VwGH vom 25.03.2010, 2009/21/0297

VwGH vom 25.03.2010, 2009/21/0297

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher, Dr. Pfiel und Mag. Eder als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Stelzl, über die Beschwerde des S, vertreten durch Dr. Michael Vallender, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Paulanergasse 14, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom , Zl. 151.943/3-III/4/09, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom wies die Bundesministerin für Inneres (die belangte Behörde) den vom Beschwerdeführer, einem indischen Staatsangehörigen, am bei der Österreichischen Botschaft in New Delhi eingebrachten Antrag auf Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung - beschränkt" gemäß § 11 Abs. 2 Z 4 und Abs. 5 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG ab.

Die belangte Behörde stellte fest, dass der Beschwerdeführer erstmals am in das Bundesgebiet eingereist sei und - unter Angabe von zum Teil unrichtigen Personaldaten - einen Asylantrag gestellt habe. Dieses Verfahren sei "am in 2. Instanz rechtskräftig negativ beschieden" worden. Einen weiteren "Asylantrag" habe der Beschwerdeführer mit Eingabe vom zurückgezogen. Davor, am , habe er die indische Staatsangehörige S. geheiratet, am sei der gemeinsame Sohn, ebenfalls ein indischer Staatsangehöriger, geboren worden. Die Ehefrau des Beschwerdeführers sei im Besitz einer "Niederlassungsbewilligung - unbeschränkt" gewesen, sein Sohn habe über eine "Niederlassungsbewilligung - beschränkt" verfügt. Die Gültigkeit dieser Niederlassungsbewilligungen sei jeweils am abgelaufen, die am fristgerecht eingebrachten Verlängerungsanträge seien noch in Bearbeitung.

Der Beschwerdeführer, der nach der Aktenlage am das österreichische Bundesgebiet verlassen habe, strebe - so die belangte Behörde in ihren rechtlichen Überlegungen - die Erteilung einer Niederlassungsbewilligung zum Zweck der Familiengemeinschaft mit seiner in Österreich lebenden Ehefrau an. Diese verdiene derzeit monatlich netto ca. EUR 911,52, es müssten ihr allerdings monatlich nach dem maßgeblichen Richtsatz des § 293 ASVG EUR 1.239,03 (EUR 1.158,08 für ein Ehepaar im gemeinsamen Haushalt und EUR 80,95 für ein Kind) zur Verfügung stehen. Damit ergebe sich ein Differenzbetrag von EUR 327,51, zumal die Auszahlung des Kinderbetreuungsgeldes "laut Auszug der Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse" mit eingestellt worden sei. Insoweit sei daher die Erteilungsvoraussetzung nach § 11 Abs. 2 Z 4 NAG nicht erfüllt. Gemäß § 11 Abs. 3 NAG könne zwar ein Aufenthaltstitel trotz Ermangelung einer Voraussetzung nach Abs. 2 Z 1 bis 6 erteilt werden, wenn dies zur Aufrechterhaltung des Privat- oder Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten sei. Durch den Aufenthalt seiner Ehefrau und seines Sohnes bestünden auch unbestritten private und familiäre Interessen des Beschwerdeführers in Österreich. Das Familienleben des Beschwerdeführers sei aber zu einem Zeitpunkt entstanden, als sich dieser seines unsicheren Aufenthaltsstatus zweifelsfrei bewusst gewesen sei. Das Interesse an der Wahrung eines geordneten Fremdenwesens sei daher höher zu bewerten als die privaten Interessen des Beschwerdeführers. Er habe es in Kauf genommen, trotz seines unsicheren Aufenthaltsstatus im Bundesgebiet zu verbleiben und es basiere das vorhandene Ausmaß an Integration ausschließlich auf seinem rechtsmissbräuchlichen Verhalten. Die Schaffung seines "Lebensmittelpunktes in Österreich" liege daher in seinem eigenen Verantwortungsbereich. Auch in Anbetracht der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes sei der Antrag des Beschwerdeführers somit abzuweisen, "da auch die Sicherung des Lebensunterhaltes im Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) eine wichtige Grundvoraussetzung für die Erteilung eines Aufenthaltstitels darstellt".

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage erwogen:

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass für die Beurteilung des gegenständlichen Falles die Rechtslage des NAG in der Fassung des BGBl. I Nr. 29/2009 maßgeblich ist.

Die belangte Behörde hat den Antrag des Beschwerdeführers auf Ausstellung eines Aufenthaltstitels deshalb versagt, weil die Erteilungsvoraussetzung des § 11 Abs. 2 Z 4 (iVm Abs. 5) NAG nicht gegeben sei.

Zur Art der Berechnung der notwendigen Mittel gemäß dieser Erteilungsvoraussetzung im Fall eines (wie hier in Aussicht genommenen) gemeinsamen Haushalts mit einem Ehegatten hat der Verwaltungsgerichtshof - für die hier maßgebliche Rechtslage - im Erkenntnis vom , Zl. 2008/22/0711, grundlegende Ausführungen gemacht. Gemäß § 43 Abs. 2 VwGG wird daher zunächst auf die Entscheidungsgründe dieses Erkenntnisses verwiesen. Der Verwaltungsgerichtshof hat außerdem ausgesprochen, dass im Rahmen des aufzubringenden "Haushaltseinkommens" der Bezug von Kinderbetreuungsgeld zu berücksichtigen ist (vgl. dazu das Erkenntnis vom , Zl. 2009/22/0026).

Gegenständlich beträgt der nach § 11 Abs. 5 NAG heranzuziehende Richtsatz, wie die belangte Behörde zutreffend ausgeführt hat, EUR 1.239,03 (EUR 1.158,08 für ein Ehepaar im gemeinsamen Haushalt gemäß § 293 Abs. 1 lit. a sublit. aa ASVG und EUR 80,95 für das haushaltszugehörige Kind gemäß § 293 Abs. 1 letzter Satz ASVG in der Fassung BGBl. II Nr. 7/2009).

Unstrittig ist, dass die für die "Mittelaufbringung" allein in Betracht kommende Ehefrau des Beschwerdeführers ein anzurechnendes Nettomonatseinkommen von EUR 911,52 verdient. Der Beschwerdeführer hat darüber hinaus durch Vorlage einer an seine Ehefrau gerichteten "Mitteilung über Ihren Leistungsanspruch nach dem Kinderbetreuungsgeldgesetz" der Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse vom aber auch gegenüber der belangten Behörde - nachdem eine entsprechende Mitteilung aus dem Jahr 2008 bereits in erster Instanz vorgewiesen worden war - auf einen Leistungsanspruch seiner Ehefrau nach dem Kinderbetreuungsgeldgesetz (KBGG) hingewiesen. Gemäß der erwähnten Mitteilung vom beziehe die Ehefrau ein Kinderbetreuungsgeld in Höhe von EUR 14,53 (sowie einen hier nicht mehr näher zu erörternden Zuschuss in Höhe von EUR 6,06) täglich. Zwar wird zum Leistungsanspruch unter der Rubrik "voraussichtl. Ende" der angeführt. Schon diese Angabe rechtfertigt aber nicht die im bekämpften Bescheid getroffene Feststellung, "die Auszahlung des Kinderbetreuungsgeldes wurde laut Auszug der Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse mit eingestellt". Vor allem wäre von der belangten Behörde aber in diesem Zusammenhang, wie in der Beschwerde zutreffend geltend gemacht wird, zu bedenken gewesen, dass ein Kinderbetreuungsgeld in Höhe von EUR 14,53 täglich gemäß § 5 Abs. 2 KBGG längstens (also bei weiterem Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen) bis zur Vollendung des 30. Lebensmonates des Kindes gebührt, wenn nur ein Elternteil Kinderbetreuungsgeld in Anspruch nimmt. Ausgehend vom Datum der Geburt des Kindes () war daher bei Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen mit einem weiteren Bezug des Kinderbetreuungsgeldes zu rechnen. Was die besagten Anspruchsvoraussetzungen anlangt, die in § 2 KBGG genannt werden, so hätte gegenständlich insbesondere § 2 Abs. 1 Z 5 KBGG Augenmerk geschenkt werden müssen, wonach sich Elternteil und Kind nach §§ 8 und 9 NAG - von hier nicht in Betracht kommenden Ausnahmefällen abgesehen - rechtmäßig in Österreich aufhalten müssen. Angesichts der von der belangten Behörde festgestellten Gültigkeit der Aufenthaltstitel der Ehefrau und des Sohnes des Beschwerdeführers bis war daher evident, dass in der Mitteilung der Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse vom eben jener Tag als "voraussichtl. Ende" des Leistungsanspruches der Ehefrau des Beschwerdeführers angeführt war. Von daher hätte die belangte Behörde für den Fall einer ins Auge gefassten Bewilligung der Verlängerungsanträge von Ehefrau und Sohn des Beschwerdeführers die Weitergewährung von Kinderbetreuungsgeld in ihre Überlegungen miteinbeziehen müssen. Das hat sie in Verletzung ihrer Ermittlungspflichten nicht getan, weshalb sich ihr Verfahren als mangelhaft erweist. Diesem Mangel kommt in Anbetracht der mit der Beschwerde vorgelegten Mitteilung der Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse vom , wonach die Ehefrau des Beschwerdeführers über den hinaus weiter Kinderbetreuungsgeld in Höhe von EUR 14,53 täglich beziehe, Relevanz zu, weshalb der bekämpfte Bescheid - der überdies im Rahmen seiner Beurteilung nach § 11 Abs. 3 NAG auf die Frage einzugehen gehabt hätte, inwieweit der Ehefrau des Beschwerdeführers zur Herstellung der Familiengemeinschaft mit diesem ein Verlassen Österreichs zumutbar sei - gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben war.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am