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VwGH vom 26.01.2017, Ra 2016/07/0055

VwGH vom 26.01.2017, Ra 2016/07/0055

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bumberger, die Hofrätin Dr. Hinterwirth und die Hofräte Dr. N. Bachler, Dr. Lukasser und Mag. Haunold als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schubert-Zsilavecz, über die Revision des J U in E, vertreten durch Gradischnig & Gradischnig Rechtsanwälte GmbH in 9500 Villach, Moritschstraße 7, gegen Spruchpunkt II des Erkenntnisses des Landesverwaltungsgerichts Kärnten vom , Zl. KLVwG-S4- 408/7/2016, betreffend die Abweisung einer Besitzstörungsklage in einer Angelegenheit der Bodenreform (mitbeteiligte Partei: C S in B), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird im Umfang seines Spruchpunktes II. (Abweisung der Besitzstörungsklage) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

Das Land Kärnten hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 In seinem an das Amt der Kärntner Landesregierung als Agrarbehörde gerichteten Schreiben vom führte der Revisionswerber aus, er habe aufgrund einer Entscheidung der Vollversammlung der Agrargemeinschaft N (AG) ein unbefristetes Pachtverhältnis bezüglich 3 ha der Grundfläche der EZ 259 KG S. Er habe diese Fläche seit dem Jahr 2014 bewirtschaftet und sei somit in deren ruhigen Besitz gestanden. Er habe dort 28 Siloballen abgelagert. Am habe er abends festgestellt, dass auf seinem Pachtgrundstück der ruhige Besitz dadurch gestört worden sei, dass der Grasbestand abgemäht und abtransportiert worden sei. Der Rechtsvertreter der AG habe dem Revisionswerber mitgeteilt, dass seine Mandantschaft die am Feld gelagerten Siloballen und Geräte entfernen und lagern werde. Es bestehe der Verdacht, dass im Auftrag der AG und eventuell durch die mitbeteiligte Partei Mäharbeiten an seinem Pachtgrundstück durchgeführt worden seien. Durch diese Handlungen sei der Revisionswerber im ruhigen Besitz dieser Fläche gestört worden.

2 Der Revisionswerber beantragte, die Agrarbehörde möge feststellen, dass er in seinem ruhigen Besitz auf dem 3 ha großen Pachtgrundstück der EZ 259 durch die mitbeteiligte Partei bzw. durch die AG gestört worden sei, sowie, dass es diese zu unterlassen hätten, den Revisionswerber in seinem ruhigen Besitz auf dem genannten Pachtgrundstück zu stören.

3 Dieses Schreiben des Revisionswerbers vom langte am selben Tag um 22:37 Uhr am Server der Agrarbehörde ein.

4 Mit Schreiben vom teilte die Agrarbehörde dem Revisionswerber mit, dass für sie nicht ersichtlich sei, inwieweit der Revisionswerber in seinen Rechten verletzt sei.

5 Mit Schreiben vom teilte der Revisionswerber der Agrarbehörde mit, dass die mitbeteiligte Partei bei der Agrarmarkt Austria für die Teilfläche von 3 ha am Grundstück EZ 259 diverse Förderungsmaßnahmen beantragt habe. Somit stehe fest, dass die mitbeteiligte Partei für die Besitzstörung verantwortlich sei. Der Revisionswerber schränkte seinen Antrag vom daher sinngemäß ein.

6 Mit Schreiben vom brachte der Revisionswerber bei der Agrarbehörde eine Säumnisbeschwerde ein.

7 Nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung gab das Landesverwaltungsgericht Kärnten (LVwG) mit Erkenntnis vom der Säumnisbeschwerde gemäß § 8 VwGVG Folge (Spruchpunkt I.), wies das (einer Besitzstörungsklage entsprechende) Begehren vom gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 17 VwGVG, § 1 AgrVG, § 98 Abs. 4 K-FLG und § 454 ZPO wegen Versäumung der 30-tägigen Frist als unbegründet ab (Spruchpunkt II.) und erklärte gemäß § 25a VwGG gegen dieses Erkenntnis eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG für unzulässig.

8 Das LVwG führte begründend aus, der Revisionswerber besitze ein Wohnhaus in S, das er ein- bis zweimal pro Woche aufsuche. Die mitbeteiligte Partei habe eine Fläche von 3 ha am nördlichen Rand der (der EZ 259 inne liegenden) Parzelle 1587 KG S spätestens am abgemäht, weil das Schnittgut am bereits von der Fläche entfernt gewesen sei. Der Revisionswerber sei über die mitbeteiligte Partei als Bewirtschafter der Fläche auf Grund vorangegangener Streitigkeiten bestens informiert. Das LVwG gehe zudem davon aus, dass der Revisionswerber in der von ihm selbst als "gefährlich" bezeichneten Zeit des Frühjahrs, insbesondere der zu erwartenden ersten Mahd, öfter in S gewesen sei als üblich und laufende Kontrollen am Grundstück durchgeführt habe. Es wäre dem Revisionswerber daher möglich gewesen, spätestens am von der Störungshandlung Kenntnis zu erlangen.

9 In die Beweiswürdigung maßgeblich eingeflossen sei die glaubwürdige Aussage der mitbeteiligten Partei im Hinblick auf die Art und Weise der Bewirtschaftung: Am abends sei die Fläche laut Angaben des Revisionswerbers bereits abgemäht und das Schnittgut abtransportiert gewesen. Nach der allgemeinen Lebenserfahrung habe bereits der Abtransport - bei der Mahd im Herbst seien 28 Siloballen angefallen; der neue Bewirtschafter transportiere das Schnittgut mit Ladewagen ab - lange Zeit gedauert, zumal die mitbeteiligte Partei das Stadtgebiet von S durchqueren habe müssen und die Mahd mindestens einen Tag vorher erfolgt sei. In die Beweiswürdigung gewichtiger eingeflossen sei jedoch die massive Art und Weise, auf die der Sohn des Revisionswerbers auf diesen während der Befragung hinsichtlich der Häufigkeit seiner Anwesenheit in S eingewirkt und diesen von für ihn nachteiligen Aussagen abgehalten habe.

10 Da die Besitzstörungsklage innerhalb von 30 Tagen ab Kenntnis der Störung und des Störers bei der Behörde hätte einlangen müssen und der letzte Tag der Frist nach dem festgestellten Sachverhalt der gewesen wäre, sei die Besitzstörungsklage des Revisionswerbers verfristet.

11 Besitzstörungen seien nach § 454 Abs. 1 ZPO befristet. Die 30-Tagesfrist sei eine Verfahrenseinleitungsfrist, deren Einhaltung das Gericht (hier: die Behörde) von Amts wegen zu überwachen habe. Maßgeblich für die Wahrung der Frist sei die Kenntnis von Störung und Störer, wobei der Tag der Kenntnisnahme nicht in die Frist mit eingerechnet werde. Nach der herrschenden Lehre müsse die Klage spätestens am letzten Tag der Frist bei Gericht eingelangt sein.

12 Für das LVwG stehe zweifelsfrei fest, dass die Besitzstörungsklage verspätet eingebracht worden sei. Da es sich dabei um die Versäumung einer materiellrechtlichen (Präklusiv-)Frist handle, sei die Besitzstörungsklage nicht zurück-, sondern abzuweisen gewesen.

13 Zur Unzulässigkeit der ordentlichen Revision führte das LVwG aus, es sei keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen gewesen, der grundsätzliche Bedeutung zukomme. Die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sei nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Es lägen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Fragen der Beweiswürdigung begründeten in der Regel keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung (Hinweis auf den hg. Beschluss vom , Ro 2014/01/0011).

14 In der (nur) gegen Spruchpunkt II. des Erkenntnisses des LVwG erhobenen außerordentlichen Revision macht der Revisionswerber geltend, das LVwG verletze durch die Abweisung des Besitzstörungsbegehrens die materielle Bestimmung des § 454 ZPO, wonach Klagen wegen Besitzstörung innerhalb von 30 Tagen, nachdem der Kläger von der Störung Kenntnis erlangt habe, anhängig zu machen seien. Das LVwG habe die Ansicht vertreten, es wäre dem Revisionswerber möglich gewesen, spätestens am von der Störungshandlung Kenntnis zu erlangen. Darauf stelle das Gesetz aber nicht ab. Das angefochtene Erkenntnis verletze daher das Recht des Revisionswerbers auf Einhaltung der Bestimmung des § 454 ZPO.

15 Der Mitbeteiligte erstattete mit Schreiben vom eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag, die Revision mangels Vorliegens einer Rechtsfrage erheblicher Bedeutung nicht zuzulassen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

16 1. Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

17 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

18 Gemäß § 34 Abs. 1a erster Satz VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

19 2. Unstrittig ist, dass die Agrarbehörde bzw. das im Säumnisbeschwerdeweg zuständig gewordene LVwG im vorliegenden Fall gemäß § 98 Abs. 2 K-FLG zur Entscheidung über die Besitzstörungsklage zuständig geworden war.

20 3. Der Revisionswerber macht im Wesentlichen geltend, das LVwG habe § 454 ZPO unrichtig angewandt.

Der Revisionswerber behauptet, erst am abends von der Störung Kenntnis erlangt zu haben. Die Besitzstörungsklage des Revisionswerbers langte am bei der Agrarbehörde ein.

21 Das LVwG traf im angefochtenen Erkenntnis Feststellungen dazu, dass es dem Revisionswerber möglich gewesen wäre, bereits am Tag vor der von ihm behaupteten Kenntnisnahme, also bereits am , von der Störungshandlung Kenntnis zu erlangen. Feststellungen dahingehend, wonach der Revisionswerber tatsächlich an diesem Tag Kenntnis von den besitzstörenden Handlungen erlangt hatte, wurden hingegen nicht getroffen. Das LVwG stellte allein auf die Möglichkeit der Kenntnisnahme von der Besitzstörung ab.

22 4. § 454 ZPO lautet auszugsweise:

"Besondere Bestimmungen für das Verfahren über Besitzstörungsklagen.

§ 454.

(1) Im Verfahren über Klagen wegen Störung des Besitzstandes bei Sachen und bei Rechten, in welchen das Klagebegehren nur auf den Schutz und die Wiederherstellung des letzten Besitzstandes gerichtet ist und welche innerhalb von dreißig Tagen anhängig zu machen sind, nachdem der Kläger von der Störung Kenntnis erlangte, haben die nachfolgenden besonderen Bestimmungen (§§. 455 bis 460) zu gelten.

(2) ..."

23 4.1. § 454 ZPO nimmt - im Hinblick auf den Beginn des Fristenlaufs der Besitzstörungsklage - ausdrücklich Bezug auf die Erlangung der Kenntnis der Störung durch den Kläger. Eine bloße (objektive) Kenntnismöglichkeit kann die positiv verlangte Kenntnis jedenfalls nicht ersetzen (vgl. Fasching, Kommentar zu den Zivilprozeßgesetzen II, 1506, Anm 251 zu § 454 ZPO).

Was die Kenntnis der Störung anlangt, so ist eine allgemeine Verpflichtung, seinen Besitz nach allfälligen Störungen hin zu kontrollieren, aus dem Gesetz nicht abzuleiten (vgl. wiederum Fasching, 1507, Anm 252 zu § 454 ZPO).

24 Der Lauf der Frist beginnt daher entgegen der Ansicht des LVwG nicht mit der Möglichkeit der Kenntnisnahme der Störung, sondern mit der Kenntnis.

Darauf, ob der Revisionswerber bereits am von der Störung Kenntnis hätte erlangen können, stellt das Gesetz nicht ab.

25 4.2. Dadurch, dass das LVwG den Beginn der 30-tägigen Frist für die Einbringung einer Besitzstörungsklage an die bloße Möglichkeit der Kenntnisnahme des Revisionswerbers geknüpft hat, hat es das angefochtene Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit des Inhalts belastet.

26 4.3. Dieser Rechtsirrtum erweist sich auch als relevant:

Nach § 125 Abs. 1 ZPO ist der Tag der Kenntnisnahme nicht in die Frist einzurechnen. Folgt man der Behauptung des Revisionswerbers über seine Kenntnisnahme am , wäre dieser Tag nicht in die Frist einzurechnen und erwiese sich die am bei der Agrarbehörde eingelangte Besitzstörungsklage als rechtzeitig.

27 5. Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts aufzuheben.

28 6. Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013 in der Fassung der Novelle BGBl. II Nr. 8/2014.

Wien, am

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Schlagworte:
Besondere Rechtsgebiete Rechtsgrundsätze Fristen VwRallg6/5

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