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VwGH vom 19.12.2012, 2012/06/0055

VwGH vom 19.12.2012, 2012/06/0055

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch und den Hofrat Dr. Waldstätten, die Hofrätin Dr. Bayjones, den Hofrat Dr. Moritz sowie die Hofrätin Mag. Merl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Zöchling, über die Beschwerde der H F in S, vertreten durch Dr. Christian Fuchshuber, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Bürgerstraße 20, gegen den Bescheid des Stadtsenates der Landeshauptstadt Innsbruck vom , Zl. I-Präs- 00356e/2011, betreffend Feststellungsverfahren gemäß § 29 Abs. 1 der Tiroler Bauordnung 2011 (weitere Partei: Tiroler Landesregierung), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Die Landeshauptstadt Innsbruck hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit Bescheid des Stadtmagistrates Innsbruck vom wurde der Beschwerdeführerin die Beseitigung des konsenslos errichteten Gartenhauses auf dem Grundstück 1589 EZ 845, KG A aufgetragen. Dieser Bescheid erwuchs in Rechtskraft. Da die Beschwerdeführerin dieser Verpflichtung nicht nachkam, wurde mit Bescheid vom die Ersatzvornahme gemäß § 4 Verwaltungsvollstreckungsgesetz 1991 (VVG) angeordnet. Mit Bescheid der Tiroler Landesregierung vom wurde die dagegen erhobene Berufung abgewiesen, woraufhin die Beschwerdeführerin Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof (siehe hiezu das hg. Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2012/06/0032) erhob.

Mit Schriftsatz vom stellte die Beschwerdeführerin einen Antrag gemäß § 29 Abs. 1 der Tiroler Bauordnung 2011 (TBO 2011) auf Feststellung, ob das Vorliegen einer Baubewilligung für das gegenständliche Gartenhaus auf dem Grundstück 1589 EZ 845, KG A, zu vermuten ist.

Mit Bescheid des Stadtmagistrates Innsbruck vom wurde festgestellt, dass ein baurechtlicher Konsens bzw. das Vorliegen einer Baubewilligung hinsichtlich der baulichen Anlage der Beschwerdeführerin nicht zu vermuten sei. Begründet wurde dies im Wesentlichen damit, dass aufgrund der Tatsache, dass bereits mehrfach Ansuchen um Erteilung der nachträglichen Bewilligung gestellt, diese jedoch immer abgewiesen worden seien, Grund zu der Annahme bestehe, dass die gegenständliche bauliche Anlage entgegen den zur Zeit ihrer Errichtung in Geltung gestandenen baurechtlichen Vorschriften ohne entsprechende Bewilligung errichtet worden sei. Bereits das Gesetz vom 30. März 1896, womit eine Bauordnung für die Landeshauptstadt Innsbruck erlassen worden sei, habe in dessen § 10 das Erfordernis einer Baubewilligung für die Ausführung von Neu-, Zu-, Um- und Aufbauten normiert, weshalb nicht davon ausgegangen werden könne, dass für bauliche Anlagen wie jene der Beschwerdeführerin keine baubehördliche Bewilligungspflicht bestanden habe.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin Berufung und führte darin aus, bezüglich der gegenständlichen Gartenhütte sei von einem vermuteten Konsens auszugehen. Der erstinstanzliche Bescheid weise auf frühere Bauansuchen aus den Jahren 1997 und 1998 und deren Abweisungen hin. Das Feststellungsverfahren gemäß § 29 TBO 2011 sei jedoch erst mit Inkrafttreten dieses Gesetzes am eingeführt worden. Davor sei es nicht möglich gewesen, sich auf diese Gesetzesstelle zu berufen. Dass bereits aufgrund der Abweisungen der bisherigen Bauansuchen auch der nunmehrige Antrag abzuweisen sei, sei nicht verständlich. Der verfahrensgegenständliche Antrag sei in einem ganz anderen Licht zu sehen als die früheren Eingaben. Die Beschwerdeführerin habe die gegenständliche Liegenschaft mit Übergabevertrag vom von ihrem Vater erhalten. Das gegenständliche Gartenhäuschen sei in der Zwischenkriegszeit errichtet worden, wobei sich das genaue Datum nicht mehr eruieren lasse. Jedenfalls habe die Gemeinde A zum Zeitpunkt der Errichtung des Gartenhäuschens noch nicht zu Innsbruck gehört, weshalb der Verweis der Behörde auf die Innsbrucker Bauordnung unzutreffend sei.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wurde die Berufung der Beschwerdeführerin abgewiesen und die erstinstanzliche Entscheidung vollinhaltlich bestätigt. Dies begründete die belangte Behörde im Wesentlichen damit, dass die Einführung des § 29 Abs. 4 TBO 2011 vornehmlich der Rechtsbereinigung gedient habe. Der Verfassungsgerichtshof habe § 3 des Gesetzes über die ausnahmsweise Zulässigkeit von Gebäuden im Freiland, LGBl. Nr. 11/1994, idF des Gesetzes LGBl. Nr. 82/1994, als verfassungswidrig aufgehoben, womit praktisch lediglich das im § 2 leg. cit. geregelte Feststellungsverfahren weiter anwendbar gewesen sei. Mit dem nunmehrigen § 29 TBO 2011 sollte diese Bestimmung mit einem erweiterten Anwendungsbereich in die Tiroler Bauordnung übernommen werden. Dem beschränkten Geltungsbereich des Gesetzes über die ausnahmsweise Zulässigkeit von Gebäuden im Freiland folgend habe auch dessen § 2 nur für Gebäude im Freiland gegolten. Nunmehr sollte demgegenüber für bauliche Anlagen aller Art, für die eine Baubewilligung nicht urkundlich habe nachgewiesen werden können, generell festgestellt werden können, ob das Vorliegen einer Baubewilligung zu vermuten sei. Die Kriterien, nach denen das Vorliegen einer Baubewilligung zu vermuten sei oder nicht, seien inhaltlich jedoch nicht geändert worden, sondern bereits im Gesetz über die ausnahmsweise Zulässigkeit von Gebäuden im Freiland festgelegt worden. Die gegenständliche Gartenhütte sei den eigenen Angaben der Beschwerdeführerin zufolge Anfang der 40er Jahre des 20. Jahrhunderts errichtet worden. Der nunmehrige Stadtteil A sei erst 1940 in das Stadtgebiet von Innsbruck eingemeindet worden. Im Bauamt der Stadt Innsbruck seien keine Baubewilligungen vor 1945 für A auffindbar. Laut Auskunft des Stadtarchivs sei der größte Teil der Akten der bis selbständigen Gemeinde A aufgrund von Platznot bzw. Unkenntnis während der Zeit des Nationalsozialismus und der Jahre danach vollständig vernichtet worden. Dem Vorbringen, der Rechtsvorgänger der Beschwerdeführerin habe sich bemüht, eine rechtliche Klarstellung herbeizuführen, was ihr nicht angelastet werden könne, sei nicht beizupflichten. Die Bauansuchen seien gestellt worden, weil baubehördliche Beanstandungen aufgrund der konsenslosen Errichtung vorgelegen seien. Die Baubehörde erster Instanz habe die Versuche der nachträglichen baurechtlichen Sanierung durch den Vater der Beschwerdeführerin zu Recht als ausreichendes Indiz für die Tatsache angesehen, dass für die gegenständliche bauliche Anlage zuvor keine Baubewilligung erlassen worden sei. Die nunmehr in der Tiroler Bauordnung 2011 vorgesehene Möglichkeit des Eigentümers einer baulichen Anlage, einen Feststellungsbescheid zu beantragen, ändere nichts an der Notwendigkeit des Vorliegens der inhaltlichen Voraussetzungen. Diese seien jedoch nicht gegeben, weshalb ein baurechtlicher Konsens nicht zu vermuten sei.

Der Verfassungsgerichtshof hat die Behandlung der dagegen erhobenen Beschwerde mit Beschluss vom , B 50/12- 3, abgelehnt und die Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof abgetreten. In der auftragsgemäß ergänzten Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof macht die Beschwerdeführerin Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Mit trat die Novelle LGBl. Nr. 48/2011 zur Tiroler Bauordnung 2011 (TBO 2011) in Kraft, mit welcher die neue Bestimmung des § 27a "Feststellungsverfahren" eingefügt wurde. Die TBO 2001 wurde in der Fassung dieser Novelle mit der Kundmachung LGBl. Nr. 57/2011 mit Wirkung (ebenfalls) vom als Tiroler Bauordnung 2011 (TBO 2011) wiederverlautbart. Der durch die Novelle LGBl. Nr. 48/2011 eingefügte § 27a TBO 2001 entspricht dem nunmehrigen § 29 TBO 2011.

§ 29 Tiroler Bauordnung 2011 lautet (samt Überschrift):

"§ 29

Feststellungsverfahren

(1) Die Behörde hat hinsichtlich jener bewilligungspflichtigen baulichen Anlagen, für die die Baubewilligung nicht nachgewiesen werden kann, im Zweifel von Amts wegen oder auf Antrag des Eigentümers mit Bescheid festzustellen, ob das Vorliegen der Baubewilligung zu vermuten ist oder nicht. Das Vorliegen der Baubewilligung ist zu vermuten, wenn aufgrund des Alters der betreffenden baulichen Anlage oder sonstiger besonderer Umstände davon auszugehen ist, dass aktenmäßige Unterlagen darüber nicht mehr vorhanden sind, und überdies kein Grund zur Annahme besteht, dass die betreffende bauliche Anlage entgegen den zur Zeit ihrer Errichtung in Geltung gestandenen baurechtlichen Vorschriften ohne entsprechende Bewilligung errichtet worden ist. Anlässlich der Feststellung, wonach das Vorliegen der Baubewilligung zu vermuten ist, ist weiters der aus der baulichen Zweckbestimmung der betreffenden baulichen Anlage hervorgehende Verwendungszweck festzustellen.

(2) Dem Antrag nach Abs. 1 erster Satz sind ein Lageplan, im Fall von Gebäuden mit den Inhalten nach § 24 Abs. 2, eine Baubeschreibung sowie Bestandspläne, aus denen die wesentlichen Merkmale der baulichen Anlage ersichtlich sind, in dreifacher Ausfertigung anzuschließen. Im Fall der Einleitung des Verfahrens von Amts wegen hat die Behörde den Eigentümer der baulichen Anlage unter Setzung einer angemessenen Frist zur Vorlage dieser Unterlagen aufzufordern. Wird diesem Auftrag nicht entsprochen, so ist die Feststellung, wonach das Vorliegen der Baubewilligung nicht zu vermuten ist, zu treffen. Im Auftrag ist auf diese Rechtsfolge hinzuweisen.

(3) Der Bescheid, wonach das Vorliegen der Baubewilligung zu vermuten ist, ist dem Eigentümer der baulichen Anlage in zweifacher Ausfertigung und unter Anschluss zweier mit einem entsprechenden Vermerk versehener Ausfertigungen der Unterlagen nach Abs. 2 erster Satz zuzustellen. Der Vermerk hat das Datum und die Geschäftszahl des betreffenden Bescheides zu enthalten.

(4) Die Feststellung, wonach das Vorliegen der Baubewilligung zu vermuten ist, ist dem Bestehen der Baubewilligung gleichzuhalten. Die Feststellung, wonach das Vorliegen der Baubewilligung nicht zu vermuten ist, ist dem Fehlen der Baubewilligung gleichzuhalten."

Die Beschwerdeführerin weist - wie bereits im Verwaltungsverfahren - darauf hin, dass im vorliegenden Fall auf Grund des Alters der baulichen Anlage und der besonderen Umstände -

Verlust bzw. Vernichtung der Akten während der Zeit des Nationalsozialismus und der Jahre danach - davon auszugehen sei, dass aktenmäßige Unterlagen über eine allenfalls erteilte Baubewilligung oder das Erfordernis einer solchen nicht mehr vorhanden seien. Das Vorliegen einer Baubewilligung sei jedoch zu vermuten. Die belangte Behörde hätte den gegenständlichen Feststellungsantrag nicht deshalb abweisen dürfen, weil die früheren Anträge auf Baubewilligung abgewiesen worden seien, weil diese kein Feststellungsverfahren wie das in § 29 TBO 2011 zum Gegenstand gehabt hätten. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Kriterien des Feststellungsverfahrens sei bisher nicht erfolgt.

Diesem Vorbringen kommt Berechtigung zu.

Gegenstand des Baubewilligungsverfahrens, über den in bindender Weise durch eine rechtskräftige Entscheidung in diesem Verfahren abgesprochen wird, ist der Antrag auf Erteilung der Baubewilligung für das jeweils antragsgegenständliche Projekt; die Bewilligung dieses Projektes erfolgt grundsätzlich nach der im Zeitpunkt der Entscheidung geltenden Sach- und Rechtslage. Die belangte Behörde vertrat daher zu Unrecht die Auffassung, dass über die Frage des vermuteten Vorliegens einer Baubewilligung des verfahrensgegenständlichen Gartenhauses iSd § 29 Abs. 1 TBO 2011 bereits im Bewilligungsverfahren bindend abgesprochen wurde. Gleiches gilt im Übrigen für den rechtskräftig erteilten Beseitigungsauftrag vom . In diesem Verfahren war die Frage der Rechtmäßigkeit des Bestandes lediglich Vorfrage, daher entfaltet auch dieser Bescheid hinsichtlich der Lösung dieser Frage als Hauptfrage im Feststellungsverfahren keine Bindungswirkung (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2011/06/0174, mwN). Nur auf Grund ergänzender Ermittlungen dazu kann die Frage beantwortet werden, ob das Vorliegen einer Baubewilligung zu vermuten ist oder nicht. Auch wenn im vorliegenden Fall aufgrund des Alters des Gartenhauses und der sonstigen Umstände - Verlust bzw. Vernichtung der Akten während der Zeit des Nationalsozialismus und der Jahre danach - davon auszugehen ist, dass aktenmäßige Unterlagen darüber nicht mehr vorhanden sind, ist zu prüfen, ob ein Grund zur Annahme bestand, dass die betreffende bauliche Anlage entgegen den zur Zeit ihrer Errichtung in Geltung gestandenen baurechtlichen Vorschriften ohne entsprechende Bewilligung errichtet worden ist. Diesbezüglich enthält der Bescheid der Berufungskommission der Landeshauptstadt Innsbruck vom einen Hinweis darauf, dass bereits im Jahr 1963 ein "rechtskräftiger Abbruchbescheid aufgehoben bzw. nicht vollstreckt" worden sei. Soweit die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift darauf hinwies, dass für Gebäude in der Nähe des Grundstückes der Beschwerdeführerin rechtskräftige Baubewilligungen vorlägen, übersieht sie, dass diese - ihren eigenen Angaben zufolge - durchwegs in den Jahren 1945 und danach erteilt wurden, das gegenständliche Gartenhaus jedoch bereits Anfang der 40er Jahre errichtet wurde, als die Gemeinde A noch nicht zu Innsbruck gehörte.

Da die belangte Behörde insofern die Rechtslage verkannte, als sie die Abweisung der Anträge im Bewilligungsverfahren auch für die Frage des vermuteten Vorliegens einer Baubewilligung des verfahrensgegenständlichen Gartenhauses iSd § 29 Abs. 1 TBO 2011 als relevant ansah, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Entscheidung über den Kostenersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil die Umsatzsteuer in den Pauschalbeträgen der genannten Verordnung bereits berücksichtigt ist.

Wien, am

Fundstelle(n):
NAAAE-69757