VwGH vom 22.03.2011, 2007/18/0096

VwGH vom 22.03.2011, 2007/18/0096

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch und den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl sowie die Hofräte Mag. Haunold und Mag. Straßegger als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Schmidl, über die Beschwerde des IA, geboren am , vertreten durch Dr. Frank Eberhart Riel, Rechtsanwalt in 3500 Krems an der Donau, Gartenaugasse 1, gegen den Bescheid des Unabhängigen

Verwaltungssenates Wien vom , Zl. UVS-FRG/53/6677/2006, betreffend Zurückweisung einer Berufung i.A.

Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nach dem FPG (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers, eines türkischen Staatsangehörigen, gegen den Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom , womit gegen ihn ein Aufenthaltsverbot erlassen wurde, gemäß § 66 Abs. 4 AVG zurück.

Begründend führte die belangte Behörde aus, der erstinstanzliche Bescheid sei dem Beschwerdeführer am zugestellt worden. Die Berufungsfrist habe daher mit diesem Tag zu laufen begonnen und mit Ablauf des geendet. Am sei bei der erstinstanzlichen Behörde ein als Berufung bezeichnetes Schreiben eingelangt, worin lediglich ausgeführt worden sei, dass gegen den erstinstanzlichen Bescheid Berufung eingelegt und eine ausführliche schriftliche Begründung der Berufung in Kürze nachgereicht werde. Dieser Schriftsatz sei von einem Vertreter des Flüchtlingsprojekts Ute Bock unterfertigt gewesen. Erst am sei ein weiterer, nunmehr vom rechtsfreundlichen Vertreter des Beschwerdeführers eingebrachter Schriftsatz mit der Bezeichnung "Bekanntgabe und weiteres Vorbringen" bei der Behörde erster Instanz eingelangt.

Diese Vorgangsweise, nämlich zunächst innerhalb der zweiwöchigen Rechtsmittelfrist bewusst eine unbegründete Berufung einzubringen und erst etwa drei Wochen nach Ablauf der Berufungsfrist eine Begründung nachzureichen, finde im AVG keine Deckung. Diese Handlungsweise liefe im Ergebnis auf eine Verlängerung der zweiwöchigen Berufungsfrist hinaus. Sohin sei im vorliegenden Fall auch nicht mit einem Verbesserungsauftrag vorzugehen gewesen, weil nach der Rechtsprechung durch die diesbezüglichen Vorschriften nur jene Personen vor prozessualen Nachteilen geschützt werden sollen, die versehentlich oder in Unkenntnis der gesetzlichen Vorschriften Fehler begingen.

Sohin sei die Berufung erst nach Ablauf der zweiwöchigen Rechtsmittelfrist am vollständig eingebracht worden, weshalb sie sich als verspätet erweise und zurückzuweisen sei.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

Der Beschwerdeführer bestreitet die Zuständigkeit der belangten Behörde, über seine Berufung - sei es auch zurückweisend - entscheiden zu dürfen. Eine Zuständigkeit der belangten Behörde nach § 9 Abs. 1 Z 1 FPG liege nicht vor. Er sei weder EWR-Bürger, Schweizer-Bürger noch begünstigter Drittstaatsangehöriger. Darüber hinaus habe er durch die Verhängung des Aufenthaltsverbotes seine (frühere) aus Art. 6 ARB 1/80 abgeleitete Rechtsposition verloren. Auch sei seine Abwesenheit vom Arbeitsmarkt auf Grund der Verbüßung mehrerer Freiheitsstrafen seit 1995 nicht mehr als bloß vorübergehend zu qualifizieren. Er verfüge daher gar nicht mehr über eine aus Art. 6 ARB 1/80 abgeleitete Rechtsposition, was zur Folge habe, dass über seine Berufung die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien hätte entscheiden müssen.

Der angefochtene Bescheid enthält - offenbar ging die belangte Behörde davon aus, eine Berechtigung des Beschwerdeführers nach Art. 6 oder 7 ARB 1/80 stehe zweifelsfrei fest - keine Ausführungen zur Frage, ob der Beschwerdeführer im Entscheidungszeitpunkt tatsächlich über eine solche Berechtigung verfügte. Dem Vorbringen des Beschwerdeführers kommt insofern Bedeutung zu, als sich aus den vorgelegten Verwaltungsakten ergibt, dass gegen ihn bereits früher mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen worden war, das allerdings mit Bescheid vom über Antrag des Beschwerdeführers wieder aufgehoben wurde. Dennoch hat die belangte Behörde nicht geprüft, ob der Beschwerdeführer nach Aufhebung des damals erlassenen Aufenthaltsverbotes - mit rechtskräftiger Erlassung eines Aufenthaltsverbotes geht an sich eine Berechtigung nach dem ARB 1/80 verloren (vgl. das hg. Erkenntnis vom , ZI. 2010/22/0180, mwN) - eine Rechtsstellung nach dem ARB 1/80 wieder erlangt und ob er - selbst wenn dies der Fall wäre - dieselbe wieder verloren hat, zumal sich der Beschwerdeführer auf das Bestehen einer solchen Berechtigung nicht beruft und selbst auf seine Abwesenheit vom Arbeitsmarkt hinweist. Sollte eine solche Rechtsstellung nicht bestehen, könnte nicht von einer darauf zurückzuführenden Zuständigkeit der belangten Behörde ausgegangen werden.

Sohin leidet der angefochtene Bescheid an infolge Verkennung der Rechtslage hervorgerufenen Feststellungsmängeln.

Mit Blick auf das fortzusetzende Verfahren wird auf Folgendes hingewiesen:

Es trifft die behördliche Ansicht zu, dass gemäß § 63 Abs. 3 AVG die Berufung (auch) einen begründeten Berufungsantrag zu enthalten hat, die am eingebrachte Berufung diesem notwendigen Erfordernis nicht entsprochen hat und somit als mangelhaft anzusehen war. Gemäß § 13 Abs. 3 AVG handelt es sich dabei aber an sich um einen verbesserungsfähigen Mangel, wobei diese Norm die Behörde verhält, von Amts wegen unverzüglich dessen Behebung zu veranlassen. Allerdings dient § 13 Abs. 3 AVG dem Schutz der Parteien vor Rechtsnachteilen, die ihnen aus Anbringen entstehen können, die aus Unkenntnis der Rechtslage oder infolge eines Versehens mangelhaft sind. Hat hingegen die Partei den Mangel erkennbar bewusst herbeigeführt, um z.B. auf dem Umweg eines Verbesserungsverfahrens eine Verlängerung der Rechtsmittelfrist zu erlangen, ist für die Erteilung eines Verbesserungsauftrages kein Raum, und das bewusst und rechtsmissbräuchlich mangelhaft gestaltete Anbringen ist sofort zurückzuweisen (vgl. zum Ganzen das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2004/05/0115). Um aber im Sinn der Rechtsprechung ein derartiges Anbringen sofort zurückweisen zu können, ist die rechtsmissbräuchliche Absicht im angefochtenen Bescheid nachvollziehbar darzustellen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2007/02/0340). Derartige nachvollziehbare Feststellungen sind dem angefochtenen Bescheid aber nicht zu entnehmen.

Der angefochtene Bescheid war sohin wegen - vorrangig wahrzunehmender - Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am