VwGH vom 24.11.2016, Ra 2016/08/0123
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldstätten und den Hofrat Dr. Strohmayer als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, unter Mitwirkung der Schriftführerin Dr. Gruber, über die Revision der Wiener Gebietskrankenkasse, vertreten durch Dr. Heinz Edelmann, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Windmühlgasse 30/3, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom , Zl. W228 2108335-1/6E, betreffend Pflichtversicherung nach dem ASVG und dem AlVG (mitbeteiligte Parteien: 1. ABC e.U. in Wien,
2. Mag. J A in Wien, 3. Pensionsversicherungsanstalt in 1021 Wien, Friedrich Hillegeist-Straße 1,
4. Allgemeine Unfallversicherungsanstalt in 1201 Wien, Adalbert Stifterstraße 65-67), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Das Begehren auf Zuerkennung von Aufwandersatz wird abgewiesen.
Begründung
1 Mit Bescheid vom hat die revisionswerbende Gebietskrankenkasse festgestellt, dass die Zweitmitbeteiligte auf Grund ihrer Beschäftigung bei der erstmitbeteiligten Partei vom 1. Juni bis sowie vom 1. April bis der Voll-(Kranken-, Unfall- und Pensions )Versicherungspflicht gemäß § 4 Abs. 1 Z 1 iVm Abs. 2 ASVG und der Arbeitslosenversicherungspflicht gemäß § 1 Abs. 1 AlVG sowie vom 1. Jänner bis der Teilversicherungspflicht in der Unfallversicherung gemäß § 4 Abs. 1 Z 1 iVm Abs. 2 und § 5 Abs. 1 Z 2 iVm § 7 Z 3 lit. a ASVG unterliege.
2 Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis hat das Verwaltungsgericht der Beschwerde der erstmitbeteiligten Partei gegen diesen Bescheid gemäß § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG stattgegeben und ihn wegen Unzuständigkeit der revisionswerbenden Partei (der vor dem Verwaltungsgericht belangten Behörde) behoben.
3 Das Verwaltungsgericht stellte fest, die Zweitmitbeteiligte habe für die erstmitbeteiligte Partei Presse- und Öffentlichkeitsarbeiten verrichtet und dabei ihre Arbeitszeit - mit Ausnahme von Pressekonferenzen und Jour Fixes - selbst bestimmen können. "Texterstellung, Textverteilung auf den verschiedenen Kommunikationswegen und Journalistenkontakte" seien zeitlich frei disponierbar gewesen. Die Zweitmitbeteiligte habe auch ihren Arbeitsort - mit Ausnahme von Pressekonferenzen und Jour Fixes - selbst bestimmen können. "Texterstellung, Textverteilung auf den verschiedenen Kommunikationswegen und Journalistenkontakte" seien örtlich frei disponierbar gewesen. Es habe "vereinzelte Weisungen zum arbeitsbezogenen Verhalten" gegeben, etwa die Weisung, in Vorbereitung auf eine Pressekonferenz ein facebook-Posting zu machen. Es habe "keine Arbeitszeitkontrollen, keine Anwesenheitskontrollen, keine verpflichtenden Urlaubsmeldungen und keine verpflichtenden Krankmeldungen" gegeben. Eine "persönliche Arbeitspflicht" habe nicht festgestellt werden können. Es sei "faktisch nie" zu Vertretungen der Zweitmitbeteiligten gekommen. Ihr sei von der erstmitbeteiligten Partei bis ins Frühjahr 2013 ein Laptop zur Verfügung gestellt worden. Danach habe sie ein "MacBook" als Honorarersatz erhalten. Die Telefonkosten seien von ihr selbst getragen worden. Einmalig habe die erstmitbeteiligte Partei Reparaturkosten für das MacBook getragen. Die Honorarhöhe habe sich nach den Projekten gerichtet. Die Zweitmitbeteiligte habe bei allen Projekten (mit Ausnahme "VDW") nicht im Vorhinein gewusst, wieviel sie bekommen werde. Die erstmitbeteiligte Partei habe eine weitere Angestellte für "nicht-selbständige, nicht-abgrenzbare Tätigkeiten" gehabt.
4 In rechtlicher Hinsicht führte das Verwaltungsgericht aus, es sei schon "mangels persönlicher Arbeitspflicht spruchgemäß zu entscheiden" gewesen. Es sei von einer persönlichen Unabhängigkeit der Zweitmitbeteiligten auszugehen. Auch in der "Gesamtschau der Kriterien gemäß § 4 Abs. 2 ASVG" sei auf Grund eines "Überwiegens der Freiheiten" der Zweitmitbeteiligten bei der Wahl des Arbeitsortes und der Arbeitszeit sowie der beinahe vollkommenen Weisungsfreiheit von einer persönlichen Unabhängigkeit der Zweitmitbeteiligten auszugehen. Die erstmitbeteiligte Partei habe
"Laienhaft äußerst überzeugend die Trennung der Tätigkeiten zwischen der selbständigen (Zweitmitbeteiligten) und der unselbständigen Angestellten vorgenommen. Diese laienhaften Unschärfen des Einzelfalls sind aus Sicht des erkennenden Richters von der Rechtsordnung zu tolerieren und ist bei der Beurteilung der Frage der Sozialversicherungspflicht auf das faktisch gelebte abzustellen, was dazu führt, dass auf die Unschärfen der Formulierungen im Vertrag (...) nicht einzugehen war."
Die Zweitmitbeteiligte habe ein wirtschaftliches Risiko getragen, weil sie bei allen Projekten, außer ‚VDW', im Vorhinein nicht gewusst habe, wie hoch das Honorar ausfalle. Ob es sich bei den Tätigkeiten der Zweitmitbeteiligten "um solche im Rahmen eines Werkvertrages oder eines neuen Selbständigen handelt, könne dahingestellt bleiben, da in beiden Fällen die (revisionswerbende Gebietskrankenkasse) unzuständig ist".
5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Revision.
6 Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
7 Die revisionswerbende Partei bringt zur Zulässigkeit der Revision vor, das Verwaltungsgericht habe die zur Abgrenzung zwischen Werk- und Dienstvertrag ergangene Judikatur missverstanden. Für das Vorliegen eines gesetzlichen Ausnahmetatbestandes von der Pflichtversicherung nach ASVG für freie Dienstnehmer habe es im Verfahren keinen Hinweis gegeben, wobei es auch in diesem Fall in die Zuständigkeit der revisionswerbenden Gebietskrankenkasse fallen würde, über das Vorliegen einer Pflichtversicherung nach ASVG abzusprechen. Das Verwaltungsgericht hätte sich daher mit der Abgrenzung zwischen Werk- und Dienstvertrag auseinandersetzen müssen.
8 Die Revision ist zulässig und berechtigt.
9 Gemäß § 410 Abs. 1 ASVG hat der Versicherungsträger in Verwaltungssachen, zu deren Behandlung er nach § 409 ASVG berufen ist, einen Bescheid zu erlassen, wenn er die sich aus diesem Bundesgesetz in solchen Angelegenheiten ergebenden Rechte und Pflichten von Versicherten und von deren Dienstgebern oder die gesetzliche Haftung Dritter für Sozialversicherungsbeiträge feststellt und nicht das Bescheidrecht des Versicherungsträgers in diesem Bundesgesetz ausgeschlossen ist. Insbesondere dann, wenn es um die Abgrenzung zwischen einer Pflichtversicherung nach dem GSVG und einer solchen nach dem ASVG geht, ist der Versicherungsträger berufen, über das Bestehen einer Pflichtversicherung nach § 4 Abs. 2 oder 4 ASVG abzusprechen (vgl. auch § 194a GSVG). Die Frage der Pflichtversicherung nach § 4 Abs. 2 bzw. Abs. 4 ASVG bildet dabei einen einheitlichen Streitgegenstand (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2009/08/0135).
10 Der Begründung des genannten Bescheids der revisionswerbenden Gebietskrankenkasse vom ist zu entnehmen, dass die Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft der Zweitmitbeteiligten mit Schreiben vom mitgeteilt hat, eine GSVG-Pflichtversicherung könne vorerst nicht festgestellt werden, weil eventuell ein ASVG-Versicherungsverhältnis vorliegen könnte. In der Folge hat die revisionswerbende Gebietskrankenkasse ein Verfahren zur Überprüfung der Versicherungspflicht nach dem ASVG eingeleitet, das zur Erlassung des genannten Bescheides geführt hat.
11 Das Verwaltungsgericht hätte im Rahmen des ihm vorliegenden Beschwerdegegenstandes auf der Grundlage geeigneter Tatsachenfeststellungen die betreffende Versicherung für bestimmte Zeiträume entweder bejahen oder verneinen müssen. Die (ersatzlose) Behebung des erstinstanzlichen Bescheides wegen Unzuständigkeit der revisionswerbenden Gebietskrankenkasse war rechtswidrig.
12 Das angefochtene Erkenntnis war gemäß § 42 Abs. 1 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
13 Das Begehren auf Zuerkennung des Aufwandersatzes durch die revisionswerbende Gebietskrankenkasse war abzuweisen, weil sie gemäß § 47 Abs. 5 VwGG jener Rechtsträger wäre, der den Aufwandersatz zu leisten hätte.
Wien, am