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VwGH vom 30.04.2013, 2012/05/0102

VwGH vom 30.04.2013, 2012/05/0102

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kail und die Hofräte Dr. Enzenhofer und Dr. Moritz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Kalanj, über die Beschwerde des Ing. A B in K, vertreten durch Mag. Thomas Rosecker, Rechtsanwalt in 2700 Wiener Neustadt, Herzog-Leopold-Straße 16, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom , Zl. RU1- BR-1656/001-2012, betreffend Zurückweisung einer Vorstellung in einer Bauangelegenheit (mitbeteiligte Parteien: 1. A H in K, und 2. Gemeinde K), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Niederösterreich hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

Mit Bescheid der Bürgermeisterin der mitbeteiligten Gemeinde vom wurde unter Spruchpunkt I. der erstmitbeteiligten Partei die baubehördliche Bewilligung für den Um- bzw. Neubau eines Wohngebäudes mit zwei Wohneinheiten und eines Flugdaches auf einem näher bezeichneten Grundstück in K unter Vorschreibung von Auflagen erteilt. Unter Spruchpunkt II. dieses Bescheides wurden die vom Beschwerdeführer als Nachbarn erhobenen Einwendungen als unbegründet "und unzulässig" abgewiesen.

Auf Grund der vom Beschwerdeführer erhobenen Berufung wurde mit Bescheid des Gemeindevorstandes der mitbeteiligten Gemeinde vom Spruchpunkt I. des erstinstanzlichen Bescheides präzisiert. Im Übrigen wurde die Berufung des Beschwerdeführers als unbegründet abgewiesen. Dieser Berufungsbescheid wurde dem Beschwerdeführer im Postweg nach einem Zustellversuch am durch Hinterlegung zugestellt, wobei in dem an den Gemeindevorstand übermittelten "Formular 4/2 zu § 22 des Zustellgesetzes" (Rückschein) als Beginn der Abholfrist der vermerkt ist.

Der Beschwerdeführer erhob gegen den Berufungsbescheid Vorstellung, die er am mit E-Mail der belangten Behörde übermittelte.

Mit dem nunmehr in Beschwerde gezogenen Bescheid der belangten Behörde vom wurde die Vorstellung des Beschwerdeführers gemäß § 61 Abs. 4 der NÖ Gemeindeordnung 1973 als verspätet zurückgewiesen. Dazu führte die belangte Behörde (u.a.) aus, dass die mit datierte Vorstellung am Montag, dem , um 14.48 Uhr, per E-Mail sowohl beim Amt der NÖ Landesregierung als auch bei der Baubehörde eingebracht worden sei. Da der Berufungsbescheid laut dem in den Verwaltungsakten befindlichen Rückschein dem Beschwerdeführer am nicht habe persönlich zugestellt werden können und daraufhin ab am Postamt K zur Abholung bereitgehalten worden sei und die zweiwöchige Rechtsmittelfrist daher mit Ablauf des Freitags, des , geendet habe, sei die am mit E-Mail eingebrachte Vorstellung als verspätet zurückzuweisen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, allenfalls wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Mit der Beschwerde legte der Beschwerdeführer Ablichtungen nicht nur des oben genannten Rückscheines (Formular 4/2 zu § 22 des Zustellgesetzes), sondern auch der "Verständigung über die Hinterlegung eines behördlichen Dokuments" (Formular 1 zu § 17 Abs. 2 des Zustellgesetzes) vor. Darin ist unter "Das Dokument ist abzuholen" der Vermerk "ab dem nächsten Werktag 9:00 Uhr" angekreuzt; weiters sind die Adresse und die Öffnungszeiten des Hinterlegungs-Postpartners angeführt.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

Die beiden mitbeteiligten Parteien haben sich am Beschwerdeverfahren nicht beteiligt.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Gemäß § 61 Abs. 1 der Gemeindeordnung 1973 kann derjenige, der durch den Bescheid eines Gemeindeorganes in den Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet, nach Erschöpfung des Instanzenzuges innerhalb von zwei Wochen, von der Zustellung des Bescheides an gerechnet, dagegen eine mit einem begründeten Antrag versehene Vorstellung bei der Aufsichtsbehörde erheben.

Gemäß § 61 Abs. 2 leg. cit. gilt für das Vorstellungsverfahren, dass (lit. a) schriftliche Anbringen in jeder technischen Form übermittelt werden können, mit E-Mail jedoch nur insoweit, als für den elektronischen Verkehr zwischen der Behörde und den Beteiligten nicht besondere Übermittlungsformen vorgesehen sind, und (lit. b) unzulässige oder verspätete Vorstellungen von der Aufsichtsbehörde zurückzuweisen sind.

Gemäß § 32 Abs. 2 AVG enden nach Wochen bestimmte Fristen mit dem Ablauf desjenigen Tages der letzten Woche, der durch seine Benennung oder Zahl dem Tag entspricht, an dem die Frist begonnen hat.

Gemäß § 33 Abs. 2 AVG (in der hier maßgeblichen Fassung vor Inkrafttreten des Verwaltungsgerichtsbarkeits-Ausführungsgesetzes 2013, BGBl. I Nr. 33) ist, wenn das Ende einer Frist auf einen Samstag, Sonntag, gesetzlichen Feiertag oder den Karfreitag fällt, der nächste Werktag letzter Tag der Frist.

§ 17 Zustellgesetz lautet auszugsweise:

"Hinterlegung

§ 17. (1) Kann das Dokument an der Abgabestelle nicht zugestellt werden und hat der Zusteller Grund zur Annahme, daß sich der Empfänger oder ein Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 regelmäßig an der Abgabestelle aufhält, so ist das Dokument im Falle der Zustellung durch den Zustelldienst bei seiner zuständigen Geschäftsstelle, in allen anderen Fällen aber beim zuständigen Gemeindeamt oder bei der Behörde, wenn sie sich in derselben Gemeinde befindet, zu hinterlegen.

(2) Von der Hinterlegung ist der Empfänger schriftlich zu verständigen. Die Verständigung ist in die für die Abgabestelle bestimmte Abgabeeinrichtung (Briefkasten, Hausbrieffach oder Briefeinwurf) einzulegen, an der Abgabestelle zurückzulassen oder, wenn dies nicht möglich ist, an der Eingangstüre (Wohnungs-, Haus- , Gartentüre) anzubringen. Sie hat den Ort der Hinterlegung zu bezeichnen, den Beginn und die Dauer der Abholfrist anzugeben sowie auf die Wirkung der Hinterlegung hinzuweisen.

(3) Das hinterlegte Dokument ist mindestens zwei Wochen zur Abholung bereitzuhalten. Der Lauf dieser Frist beginnt mit dem Tag, an dem das Dokument erstmals zur Abholung bereitgehalten wird. Hinterlegte Dokumente gelten mit dem ersten Tag dieser Frist als zugestellt. Sie gelten nicht als zugestellt, wenn sich ergibt, daß der Empfänger oder dessen Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte, doch wird die Zustellung an dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag innerhalb der Abholfrist wirksam, an dem das hinterlegte Dokument behoben werden könnte.

(…)"

Die Beschwerde bringt vor, soweit dem Akteninhalt habe entnommen werden können, scheine im "Formular 4/2 zu § 22 des Zustellgesetzes" tatsächlich auf, dass am ein Zustellversuch stattgefunden habe und eine Hinterlegungsverständigung mit dem Vermerk der Hinterlegungsstelle und des Beginnes der Abholfrist "" in den Briefkasten (des Beschwerdeführers) eingelegt worden sei. In der an der Abgabestelle des Beschwerdeführers am zurückgelassenen Hinterlegungsverständigung, die er in den Abendstunden dieses Tages vorgefunden habe, sei jedoch der nächste Werktag als erster Tag für die Abholung des Dokumentes, und zwar an diesem Tag ab 9.00 Uhr, vermerkt gewesen. Im Hinblick auf die in der Hinterlegungsverständigung angeführten Öffnungszeiten des Postpartners in K habe die Zustellerin nur den gemeint haben können, weil dies der einzige Tag sei, an dem die Postabholstelle bereits ab 8.00 Uhr geöffnet sei. Aus den Öffnungszeiten an allen anderen Tagen ergebe sich, dass eine Abholung frühestens ab 10.00 Uhr möglich sei. Im Übrigen könnte leicht in Erfahrung gebracht werden, dass die das gegenständliche Dokument hinterlegende Zustellerin hinterlegte behördliche Dokumente niemals am selben Tag bei der Postabholstelle abgebe und immer erst den nächsten Werktag als ersten Tag der Abholfrist anführe. "Im vorliegenden Fall handelte es sich bedauerlicherweise um einen Freitag, sodass datumsmäßig mangels der sehr eingeschränkten Abholzeiten eine relativ große Differenz zwischen dem Tag der Abholung und dem ersten Tag der Abholfrist entstanden ist". Der erste Tag der Abholfrist im Sinn des § 17 Abs. 3 Zustellgesetz sei somit tatsächlich der Montag, der , gewesen, sodass die Vorstellung rechtzeitig eingebracht worden sei.

Das Vorbringen, dass in der am an der Abgabestelle zurückgelassenen Hinterlegungsverständigung der nächste Werktag als erster Tag für die Abholung des Dokumentes vermerkt gewesen sei, führt die Beschwerde zum Erfolg.

Nach ständiger hg. Judikatur hat die Behörde vor der Zurückweisung eines Rechtsmittels als verspätet entweder von Amts wegen zu prüfen, ob ein Zustellmangel unterlaufen ist - wenn Umstände auf einen solchen hinweisen -, oder dem Rechtsmittelwerber die Verspätung seines Rechtsmittels vorzuhalten. Unterlässt die Behörde dies, kann der Rechtsmittelwerber ohne Verstoß gegen das Neuerungsverbot den Zustellmangel in seiner Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof geltend machen. Geht die Behörde somit von der Feststellung der Versäumung der Rechtsmittelfrist aus, ohne dem Rechtsmittelwerber dies vorgehalten zu haben, hat sie das Risiko einer Bescheidaufhebung wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften zu tragen (vgl. zum Ganzen etwa die Erkenntnisse vom , Zl. 2005/01/0600, und vom , Zl. 2009/11/0010, mwN).

Nach Ausweis der Verwaltungsakten hat die belangte Behörde dem Beschwerdeführer vor Erlassung des angefochtenen Bescheides keine Gelegenheit gegeben, die im Rückschein dokumentierte, aber widerlegbare Vermutung des Zeitpunktes der Zustellung zu widerlegen, und ihm ihre Annahme der Versäumung der Vorstellungsfrist nicht vorgehalten.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am