das nicht aus eigener Erwerbstätigkeit stammt - Ersatz für geleistete Mindestsicherung zu leisten ist. Für eine solche Entscheidung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Erlassung der angefochtenen Entscheidung maßgeblich, zumal es nicht um den Abspruch geht, was zu einem bestimmten Zeitpunkt (etwa jenem der Erlassung des verwaltungsbehördlichen Bescheides) oder in einem bestimmten Zeitraum rechtens war, sondern um die aktuelle Begründung einer Zahlungsverpflichtung des Revisionswerbers (vgl. das zum NÖ Sozialhilfegesetz ergangene, insoweit aber übertragbare Erkenntnis ).

18 Davon ausgehend ist aber nicht erkennbar, dass der im November 2015 zugeflossene Nachzahlungsbetrag im Zeitpunkt der Erlassung der angefochtenen Entscheidung im März 2016 als "laufende Einnahme in Geld" anzusehen gewesen wäre. Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung zu sozialhilferechtlichen Kostenersatzregelungen Nachzahlungen von Familienbeihilfe daher nicht etwa als Einkommen, sondern als Vermögen angesehen (vgl. ; , 2007/10/0011; , 2003/10/0203; , 2000/11/0214). Die Sichtweise des Verwaltungsgerichtes lässt im Übrigen unberücksichtigt, dass bei einem Abstellen auf in der Vergangenheit (nach Empfang der Leistungen aus der Mindestsicherung) zugeflossene Geldmittel, die - im Zeitpunkt des Zufließens - ein Einkommen dargestellt hätten, nicht ersichtlich wäre, warum der Gesetzgeber in § 24 Abs. 2 WMG auch auf "verwertbares Vermögen" Bezug genommen hat, wären derartige Einnahmen doch stets - als in der Vergangenheit zugeflossenes Einkommen - zur Gänze einer Ersatzpflicht zugrunde zu legen. Es ist bei der Norminterpretation aber nicht zu unterstellen, dass der Gesetzgeber inhaltsleere oder überflüssige Anordnungen getroffen hat (vgl. , VwSlg. 15805 A).

19 Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichtes ist daher davon auszugehen, dass zugeflossene Geldmittel infolge einer Nachzahlung von Pension als "Vermögen" im Sinne des § 24 Abs. 2 WMG anzusehen sind, die nur insoweit, als es sich um "verwertbares Vermögen" im Sinne des § 12 Abs. 2 WMG - sohin unter Berücksichtigung des Vermögensfreibetrages gemäß § 12 Abs. 3 Z 5 leg. cit. - handelt, der Ersatzpflicht unterliegen.

20 Da das Verwaltungsgericht demnach die Rechtslage verkannt hat, war das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

21 Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2018:RA2016100055.L00
Schlagworte:
Maßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt Besondere Rechtsgebiete

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