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VwGH vom 15.09.2010, 2007/18/0072

VwGH vom 15.09.2010, 2007/18/0072

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok und den Hofrat Dr. Enzenhofer, die Hofrätin Mag. Merl sowie die Hofräte Dr. Lukasser und Mag. Haunold als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Schmidl, über die Beschwerde der A R in S, geboren am , vertreten durch Dr. Christoph Rogler, Rechtsanwalt in 4400 Steyr, Stelzhamerstraße 9, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom , Zl. St- 180/06, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich (der belangten Behörde) vom wurde gegen die Beschwerdeführerin, eine rumänische Staatsangehörige, gemäß § 60 Abs. 1 und 2 Z. 9 iVm den §§ 63, 66, 86 Abs. 1 und § 87 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG, BGBl. I Nr. 100, ein mit fünf Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen.

Begründend führte die belangte Behörde nach Darstellung des erstinstanzlichen Bescheides vom und der dagegen von der Beschwerdeführerin erhobenen Berufung u.a. aus, der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z. 9 FPG sei schon insofern erfüllt, als der Ehegatte der Beschwerdeführerin eindeutig ausgeführt habe, dass es sich in deren Fall um eine Scheinehe handeln würde. Der Ehegatte habe dies in schlüssiger, nachvollziehbarer und glaubwürdiger Weise ausgeführt, weshalb seinen Angaben bereits deshalb mehr Gewicht beizumessen sei als den (verständlichen) gegenteiligen Ausführungen der Beschwerdeführerin. Den Ausführungen ihres Ehegatten sei jedoch auch deshalb mehr Gewicht beizumessen, weil er sich durch diese Angaben ("Selbstanzeige") der Gefahr der gerichtlichen Verurteilung ausgesetzt habe. Dass vor diesem Hintergrund derartige Angaben besonders zu gewichten seien, bedürfe keiner näheren Erörterung. Es habe daher auch von der Befragung der von der Beschwerdeführerin angebotenen Zeugin Abstand genommen werden können.

Das Eingehen einer Ehe lediglich zum Erlangen eines Aufenthaltstitels stelle einen krassen Rechtsmissbrauch dar, und das der Beschwerdeführerin vorwerfbare Fehlverhalten (Scheinehe) überwiege die von ihr geltend gemachte Integration.

2. In der Beschwerde stellte die Beschwerdeführerin den Antrag, den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes "und/oder" Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, sah jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift ab.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1.1. Nach ständiger hg. Judikatur ist der mit Beschwerde angefochtene Bescheid nach Maßgabe der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt dessen Erlassung zu beurteilen (vgl. dazu etwa die in Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2, zu § 56 AVG E 277 ff zitierte Judikatur). Ein schriftlicher Bescheid ist erst mit seiner Zustellung an die Partei erlassen und erst ab diesem Zeitpunkt wirksam (vgl. dazu etwa die in Walter/Thienel, aaO, zu § 62 AVG E 1 ff zitierte Rechtsprechung).

Die Beschwerdeführerin ist unstrittig eine rumänische Staatsangehörige. Mit dem Beitritt Rumäniens zur Europäischen Union (vgl. dazu BGBl. III Nr. 185/2006) ist die Beschwerdeführerin am EWR-Bürgerin geworden. Der angefochtene Bescheid wurde nach Ausweis der Verwaltungsakten - wie auch in der Beschwerde vorgebracht - am an die Beschwerdeführerin zugestellt. Im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides war die Beschwerdeführerin daher bereits EWR-Bürgerin.

Gemäß § 9 Abs. 1 Z. 1 FPG haben über Berufungen (u.a.) gegen Aufenthaltsverbotsbescheide im Fall von EWR-Bürgern die unabhängigen Verwaltungssenate in den Ländern zu entscheiden.

Damit erweist sich der angefochtene Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde belastet.

2. Darüber hinaus ist der belangten Behörde auch ein wesentlicher Verfahrensmangel unterlaufen.

Die Beschwerde wendet sich gegen die Annahme der belangten Behörde, dass die Beschwerdeführerin mit ihrem österreichischen Ehegatten eine Scheinehe eingegangen sei, u.a. mit dem Vorbringen, dass die Ablehnung der von ihr im Verwaltungsverfahren beantragten Zeugen einer antizipativen Beweiswürdigung entspreche. Sie habe ihren Ehegatten im Jänner 2005 kennen gelernt und ab März 2005 regelmäßig privat getroffen. Im Jänner 2006 habe er ihr einen Heiratsantrag gemacht, und zeitgleich sei sie in seine Wohnung gezogen. Der Eheschließung im März 2006 sei somit eine relativ lange Beziehung vorausgegangen, die von der von ihr beantragten Zeugin G J. wie auch von der Zeugin A J. bestätigt werden könne. Weiters könne die Zeugin G J. auch bestätigen, dass die Beschwerdeführerin ihre Arbeit im Bordell einige Monate vor der Eheschließung beendet habe.

Nach Ausweis der Verwaltungsakten hat die Beschwerdeführerin in ihrer Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid die zeugenschaftliche Vernehmung der G J. und der A J. zu ihrem Vorbringen beantragt, dass sie relativ lange bzw. mehr als ein Jahr eine Beziehung zu ihrem Ehegatten unterhalten habe, ehe sie diesen geheiratet habe.

Nach ständiger hg. Judikatur dürfen Beweisanträge nur dann abgelehnt werden, wenn die Beweistatsachen als wahr unterstellt werden, es auf sie nicht ankommt oder das Beweismittel - ohne eine unzulässige Vorwegnahme der Beweiswürdigung - untauglich ist (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2009/18/0196, mwN). Die Unterlassung der Vernehmung der beantragten Zeuginnen stellt einen wesentlichen Verfahrensmangel dar, dem Relevanz zukommt, weil nicht auszuschließen ist, dass die Behörde bei Zutreffen des Vorbringens der Beschwerdeführerin, zu deren Beweis die genannten Zeuginnen geführt wurden, zu einer anderen Beurteilung der Ehe hätte gelangen können. Damit ist der angefochtene Bescheid auch rechtswidrig infolge Verletzung von Verfahrenvorschriften.

3. Dieser war gemäß § 42 Abs. 2 Z 2. VwGG wegen der - von Amts wegen wahrzunehmenden, prävalierenden (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2006/03/0071) - Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufzuheben.

4. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am

Fundstelle(n):
FAAAE-69712