VwGH vom 22.03.2011, 2009/21/0232
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Senft, über die Beschwerde des H, vertreten durch Mag. Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom , Zl. 153.679/2- III/4709, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der 1969 geborene Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, verfügte ab 2005 über Aufenthaltstitel. Zuletzt war er im Besitz einer bis gültigen "Niederlassungsbewilligung - beschränkt".
Mit beim Magistrat der Stadt Linz am persönlich überreichtem Antrag begehrte der Beschwerdeführer die Verlängerung dieses Aufenthaltstitels. Nachdem ihn die Erstbehörde mit Schreiben vom erfolglos aufgefordert hatte, ein gültiges Reisedokument vorzulegen, wies sie diesen Verlängerungsantrag mit Bescheid vom unter Bezugnahme auf § 13 Abs. 3 AVG "wegen des Vorliegens eines Formmangels" zurück.
Der Beschwerdeführer erhob gegen diesen Bescheid mit Eingabe vom Berufung, die bei der Erstbehörde am einlangte und die der Bundesministerin für Inneres (der nunmehr belangten Behörde) im April 2009 vorgelegt wurde. Mit dem angefochtenen Bescheid vom wies die belangte Behörde gemäß § 66 Abs. 4 AVG iVm § 13 Abs. 3 AVG die Berufung ab. Sie führte aus, dass gemäß § 19 Abs. 3 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) iVm § 7 Abs. 1 Niederlassungs - und Aufenthaltsgesetz - Durchführungsverordnung (NAG-DV) dem Antrag auf Ausstellung eines Aufenthaltstitels ua. die Kopie des gültigen Reisedokumentes anzuschließen sei. Dieser Verpflichtung habe der Beschwerdeführer trotz des ihm von der erstinstanzlichen Behörde erteilten Verbesserungsauftrages - innerhalb der von der Erstbehörde gewährten Fristerstreckung - nicht entsprochen, weshalb eine "geschäftsmäßige Behandlung" seines Antrages nicht möglich und sein Antrag gemäß § 13 Abs. 3 AVG zu Recht zurückgewiesen worden sei.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift seitens der belangten Behörde erwogen:
Der Beschwerdeführer hat es unstrittig unterlassen, dem gegenständlichen Antrag eine Kopie eines gültigen Reisedokuments anzuschließen. Von daher war sein Anbringen, wie im bekämpften Bescheid im Hinblick auf § 19 Abs. 3 NAG iVm § 7 Abs. 1 Z 1 NAG-DV zutreffend zum Ausdruck gebracht, grundsätzlich mit einem "Mangel" im Sinn des § 13 Abs. 3 AVG behaftet (vgl. dazu näher das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/21/0302, insbesondere Punkt 4.2. der Entscheidungsgründe).
Die belangte Behörde hat allerdings § 19 Abs. 8 NAG außer Acht gelassen. Diese Bestimmung, die mit der Novelle BGBl. I Nr. 29/2009 neu geschaffen wurde und gemäß § 82 Abs. 9 NAG am in Kraft getreten ist, lautet - soweit hier wesentlich - wie folgt:
"(8) Die Behörde kann auf begründeten Antrag von im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen die Heilung eines Verfahrensmangels nach Abs. 1 bis 3 und 7 zulassen:
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1. | … |
2. | … |
3. | im Fall der Nichtvorlage erforderlicher Urkunden oder Nachweise, wenn deren Beschaffung für den Fremden nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar war. |
Die Stellung eines solchen Antrages ist nur bis zur Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides zulässig. Über diesen Umstand ist der Fremde zu belehren; § 13 Abs. 3 AVG gilt." | |
§ 81 Abs. 8 erster Satz NAG normiert dazu ergänzend, dass (ua.) Anträge gemäß § 19 Abs. 8 NAG auch im Berufungsverfahren zulässig sind, wenn das Verfahren zur Erteilung eines Aufenthaltstitels bei Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 29/2009 - somit am - bereits bei der Berufungsbehörde anhängig ist. Die ErläutRV zur eben genannten Übergangsbestimmung (88 BlgNR 24. GP 16) führen dazu aus: | |
"Im Abs. 8 wird dem Fremden ermöglicht, die sonst nur im erstinstanzlichen Verfahren zulässigen (Zusatz)Anträge nach §§ 19 Abs. 8 und 21 Abs. 3 im anhängigen Berufungsverfahren nachzuholen, da er diese Möglichkeit bis zum In-Kraft-Treten dieses Bundesgesetzes nicht hatte. Damit erfolgt auch keine Besserstellung gegenüber zukünftigen Antragstellern, da solche Anträge - bei sonstiger Präklusion - sonst nur in der ersten Instanz zulässig sind." | |
Insbesondere vor dem Hintergrund dieser gesetzgeberischen Zielvorstellung kann es nicht zweifelhaft sein, dass § 81 Abs. 8 NAG - unbeschadet seiner insoweit unklaren Formulierung - in all jenen Fällen ausnahmsweise eine Antragstellung nach § 19 Abs. 8 NAG im Berufungsverfahren ermöglichen soll, in denen eine solche Antragstellung im erstinstanzlichen Verfahren mangels seinerzeitiger Geltung der genannten Bestimmung noch nicht in Betracht kam. Ungeachtet dessen, dass die gegenständliche Berufung des Beschwerdeführers vom der belangten Behörde erst im April 2009 vorgelegt wurde und daher erst dann "bei der Berufungsbehörde anhängig" war, hatte die belangte Behörde daher auf § 19 Abs. 8 NAG Bedacht zu nehmen. Es hätte daher im Besonderen einer Belehrung im Sinn des letzten Satzes der genannten Bestimmung bedurft, die jedoch unterblieben ist. Das stellt einen Verfahrensfehler dar, dem Relevanz zukommt. | |
Vor dem Hintergrund des in der Beschwerde - als zulässige Neuerung - erstatteten Vorbringens, dem Beschwerdeführer sei seitens der türkischen Behörden die Ausstellung bzw. die Verlängerung seines Reisepasses verweigert worden, weil er nicht in der Lage gewesen sei, sich gegen Bezahlung eines erheblichen Geldbetrages vom türkischen Wehrdienst "freizukaufen", kann nämlich nicht ausgeschlossen werden, dass die belangte Behörde einem allfälligen Antrag des Beschwerdeführers nach § 19 Abs. 8 Z 3 NAG hätte entsprechen müssen. Die in der behördlichen Gegenschrift angesprochenen, jedoch in anderem Zusammenhang (Zulassung der Inlandsantragstellung bei einem Erstantrag nach § 74 NAG in der Stammfassung) ergangenen hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2007/21/0546, und vom , Zlen. 2008/22/0233 und 0234, in denen ausgeführt wurde, es könne nicht Aufgabe der österreichischen Zuwanderungsbestimmungen sein, Fremden das Fernbleiben vom Militärdienst (ihres Heimatstaates) zu ermöglichen, stehen diesem Ergebnis nicht im Weg, und zwar schon deshalb nicht, weil es im vorliegenden Fall gemäß dem Beschwerdevorbringen in erster Linie um die Erbringung einer Geldleistung geht, was im Rahmen des Zumutbarkeitskalküls nach § 19 Abs. 8 Z 3 NAG jedenfalls Berücksichtigung finden kann. | |
Nach dem Gesagten ist der bekämpfte Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet. Auf die - nach den behördlichen Feststellungen allerdings nicht beurteilbare - Frage, ob dem Beschwerdeführer eine Rechtsstellung nach Art. 6 des Beschlusses Nr. 1/80 des durch das Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei errichteten Assoziationsrates vom über die Entwicklung der Assoziation zukommt und darauf, welche Schlussfolgerungen daraus allenfalls zu ziehen wären, kommt es daher nicht mehr an. Schon deshalb war dem "Antrag" des Beschwerdeführers, in diesem Zusammenhang ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH zu richten, nicht näher zu treten. Der bekämpfte Bescheid war aber jedenfalls gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben. | |
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. | |
Wien, am |
Fundstelle(n):
IAAAE-69442