VwGH 27.07.2016, Ra 2016/06/0017
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssatz
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Normen | |
RS 1 | Verweist das LVwG im Ergebnis bloß auf den UVP-Feststellungsbescheid der Landesregierung ohne auf Grund nachvollziehbarer (eigener) Feststellungen darzulegen, warum es vom Fehlen einer UVP-Pflicht ausgeht, wird hiezu bemerkt, dass das LVwG im gegebenen Sachzusammenhang zwar grundsätzlich auf Unterlagen und Gutachten aus dem UVP-Feststellungsverfahren zurückgreifen kann, sofern diese noch aktuell sind. Diese Entscheidungsgrundlagen wären jedoch im Verfahren den Parteien zur Kenntnis zu bringen und die Gelegenheit zur Äußerung einzuräumen gewesen. Das Parteiengehör ist nämlich von Amts wegen, ausdrücklich, in förmlicher Weise zu gewähren (Hinweis E vom , 2012/10/0239, m.w.N.). Die mangelhafte Erörterung der den Feststellungen im angefochtenen Erkenntnis zugrunde gelegten Urkunden belastet somit die Entscheidung des Gerichtes mit einer Rechtswidrigkeit des Inhaltes. |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch, die Hofrätinnen Dr. Bayjones, Mag.a Merl und Mag. Rehak sowie den Hofrat Mag. Haunold als Richter, im Beisein der Schriftführerin MMag. Lehner, über die Revision des JB in E, vertreten durch die Hochleitner Rechtsanwälte GmbH in 4320 Perg, Linzer Straße 14, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom , Zl. LVwG-AB-14-0712, betreffend eine Bewilligung nach dem Niederösterreichischen Straßengesetz (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft A; mitbeteiligte Partei: Land Niederösterreich, Landesstraßenverwaltung, vertreten durch die Fellner Wratzfeld & Partner Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Schottenring 12), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Niederösterreich hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Zur Vorgeschichte wird auf die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2007/05/0285, vom , Zl. 2008/05/0086, vom , Zl. 2011/06/0118, und vom , Zl. Ro 2014/06/0006, verwiesen.
2 Mit dem zuletzt ergangenen Erkenntnis vom wurde der Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom (Anmerkung: die im Instanzenzug ergangene straßenbaurechtliche Bewilligung gemäß § 12 NÖ Straßengesetz 1999 für die Umfahrungsstraße "Umfahrung P") wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben. Dies wurde im Wesentlichen damit begründet, dass der (nunmehrige:) Revisionswerber als dinglich Berechtigter an Grundstücken, auf denen die Baumaßnahmen durchgeführt werden sollen, dem Verwaltungsverfahren nicht beigezogen worden sei, weshalb ihm das grundsätzlich vor dem Verwaltungsgerichtshof geltende Neuerungsverbot (insoweit es sich um Behauptungen handle, die sich auf subjektive Rechte des dinglich Berechtigten beziehen) nicht entgegengehalten werden könne. Er habe (mit einem näher dargestellten Vorbringen) eine Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhaltes aufgezeigt, weil eine abschließende Beurteilung, ob die Zufahrt zu den Grundstücken des Revisionswerbers sichergestellt sei, nicht möglich sei. Ein Eingehen auf das weitere Beschwerdevorbringen erübrige sich, weil der Revisionswerber als dinglich Berechtigter berechtigt sei, im fortgesetzten Verfahren (vor dem Landesverwaltungsgericht Niederösterreich) seine Rechte im vollen Umfang wahrzunehmen.
3 Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich (LVwG) vom wurde der Bescheid der belangten Behörde vor dem LVwG (im Folgenden: BH) vom bestätigt. Eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof wurde für nicht zulässig erklärt.
Begründend führte das LVwG zum Vorbringen des Revisionswerbers, die BH sei nicht zuständig gewesen, weil das gegenständliche Projekt UVP-pflichtig sei, im Wesentlichen aus, dass dies nicht der Fall sei. Dies ergebe sich einerseits aus dem vom mitbeteiligten Land vorgelegten Feststellungsbescheid (Anmerkung: Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom ), anderseits auf Grund der diesem Feststellungsbescheid zu Grunde liegenden (und auch im Zuge der Verhandlung vor dem LVwG vorliegenden) Unterlagen und Gutachten und der damit verbundenen rechtlichen Beurteilung durch das LVwG.
Die relevanten Grundstücke seien für den Revisionswerber auch zugänglich bzw. es könne zu diesen zugefahren werden. Das durchgeführte Ermittlungsverfahren habe auch zweifelsfrei ergeben, dass auch zukünftig (nach eventueller Umsetzung des gegenständlichen Projektes durch das mitbeteiligte Land) die verbleibenden Flächen (Teilflächen) dieser Grundstücke für den Revisionswerber weiterhin zugänglich seien bzw. er zu diesen zufahren könne.
Betreffend die Notwendigkeit der Umfahrung habe sich insbesondere auf Grund des ausführlichen, zweifelsfreien und schlüssigen Gutachtens des verkehrstechnischen Amtssachverständigen vom ergeben, dass das Vorhaben eine wesentliche Verbesserung für die Sicherheit und Flüssigkeit des Verkehrs - insbesondere unter Bedachtnahme auf den Fußgänger- und Radfahrverkehr - erwarten lasse, jedenfalls aber in der überwiegenden Zeit des Betriebes der gegenständlichen Umfahrung P im Zuge der B123 Einsparungen im Zeitaufwand der Verkehrsteilnehmer zu erwarten seien. Zur Sicherung der überregionalen Hauptverkehrsfunktion und zur Entlastung des Ortsgebietes von P und W vom Durchzugsverkehr sei ein übergeordneter Bedarf insbesondere auch aus Gründen der Verkehrssicherheit gegeben. Ebenso habe als gesichert angesehen werden können, dass die gegenständlich geplante Umfahrung innerhalb des Prognosezeitraumes von 15 Jahren geeignet sei, den zu erwartenden (prognostizierten) Verkehr zu bedienen. Des Weiteren habe der verkehrstechnische Amtssachverständige ausgeführt, dass die gegenständlich gewählte Variante aus verkehrstechnischer Sicht im Interesse der Verkehrssicherheit sowie der Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs die günstigste Variante darstelle. Zur Notwendigkeit der Kreisverkehrsanlage am westseitigen Beginn der Umfahrung werde ausgeführt, dass sich aus den zweifelsfreien und schlüssigen Ausführungen des verkehrstechnischen Amtssachverständigen ergeben habe, dass die vorgeschlagenen Alternativvarianten im Hinblick auf die Situierung des Kreisverkehrs aus verkehrstechnischer Sicht nicht annähernd gleichwertig zur im Projekt vorgesehenen Lösung zu sehen seien, sodass die Wahl der Lage des Kreisverkehrs - wie im Projekt vorgesehen - begründet sei und aus Gründen der Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs die im Projekt vorgesehene Variante beizubehalten sei. Soweit der Revisionswerber durch die Ausführungen des DI K den Ausführungen des im Verfahren beim LVwG beigezogenen verkehrstechnischen Amtssachverständigen auf gleicher fachlicher Ebene durch ein gleichwertiges Gutachten entgegentreten habe wollen, seien dessen Ausführungen hierzu nicht geeignet gewesen. DI K habe seinen Auftrag im Zuge der Verhandlung mit "Der Prüfung der Unterlagen auf deren Plausibilität" bekannt gegeben. Bereits daraus, aber auch aus der in der Verhandlung übergebenen gutachterlichen Stellungnahme des DI K in der Fassung vom ergebe sich, dass dieser dem Gutachten nicht mit einem gleichwertigen Gutachten entgegentrete, sondern letztlich lediglich Gründe für eine - aus seiner Sicht - allfällige Mangelhaftigkeit des Verfahrens darstelle. Soweit der Revisionswerber mit den Eingaben nach der Verhandlung (gutachterliche Stellungnahmen des DI K 2 und 3, Fassungen vom bzw. ) den Ausführungen des verkehrstechnischen Amtssachverständigen entgegentreten habe wollen, sei der Revisionswerber darauf hinzuweisen, dass dies ebenfalls in Ermangelung eines gleichwertigen Gutachtens nicht gelinge.
4 Mit Beschluss vom , E 1810/2015-6, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der vom Revisionswerber gegen das angefochtene Erkenntnis des LVwG vom erhobenen Beschwerde ab.
5 In weiterer Folge erhob der Revisionswerber gegen das genannte Erkenntnis des LVwG die vorliegende außerordentliche Revision. Der Revisionswerber macht Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtes, Rechtswidrigkeit des Inhalts sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften mit dem Antrag geltend, das angefochtene Erkenntnis aufzuheben.
6 In ihren Revisionsbeantwortungen beantragen die BH sowie das mitbeteiligte Land, die Revision als unzulässig zurück-, in eventu als unbegründet abzuweisen.
7 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
8 Der Revisionswerber führt in der gesonderten Darstellung der Zulässigkeitsgründe (u.a.) ins Treffen, dass nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) in der Rechtssache C-570/13, Gruber, die im Feststellungsverfahren nach dem UVP-G 2000 getroffenen Feststellungen gegenüber dem Revisionswerber, sofern dort selbst keine Parteistellung gewährt worden sei, keine Bindungswirkung entfalteten; die Frage der Notwendigkeit der Durchführung eines Umweltverträglichkeitsprüfungsverfahrens sei somit im straßenrechtlichen Bewilligungsverfahren "mitzuprüfen", was im Verfahren vor dem LVwG gänzlich unterblieben sei.
9 Die Revision erweist sich schon mit diesem Vorbringen als zulässig. Sie ist auch begründet.
10 Nach der hg. Rechtsprechung ist die (Materien)Behörde verpflichtet, ihre Zuständigkeit von Amts wegen unter Berücksichtigung einer allfälligen UVP-Pflicht des eingereichten Vorhabens zu prüfen und auf Grund nachvollziehbarer Feststellungen im angefochtenen Bescheid darzulegen, warum sie vom Fehlen einer UVP-Pflicht und damit von ihrer Zuständigkeit ausgeht (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2015/04/0002, mwN).
11 Gegenständlich kam dem Revisionswerber keine Parteistellung im UVP-Feststellungsverfahren zu, weshalb eine Bindungswirkung des Feststellungsbescheides der Niederösterreichischen Landesregierung vom gegenüber dem Revisionswerber fallbezogen nicht eintritt (vgl. den gegenüber dem Revisionswerber ergangenen hg. Beschluss vom , Zl. Ro 2015/06/0024, das hg. Erkenntnis vom , Zl. Ro 2015/04/0026, sowie das bereits erwähnte hg. Erkenntnis vom ).
12 Das LVwG führt im angefochtenen Erkenntnis zur Einwendung des Revisionswerbers, die BH sei wegen der UVP-Pflicht des gegenständlichen Vorhabens nicht zuständig gewesen, aus, "dass das seitens des Landesverwaltungsgerichtes durchgeführte Ermittlungsverfahren zweifelsfrei ergab, dass dies nicht der Fall ist. Dies ergibt sich einerseits aus dem seitens der Antragstellerin vorgelegten Feststellungsbescheid, andererseits aber auf Grund der diesem Feststellungsbescheid zu Grunde liegenden (und auch im Zuge der Verhandlung des gegenständlichen Beschwerdeverfahren vorliegenden) Unterlagen und Gutachten und der damit verbundenen rechtlichen Beurteilung durch das erkennende Gericht selbst". Welche Unterlagen und Gutachten welcher rechtlichen Beurteilung durch das LVwG unterzogen wurden, ist dem angefochtenen Erkenntnis nicht zu entnehmen.
13 Mit diesen Ausführungen verweist das LVwG im Ergebnis aber bloß auf den UVP-Feststellungsbescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom ohne auf Grund nachvollziehbarer (eigener) Feststellungen darzulegen, warum es vom Fehlen einer UVP-Pflicht ausgeht. Bemerkt wird (hiezu), dass das Landesverwaltungsgericht im gegebenen Sachzusammenhang zwar grundsätzlich auf Unterlagen und Gutachten aus dem UVP-Feststellungsverfahren zurückgreifen kann, sofern diese noch aktuell sind. Diese Entscheidungsgrundlagen wären jedoch im Verfahren den Parteien zur Kenntnis zu bringen und die Gelegenheit zur Äußerung einzuräumen gewesen. Das Parteiengehör ist nämlich von Amts wegen, ausdrücklich, in förmlicher Weise zu gewähren (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2012/10/0239, m. w.N.). Die mangelhafte Erörterung der den Feststellungen im angefochtenen Erkenntnis zugrunde gelegten Urkunden belastet somit die Entscheidung des belangten Gerichtes mit einer Rechtswidrigkeit des Inhaltes.
14 Bereits aus diesem Grund war daher das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
15 Insbesondere kann bei diesem Ergebnis dahingestellt bleiben, ob auch die geltend gemachten Verfahrensmängel (etwa hinsichtlich Gewährung des Parteiengehörs, Gewährung der Akteneinsicht und Beweiswürdigung) gegeben bzw. von Relevanz im Sinne der Rechtsprechung sind (vgl. den hg. Beschluss vom , Zl. Ra 2015/05/0006). Der Revisionswerber hat im fortgesetzten Verfahren die Möglichkeit, alle ihm zukommenden Verfahrensrechte wahrzunehmen.
16 Von der Durchführung der beantragten Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden.
17 Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff, iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Schlagworte | Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Parteiengehör Sachverständigengutachten |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2016:RA2016060017.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
UAAAE-69182