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VwGH vom 01.06.2017, Ra 2016/08/0120

VwGH vom 01.06.2017, Ra 2016/08/0120

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler, den Hofrat Dr. Strohmayer, die Hofrätin Dr. Julcher sowie die Hofräte Mag. Berger und Mag. Stickler als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Sinai, über die Revision des E E in A, vertreten durch die Strohmayer Heihs Strohmayer Rechtsanwälte OG in 3100 St. Pölten, Herrengasse 3-5, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom , W209 2120510-1/3E, betreffend Verlust des Anspruchs auf Notstandshilfe (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht:

Arbeitsmarktservice Amstetten), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mit Bescheid vom sprach das Arbeitsmarktservice Amstetten (AMS) aus, dass der Revisionswerber seinen Anspruch auf Notstandshilfe gemäß § 38 iVm § 10 AlVG für den Zeitraum vom bis verliere. Eine Nachsicht werde nicht erteilt.

2 Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde des Revisionswerbers wies das AMS mit Beschwerdevorentscheidung vom ab. Begründend führte das AMS aus, dem Revisionswerber sei nach positiver Absolvierung eines Arbeitstrainings aufgrund seiner Fachkenntnisse in der Beratungs- und Betreuungseinrichtung T eine vollversicherte Beschäftigung als Transitarbeitskraft angeboten worden. Er habe die Annahme der Beschäftigung aufgrund einer im Dienstvertrag vorgesehenen Reinigungspauschale verweigert. Eine solche Vereinbarung sei aber arbeitsrechtlich zulässig. Gründe für eine Nachsicht der Rechtsfolgen lägen nicht vor bzw. könnten nicht berücksichtigt werden. Der Revisionswerber stellte einen Vorlageantrag.

3 Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde als unbegründet ab. Es sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4 Das Bundesverwaltungsgericht stellte fest, der Revisionswerber sei gelernter Dreher und habe eine langjährige Berufserfahrung als CNC-Dreher und CNC-Fräser. Er habe am im Sozialökonomischen Betrieb T eine Tätigkeit begonnen. Nach einer Clearingphase habe er von bis dort ein Arbeitstraining absolviert. Am sei ihm von diesem Unternehmen ein befristetes Arbeitsverhältnis auf einem Transitarbeitsplatz in der Metallwerkstätte zum kollektivvertraglichen Mindestentgelt für diese Tätigkeit nach dem anzuwendenden Kollektivvertrag der Sozialwirtschaft Österreich (BAGS-KV) von EUR 1.373,60 brutto angeboten worden. Im Dienstvertrag, der dem Revisionswerber vorgelegt worden sei, sei vorgesehen gewesen, dass vom Arbeitsentgelt monatlich ein Betrag von EUR 14,-- für die Reinigung des Arbeitsgewandes abgezogen werde. Der Revisionswerber habe diese vertragliche Regelung beanstandet und nachdem ihm nach Rücksprache mit der Geschäftsleitung des Unternehmens T mitgeteilt worden sei, dass eine Abänderung des Vertrages nicht in Betracht komme, eine Unterzeichnung des Dienstvertrages verweigert.

5 In rechtlicher Hinsicht folgerte das Bundesverwaltungsgericht, der Gesetzgeber habe in § 9 Abs. 7 AlVG ausdrücklich auch ein der Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt dienendes Arbeitsverhältnis im Rahmen eines Sozialökonomischen Betriebes zu einer zumutbaren Beschäftigung erklärt. Die Nichtannahme einer angebotenen Beschäftigung in einem solchen Betrieb könne im Sinn von § 10 Abs. 1 AlVG daher zum Verlust des Anspruches auf Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe führen. Es seien die Kriterien der Zumutbarkeit der Beschäftigung nach § 9 Abs. 2 AlVG zu beachten. Darüber hinaus dürfe der Dienstgeber nach der Rechtsprechung für die Aufnahme des Beschäftigungsverhältnisses vom Arbeitslosen nicht die Annahme vertraglicher Bedingungen verlangen, die in wesentlichen Punkten - wie etwa der Arbeitszeitgestaltung - zwingenden Rechtsnormen widersprächen. Die im vorliegenden Fall im Dienstvertrag enthaltene Regelung, wegen der der Revisionswerber die Unterzeichnung des Vertrages verweigert habe, wonach monatlich EUR 14,-- für die Reinigung der Arbeitskleidung zu zahlen sei, sei jedenfalls keine wesentliche Bedingung im Sinn dieser Rechtsprechung. Es könne daher dahingestellt bleiben, ob eine solche vertragliche Regelung zulässig sei. Die Annahme der Beschäftigung sei dem Revisionswerber zumutbar gewesen.

6 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Erstattung einer Revisionsbeantwortung durch das AMS erwogen hat:

7 Der Revisionswerber bringt zur Zulässigkeit seiner Revision vor, es sei die wesentliche Rechtsfrage zu klären, ob ein Bezieher von Notstandshilfe eine Vereinbarung, wie in dem Dienstvertrag des Unternehmens T, der dem Revisionswerber zur Unterzeichnung vorgelegt worden sei, hinnehmen müsse, um nicht seinen Anspruch zu verwirken. Der im Dienstvertrag vorgesehene Einbehalt für Reinigungskosten hätte dazu geführt, dass das kollektivvertragliche Mindestentgelt nicht zur Gänze zur Auszahlung gelangt wäre. Ein solcher Einbehalt sei daher unberechtigt, zumal dadurch das System des kollektivvertraglichen Mindestlohns unterlaufen werde. Der Revisionswerber sei daher nicht dazu verhalten gewesen, das Stellenangebot anzunehmen.

§ 10 AlVG solle aber nur denjenigen sanktionieren, der ohne wichtigen Grund eine Arbeitsaufnahme verweigere.

8 Die Revision ist aus dem aufgezeigten Grund zulässig und berechtigt.

9 Gemäß § 9 Abs. 1 AlVG ist arbeitswillig, wer unter anderem bereit ist, eine durch die regionale Geschäftsstelle vermittelte zumutbare Beschäftigung anzunehmen, von einer sonst sich bietenden Arbeitsmöglichkeit Gebrauch zu machen und von sich aus alle gebotenen Anstrengungen zur Erlangung einer Beschäftigung zu unternehmen, soweit dies entsprechend den persönlichen Fähigkeiten zumutbar ist.

10 Gemäß § 9 Abs. 2 AlVG ist eine Beschäftigung unter anderem dann zumutbar, wenn sie angemessen entlohnt ist. Als angemessene Entlohnung gilt grundsätzlich eine zumindest den jeweils anzuwendenden Normen der kollektiven Rechtsgestaltung entsprechende Entlohnung.

11 Gemäß § 9 Abs. 7 AlVG gilt als Beschäftigung, unbeschadet der erforderlichen Beurteilung der Zumutbarkeit im Einzelfall, auch ein der Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt dienendes Arbeitsverhältnis im Rahmen eines Sozialökonomischen Betriebes (SÖB) oder eines Gemeinnützigen Beschäftigungsprojektes (GBP), soweit dieses den arbeitsrechtlichen Vorschriften und den in den Richtlinien des Verwaltungsrates geregelten Qualitätsstandards entspricht. Im Rahmen dieser Qualitätsstandards ist jedenfalls die gegebenenfalls erforderliche sozialpädagogische Betreuung, die Zielsetzung der mit dem Arbeitsverhältnis verbundenen theoretischen und praktischen Ausbildung sowie im Falle der Arbeitskräfteüberlassung das zulässige Ausmaß überlassungsfreier Zeiten und die Verwendung überlassungsfreier Zeiten zu Ausbildungs- und Betreuungszwecken festzulegen.

12 Nach § 10 Abs. 1 Z 1 AlVG verliert eine arbeitslose Person, die sich weigert, eine ihr von der regionalen Geschäftsstelle zugewiesene zumutbare Beschäftigung anzunehmen, oder die Annahme einer solchen Beschäftigung vereitelt, für die Dauer der Weigerung, mindestens jedoch für die Dauer der auf die Weigerung folgenden sechs - unter näher umschriebenen Voraussetzungen acht - Wochen den Anspruch auf Arbeitslosengeld.

13 Nach § 38 AlVG sind diese Bestimmungen auf die Notstandshilfe sinngemäß anzuwenden.

14 Die Bestimmungen der §§ 9 und 10 AlVG sind Ausdruck des dem gesamten Arbeitslosenversicherungsrecht zu Grunde liegenden Gesetzeszweckes, den arbeitslos gewordenen Versicherten, der trotz Arbeitsfähigkeit und Arbeitswilligkeit nach Beendigung seines Beschäftigungsverhältnisses keine Beschäftigung gefunden hat, möglichst wieder durch Vermittlung in eine ihm zumutbare Beschäftigung einzugliedern und ihn so in die Lage zu versetzen, seinen Lebensunterhalt ohne Zuhilfenahme öffentlicher Mittel zu bestreiten. Wer eine Leistung der Versichertengemeinschaft der Arbeitslosenversicherung in Anspruch nimmt, muss sich daher darauf einstellen, eine ihm angebotene zumutbare Beschäftigung anzunehmen, das heißt bezogen auf eben diesen Arbeitsplatz arbeitswillig zu sein (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Ra 2015/08/0100).

15 Der Gesetzgeber hat in § 9 Abs. 7 AlVG ausdrücklich auch "ein der Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt dienendes Arbeitsverhältnis im Rahmen eines Sozialökonomischen Betriebes (SÖB) oder eines Gemeinnützigen Beschäftigungsprojektes (GBP)" als (zumutbare) Beschäftigung erklärt. Ein Verhalten im Sinn von § 10 Abs. 1 AlVG im Hinblick auf einen Sozialökonomischen Betrieb (Verweigerung oder Vereitelung einer Beschäftigung oder Nichtannahme einer vom Sozialökonomischen Betrieb angebotenen Beschäftigung) kann daher zum Verlust des Anspruches auf Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe führen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2012/08/0073). Ein angebotenes Dienstverhältnis als "Transitarbeitskraft" wäre daher vom Arbeitslosen - bei Vorliegen der weiteren Zumutbarkeitsvoraussetzungen - grundsätzlich einzugehen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2011/08/0200). Die Zumutbarkeit der Beschäftigung ist (schon nach dem Wortlaut des § 9 Abs. 7 AlVG) "der erforderlichen Beurteilung im Einzelfall" zu unterziehen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2012/08/0077), woraus folgt, dass sie insbesondere den Kriterien des § 9 Abs. 2 AlVG entsprechen muss.

16 Im vorliegenden Fall zielte der dem Revisionswerber nach einem Arbeitstraining zur Annahme vorgelegte Dienstvertrag - wie auch die Parteien annehmen - auf die Begründung eines Dienstverhältnisses, auf das der Kollektivvertrag der Sozialwirtschaft Österreich (BAGS-KV) zur Anwendung gekommen wäre (vgl. allgemein zur Frage des Vorliegens von Dienstverhältnissen bei Transitarbeitskräften: Schrattbauer/Pfeil, Rechtsfragen der gemeinnützigen Arbeitskräfteüberlassung, DRdA 2014, 3ff).

17 Nach der Rechtsprechung stellen in Fällen, in denen Normen der kollektiven Rechtsgestaltung auf ein zugewiesenes Beschäftigungsverhältnis anwendbar sind, diese Normen den verbindlichen Maßstab für die Beurteilung der "angemessenen Entlohnung" der Beschäftigung im Sinn des § 9 Abs. 2 AlVG dar (vgl. die hg. Erkenntnisse vom , 2012/08/0266, und vom , 2013/08/0084, jeweils mwN). Das Angebot einer unterkollektivvertraglichen Entlohnung lässt die zugewiesene Beschäftigung - trotz der rechtlichen Durchsetzbarkeit des kollektivvertraglichen Mindestlohnes - als unzumutbar erscheinen (vgl. die hg. Erkenntnisse vom , 99/08/0121, und vom , 2005/08/0209).

18 Im Geltungsbereich eines Kollektivvertrages sind vertragliche Dispositionen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer in Ansehung der dort geregelten Mindestentgelte nicht zulässig. Diese Mindestentgelte sind in der Regel in Geldbeträgen festgelegt und insoweit daher auch zwingend in Geld zu entrichten. Das im Bereich kollektivvertraglicher Mindestentgelte geltende Geldzahlungsgebot schließt - ungeachtet aller Günstigkeitsüberlegungen - in diesem Bereich abweichende Sondervereinbarungen (§ 3 Abs. 1 zweiter Satz ArbVG) aus. Ob der Marktwert der vom Arbeitgeber tatsachlich gewährten Naturalbezüge im Ergebnis höher ist als jener Teil des Barentgeltes, an dessen Stelle die Sachbezüge geleistet werden sollten, ist nicht erheblich (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2002/08/0089, mwN; vgl. in diesem Sinn auch das ). Eine Vereinbarung, wonach aus dem ausbezahlten Mindestentgelt bestimmte mit dem Arbeitsverhältnis in Zusammenhang stehende Spesen zu decken sind, ist unzulässig (vgl. den ).

19 Der Kollektivvertrag der Sozialwirtschaft Österreich (BAGS-KV) sieht eine Zahlung der Mindestentgelte in Geld vor. Damit bleibt aber für eine Vereinbarung eines Abzuges von EUR 14,-- vom kollektivvertraglichen Mindestentgelt für die Reinigung des Arbeitsgewandes kein Raum. Das angebotene Dienstverhältnis war dem Revisionswerber somit aufgrund der im Dienstvertrag vorgesehenen unterkollektivvertraglichen Entlohnung nicht zumutbar. Der Tatbestand des § 10 Abs. 1 Z 1 AlVG ist daher nicht verwirklicht.

20 Das angefochtene Erkenntnis war gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.

21 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am