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VwGH vom 20.10.2011, 2009/21/0363

VwGH vom 20.10.2011, 2009/21/0363

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant und Dr. Sulzbacher als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Senft, über die Beschwerde des T, vertreten durch Dr. Rudolf Denzel und Dr. Peter Patterer, Rechtsanwälte in 9500 Villach, Moritschstraße 1, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom , Zl. 319.278/2-III/4/09, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein kroatischer Staatsangehöriger, ist seit mit M.M. verheiratet. Die gemeinsamen drei Kinder wurden am (Zwillinge) und am in Österreich geboren. M.M. und den Kindern wurde mit Bescheid vom die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen. Sie sind in Villach wohnhaft.

Der Beschwerdeführer stellte am bei der Österreichischen Botschaft Agram persönlich einen - auf seine Ehefrau als "Zusammenführende" bezogenen - Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Familienangehöriger" gemäß § 47 Abs. 2 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG).

Diesen Antrag wies der Landeshauptmann von Kärnten mit Bescheid vom ab. Dem liegt vor allem die näher begründete Einschätzung zugrunde, die Ehefrau des Beschwerdeführers sei nicht in der Lage, den notwendigen Unterhalt zu gewährleisten.

Die dagegen erhobene Berufung wurde mit dem angefochtenen Bescheid der Bundesministerin für Inneres (der belangten Behörde) vom gemäß § 11 Abs. 2 Z 4 iVm Abs. 5 NAG abgewiesen.

Tragend begründete die belangte Behörde diese Entscheidung damit, dass dem Beschwerdeführer der begehrte Aufenthaltstitel aufgrund der unzureichenden finanziellen Mittel seiner Ehefrau nicht erteilt werden könne.

In der weiteren Begründung nahm die belangte Behörde auf § 11 Abs. 3 NAG und auf dessen Fassung durch die am in Kraft getretene Novelle BGBl. I Nr. 29/2009 Bezug, wodurch die Möglichkeit zur Erteilung eines Aufenthaltstitels trotz Ermangelung einer Voraussetzung gemäß § 11 Abs. 2 Z 1 bis 6 NAG "erweitert" worden sei, wenn dies zur Aufrechterhaltung des Privat- oder Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK notwendig sei. Unter diesem Gesichtspunkt führte die belangte Behörde dann Folgendes wörtlich aus:

"Diesbezüglich hat der VfGH mit Erkenntnis vom , Zl. G 119/03, festgestellt, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in seiner Judikatur einer Ausländerfamilie nicht das unbedingte Recht auf ein gemeinsames Familienleben in einem Vertragsstaat zugesteht. Art. 8 EMRK umfasst nicht die generelle Verpflichtung eines Vertragsstaates, die Wahl des Familienwohnsitzes durch die verschiedenen Familienmitglieder anzuerkennen und die Zusammenführung einer Familie auf seinem Gebiet zu erlauben. Auch beinhaltet Art. 8 EMRK nicht das Recht, den geeignetsten Ort für die Entwicklung des Familienlebens zu wählen. Des Weiteren besteht laut EGMR nicht die grundsätzliche Verpflichtung zur Herstellung des Familienlebens. Jeder Vertragsstaat habe das Recht, die Einreise von Nichtstaatsangehörigen einer Kontrolle zu unterwerfen.

Mit der Novelle wurde die Interessenabwägung im Sinne des Art. 8 EMRK in Anlehnung an die vom Verfassungsgerichtshof herausgearbeiteten Kriterien präzisiert und übernommen, weshalb es auch zu keiner Ausdehnung des bisher schon zur Anwendung gelangten Prüfungsmaßstabes kommt (sh. dazu EB zur RV der Novelle BGBl. I Nr. 29/2009)."

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat - nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen hat:

Ob die belangte Behörde das (in der Beschwerde bestrittene) Fehlen der Erteilungsvoraussetzung nach § 11 Abs. 2 Z 4 NAG - der Aufenthalt des Fremden darf zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen - zu Recht angenommen hat, bedarf im vorliegenden Fall keiner weiteren Prüfung. § 11 Abs. 3 NAG (in der hier anzuwendenden Fassung der genannten Novelle BGBl. I Nr. 29/2009) bestimmt nämlich, dass ein Aufenthaltstitel (u.a.) trotz Ermangelung der Voraussetzung gemäß Abs. 2 Z 4 erteilt werden kann, wenn dies zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist. Bei dieser Beurteilung sind insbesondere zu berücksichtigen:

"1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen rechtswidrig war;


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2.
das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;
3.
die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;
4.
der Grad der Integration;
5.
die Bindungen zum Heimatstaat des Drittstaatsangehörigen;
6.
die strafgerichtliche Unbescholtenheit;
7.
Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts;
8.
die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Drittstaatsangehörigen in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren."
Für die angesprochene Beurteilung im Sinne des § 11 Abs. 3 NAG, ob die Versagung eines Aufenthaltstitels einen unzulässigen Eingriff in das Privat- und Familienleben darstellt, ist - an Hand der Umstände des jeweiligen Einzelfalles und unter Bedachtnahme auf die in der Z 1 bis 8 genannten Kriterien - eine gewichtende Gegenüberstellung des Interesses des Fremden an der Erteilung eines Aufenthaltstitels und dem öffentlichen Interesse an der Versagung vorzunehmen. (vgl. etwa das Erkenntnis vom , Zl. 2008/22/0387).
Das scheint die belangte Behörde zwar im Ansatz erkannt zu haben. Dem wird aber die sich im Wesentlichen auf die bloße Wiedergabe einzelner Rechtssätze aus der Judikatur des EGMR beschränkende Begründung im angefochtenen Bescheid überhaupt nicht gerecht (siehe zu einem ähnlichen Begründungsduktus der belangten Behörde unter anderem auch das Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2009/21/0182). Insbesondere ist ihr keine Auseinandersetzung mit den schon in der erstinstanzlichen Stellungnahme vom und in der Berufung vorgetragenen Umständen (siehe die einleitend wiedergegebenen persönlichen Verhältnisse in Verbindung mit der Behauptung, dass schon in der Vergangenheit ein gemeinsamen Familienleben in Villach geführt worden sei) und eine gewichtende Gegenüberstellung mit dem öffentlichen Interesse an der Versagung des Aufenthaltstitels zu entnehmen. Das rügt die Beschwerde im Ergebnis zu Recht.
Schon deshalb war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am

Fundstelle(n):
RAAAE-69773