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VwGH vom 03.10.2017, Ra 2016/07/0002

VwGH vom 03.10.2017, Ra 2016/07/0002

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Beck sowie die Hofrätin Dr. Hinterwirth und die Hofräte Dr. N. Bachler, Dr. Lukasser und Mag. Haunold als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schubert-Zsilavecz, über die Revision der G M in N, vertreten durch die Onz o Onz o Kraemmer o Hüttler Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Schwarzenbergplatz 16, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom , Zl. LVwG-AB-14-0937, betreffend wasserrechtliche Bewilligung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht:

Bezirkshauptmannschaft Horn; mitbeteiligte Parteien: 1. J J, 2. E J, 3. J S 4. L S 5. K W, 6. A W und 7. Ing. J S, alle in R, alle vertreten durch Dr. Gerhard Krammer und Dr. Michael Frank, Rechtsanwälte in 3580 Horn, Pfarrgasse 7), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1 1. Mit Bescheid vom erteilte die belangte Behörde den mitbeteiligten Parteien gemäß § 40 Wasserrechtsgesetz 1959 - WRG 1959 die (nachträgliche) wasserrechtliche Bewilligung für die Errichtung und den Betrieb einer Drainageanlage auf bestimmten Grundstücken der KG R. und wies die Einwendungen der Revisionswerberin ab; diese hatte eine massive Beeinträchtigung ihres Wasserrechtes (an einem Biotop mit einer Fläche von 25 m2 auf dem Grundstück Nr. 75 der KG R.), welches mit Bescheid der belangten Behörde vom begründet worden sei, durch das Vorhaben behauptet.

2 Gegen diesen Bescheid erhob die Revisionswerberin Beschwerde, in der sie - unter Hinweis insbesondere auf ein beigelegtes Gutachten des Dr. J. M. vom - ausführte, dass die (bewilligte) Neuerrichtung des Drainagesystems zu einer Ableitung der seitliegenden Grundwasserführung führe, woraus eine maßgebliche Verringerung des Grundwasseranstroms und der Grundwasserdotation des Biotops sowie ein maßgeblich geringeres Grundwasserdargebot im Bereich des Nutzwasserbrunnens auf dem Grundstück Nr. 75 resultiere. In der Beschwerde wurde die Durchführung einer Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht beantragt.

3 2. Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom wies das Verwaltungsgericht die Beschwerde - ohne eine Verhandlung durchzuführen - gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG unter Neubestimmung der Bauvollendungsfrist als unbegründet ab, wobei es die Revision an den Verwaltungsgerichtshof nicht zuließ.

4 Zur Begründung führte das Verwaltungsgericht zunächst aus, es habe ein Gutachten eines grundwasserhydrologischen Amtssachverständigen vom eingeholt, in welchem - zusammenfassend - ausgeführt worden sei, der bewilligte Biotopteich der Revisionswerberin bleibe in der genehmigten Form trotz Umsetzung des gegenständlichen Drainageprojektes im bewilligten Ausmaß nutzbar. Für die Bewirtschaftung der Fläche und der Gebäude auf dem Grundstück der Revisionswerberin Nr. 75 sei der Bestand der Drainage "eher als Vorteil, keinesfalls aber als Nachteil zu bewerten", weil durch diese stauende Hanggrundwässer und Stauwässer, welche eine Bewirtschaftung erschwerten und Gebäudefundamente vernässen könnten, in niederschlagsreichen Perioden bereits im Grundwasserzustrom abgeleitet würden.

5 Aufgrund des ihr eingeräumten Parteiengehörs habe die Revisionswerberin - so das Verwaltungsgericht weiter - dazu mit Schriftsatz vom unter Vorlage einer weiteren fachlichen Stellungnahme von Dr. J. M. (vom ) vorgebracht, dass die Drainagen Einfluss auf den Wasserspiegel des Biotops mit einer Spiegelabsenkung von 0,2 bis 0,3 Meter hätten. Maßgeblich sei die Beeinträchtigung des bewilligten Biotops, wobei Maßstab für eine "Rechtsverletzungsbeurteilung" die Bewilligung der belangten Behörde vom sei; bei der Verletzung von Rechten Dritter gebe es nach der Judikatur keine Geringfügigkeitsgrenze. Dr. J. M. widerlege auch die Aussage des Amtssachverständigen zu den Auswirkungen (unter anderem) der neu errichteten Drainage auf das Biotop der Revisionswerberin (mit näher dargestellten fachlichen Ausführungen).

6 Seinen Erwägungen legte das Verwaltungsgericht zunächst zugrunde, dass das der Revisionswerberin mit Bescheid der belangten Behörde vom eingeräumte Wasserbenutzungsrecht ein gemäß § 12 Abs. 2 WRG 1959 zu schützendes Recht sei.

7 Im Weiteren tätigte das Verwaltungsgericht umfangreiche beweiswürdigende Ausführungen zu den ihm vorliegenden Gutachten des Amtssachverständigen und des Dr. J. M. Dazu führte es etwa aus, der Amtssachverständige könne "lediglich hinsichtlich des westlichen Drainagestranges nicht 100%ig" ausschließen, dass dieser Drainagestrang auch stauende Grundwässer aus dem Einzugsgebiet des Biotopteiches entwässere; dies könne bei hohen Grundwasserständen wie etwa nach langanhaltenden Regenperioden der Fall sein. Ein dann eintretendes geringes Absenken des Teichwasserspiegels lasse aus der Sicht des Amtssachverständigen allerdings "nachteilige Beeinträchtigungen der ökologischen Funktionsfähigkeit des Biotopes" nicht erwarten.

8 Der diesen Ausführungen entgegentretenden Stellungnahme von Dr. J. M. vom folgte das Verwaltungsgericht unter anderem deshalb nicht, weil dieser Gutachter Auswirkungen für möglich halte, diese jedoch nicht näher belege. Für die Zugrundelegung des Gutachtens des Amtssachverständigen spreche auch, dass am gegenständlichen Standort nur geringes Grundwasservorkommen vorliege und die Grundwasserverlagerungsgeschwindigkeit ebenfalls gering sei. Weiters sprächen für die Richtigkeit des Gutachtens des Amtssachverständigen verschiedene, näher angeführte Erhebungsergebnisse anlässlich der (von der belangten Behörde durchgeführten) Verhandlung am , aus denen sich eine unveränderte Wasserstandssituation beim Biotop der Revisionswerberin ergebe.

9 Soweit der Sachverständige Dr. J. M. seine Schlussfolgerungen auf Informationen durch die Revisionswerberin stütze, seien diese "nicht belegt". Die Begehung durch diesen Sachverständigen am und die dabei getroffenen Feststellungen seien "lediglich eine Momentaufnahme", der die in der Verhandlung (vor der belangten Behörde) am getroffenen Feststellungen zum Teich der Revisionswerberin entgegenstünden. Dazu sei auszuführen, dass die von der belangte Behörde bewilligten Drainageleitungen bereits längere Zeit vor der Verhandlung am hergestellt worden seien und bei der belangten Behörde kein Hinweis auf eine Beeinträchtigung des Biotops durch die Drainagen eingegangen sei.

10 Insgesamt kam das Verwaltungsgericht zu dem Schluss, dass das Grundstück der Revisionswerberin bei Vorhandensein der gegenständlichen Drainageanlage weiterhin zumindest wie bisher benutzbar sei und dass "allenfalls eintretende geringfügige Wasserspiegelschwankungen" bei dem Biotop durch den Bewilligungsbescheid vom gedeckt seien, und verneinte so - erkennbar - eine nachteilige Beeinflussung fremder Rechte iSd § 40 Abs. 1 WRG 1959.

11 Von der Durchführung der beantragten Verhandlung könne gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG abgesehen werden, weil es im vorliegenden Fall um die Lösung technischer Fragen gehe und die Schlüssigkeit einander widersprechender Gutachten zu beurteilen gewesen sei; eine weitere Klärung der Rechtssache sei durch eine mündliche Erörterung nicht zu erwarten gewesen.

12 Die Nichtzulassung der Revision begründete das Verwaltungsgericht schlicht damit, dass in gegenständlicher Angelegenheit keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zu lösen gewesen sei.

13 3. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

14 Die belangte Behörde und die mitbeteiligten Parteien haben Revisionsbeantwortungen erstattet, in denen sie die Zurückweisung, in eventu die Abweisung der Revision beantragen.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

15 1. Die vorliegend in den Blick zu nehmenden Bestimmungen des Wasserrechtsgesetzes 1959 - WRG 1959, BGBl. Nr. 215/1959 idF BGBl. I Nr. 54/2014, lauten wie folgt:

"Grundsätze für die Bewilligung hinsichtlich öffentlicher Interessen und fremder Rechte.

§ 12. (1) Das Maß und die Art der zu bewilligenden Wasserbenutzung ist derart zu bestimmen, daß das öffentliche Interesse (§ 105) nicht beeinträchtigt und bestehende Rechte nicht verletzt werden.

(2) Als bestehende Rechte im Sinne des Abs. 1 sind rechtmäßig geübte Wassernutzungen mit Ausnahme des Gemeingebrauches (§ 8), Nutzungsbefugnisse nach § 5 Abs. 2 und das Grundeigentum anzusehen.

(3) Inwiefern jedoch bestehende Rechte - abgesehen von den Bestimmungen des Abs. 4 des § 19 Abs. 1 und des § 40 Abs. 3 - durch Einräumung von Zwangsrechten beseitigt oder beschränkt werden können, richtet sich nach den Vorschriften des achten Abschnittes.

(4) Die mit einer geplanten Wasserbenutzungsanlage verbundene Änderung des Grundwasserstandes steht der Bewilligung nicht entgegen, wenn das betroffene Grundstück auf die bisher geübte Art benutzbar bleibt. Doch ist dem Grundeigentümer für die nach fachmännischer Voraussicht etwa eintretende Verschlechterung der Bodenbeschaffenheit eine angemessene Entschädigung (§ 117) zu leisten.

(...)

Entwässerungsanlagen.

§ 40. (1) Entwässerungsanlagen bedürfen der wasserrechtlichen Bewilligung, sofern es sich um eine zusammenhängende Fläche von mehr als 3 ha handelt oder eine nachteilige Beeinflussung der Grundwasserverhältnisse des Vorfluters oder fremder Rechte zu befürchten ist.

(2) (...)

(3) Bei der Bewilligung finden die Vorschriften des § 12 Abs. 3 und 4, bei der Auflassung jene des § 29 sinngemäß Anwendung.

(...)"

16 2. Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

17 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

18 3. In der vorliegenden außerordentlichen Revision wird zu deren Zulässigkeit (unter anderem) vorgebracht, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht die Durchführung der beantragten Verhandlung unterlassen und sich damit in Widerspruch zur hg. Rechtsprechung gesetzt (Hinweis u.a. auf das Erkenntnis vom , Zl. Ra 2014/19/0125). Das Verwaltungsgericht habe nämlich gestützt auf das von ihm eingeholte Gutachten (des Amtssachverständigen) eine ergänzende Beweiswürdigung vorgenommen, welche die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung nicht bloß unwesentlich ergänzt habe. Mangels Durchführung einer Verhandlung habe die Revisionswerberin auch nicht etwa im Rahmen einer solchen Verhandlung nach § 17 VwGVG iVm § 43 Abs. 4 AVG Fragen an die anwesenden Sachverständigen stellen können.

19 4. Schon aufgrund dieses Vorbringens erweist sich die Revision als zulässig. Sie ist auch berechtigt.

20 4.1. Die Revisionswerberin hat im vorliegenden Fall - bereits in der Beschwerde - die Durchführung einer Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht beantragt.

21 4.2. Nach § 24 Abs. 4 VwGVG kann das Verwaltungsgericht - soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist - ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 EMRK noch Art. 47 Europäische Grundrechtecharta entgegenstehen.

22 Wie der Verwaltungsgerichtshof zu dieser Bestimmung bereits ausgesprochen hat, hat - wenn das Verwaltungsgericht eine zusätzliche, die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung nicht bloß unwesentlich ergänzende Beweiswürdigung vornimmt - eine solche ergänzende Beweiswürdigung regelmäßig erst nach Durchführung einer Verhandlung zu erfolgen (vgl. etwa das schon von der Revisionswerberin genannte Erkenntnis zur Zl. Ra 2014/19/0125, weiters etwa die Erkenntnisse vom , Zl. Ra 2014/19/0050, vom , Zl. Ra 2014/01/0200, sowie vom , Zl. Ra 2015/06/0007, jeweils mwN).

23 Die Voraussetzung des § 24 Abs. 4 VwGVG, dass "die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt", liegt nach der hg. Rechtsprechung im Übrigen nur dann vor, wenn von vornherein absehbar ist, dass die mündliche Erörterung nichts zur Ermittlung der materiellen Wahrheit beitragen kann, was (u.a.) eine bereits erfolgte hinreichende Klärung des Sachverhaltes voraussetzt (vgl. dazu die Nachweise bei Eder/Martschin/Schmid, Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte2, E 31 zu § 24 VwGVG).

24 4.3. Vorliegend hat das Verwaltungsgericht im angefochtenen Erkenntnis gegenüber dem Verfahren vor der belangten Behörde eine weitreichende Ergänzung der Beweiswürdigung vorgenommen, in der es - wie oben unter I.2. wiedergegeben - u. a. ohne Erörterung mit den Sachverständigen (und ohne Fragen an diese zu ermöglichen) deren Gutachten gegeneinander abgewogen, verschiedene Erhebungsergebnisse anlässlich einer von der belangten Behörde (etwa eineinhalb Jahre vorher) durchgeführten Verhandlung einbezogen und schließlich im Ergebnis auch die Richtigkeit der von der Revisionswerberin ihrem Sachverständigen Dr. J. M. gegebenen "Informationen" bezweifelt hat (ohne seiner Ermittlungspflicht in diesem Zusammenhang nachzukommen; vgl. dazu etwa Bumberger/Hinterwirth, WRG2, E 4 und 14 zu § 12).

25 Eine solche weitreichende ergänzende Beweiswürdigung durfte das Verwaltungsgericht allerdings nach dem Gesagten nicht ohne Durchführung einer Verhandlung vornehmen.

26 4.4. Durch die zu Unrecht unterlassene Verhandlung hat das Verwaltungsgericht das angefochtene Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet. Die mögliche Relevanz des darin gelegenen Verfahrensmangels liegt mit Blick auf die zentrale Bedeutung der fachlichen Einschätzung des Amtssachverständigen für das angefochtene Erkenntnis (vgl. dessen Wiedergabe oben unter Punkt I. 2.) auf der Hand (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. Ra 2015/07/0117).

27 5. Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben.

28 Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Wien, am