VwGH vom 20.10.2011, 2009/21/0182
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant und Dr. Sulzbacher als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Senft, über die Beschwerde des R, vertreten durch Dr. Farhad Paya, Rechtsanwalt in 9020 Klagenfurt, Herrengasse 12/I, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom , Zl. 153.332/2-III/4/09, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein ägyptischer Staatsangehöriger, heiratete am eine österreichische Staatsbürgerin. Daraufhin wurde ihm von der österreichischen Botschaft in Kairo ein vom bis gültiges Visum D erteilt.
Nach seiner Einreise nach Österreich stellte der Beschwerdeführer am bei der Bezirkshauptmannschaft Klagenfurt persönlich einen - auf seine Ehefrau als "Zusammenführende" bezogenen - Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Familienangehöriger" gemäß § 47 Abs. 2 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG).
Diesen Antrag wies der Landeshauptmann von Kärnten mit Bescheid vom gemäß § 11 Abs. 2 Z 4 iVm Abs. 5 NAG ab. Dem liegt die näher begründete Einschätzung zugrunde, die Ehefrau des Beschwerdeführers sei nicht in der Lage, den notwendigen Unterhalt zu gewährleisten.
Die dagegen erhobene Berufung wurde mit dem angefochtenen Bescheid der Bundesministerin für Inneres (der belangten Behörde) vom gemäß § 21 Abs. 6 iVm § 11 Abs. 1 Z 5 und gemäß § 11 Abs. 2 Z 4 NAG abgewiesen.
Tragend begründete die belangte Behörde diese Entscheidung damit, dass der Beschwerdeführer nach Ablauf des ihm erteilten Visums mit nicht ausgereist sei und sich seit seiner Einreise durchgehend im Bundesgebiet aufhalte. Es sei daher vom Vorliegen des Versagungsgrundes iSd § 11 Abs. 1 Z 5 NAG, der auch in der vorliegenden Konstellation anzuwenden sei, auszugehen. In der daran anschließenden weiteren Begründung legte die belangte Behörde näher dar, dass dem Beschwerdeführer der begehrte Aufenthaltstitel auch aufgrund der unzureichenden finanziellen Mittel seiner Ehefrau nicht erteilt werden könne.
Schließlich führte die belangte Behörde Folgendes aus:
"Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom , Zl. G 119/03, judiziert, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in seiner Judikatur einer Ausländerfamilie nicht das unbedingte Recht auf ein gemeinsames Familienleben in einem Vertragsstaat zugesteht. Art. 8 EMRK umfasst nicht die generelle Verpflichtung eines Vertragsstaates, die Wahl des Familienwohnsitzes durch die verschiedenen Familienmitglieder anzuerkennen und die Zusammenführung einer Familie auf seinem Gebiet zu erlauben. Auch beinhaltet Art. 8 EMRK nicht das Recht, den geeignetsten Ort für die Entwicklung des Familienlebens zu wählen. Des Weiteren besteht laut EGMR nicht die grundsätzliche Verpflichtung zur Herstellung des Familienlebens. Jeder Vertragsstaat habe das Recht, die Einreise von Nichtstaatsangehörigen einer Kontrolle zu unterwerfen. Aus diesen Gründen stellt das gemeinsame Familienleben mit Ehegattin keinen besonders berücksichtigungswürdigen Grund dar, um einer Inlandsantragstellung zuzustimmen.
Im vorliegenden Fall wurde daher festgestellt, dass eine Verletzung des Artikels 8 EMRK aufgrund der gesamten Aktenlage zweifelsfrei nicht gegeben ist, welcher die Inlandsantragstellung auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zulassen würde. Vielmehr ist Ihre gewählte Vorgangsweise eine Umgehung der Einwanderungsbestimmungen. Ein rechtskonformes Verhalten durch Ausreise und Antragstellung bei der zuständigen Berufsvertretungsbehörde im Ausland wäre durchaus zumutbar.
Es kann Ihnen der Zuzug nach Österreich unter Einhaltung der üblichen gesetzlichen Bestimmungen zugemutet werden. Dass Sie eingereist sind und - entgegen den gesetzlichen Vorschriften - ohne Bewilligung im Bundesgebiet verblieben sind, haben Sie ausschließlich selbst zu verantworten."
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat - nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen hat:
Die belangte Behörde hat die Antragsabweisung primär auf das Vorliegen des Versagungsgrundes nach § 11 Abs. 1 Z 5 NAG (in der hier maßgeblichen Fassung vor dem am in Kraft getretenen FrÄG 2009) gestützt, wonach Aufenthaltstitel einem Fremden nicht erteilt werden dürfen, wenn eine Überschreitung der Dauer des erlaubten sichtvermerksfreien Aufenthalts im Zusammenhang mit § 21 Abs. 6 NAG vorliegt. Die Heranziehung dieses Versagungsgrundes steht jedoch in einer Konstellation wie der vorliegenden - Inlandsantragstellung während rechtmäßigen Aufenthalts aufgrund eines Visums und Verbleib über die Gültigkeitsdauer des Visums hinaus - mit dem Gesetz nicht im Einklang. Dazu kann gemäß § 43 Abs. 2 VwGG des Näheren auf die Entscheidungsgründe des zu dieser Frage am ergangenen und auf dort zitierte Vorjudikatur Bezug nehmenden Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes Zl. 2008/22/0903 verwiesen werden (vgl. daran anschließend auch das Erkenntnis vom , Zl. 2008/21/0301, Punkt 1. der Entscheidungsgründe, und das Erkenntnis vom , Zl. 2008/21/0590).
Ob die belangte Behörde das (in der Beschwerde bestrittene) Fehlen der Erteilungsvoraussetzung nach § 11 Abs. 2 Z 4 NAG - der Aufenthalt des Fremden darf zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen - zu Recht angenommen hat, bedarf im vorliegenden Fall keiner weiteren Prüfung. § 11 Abs. 3 NAG (in der hier schon anzuwendenden Fassung der am in Kraft getretenen Novelle BGBl. I Nr. 29/2009) bestimmt nämlich, dass ein Aufenthaltstitel (u.a.) trotz Ermangelung der Voraussetzung gemäß Abs. 2 Z 4 erteilt werden kann, wenn dies zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist. Bei dieser Beurteilung sind insbesondere zu berücksichtigen:
"1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen rechtswidrig war;
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2. | das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens; |
3. | die Schutzwürdigkeit des Privatlebens; |
4. | der Grad der Integration; |
5. | die Bindungen zum Heimatstaat des Drittstaatsangehörigen; |
6. | die strafgerichtliche Unbescholtenheit; |
7. | Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts; |
8. | die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Drittstaatsangehörigen in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren." |
Für die angesprochene Beurteilung im Sinne des § 11 Abs. 3 NAG, ob die Versagung eines Aufenthaltstitels einen unzulässigen Eingriff in das Privat- und Familienleben darstellt, ist - an Hand der Umstände des jeweiligen Einzelfalles und unter Bedachtnahme auf die in der Z 1 bis 8 genannten Kriterien - eine gewichtende Gegenüberstellung des Interesses des Fremden an der Erteilung eines Aufenthaltstitels und dem öffentlichen Interesse an der Versagung vorzunehmen. (vgl. etwa das Erkenntnis vom , Zl. 2008/22/0387). Dem wird die sich im Wesentlichen auf die bloße Wiedergabe einzelner Rechtssätze aus der Judikatur des EGMR und die Betonung des öffentlichen Interesses an der Einhaltung der "Einwanderungsbestimmungen" beschränkende Begründung der belangten Behörde, die sich im Übrigen auf die "Zustimmung zur Inlandsantragstellung" bezieht, nicht gerecht (siehe zu einem ähnlichen Begründungsduktus der belangten Behörde unter anderem auch das Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2009/21/0363). Insbesondere wird der Ehe und dem Familienleben des Beschwerdeführers mit seiner die österreichische Staatsbürgerschaft besitzenden Ehefrau zu Unrecht von vornherein kein Gewicht beigemessen. Dieser Begründungsmangel wird in der Beschwerde der Sache nach zutreffend kritisiert. | |
Der angefochtene Bescheid war somit - aus den zunächst genannten Gründen - vorrangig wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben. | |
Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. | |
Wien, am |
Fundstelle(n):
BAAAE-69333