VwGH vom 19.12.2012, 2012/06/0032
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch und den Hofrat Dr. Waldstätten, die Hofrätin Dr. Bayjones, den Hofrat Dr. Moritz sowie die Hofrätin Mag. Merl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Zöchling, über die Beschwerde der H F in S, vertreten durch Dr. Christian Fuchshuber, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Bürgerstraße 20, gegen den Bescheid der Tiroler Landesregierung vom , Zl. RoBau-8-2/81/4-2011, betreffend Anordnung einer Ersatzvornahme (mitbeteiligte Partei: Landeshauptstadt Innsbruck), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Tirol hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit Bescheid des Stadtmagistrates Innsbruck wurde das vom Vater der Beschwerdeführerin eingebrachte Ansuchen um nachträgliche Erteilung der Baubewilligung seines bestehenden Gartenhauses auf einem näher genannten Grundstück rechtskräftig abgewiesen. Mit Bescheid derselben Behörde vom wurde ein Ansuchen um nachträgliche Erteilung der Baubewilligung für die Umgestaltung des Gartenhauses in einen ortsüblichen Holzstadel für land-und forstwirtschaftliche Zwecke ebenfalls abgewiesen.
Mit Bescheid vom trug der Stadtmagistrat Innsbruck der Beschwerdeführerin als nunmehriger Eigentümerin die Beseitigung der gegenständlichen baulichen Anlage binnen zwei Monaten ab Rechtskraft gemäß § 37 Abs. 1 TBO 2001 auf. Eingangs, unmittelbar vor dem Spruch des Bescheides, wurde nach Angabe der Grundstücksnummer und der Katastralgemeinde festgestellt, dass das "zwischenzeitlich noch nicht entfernte, bestehende, konsenslos errichtete Holzhaus, das mit Baubescheid vom (richtig: 1998), Zl. … nicht nachträglich bewilligt wurde (Abweisung), teilweise saniert wurde (Süd- und Ostwand wurden neu verschalt) und außerdem an seiner Nordseite ein kleiner Zubau im Ausmaß von 2,20 m x 1,50 m und einer Höhe von 2,50 m konsenslos angebaut wurde". Dieser Bescheid erwuchs in Rechtskraft.
Mit Schreiben des Bürgermeisters der mitbeteiligten Landeshauptstadt vom wurde unter Hinweis auf den Bescheid vom (richtig: 2009) festgestellt, dass der Beschwerdeführerin die Beseitigung ihres konsenslos errichteten Holzhauses mit Zubau auf dem näher genannten Grundstück aufgetragen wurde. Da sie dieser Pflicht nicht nachgekommen sei, werde sie auf Grundlage des § 4 Verwaltungsvollstreckungsgesetz (VVG) unter Androhung der Ersatzvornahme aufgefordert, ihrer Pflicht innerhalb eines Monates zu entsprechen.
Da die Beschwerdeführerin weiterhin untätig blieb und die in der Androhung der Ersatzvornahme gesetzte Frist verstrich, wurde mit Bescheid vom die Ersatzvornahme auf Gefahr und Kosten der Beschwerdeführerin gemäß § 4 VVG angeordnet. Außerdem wurde ausgesprochen, dass die Instandsetzungsarbeiten mit Maßgabe der Aufbringung entsprechender Arbeitskräfte durchgeführt würden.
Mit Schriftsatz vom stellte die Beschwerdeführerin einen Antrag gemäß § 29 Abs. 1 der Tiroler Bauordnung 2011 (TBO 2011) auf Feststellung, ob das Vorliegen einer Baubewilligung für das gegenständliche Gartenhaus zu vermuten ist. Mit Bescheid des Stadtmagistrates Innsbruck vom wurde festgestellt, dass ein baurechtlicher Konsens bzw. das Vorliegen einer Baubewilligung hinsichtlich der baulichen Anlage der Beschwerdeführerin nicht zu vermuten sei. Mit Bescheid des Stadtsenates der Landeshauptstadt Innsbruck vom wurde die dagegen erhobene Berufung der Beschwerdeführerin abgewiesen. Dagegen brachte sie eine Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof ein (siehe dazu das hg. Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2012/06/0055).
In der gegen den Bescheid vom eingebrachten Berufung vom brachte die Beschwerdeführerin vor, die bauliche Anlage befinde sich im Freiland und sei bereits vor ungefähr 70 Jahren errichtet worden. Vor dem Jahr 1963 sei sie so vergrößert worden, wie sie sich nun auf dem Grundstück befinde. Nunmehr sei eine Änderung des Flächenwidmungsplanes geplant, sodass mit einer Bewilligungsfähigkeit der übrigen baulichen Anlagen gerechnet werden könne. Die Beschwerdeführerin habe bei der Baubehörde einen Feststellungsantrag gemäß § 29 TBO 2011 eingebracht; daher beantrage sie die Aussetzung des Vollstreckungsverfahrens. Außerdem rügte die Beschwerdeführerin mit näheren Ausführungen, weder der Titelbescheid noch der gegenständliche baupolizeiliche Auftrag sei ausreichend konkretisiert, eine Vollstreckungsverfügung sei daher unzulässig.
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde die Berufung der Beschwerdeführerin als unbegründet abgewiesen. In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde aus, der rechtskräftige Bescheid vom bilde den "Exekutionstitel" im verfahrensgegenständlichen Vollstreckungsverfahren. Hinsichtlich des Vorbringens zur geplanten Flächenwidmungsplanänderung und der damit einhergehenden Bewilligungsfähigkeit des Holzhauses sei festzuhalten, dass eine mögliche Umwidmung durch den Gemeinderat der Landeshauptstadt Innsbruck im gegenständlichen Verfahren unbeachtlich sei, weil es sich bei Änderungen des Flächenwidmungsplans um Verordnungen der Gemeinde im eigenen Wirkungsbereich handle und diese in keinem Zusammenhang mit dem vorliegenden Vollstreckungsverfahren stünden. Auch der Einwand der Beschwerdeführerin hinsichtlich der fehlenden Bestimmtheit des Titelbescheides sei nicht berechtigt.
Zum Antrag der Beschwerdeführerin auf Aussetzung des anhängigen Verfahrens sei anzumerken, dass ein Feststellungsantrag gemäß § 29 TBO 2011 lediglich die Hemmung der Vollstreckung bewirke. Eine Vollstreckungsverfügung dürfe zwar erlassen werden, "diese" sei allerdings vorerst nicht zu vollstrecken. Zwischenzeitlich sei die Berufung gegen den Bescheid vom , mit dem festgestellt worden sei, dass ein baurechtlicher Konsens bzw. das Vorliegen einer Baubewilligung hinsichtlich des gegenständlichen Holzhauses nicht zu vermuten sei, mit Bescheid vom als unbegründet abgewiesen worden. Die Durchführung einer Vollstreckung sei daher nunmehr zulässig.
Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte in einer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Kommt ein Verpflichteter seiner Pflicht zur Natural- oder Arbeitsleistung nicht oder nicht vollständig oder nicht zur gehörigen Zeit nach, kann die mangelnde Leistung gemäß § 4 Abs. 1 VVG nach vorheriger Androhung auf Gefahr und Kosten des Verpflichteten bewerkstelligt werden. Die Anordnung der Ersatzvornahme nach § 4 Abs. 1 VVG erfolgt durch eine Vollstreckungsverfügung gemäß § 10 VVG.
Gemäß § 10 Abs. 2 VVG kann die Berufung gegen eine nach diesem Gesetz erlassene Vollstreckungsverfügung nur ergriffen werden, wenn
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1. | die Vollstreckung unzulässig ist oder |
2. | die Vollstreckungsverfügung mit dem zu vollstreckenden Bescheid nicht übereinstimmt oder |
3. | die angeordneten oder angewendeten Zwangsmittel im Gesetz nicht zugelassen sind oder mit § 2 VVG (Schonungsprinzip) im Widerspruch stehen. |
§ 29 Abs. 1 und Abs. 4 TBO 2011, LGBl. Nr. 57/2011, § 29 | |
Tiroler Bauordnung 2011 lauten (samt Überschrift): | |
"§ 29 | |
Feststellungsverfahren |
(1) Die Behörde hat hinsichtlich jener bewilligungspflichtigen baulichen Anlagen, für die die Baubewilligung nicht nachgewiesen werden kann, im Zweifel von Amts wegen oder auf Antrag des Eigentümers mit Bescheid festzustellen, ob das Vorliegen der Baubewilligung zu vermuten ist oder nicht. Das Vorliegen der Baubewilligung ist zu vermuten, wenn aufgrund des Alters der betreffenden baulichen Anlage oder sonstiger besonderer Umstände davon auszugehen ist, dass aktenmäßige Unterlagen darüber nicht mehr vorhanden sind, und überdies kein Grund zur Annahme besteht, dass die betreffende bauliche Anlage entgegen den zur Zeit ihrer Errichtung in Geltung gestandenen baurechtlichen Vorschriften ohne entsprechende Bewilligung errichtet worden ist. Anlässlich der Feststellung, wonach das Vorliegen der Baubewilligung zu vermuten ist, ist weiters der aus der baulichen Zweckbestimmung der betreffenden baulichen Anlage hervorgehende Verwendungszweck festzustellen.
(2) …
(4) Die Feststellung, wonach das Vorliegen der Baubewilligung zu vermuten ist, ist dem Bestehen der Baubewilligung gleichzuhalten. Die Feststellung, wonach das Vorliegen der Baubewilligung nicht zu vermuten ist, ist dem Fehlen der Baubewilligung gleichzuhalten."
Gemäß § 42 Abs. 3 VwGG tritt die Rechtssache durch die Aufhebung des angefochtenen Bescheides in die Lage zurück, in der sie sich vor Erlassung des angefochtenen Bescheides befunden hatte.
Die Beschwerde bringt u.a. vor, eine Vollstreckung der Ersatzvornahme sei unzulässig, "wenn ein Ansuchen um Erteilung einer nachträglichen Baubewilligung anhängig" sei. Dem ist zunächst zu entgegnen, dass der Antrag des Vaters der Beschwerdeführerin auf Erteilung einer nachträglichen Baubewilligung bereits mit Bescheid vom gemäß § 26 Abs. 3 TBO 1998 rechtskräftig abgewiesen worden war, sodass einer Vollstreckung des Titelbescheides unter diesem Gesichtspunkt nichts entgegensteht (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2001/05/0123).
In Hinblick auf den Feststellungsantrag der Beschwerdeführerin vom gemäß § 29 TBO 2011 ist das Beschwerdevorbringen jedoch zielführend.
Mit Erkenntnis vom heutigen Tag (Zl. 2012/06/0055) hob der Verwaltungsgerichtshof den Bescheid des Stadtsenates der Landeshauptstadt Innsbruck vom auf. Mit diesem Bescheid wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf Feststellung gemäß § 29 Abs. 1 TBO 2011, ob das Vorliegen einer Baubewilligung für das gegenständliche Gartenhaus zu vermuten ist, in zweiter Instanz abgewiesen. Durch die Aufhebung dieses Bescheides durch den Verwaltungsgerichtshof trat der Bescheid des Stadtsenates der Landeshauptstadt Innsbruck ex tunc außer Kraft (§ 42 Abs. 3 VwGG); das anhängige Verfahren trat somit in die Lage zurück, in der es sich vor Erlassung dieses Bescheides befand. Diese ex tunc-Wirkung bedeutet, dass der Rechtszustand zwischen Erlassung des Bescheides und seiner Aufhebung im Nachhinein so zu betrachten ist, als ob der aufgehobene Bescheid von Anfang an nicht erlassen worden wäre. Die mit rückwirkender Kraft ausgestattete Gestaltungswirkung des aufhebenden Erkenntnisses bedeutet auch, dass allen Rechtsakten und faktischen (Vollzugs ) Akten, die während der Geltung des dann aufgehobenen Bescheides auf dessen Basis gesetzt wurden, im Nachhinein die Rechtsgrundlage entzogen wurde (vgl. dazu die in Mayer , B-VG4 (2007) VII.2. zu § 42 VwGG zitierte hg. Judikatur).
Im Beschwerdefall bedeutet dies, dass der Stadtsenat der Landeshauptstadt Innsbruck über die nunmehr wieder offene Berufung der Beschwerdeführerin betreffend den Feststellungantrag gemäß § 29 Abs. 1 TBO 2011 (neuerlich) zu entscheiden hat.
Auf Grund der ex-tunc-Wirkung des hg. Erkenntnisses vom heutigen Tag, Zl. 2012/06/0055, erweist sich somit die rechtliche Beurteilung der belangten Behörde, die beschwerdegegenständliche Anordnung der Ersatzvornahme sei infolge Abweisung der Berufung der Beschwerdeführerin gegen den Bescheid vom betreffend die Feststellung, wonach das Vorliegen der Baubewilligung nicht zu vermuten ist, zulässig, nunmehr als verfehlt.
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch zur Tiroler Bauordnung (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/06/0070) darf im Falle der Anhängigkeit eines Verfahrens über eine nachträgliche Baubewilligung ein Bauauftrag grundsätzlich nicht vollstreckt werden (siehe beispielsweise auch das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2010/05/0148, zur Bauordnung für Wien, und das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2010/06/0007, zum Steiermärkischen Baugesetz). Gleiches muss auch im Falle eines anhängigen Feststellungsverfahren nach § 29 Tiroler Bauordnung 2011 gelten, weil gemäß Abs. 4 dieser Bestimmung die Feststellung des Vorliegens oder Fehlens der vermuteten Baubewilligung dem Bestehen oder Fehlen der Baubewilligung gleichzuhalten ist. Das Feststellungsverfahren nach § 29 Tiroler Bauordnung 2011 verfolgt somit im hier relevanten Zusammenhang den gleichen Zweck wie das (nachträgliche) Baubewilligungsverfahren.
Der angefochtene Bescheid war daher schon aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben, wodurch es sich erübrigte, näher auf das Beschwerdevorbringen einzugehen.
Die Entscheidung über den Kostenersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil die Umsatzsteuer in den Pauschalbeträgen der genannten Verordnung bereits berücksichtigt ist.
Wien, am
Fundstelle(n):
ZAAAE-69698