VwGH vom 16.05.2012, 2009/21/0134
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Beschwerde des P in W, vertreten durch Mag. Dr. Ingrid Weber, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Rotenturmstraße 19, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom , Zl. BMI- 1020196/0002-II/3/2009, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der am geborene Beschwerdeführer stammt aus Bosnien und Herzegowina und ist kroatischer Staatsangehöriger. Nach eigenen Angaben befand er sich erstmals 1989 für drei oder vier Monate in Österreich. 1993 gelangte er erneut ins Bundesgebiet, wo er dann als bosnischer Kriegsflüchtling bis zum über eine Aufenthaltsberechtigung verfügte.
Von 1995 bis 2002 hielt sich der Beschwerdeführer - so wiederum seine Angaben - in Kroatien auf, erst 2002 sei er wieder für ein paar Monate nach Österreich gekommen. Auch 2003 habe er sich einige Monate in Kroatien und einige Monate in Österreich aufgehalten, wo er nunmehr seit durchgehend gemeldet ist.
Am heiratete der Beschwerdeführer in Wien eine ursprünglich aus Serbien stammende österreichische Staatsbürgerin. Im Hinblick darauf wurde ihm mit Gültigkeit bis eine Niederlassungsbewilligung ausgestellt.
Im April 2005 beantragte der Beschwerdeführer die Verlängerung seiner Niederlassungsbewilligung. Mittlerweile waren jedoch Scheineheerhebungen eingeleitet worden, die schließlich in der Erlassung eines fünfjährigen Aufenthaltsverbotes, gestützt auf § 87 iVm § 86 Abs. 1 und § 63 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG, mündeten. In ihrem Bescheid vom hielt die Bundespolizeidirektion Wien (BPD) einleitend u.a. fest, dass gegen den Beschwerdeführer bereits 1997 ein Verfahren zur Aufenthaltsbeendigung eingeleitet worden sei und dass bei der Wiener Gebietskrankenkasse Rückstände in der Höhe von S 26.000,-- aufgeschienen wären; der Beschwerdeführer sei an seiner damaligen Meldeadresse jedoch unbekannt gewesen.
Zum Vorliegen einer Aufenthaltsehe führte die BPD aus, dass der Beschwerdeführer und seine Ehefrau über getrennte Wohnsitze verfügten und dass sie sich nach ihren Angaben fallweise bzw. am Wochenende in der Wiener Wohnung des Beschwerdeführers treffen würden. Bei Erhebungen an der Adresse der Ehefrau des Beschwerdeführers im November 2004 habe diese jedoch einen falschen Vornamen des Beschwerdeführers genannt und dessen genaue Anschrift im 14. Bezirk nicht angeben können. Erst nach Einsicht in einen Meldezettel sei ihr Letzteres möglich gewesen und habe sie den Vornamen des Beschwerdeführers korrigiert. Bei einer Wohnungserhebung an der Anschrift des Beschwerdeführers in Wien 14 wiederum habe sich der Verdacht ergeben, dass die Wohnung nur sehr spärlich benutzt werde; regelmäßige Besuche der Ehefrau des Beschwerdeführers hätten nicht bestätigt werden können. Somit sei die Annahme berechtigt, dass (dort) "kein eheliches Leben stattgefunden" habe.
Überdies verwies die BPD darauf, dass der Beschwerdeführer und seine österreichische Ehefrau bei Einvernahmen am widersprüchliche Angaben gemacht hätten. Dazu wurde - u.a. - Folgendes festgehalten:
"Sie gaben an, dass Ihre Gattin Ihre neue Wohnung in Wien 16 … lediglich besichtigt, dort jedoch nie genächtigt hätte. Laut Auskunft Ihrer Gattin hätte sie jedoch dort schon übernachtet.
Ihre Gattin hat einen Kredit in der Höhe von EUR 220.000.--, von dem sie, lt. ihren eigenen Angaben, Ihnen auch erzählt hat. Sie jedoch gaben an, nicht zu wissen, ob Ihre Gattin Schulden hätte.
…
Über die Hochzeitsnacht befragt gaben Sie an, dass sie nach der Trauung nach G. gefahren wären, die Hochzeitsnacht jedoch getrennt jeder in der eigenen Wohnung verbracht hätte. Ihre Gattin hingegen gab an, dass sie im Anschluss an die Hochzeit in Ihre Wohnung in Wien 14 gefahren wären und dort auch die Hochzeitsnacht verbracht hätten. Sie wäre auch am nächsten Tag von dort aus in die Arbeit gefahren.
…
Das Wochenende vor der Einvernahme hätten Sie, lt. Ihren Angaben, angeblich auf Grund eines wichtigen Termins Ihrer Gattin, der Ihnen aber nicht bekannt (gewesen sei), getrennt verbracht und Sie hätten in der neuen Wohnung gearbeitet. Ihre Gattin gab jedoch an, dass sie am letzten Wochenende Samstag nach der Arbeit um ca. 16.00 Uhr zu Ihnen in den 16. Bezirk gefahren wäre, sie den Nachmittag gemeinsam verbracht hätten und sie um ca. 19.30 Uhr nach G. gefahren wäre."
Insgesamt ergebe sich - so die BPD in ihrem Bescheid vom zusammenfassend - "ein klares Bild einer Aufenthaltsehe".
Die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung wies die im Devolutionsweg zuständig gewordene Bundesministerin für Inneres (die belangte Behörde) mit dem nunmehr bekämpften Bescheid vom ab. Sie erklärte, sich den umfangreichen Ausführungen der BPD "im Zusammenhang mit dem (vom Beschwerdeführer) behaupteten gemeinsamen Ehe- und Familienleben mit (seiner) österreichischen Gattin vollinhaltlich" anzuschließen und diese zum Inhalt ihres Bescheides zu erheben. Ergänzend hielt sie bezugnehmend auf das diesbezügliche Berufungsvorbringen fest:
"Zu Ihrer Behauptung, dass Ihre Gattin bei ihrer ersten Befragung am geglaubt habe, zu ihrem Schwiegersohn befragt zu werden, und deshalb dessen Namen und Wohnort anstellte des Ihren genannt habe, ist zu bemerken, dass Ihre Gattin ihre Angaben nach Einsicht in Ihren Meldezettel korrigierte. Es ist daher davon auszugehen, dass Ihre Gattin tatsächlich Ihren Namen und Wohnort nicht angeben konnte und die Verwechslung nicht bloß auf einem Missverständnis beruhte.
Einerseits behaupten Sie in Ihrer Berufung, in Ihrer Wohnung im 14. Bezirk ständig aufhältig gewesen zu sein …, sodass die Würdigung, Sie würden sich dort nur spärlich aufhalten … unzutreffend sei. Andererseits rechtfertigen Sie die Tatsache, dass Ihre Nachbarn Ihre Gattin nicht kennen, damit, dass Sie auf Grund Ihrer Berufstätigkeit und dadurch öfters bedingten Abwesenheit nur selten in der Wohnung gewesen seien und daher auch Ihre Gattin, welche sich dort überdies nur an den Wochenenden aufgehalten habe, unbekannt sei. Diese widersprüchliche Rechtfertigung konnte die Ermittlungsergebnisse nicht entkräften.
Zutreffend haben Sie geltend gemacht, dass Ihnen aus der Tatsache, dass Sie die Handynummer Ihrer Gattin und umgekehrt nicht auswendig wussten, kein Vorwurf gemacht werden kann, zumal es der Lebenserfahrung entspricht, dass man sich auf den Speicher des Handys verlässt. Es sind Ihnen wohl auch einige Übereinstimmungen in ihren Aussagen zuzugestehen, wobei die Widersprüche jedoch in geradezu eklatanter Weise überwiegen, weshalb aus den wenigen Übereinstimmungen nichts für Sie gewonnen werden konnte. Auffallend ist in diesem Zusammenhang auch, dass Ihre Gattin in ihrer ersten Einvernahme 2004 noch behauptete, Sie in Marburg kennen gelernt zu haben, während sie übereinstimmend in ihren späteren Einvernahmen behaupteten, sich in Zagreb (ein Unterschied von fast 120 km) kennengelernt zu haben.
Schließlich ist noch zu bemerken, dass es befremdlich ist, wenn Ehepartner nichts über die finanziellen Umstände ihres Partners wissen, dies jedoch allein keinen Beweis für das Vorliegen einer Scheinehe darstellen kann. In Ihrem Fall kommt jedoch hinzu, dass Sie behauptet und dies auch in Ihrer Berufung aufrecht erhalten haben, nichts über etwaige Kredite Ihrer Gattin zu wissen, während diese angegeben hat, dass Sie über ihren Kredit informiert seien und ihr fallweise auch finanziell unter die Arme gegriffen hätten."
Insgesamt ergebe sich - so die belangte Behörde weiter - eindeutig, dass der Beschwerdeführer ein gemeinsames Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK mit seiner österreichischen Ehefrau nie geführt, sondern diese Ehe offensichtlich zu dem Zweck geschlossen habe, fremdenrechtlich bedeutsame Bewilligungen zu erlangen. Dies rechtfertige die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nach den §§ 86 und 87 FPG. Damit sei zwar ein Eingriff in das Privatleben des Beschwerdeführers verbunden. Insgesamt sei jedoch von einem Überwiegen der öffentlichen Interessen an einer Ausreise des Beschwerdeführers auszugehen, zumal sich seine bisherige Integration insofern als geschmälert darstelle, als sie rechtsmissbräuchlich erlangt worden sei.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift seitens der belangten Behörde erwogen:
Vorauszuschicken ist, dass der bekämpfte Bescheid auf Basis der bei seiner Erlassung geltenden Rechtslage zu beurteilen ist. Soweit im Folgenden von Bestimmungen des FPG die Rede ist, wird daher auf die im April 2009 gültige Fassung Bezug genommen.
Der Beschwerdeführer ist Familienangehöriger (§ 2 Abs. 4 Z 12 FPG) einer Österreicherin. Für diese Personengruppe gelten jedenfalls - und zwar gemäß § 87 zweiter Satz FPG auch dann, wenn der österreichische Angehörige sein (gemeinschaftsrechtlich begründetes) Recht auf Freizügigkeit nicht in Anspruch genommen hat - die Bestimmungen für begünstigte Drittstaatsangehörige nach § 86 FPG. Nach § 86 Abs. 1 FPG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nur zulässig, wenn auf Grund des persönlichen Verhaltens des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Es entspricht der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, dass diese Voraussetzungen gegeben sind, wenn der Fremde im Sinne des Tatbestandes des § 60 Abs. 2 Z 9 FPG eine sogenannte Aufenthaltsehe geschlossen, also mit dem Ehegatten ein gemeinsames Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK nie geführt und sich trotzdem für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung oder eines Befreiungsscheines auf diese Ehe berufen hat (vgl. aus jüngerer Zeit etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2009/21/0170).
Im vorliegenden Fall ging die belangte Behörde davon aus, dass der Beschwerdeführer den Aufenthaltsverbotstatbestand des § 60 Abs. 2 Z 9 FPG verwirklicht habe, sodass ein Aufenthaltsverbot nach § 86 Abs. 1 FPG verhängt werden könne.
Den zum Vorliegen einer Aufenthaltsehe angestellten beweiswürdigenden Überlegungen der BPD und in der Folge der belangten Behörde tritt der Beschwerdeführer nur ansatzweise entgegen. Er wendet aber vor allem ein, die belangte Behörde hätte nicht auf den erstinstanzlichen Bescheid verweisen dürfen. Das ist indes nicht richtig. Verweise in der Begründung eines Berufungsbescheides auf Ausführungen des erstinstanzlichen Bescheides sind nämlich grundsätzlich zulässig (vgl. Hengstschläger/Leeb , AVG § 67 Rz 9 f. und die dort zitierte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes). Davon unberührt bleibt die Verpflichtung der Berufungsbehörde, sich darüber hinaus mit konkretem Berufungsvorbringen, soweit es von Relevanz ist, auseinanderzusetzen. Dieser Aufgabe ist die belangte Behörde im vorliegenden Fall allerdings, anders als der Beschwerdeführer meint, ohnehin nachgekommen. Dazu kann es genügen, auf die oben wörtlich wiedergegebenen Ausführungen des bekämpften Bescheides zu verweisen. Dass die belangte Behörde nicht auch auf das zur erstinstanzlichen Anmerkung betreffend ein 1997 eingeleitetes Aufenthaltsverbotsverfahren und einen Rückstand bei der Wiener Gebietskrankenkasse erstattete Vorbringen eingegangen ist, ist unschädlich, weil es darauf im gegebenen Zusammenhang nicht ankommt.
Was die im Zuge der Behandlung des Berufungsvorbringens ergänzend angestellten beweiswürdigenden Überlegungen der belangten Behörde anlangt, so rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung des Rechts auf Parteiengehör. Auch dieser Vorwurf ist jedoch verfehlt, weil die Beweiswürdigung nicht dem Parteiengehör unterliegt ( Hengstschläger/Leeb , aaO., § 45 Rz 25). Warum die belangte Behörde aber im Zusammenhang mit ihren zur Beweiswürdigung angestellten Erwägungen von Amts wegen weitere Ermittlungen hätte vornehmen sollen, vermag die Beschwerde nicht aufzuzeigen. Insoweit ist auch der Vorwurf, es seien weitere Ermittlungsschritte unterlassen worden, nicht berechtigt.
Im Ergebnis ist damit festzuhalten, dass dem bekämpften Bescheid die behaupteten Verfahrensmängel nicht anhaften. Schon im Hinblick auf die bereits von der BPD aufgezeigten widersprüchlichen Angaben des Beschwerdeführers und seiner Ehefrau (siehe oben; zur Divergenz hinsichtlich Hochzeitsnacht und Gestaltung des letzten Wochenendes vor den Einvernahmen am hat der Beschwerdeführer weder in der Berufung noch in der vorliegenden Beschwerde eine Erklärung abgegeben) begegnet aber auch die Beweiswürdigung der belangten Behörde im Rahmen der dem Verwaltungsgerichtshof zukommenden eingeschränkten Überprüfungsbefugnis (vgl. dazu das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom , Zl. 85/02/0053) keinen Bedenken.
Davon ausgehend und unter Bedachtnahme auf die eingangs dargestellte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kann der dem bekämpften Bescheid zugrunde liegenden Beurteilung, dass bezüglich des Beschwerdeführers die in § 86 Abs. 1 FPG umschriebene Annahme gerechtfertigt sei, nicht mit Erfolg entgegengetreten werden.
Auch die behördliche Interessenabwägung nach § 66 (iVm § 60 Abs. 6) FPG ist aber nicht zu beanstanden. Angesichts des Schließens einer Aufenthaltsehe ist das öffentliche Interesse an der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nämlich derart gewichtig, dass die aus dem bisherigen inländischen Aufenthalt des Beschwerdeführers - wobei die Zeiten vor 1995 in Anbetracht des dann zumindest bis 2002 in Kroatien bestehenden Wohnsitzes nicht maßgeblich ins Gewicht fallen - und seiner Berufstätigkeit abzuleitenden gegenläufigen Interessen, auf deren Relativierung die belangte Behörde zutreffend hingewiesen hat, zurückzutreten haben. Dass sich - von der belangten Behörde ohnehin berücksichtigt - Geschwister des Beschwerdeführers in Österreich befinden, ändert daran nichts, zumal die in der Beschwerde ergänzend geltend gemachte "wohl innigste Bindung zum Bruder und zur Schwester und deren Familien", soweit in diesem Vorbringen nicht eine im verwaltungsgerichtlichen Verfahren unbeachtliche Neuerung zu erblicken ist, jedenfalls in keiner Weise präzisiert wird.
Nach dem Gesagten kommt der Beschwerde keine Berechtigung zu. Sie war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am
Fundstelle(n):
QAAAE-69221