VwGH vom 25.01.2008, 2007/17/0238
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Holeschofsky, Dr. Köhler, Dr. Zens und Dr. Zehetner als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Schiffkorn, über die Beschwerde 1. des RE und
2. der ME, beide in O und beide vertreten durch Hofbauer, Hofbauer & Wagner, Rechtsanwälte Partnerschaft in 3100 St. Pölten, Riemerplatz 1, gegen den Bescheid des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft vom , Zl. 17.274/63-I/7/02, betreffend Vorschreibung von zusätzlichem Absatzförderungsbeitrag für die Zwölfmonatszeiträume 1995/96 und 1996/97 gemäß § 21 Abs. 3 Milch-Garantiemengen-Verordnung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1.1. Mit Bescheid des Vorstandes für den Geschäftsbereich III der Agrarmarkt Austria vom wurde den Beschwerdeführern für die von ihnen als nicht zugelassene Abnehmer im Zwölfmonatszeitraum 1995/96 aus dem Betrieb des B übernommenen Milchmengen im Ausmaß von 65.675 kg eine Zusatzabgabe in der Höhe von EUR 22.813,93 und für die von ihnen als nicht zugelassene Abnehmer im Zwölfmonatszeitraum 1996/97 aus dem Betrieb des B übernommenen Milchmengen im Ausmaß von 47.854 kg eine Zusatzabgabe in der Höhe von EUR 17.040,66 gemäß Art. 9 lit. e, f und g der Verordnung (EWG) Nr. 3950/92 des Rates vom über die Erhebung einer Zusatzabgabe im Milchsektor, Art. 7 Abs. 1 lit. a der Verordnung (EWG) Nr. 536/93 der Kommission mit Durchführungsbestimmungen zur Zusatzabgabe im Milchsektor und § 21 Abs. 2 und 3 der Milch-Garantiemengen-Verordnung (MGV) (sowie weiteren gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen betreffend den Milchsektor) vorgeschrieben.
Die Beschwerdeführer erhoben Berufung.
1.2. Mit dem angefochtenen Bescheid vom wies die belangte Behörde die Berufung der Beschwerdeführer gemäß § 289 BAO in Verbindung mit Art. 9 lit. e, f und g der Verordnung (EWG) Nr. 3950/92, Art. 7 Abs. 1 lit. a der Verordnung (EWG) Nr. 536/93 und "§ 21 Abs. 2 und 3 der Milch-Garantiemengen-Verordnung, BGBl. Nr. 225/1995", ab.
Die Beschwerdeführer hatten sich im Verfahren darauf berufen, dass B die Milch nicht an sie geliefert, sondern in ihrer Anlage selbst verarbeitet hätte. Sie seien daher nicht Abnehmer dieser Milchmengen gewesen.
Die belangte Behörde ging demgegenüber davon aus, dass die Beschwerdeführer jedenfalls an der Verarbeitung mitgewirkt hätten und sich aus dieser Mitarbeit ergebe, dass kein Direktverkauf mehr vorläge, "da damit die Zwischenschaltung eines behandelnden oder verarbeiteten Unternehmens vorliegt".
Nach Wiedergabe der einschlägigen gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen zum Begriff des Abnehmers und hinsichtlich der Notwendigkeit, dass jeder im Hoheitsgebiet tätige Abnehmer von diesem Mitgliedstaat zugelassen sein müsse, sowie des § 21 Abs. 2 und 3 MGV wird festgehalten, dass bis Dezember 1996 Milch von B auf den Betrieb der Beschwerdeführer verbracht worden sei, "wobei diese Milch zu Milchprodukten verarbeitet" worden sei. Diese Lieferung sei keine "Verfütterungslieferung" gewesen. Es stehe somit fest, dass die Milch zur Be- und Verarbeitung sowie zur gemeinsamen Vermarktung geliefert worden sei.
Die Beschwerdeführer hätten die aus dem Betrieb des B von bis bezogene Milch daher im Rahmen einer "Lieferung" im Sinne von Art. 9 lit. g der Verordnung (EWG) Nr. 3950/92 erhalten und seien in Bezug auf diese Milchmengen als "Abnehmer" beziehungsweise "Unternehmen" im Sinne von Art. 9 lit. e sowie lit. f der Verordnung (EWG) Nr. 3950/92 einzustufen. Die belangte Behörde schloss sich daher der Auffassung der Erstbehörde an, da die Beschwerdeführer bei der Agrarmarkt Austria bislang keine Zulassung als "Abnehmer" gemäß § 21 Abs. 2 MGV beantragt hätten, seien die von ihnen im angeführten Zeitraum aus dem Betrieb des B bezogenen Milchmengen als Lieferung an einen nicht zugelassenen Abnehmer zu qualifizieren. Für diese sei gemäß § 21 Abs. 3 MGV die Zusatzabgabe zu entrichten. Gemäß Art. 2 Abs. 2 der Verordnung (EWG) Nr. 3950/92 sei der "Abnehmer" (und nicht der Milcherzeuger) abgabenpflichtig, weshalb die gegenständliche Zusatzabgabe den Beschwerdeführern vorzuschreiben sei.
1.3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.
1.4. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.
1.5. Aus Anlass dieses Beschwerdefalles stellte der Verwaltungsgerichtshof zunächst mit Beschluss vom , Zl. A 2006/0024, an den Verfassungsgerichtshof den Antrag gemäß Art. 140 Abs. 1 und Art. 139 Abs. 1 B-VG, hinsichtlich bestimmter Fassungen der §§ 101 und 105 Abs. 2 Marktordnungsgesetz 1985 festzustellen, dass die angefochtenen Bestimmungen verfassungswidrig waren, sowie auf Aufhebung des § 21 Abs. 1 erster Halbsatz und § 21 Abs. 3 erster und zweiter Satz Milch-Garantiemengen-Verordnung, BGBl. Nr. 225/1995 in der Fassung BGBl. Nr. 857/1995, bzw. der
genannten Verordnungsbestimmungen und des § 44 Abs. 2 Milch-Garantiemengen-Verordnung 1999, BGBl. II Nr. 28/1999.
Nach der Aufhebung der Wortfolge "Referenzmengen," in § 101 Marktordnungsgesetz 1985, BGBl. Nr. 210/1985 in der Fassung BGBl. I Nr. 108/2001, als verfassungswidrig und der Milch-Garantiemengen-Verordnung 1999, BGBl. II Nr. 28/1999, zur Gänze, somit auch des § 44 Abs. 2 dieser Verordnung, als gesetzwidrig mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , G 50/06, G 51-53/06, V 28/06, V 29-31/06, zog der Verwaltungsgerichtshof diesen ursprünglichen Antrag zurück und stellte (unter Berücksichtigung der Aufhebung des § 44 Abs. 2 Milch-Garantiemengen-Verordnung 1999, BGBl. II Nr. 28/1999, mit dem genannten Erkenntnis) einen neuen Antrag auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit der §§ 101 und 105 Abs. 2 Marktordnungsgesetz 1985, BGBl. Nr. 210/1985 in der Fassung BGBl. Nr. 664/1994, bzw. auf Feststellung, dass § 21 Abs. 1 erster Halbsatz und § 21 Abs. 3 erster und zweiter Satz Milch-Garantiemengen-Verordnung, BGBl. Nr. 225/1995 in der Fassung BGBl. Nr. 857/1995, gesetzwidrig gewesen waren.
1.6. Mit Erkenntnis vom , G 232/06, V 102/06, stellte der Verfassungsgerichtshof fest, dass die Wortfolge "Referenzmengen," sowohl in § 101 als auch in Abs. 2 des § 105 Marktordnungsgesetz 1985, BGBl. Nr. 210/1985 in der Fassung BGBl. Nr. 664/1994, verfassungswidrig war.
Der Verfassungsgerichtshof stellte mit demselben Erkenntnis auch fest, dass die Milch-Garantiemengen-Verordnung, BGBl. Nr. 225/1995 in der Fassung BGBl. Nr. 857/1995, gesetzwidrig war.
2. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
2.1. In den hier maßgeblichen Zwölfmonatszeiträumen galten die §§ 101 und 105 Abs. 2 Marktordnungsgesetz 1985, BGBl. Nr. 210/1985 in der Fassung BGBl. Nr. 664/1994.
2.2. Auf der Grundlage der §§ 101 und 105 Abs. 2 Marktordnungsgesetz 1985, BGBl. Nr. 210/1985, in der genannten Fassung erging die Verordnung des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft über die Garantiemengen im Bereich der Gemeinsamen Marktorganisation für Milch und Milcherzeugnisse (Milch-Garantiemengen-Verordnung), BGBl. Nr. 225/1995. Diese Verordnung wurde mit Verordnung BGBl. Nr. 857/1995 novelliert, wobei insbesondere § 21 der Verordnung neu gefasst wurde.
2.3. Der angefochtene Bescheid stützt sich hinsichtlich der Vorschreibung eines zusätzlichen Absatzförderungsbeitrages auf § 21 Abs. 2 und 3 Milch-Garantiemengen-Verordnung, BGBl. Nr. 225/1995 in der Fassung BGBl. Nr. 857/1995, demzufolge für die Lieferung an einen nicht zugelassenen Abnehmer die Zusatzabgabe zu entrichten ist.
§ 21 Milch-Garantiemengen-Verordnung, BGBl. Nr. 225/1995 in der im Beschwerdefall anzuwendenden Fassung durch BGBl. Nr. 857/1995, lautete auszugsweise:
"Zulassung des Abnehmers
§ 21. (1) Abnehmer, die am als Bearbeitungs- und Verarbeitungsbetrieb im Sinne des MOG bereits tätig sind, gelten als zugelassen im Sinne der in § 1 genannten Rechtsakte; sie haben bis die Verpflichtungserklärung gemäß Art. 7 Abs. 1 lit. a der Verordnung (EWG) Nr. 536/93 abzugeben und sich gleichzeitig zu verpflichten, die Qualität und die wertbestimmenden Merkmale der angelieferten Milch gemäß den in der Anlage angeführten Kriterien von einem von der AMA anerkannten Labor (§ 21a) überprüfen zu lassen.
(2) Abnehmern,
1. die ihre Tätigkeit als Bearbeitungs- und Verarbeitungsbetrieb (Art. 9 lit. f der Verordnung (EWG) Nr. 3950/92) nach dem aufnehmen oder
2. bei denen es sich um Anlagen gemäß § 16a MOG oder § 69a MOG oder Einrichtungen, die Milch im Sinne des § 3 Abs. 3 MOG übernommen haben, handelt oder
3. bei denen es sich um einen Zusammenschluss von Milcherzeugern zum Zweck des gemeinsamen Transports von Milch oder Milcherzeugnissen aus Milch handelt,
wird die in den in § 1 genannten Rechtsakten vorgesehene Zulassung auf Antrag erteilt. Der Antrag ist schriftlich in zweifacher Ausfertigung bei der AMA einzureichen. Im Antrag sind die in den in § 1 genannten Rechtsakten für die Erteilung der Zulassung vorgesehenen Voraussetzungen darzulegen und die Verpflichtungserklärung gemäß Art. 7 Abs. 1 lit. a der Verordnung (EWG) Nr. 536/93 abzugeben. Weiter haben sich die Abnehmer zu verpflichten, die Qualität und die wertbestimmenden Merkmale der angelieferten Milch gemäß den in der Anlage angeführten Kriterien von einem von der AMA anerkannten Labor (§ 21a) überprüfen zu lassen. Die AMA kann weitere Angaben fordern, wenn sie für Kontrollzwecke notwendig sind. Die AMA erteilt die Zulassung, nachdem sie das Vorliegen der Voraussetzungen geprüft hat.
(3) Der Erzeuger darf nur an Abnehmer liefern, die zugelassen sind. Wird an einen nicht zugelassenen Abnehmer geliefert, ist für diese Lieferung die Zusatzabgabe zu entrichten. Wird die Zulassung gemäß Abs. 5 entzogen, hat der Abnehmer dies unverzüglich dem Milcherzeuger mitzuteilen und für die angelieferte Milch die Zusatzabgabe zu entrichten, ohne den Milcherzeuger damit zu belasten."
Mit dem oben genannten Erkenntnis stellte der Verfassungsgerichtshof in dem aus Anlass des vorliegenden Beschwerdefalles eingeleiteten Gesetzesprüfungsverfahrens fest, dass die Milch-Garantiemengen-Verordnung, BGBl. Nr. 225/1995 in der Fassung BGBl. Nr. 857/1995, gesetzwidrig war. Der Beschwerdefall ist daher Anlassfall zu dem genannten Erkenntnis. Damit ist § 21 Milch-Garantiemengen-Verordnung, BGBl. Nr. 225/1995, gemäß Art. 139 Abs. 6 zweiter Satz B-VG im vorliegenden Verfahren nicht mehr anzuwenden.
2.4. Die belangte Behörde hat somit die Vorschreibung des zusätzlichen Absatzförderungsbeitrages auf eine nicht mehr anzuwendende Bestimmung gestützt. Durch die Anwendung einer als gesetzwidrig erkannten Verordnung wurden die Beschwerdeführer in ihren Rechten verletzt.
Es ist insbesondere keine gemeinschaftsrechtliche Bestimmung ersichtlich, die vom Verwaltungsgerichtshof unmittelbar anzuwenden wäre und die eine Deckung der vorgenommenen Abgabenvorschreibung lieferte bzw. etwa ein Gebot zur Vorschreibung der Abgabe bei Vorliegen des von der belangten Behörde festgestellten Sachverhalts enthielte.
Auch die (im hier maßgeblichen Zeitraum geltende) Verordnung (EWG) Nr. 3950/92 des Rates vom über die Erhebung einer Zusatzabgabe im Milchsektor trifft keine Anordnung dahingehend, dass bei Lieferungen an einen nicht zugelassenen Abnehmer ein zusätzlicher Absatzförderungsbeitrag vorzuschreiben wäre. Das Gleiche gilt für die Verordnung (EWG) Nr. 536/93 der Kommission vom mit Durchführungsbestimmungen zur Zusatzabgabe im Milchsektor, die gestützt auf die Verordnung (EWG) Nr. 3950/92 des Rates vom über die Erhebung einer Zusatzabgabe im Milchsektor erlassen wurde. Art. 7 dieser Verordnung regelt zwar, dass eine Lieferung nur an einen zugelassenen Abnehmer erfolgen dürfe und welche Verpflichtungen die Erzeuger diesbezüglich treffen, sieht aber keine konkreten Sanktionen, so auch nicht ausdrücklich die Verpflichtung zur Erhebung eines zusätzlichen Absatzförderungsbeitrags im Falle von Verstößen gegen seine Anordnungen, vor.
Auch Gemeinschaftsrecht steht daher der Aufhebung des angefochtenen Bescheides - selbst unter Zugrundelegung der rechtlichen Qualifikation, wie sie von der belangten Behörde vorgenommen wurde - nicht entgegen. Es erübrigt sich daher, auf diese rechtliche Qualifikation im Einzelnen näher einzugehen.
2.5. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
2.6. Kosten waren mangels eines entsprechenden Antrags keine zuzusprechen.
Wien, am