VwGH vom 06.07.2016, Ra 2016/08/0041
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldstätten und den Hofrat Dr. Strohmayer, die Hofrätin Dr. Julcher sowie die Hofräte Mag. Berger und Mag. Stickler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Dr. Gruber, über die Revision des R K in Wien, vertreten durch Dr. Thomas Majoros, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Walfischgasse 12/3, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , Zl. W162 2100173-1/5E, betreffend Arbeitslosengeld (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht:
regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien Redergasse), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde des Revisionswerbers gegen den "Bescheid des Arbeitsmarktservice Wien Redergasse vom , in der Fassung der Beschwerdevorentscheidung vom " gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG iVm den §§ 17, 44 und 46 AlVG als unbegründet ab (Spruchpunkt A). Mit Spruchpunkt B sprach es aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
2 Das Bundesverwaltungsgericht stellte fest, dass der Revisionswerber am elektronisch eine Arbeitslosmeldung eingebracht und dabei als Zeitpunkt der Beendigung seines Beschäftigungsverhältnisses den angegeben habe. Im Zuge seiner persönlichen Vorsprache beim AMS am habe er das vollständig ausgefüllte Antragsformular für die Zuerkennung von Arbeitslosengeld abgegeben.
3 Der Revisionswerber habe seinen Arbeitslosengeldanspruch durch Einbringung des bundeseinheitlichen Antragsformulars am erfolgreich geltend gemacht. Das Arbeitslosengeld gebühre gemäß den gesetzlichen Bestimmungen ab dem (Eintritt der Arbeitslosigkeit).
4 Infolgedessen sei der Revisionswerber mit Mitteilung über den Leistungsanspruch vom per eAMS-Konto darüber informiert worden, dass auf Grund der vorgelegten Urkunden sowie Angaben und der gesetzlichen Bestimmungen ein Anspruch auf Arbeitslosengeld vom bis (voraussichtlich) zum bestehe, wobei die Bemessungsgrundlage EUR 1.379,24 betrage und sich der tägliche Anspruch mit EUR 22,19 bemesse.
5 Die Auszahlung des dem Revisionswerber gebührenden Arbeitslosengeldes sei jeweils am und am auf das bekannt gegebene Bankkonto erfolgt.
6 Am habe der Revisionswerber einen "Antrag auf Zurückziehung des Antrages auf Arbeitslosengeld" eingebracht. Dabei sei ihm ein neues Antragsformular mit Geltendmachung ab ausgefolgt worden, welches er am beim AMS belassen habe.
7 Am sei der verfahrensgegenständliche Bescheid der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice (in der Folge: AMS) ergangen, in dem ausgesprochen worden sei, dass dem Revisionswerber Arbeitslosengeld ab dem gebühre und seinem Antrag auf Zurückziehung des Antrages auf Arbeitslosengeld vom nicht stattgegeben werde.
8 In rechtlicher Hinsicht führte das Bundesverwaltungsgericht aus, § 46 AlVG lege dar, dass der Anspruch auf Arbeitslosengeld bei der zuständigen regionalen Geschäftsstelle persönlich geltend zu machen sei und für die Geltendmachung des Anspruches das bundeseinheitliche Antragsformular zu verwenden sei. Das ausgefüllte Antragsformular sei grundsätzlich - innerhalb einer allenfalls gesetzten Frist - persönlich beim Arbeitsmarktservice abzugeben. Werde die Frist zur persönlichen Abgabe ohne triftigen Grund versäumt, gelte der Anspruch erst mit der persönlichen Rückgabe des ausgefüllten Antragsformulars bzw. sonstiger Unterlagen als geltend gemacht. Die Geltendmachung weise somit zwei rechtliche Komponenten auf, einerseits die idR einmalige persönliche Vorsprache der arbeitslosen Person und zweitens die Übermittlung des ausgefüllten Antragsformulars bzw. die Geltendmachung über ein eAMS-Konto.
9 Der Revisionswerber habe diese beiden erforderlichen rechtlichen Komponenten am durch seine persönliche Vorsprache und die Abgabe des vollständig ausgefüllten Antragsformulars bei der für ihn zuständigen regionalen Geschäftsstelle erfüllt. Es sei unstrittig, dass er bereits seit mit Zustellung der Mitteilung über den Leistungsanspruch auf sein eAMS-Konto bzw. auch durch Auszahlung seiner Ansprüche mit über den täglichen Anspruch informiert gewesen sei.
10 Die prozessuale Zulässigkeit der Zurückziehung bzw. Änderung verfahrenseinleitender Anbringen sei in § 13 Abs. 7 und 8 AVG geregelt. Demnach könnten Anbringen in jeder Lage des Verfahrens zurückgezogen werden. Allerdings setzten Antragsrückziehungen gemäß § 13 Abs. 7 AVG die Anhängigkeit eines Verwaltungsverfahrens über den Antrag voraus.
11 In seinem Vorlageantrag verweise der Revisionswerber auf das zuletzt ergangene Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Zl. 2013/08/0199, und vertrete offenkundig die Rechtsansicht, dass eine Zurückziehung des Antrages unbefristet möglich sei. Der Verwaltungsgerichtshof habe im Erkenntnis vom , Zl. 2006/12/0127, jedoch bereits ausgesprochen, dass die Zurückziehung eines Antrages die Anhängigkeit eines Verwaltungsverfahrens voraussetze, welches im vorliegenden Fall aufgrund der Liquidierung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld für den Zeitraum von bis am bereits beendet gewesen sei. Da es sich im gegenständlichen Fall um einen Antrag handle, über welchen nicht bescheidförmig abzusprechen gewesen sei, sei das Verfahren jedenfalls durch Setzung jener behördlichen Handlung abgeschlossen worden, auf welche der Antrag abgezielt habe (Auszahlung des Arbeitslosengeldes). Hierdurch sei der Antrag des Revisionswerbers positiv erledigt worden und daher eine Zurückziehung begrifflich nicht mehr in Betracht gekommen.
12 Das gegenständliche Verfahren sei somit - spätestens - mit der Auszahlung des zuerkannten Arbeitslosengeldes für den Zeitraum von bis am abgeschlossen worden, weshalb das AMS zu Recht ausgesprochen habe, dass dem Revisionswerber das Arbeitslosengeld ab gebühre und eine Zurückziehung des Antrages am nicht mehr zulässig gewesen sei. Demgegenüber sei dem vom Revisionswerber zitierten Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Zl. 2013/08/0199, ein Fall zugrunde gelegen, bei dem noch keine Auszahlung der Leistung erfolgt sei.
13 Den Ausspruch über die Nichtzulassung der Revision gemäß § 25a Abs. 1 VwGG begründete das Bundesverwaltungsgericht lediglich formelhaft insbesondere mit dem Hinweis darauf, dass es sich "bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen" habe können.
Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch das Bundesverwaltungsgericht erwogen hat:
14 1. Die Revision sieht - entgegen dem den Verwaltungsgerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Bundesverwaltungsgerichts gemäß § 25a Abs. 1 VwGG - eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG darin, dass das Bundesverwaltungsgericht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes - konkret vom Erkenntnis vom , Zl. 2013/08/0199 - abgewichen sei. Das trifft zwar nicht zu, weil das zitierte Erkenntnis eine andere Konstellation - Antragszurückziehung noch vor Auszahlung des Arbeitslosengeldes - betroffen hat. Im Ergebnis zeigt die Revision aber insofern eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung auf, als Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu der Frage fehlt, ob ein nicht mit Bescheid erledigter Antrag auf Zuerkennung von Arbeitslosengeld auch nach begonnener Auszahlung der Leistung zurückgezogen werden kann.
15 Die Revision ist daher zulässig.
16 2. In den Revisionsgründen wird geltend gemacht, dass die Antragszurückziehung mangels rechtskräftiger Erledigung durch Bescheid zulässig gewesen wäre.
17 3. Gemäß § 17 Abs. 1 AlVG gebührt das Arbeitslosengeld, wenn sämtliche Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld erfüllt sind und der Anspruch auf Arbeitslosengeld nicht gemäß § 16 ruht, ab dem Tag der Geltendmachung, frühestens ab dem Eintritt der Arbeitslosigkeit. Gemäß § 17 Abs. 1 Z 2 AlVG gilt der Anspruch rückwirkend ab dem Eintritt der Arbeitslosigkeit, wenn die Arbeitslosmeldung bereits vor Eintritt der Arbeitslosigkeit bei der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice eingelangt ist und die Geltendmachung sowie eine gemäß § 46 Abs. 1 erforderliche persönliche Vorsprache binnen 10 Tagen nach Eintritt der Arbeitslosigkeit erfolgt, soweit das Arbeitsmarktservice nicht hinsichtlich der persönlichen Vorsprache Abweichendes verfügt hat.
18 § 46 Abs. 1 AlVG in der Fassung des Sozialversicherungs-Änderungsgesetzes 2010 - SVÄG 2010, BGBl. I Nr. 63/2010, lautet:
"(1) Der Anspruch auf Arbeitslosengeld ist bei der zuständigen regionalen Geschäftsstelle persönlich geltend zu machen. Für die Geltendmachung des Anspruches ist das bundeseinheitliche Antragsformular zu verwenden. Personen, die über ein sicheres elektronisches Konto beim Arbeitsmarktservice (eAMS-Konto) verfügen, können den Anspruch auf elektronischem Weg über dieses geltend machen, wenn die für die Arbeitsvermittlung erforderlichen Daten dem Arbeitsmarktservice bereits auf Grund einer Arbeitslosmeldung oder Vormerkung zur Arbeitsuche bekannt sind; sie müssen jedoch, soweit vom Arbeitsmarktservice keine längere Frist gesetzt wird, innerhalb von 10 Tagen nach elektronischer Übermittlung des Antrages persönlich bei der regionalen Geschäftsstelle vorsprechen. Das Arbeitsmarktservice kann die eigenhändige Unterzeichnung eines elektronisch eingebrachten Antrages binnen einer gleichzeitig zu setzenden angemessenen Frist verlangen, wenn Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Geltendmachung bestehen. Der Anspruch gilt erst dann als geltend gemacht, wenn die arbeitslose Person bei der regionalen Geschäftsstelle zumindest einmal persönlich vorgesprochen hat und das vollständig ausgefüllte Antragsformular übermittelt hat. Das Arbeitsmarktservice kann vom Erfordernis der persönlichen Vorsprache absehen. Eine persönliche Vorsprache ist insbesondere nicht erforderlich, wenn die arbeitslose Person aus zwingenden Gründen, wie Arbeitsaufnahme oder Krankheit, verhindert ist, den Antrag persönlich abzugeben. Die Abgabe (das Einlangen) des Antrages ist der arbeitslosen Person zu bestätigen. Können die Anspruchsvoraussetzungen auf Grund des eingelangten Antrages nicht ohne weitere persönliche Vorsprache beurteilt werden, so ist die betroffene Person verpflichtet, auf Verlangen bei der regionalen Geschäftsstelle vorzusprechen. Hat die regionale Geschäftsstelle zur Klärung der Anspruchsvoraussetzungen, etwa zur Beibringung des ausgefüllten Antragsformulars oder von sonstigen Unterlagen, eine Frist bis zu einem bestimmten Zeitpunkt gesetzt und wurde diese ohne triftigen Grund versäumt, so gilt der Anspruch erst ab dem Tag als geltend gemacht, ab dem die beizubringenden Unterlagen bei der regionalen Geschäftsstelle eingelangt sind."
19 Gemäß § 47 Abs. 1 AlVG ist dem Leistungsbezieher, wenn der Anspruch auf Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe anerkannt wird, eine Mitteilung auszustellen, aus der insbesondere Beginn, Ende und Höhe des Leistungsanspruchs hervorgehen. Wird der Anspruch nicht anerkannt, so ist dem Antragsteller darüber ein Bescheid auszufolgen.
20 4. Gemäß § 13 Abs. 7 AVG können Anbringen in jeder Lage des Verfahrens zurückgezogen werden. Darunter sind gemäß § 13 Abs. 1 AVG alle Arten von Verfahrenshandlungen zu verstehen, mit denen Beteiligte an eine Behörde herantreten können (vgl. Hengstschläger/Leeb , AVG I (2. Ausgabe 2014), § 13 Rz 1), also auch der Antrag auf Zuerkennung von Arbeitslosengeld nach § 17 iVm § 46 AlVG.
21 Die Zurückziehung eines Antrages ist so lange zulässig, als dieser noch unerledigt ist und daher noch zurückgezogen werden kann (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2013/07/0099). Dies bedeutet für jene Fälle, in denen der verfahrenseinleitende Antrag auf die Einleitung eines mit Bescheid abzuschließenden Verfahrens gerichtet ist, dass eine Antragszurückziehung bis zur Bescheiderlassung, im Fall einer Berufung auch bis zur Erlassung des Berufungsbescheides, möglich ist (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2000/20/0473, sowie das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , B 2098/98). Diese zum früheren Berufungsverfahren vor den Verwaltungsbehörden ergangene Rechtsprechung ist auf das seit bestehende Beschwerdeverfahren vor den Verwaltungsgerichten zu übertragen (vgl. - implizit - das hg. Erkenntnis vom , Ra 2014/02/0159, sowie Hengstschläger/Leeb , AVG I (2. Ausgabe 2014) § 13 Rz 42).
22 Maßgeblich für die Beurteilung der Zulässigkeit der Antragszurückziehung vom war demnach, ob der Antrag zu diesem Zeitpunkt bereits erledigt war, was in erster Linie anhand der dafür geltenden Bestimmungen des AlVG zu beurteilen ist.
23 5. § 47 AlVG sieht als primäre Form der Erledigung von Anträgen auf Zuerkennung von Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe die Ausstellung einer Mitteilung, verbunden mit der tatsächlichen Auszahlung, vor. Die Mitteilung hat jedenfalls die Information über den Beginn und das voraussichtliche Ende der Leistungsgewährung sowie die Höhe des täglichen Anspruchs in Euro zu enthalten. Die Erlassung eines Bescheides ist nach dem zweiten Satz des § 47 Abs. 1 AlVG dann zwingend vorgesehen, wenn der Anspruch auf Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe von Anfang an nicht anerkannt wird. Ein Bescheid ist weiters zu erlassen, wenn dies vom Leistungsberechtigten - etwa weil er mit der in der Mitteilung nach § 47 Abs. 1 erster Satt AlVG ausgewiesenen Höhe des Leistungsanspruchs nicht einverstanden ist - beantragt wird (vgl. dazu auch Leitner/Urschler in Pfeil (Hrsg.),
Der AlV-Komm § 47 AlVG Rz 3 und 10 ). Ein derartiger Antrag ist unbefristet zulässig (vgl. in diesem Sinn das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2013/08/0199, mwN).
24 Das bedeutet aber nicht, dass auch die Zurückziehung des Antrages auf Arbeitslosengeld (bzw. Notstandshilfe) unbefristet zulässig ist. Dieser Antrag ist nämlich mit der - auf die Mitteilung nach § 47 Abs. 1 erster Satz AlVG folgenden - tatsächlichen Auszahlung erledigt, soweit ihm damit entsprochen wird, sodass eine Zurückziehung nicht mehr in Betracht kommt (vgl. zur Erledigung von Anbringen durch faktische Entsprechung Hengstschläger/Leeb , AVG I (2. Ausgabe 2014) § 13 Rz 1 und - auch zur fehlenden Möglichkeit der Antragszurückziehung nach einer derartigen Erledigung - § 13 Rz 42/1). Nach der Auszahlung für einen Teilzeitraum ist eine Zurückziehung auch hinsichtlich jener Zeiträume, für die noch keine Auszahlung erfolgt ist, nicht mit der Wirkung möglich, dass vor Erlangung einer neuen Anwartschaft ein weiterer Antrag erfolgreich gestellt werden könnte: Der Leistungsanspruch kann nämlich immer nur für die gesamte gesetzliche Anspruchsdauer geltend gemacht werden und ist insofern unteilbar; solange nicht die Voraussetzungen für eine neue Anwartschaft erfüllt sind, kommt nur ein Fortbezug der zuerkannten Leistung gemäß § 19 AlVG, nicht aber eine neuerliche Geltendmachung in Betracht.
25 6. Da somit bereits der Inhalt der Revision erkennen lässt, dass die behaupteten Rechtsverletzungen nicht vorliegen, war die Revision gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen. Wien, am