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VwGH vom 11.11.2004, 2004/16/0077

VwGH vom 11.11.2004, 2004/16/0077

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Steiner und die Hofräte Dr. Höfinger, Dr. Köller, Dr. Thoma und Dr. Zehetner als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Siegl, über die Beschwerde des L in Frankfurt/Main (Deutschland), vertreten durch Dr. Felix Daum, Rechtsanwalt in 1080 Wien, Laudongasse 25/6, gegen den Bescheid des Unabhängigen Finanzsenates, Zollsenat 2, vom , Zl. ZRV/0116-Z2L/02, betreffend Zollerlass, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen:

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 381,90 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen:

Begründung

Mit Bescheid des Hauptzollamtes Wien vom wurde festgestellt, dass für den Beschwerdeführer - und für einen weiteren mit gesondertem Bescheid vom selben Tag als Gesamtschuldner in Anspruch Genommenen - am eine Zollschuld in der Höhe von S 276.723,-- entstanden sei. Außerdem wurde ein Säumniszuschlag in der Höhe von S 5.534,-- vorgeschrieben. Nach der Begründung habe der Beschwerdeführer - mit dem zweiten Zollschuldner - Zigaretten ohne Stellung beim österreichischen Grenzzollamt und ohne Entrichtung der auf diesen Waren lastenden Eingangsabgaben nach Österreich eingeführt. Dieser Sachverhalt sei insbesondere auf Grund des in Rechtskraft erwachsenen Erkenntnisses des Zollamtes Wien als Finanzstrafbehörde 1. Instanz vom festgestellt worden.

Mit einer am beim Zollamt Wien eingelangten Eingabe beantragte der Beschwerdeführer den Erlass der Zollschuld "aus Billigkeitsgründen gemäß § 183 Abs. 2 ZollG 1988". Er beziehe seit Dezember 1996 vom Sozialamt der Stadt Frankfurt/Main eine Hilfe zum Lebensunterhalt bzw. eine Hilfe in besonderen Lebenslagen in der Höhe von (wohl monatlich) DM 1.812,--. Dieser Betrag reiche gerade zur Bestreitung des notdürftigen Lebensunterhaltes des Beschwerdeführers und jenes seiner Ehefrau. Eine Rückzahlung der Zollschuld würde seine Existenz zerstören.

Gegen den diesen Antrag abweisenden Bescheid des Hauptzollamtes Wien vom erhob der Beschwerdeführer Berufung. In dieser brachte er vor, er sei wegen des in Rede stehenden Zollvergehens zu einer Geldstrafe von S 75.000,-- und zum Ersatz der Verfahrenskosten in der Höhe von S 5.000,-- verurteilt worden. Diese Beträge habe er bezahlt. Wegen seiner im Antrag auf Zollerlass dargestellten finanziellen Situation sei es ihm nicht möglich, ohne Gefährdung des notdürftigen Unterhaltes, auch nur Teilzahlungen in geringstem Ausmaß zu leisten.

Mit Berufungsvorentscheidung des Hauptzollamtes Wien vom wurde die Berufung als unbegründet abgewiesen, worauf vom Beschwerdeführer ein Auftrag auf Entscheidung über die Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz (Vorlageantrag) gestellt wurde.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung keine Folge. In der Begründung gab die belangte Behörde den Gang des Verwaltungsverfahrens wieder; als für die Entscheidung maßgebende Rechtsvorschrift zog sie die Bestimmung des § 237 Abs. 1 BAO heran. In rechtlicher Hinsicht kam die belangte Behörde zu dem Schluss, dass auf Grund der Einkommens- und Vermögenslage des Beschwerdeführers eine persönliche Unbilligkeit vorliege. Die "auf Grund des Vorliegens einer persönlichen Unbilligkeit ... daher im Rahmen des Ermessens gemäß § 20 BAO" zu treffende Entscheidung falle jedoch zu Ungunsten des Beschwerdeführers aus, weil die nachzulassende Abgabenschuld auf ein widerrechtliches, vorsätzliches Verhalten des Beschwerdeführers zurück zu führen sei und eine Entlassung aus der Abgabenschuld einen "ehrlichen Steuerschuldner" benachteiligen würde. Zudem sei der Beschwerdeführer unwillig, die Zollschuld zu tilgen, weil er noch keine einzige Zahlung geleistet habe. In Abwägung dieser Umstände sei den Zweckmäßigkeitsgründen gegenüber den Billigkeitsgründen der Vorrang einzuräumen gewesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde; der Beschwerdeführer erachtet sich in seinem Recht auf Erlass der Zollschuld verletzt.

Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die belangte Behörde und der Beschwerdeführer gehen davon aus, dass im Beschwerdefall die Bestimmung des § 237 Abs. 1 BAO anzuwenden sei.

Gemäß Anhang VI Z 10 des Beitrittsvertrages zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union und der Republik Österreich, BGBl. Nr. 45/1995, nimmt der neue Mitgliedstaat (Österreich) die Erstattung und den Erlass der Abgaben nach seinen Vorschriften und zu seinen Lasten vor, wenn sich die Abgaben, deren Erstattung oder Erlass beantragt wird, auf eine vor dem Zeitpunkt des Beitritts (am ) entstandene Zollschuld beziehen.

Dem vorliegenden Antrag auf Erlass liegt eine Zollschuld zu Grunde, die im Jahr 1992 entstanden ist. Im nationalen Recht regelte den Erlass einer Zollschuld die Bestimmung des § 183 Abs. 1 ZollG 1988 (vgl. das Erkenntnis vom , Zl. 2003/16/0101), wonach Zollbeträge und Ersatzforderungen für einzelne Fälle auf Antrag des Zollschuldners ganz oder teilweise erlassen werden können, wenn die Entrichtung nach Lage der Sache oder nach den persönlichen Verhältnissen des Zollschuldners unbillig wäre.

Im Beschwerdefall liegt jedoch eine Gesamtschuld vor; die Entlassung aus der Gesamtschuld wird aber im § 237 BAO geregelt. Abs. 1 leg. cit. lautet:

"Auf Antrag eines Gesamtschuldners kann dieser aus der Gesamtschuld ganz oder zum Teil entlassen werden, wenn die Einhebung der Abgabenschuld bei diesem nach der Lage des Falles unbillig wäre. Durch diese Verfügung wird der Abgabenanspruch gegen die übrigen Gesamtschuldner nicht berührt."

Es kommt somit zunächst auf die Frage an, ob die Entrichtung bzw. Einhebung der Abgabenschuld "unbillig" wäre.

Die Unbilligkeit kann "persönlich" oder "sachlich" bedingt sein. Eine "persönliche" Unbilligkeit liegt insbesondere dann vor, wenn die Einhebung der Abgaben die Existenzgrundlagen des Nachsichtwerbers gefährdete (vgl. das Erkenntnis vom , Zl. 89/15/0088).

Eine sachliche Unbilligkeit der Abgabeneinhebung liegt vor, wenn im Einzelfall bei Anwendung des Gesetzes ein vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigtes Ergebnis eintritt (vgl. das Erkenntnis vom , Zl. 2001/16/0341). In der allgemeinen Auswirkung einer generellen Norm ist eine solche Unbilligkeit nicht gelegen (vgl. das Erkenntnis vom , Zl. 2003/15/0099). Ein Umstand, der auch bei allen anderen Abgabenpflichtigen in der gleichen Lage hätte eintreten können und den der Gesetzgeber daher hätte voraussehen können, vermag nicht zur Annahme der Unbilligkeit zu führen (vgl. das Erkenntnis vom , Zl. 1289/76). Die sachliche Unbilligkeit muss eine Unbilligkeit der Einhebung und nicht eine Unbilligkeit der Festsetzung sein (vgl. das Erkenntnis vom , Zl. 96/16/0221). Zur Annahme einer sachlichen Unbilligkeit muss es jedenfalls zu einer anormalen Belastungswirkung und, verglichen mit ähnlichen Fällen, zu einem atypischen Vermögenseingriff kommen (vgl. das Erkenntnis vom , Zl. 89/15/0088).

Die Parteien des Beschwerdeverfahrens gehen davon aus, dass auf Grund der Einkommens- und Vermögenssituation des Beschwerdeführers im vorliegenden Fall eine persönliche Unbilligkeit gegeben ist.

Die Unbilligkeit der Abgabeneinhebung nach der Lage des Falles ist tatbestandsmäßige Voraussetzung für die in § 237 BAO ("kann ... entlassen werden") vorgesehene Ermessensentscheidung (vgl. das Erkenntnis vom , Zl. 98/13/0091). Bei der Ermessensübung ist vor allem das bisherige steuerliche Verhalten des Abgabepflichtigen zu berücksichtigen; insbesondere bei Hinterziehung wird eine Nachsicht im Allgemeinen nicht in Betracht kommen (vgl. die bei Ritz, Kommentar zur BAO2, Rz 16 zu § 236 BAO, wiedergegebene hg. Judikatur).

Vor diesem rechtlichen Hintergrund sind die vom Beschwerdeführer - sowohl im Verwaltungsverfahren als auch in der Beschwerde - vorgetragenen Argumente nicht geeignet, im Beschwerdefall eine Ermessensübung zu seinen Gunsten zu stützen. Behauptet der Beschwerdeführer, er sei für das die Zollschuld auslösende Vergehen ohnehin bestraft worden und die Waren seien eingezogen worden, sind dies Auswirkungen der Rechtslage, das heißt, die Rechtsfolgen ergeben sich für die davon Betroffenen - und zwar für jedermann gleich - aus dem Gesetz. Nachteilige Folgen aber, die alle Personen in gleicher Lage treffen, rechtfertigen eine Nachsicht nicht.

Soweit sich die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid und der Beschwerdeführer in der Beschwerde mit der Frage der "Wiedergutmachung des Steuerschadens" beschäftigen, ist daraus für das vorliegende Verfahren nichts gewonnen, weil dieses Thema der Vermögenssituation des Beschwerdeführers, somit der persönlichen Unbilligkeit, von der die Parteien ohnehin ausgehen, zuzurechnen ist. Diese Zurechnung zur persönlichen Unbilligkeit gilt ebenso für die in der Beschwerde behauptete unrichtige Feststellung der Einkommenssituation des Beschwerdeführers vom Dezember 1996 bis April 1997, sodass auf diese Behauptungen mangels Relevanz nicht einzugehen war.

Rügt der Beschwerdeführer Feststellungen zur Frage, ob der zweite Gesamtschuldner die Zollschuld allenfalls getilgt hätte, mangelt es auch diesem behaupteten Verfahrensmangel an Wesentlichkeit, weil der Beschwerdeführer nicht vorgebracht hat, die Zollschuld sei bereits durch den zweiten Gesamtschuldner teilweise oder zur Gänze getilgt worden.

Zusammenfassend ist es dem Beschwerdeführer nicht gelungen, eine Ermessensüberschreitung oder einen Ermessensmissbrauch der belangten Behörde aufzuzeigen; diese hat, insbesondere unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die nachzulassende Abgabenschuld auf ein widerrechtliches, vorsätzliches Verhalten des Beschwerdeführers zurück zu führen ist ohne Rechtsirrtum das Ermessen zu Lasten des Beschwerdeführers geübt.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am