VwGH vom 26.01.2012, 2009/21/0093
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Beschwerde des T in R, vertreten durch Mag. Dr. Ingrid Weber, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Rotenturmstraße 19/1/1/30, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom , Zl. St 280/08, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der 1960 geborene Beschwerdeführer stammt aus dem Kosovo und gehört der Volksgruppe der Gorani an. Er reiste im März 2001 nach Österreich ein und stellte hier einen Asylantrag, der mit Bescheid des Bundesasylamtes vom gemäß § 7 Asylgesetz 1997 abgewiesen wurde; zugleich erklärte das Bundesasylamt seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung "in die Bundesrepublik Jugoslawien" gemäß § 8 Asylgesetz 1997 für zulässig. Der dagegen erhobenen Berufung gab der unabhängige Bundesasylsenat mit Bescheid vom Folge; er sprach aus, dass dem Beschwerdeführer gemäß § 7 Asylgesetz 1997 Asyl gewährt werde und stellte gemäß § 12 Asylgesetz 1997 fest, dass dem Beschwerdeführer damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme.
2004 reisten die Ehefrau des Beschwerdeführers und die drei gemeinsamen Töchter nach Österreich nach. Während der Ehefrau und dem minderjährigen Kind E. Asyl zuerkannt wurde, blieben die Asylanträge der beiden volljährigen Töchter erstinstanzlich erfolglos. Von ihnen erhobene Berufungen sind derzeit (bezogen auf den Zeitpunkt der Erlassung des nunmehr bekämpften Bescheides) beim Asylgerichtshof anhängig.
Mit Bescheid vom sprach das Bundesasylamt aus, dass dem Beschwerdeführer der Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 aberkannt werde, dass ihm gemäß § 7 Abs. 3 AsylG 2005 die Flüchtlingseigenschaft nicht mehr zukomme und dass ihm gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Kosovo nicht zuerkannt werde. Eine Ausweisung nach § 10 AsylG 2005 nahm das Bundesasylamt nicht vor, wozu es in seinem Bescheid festhielt, eine asylrechtliche Ausweisungsentscheidung würde "ein unzulässiges Präjudiz für die Fremdenpolizeibehörden darstellen", deren Aufgabe es insbesondere auch sein werde, eine Abwägung der öffentlichen und privaten Interessen gemäß Art. 8 EMRK vorzunehmen.
Gegenüber der Ehefrau des Beschwerdeführers und seiner minderjährigen Tochter E. ergingen ebenfalls Aberkennungsbescheide. Jeweils erhobene Berufungen wurden als verspätet zurückgewiesen.
Mit dem nunmehr bekämpften, im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom wies die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich (die belangte Behörde) den Beschwerdeführer gemäß §§ 31, 53 und 66 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG aus dem Bundesgebiet aus. Zugleich gewährte sie ihm gemäß § 67 Abs. 1 FPG einen einmonatigen Durchsetzungsaufschub.
Zur Ausweisung hielt die belangte Behörde zunächst fest, dass der Aberkennungsbescheid des Bundesasylamtes vom "anlässlich der Verbesserung der Lage der Gorani im Kosovo seit der Asylgewährung" und da dem "Fluchtvorbringen (des Beschwerdeführers) die Glaubwürdigkeit abzusprechen" gewesen sei, ergangen sei. Seit Rechtskraft dieses Bescheides halte sich der Beschwerdeführer rechtswidrig in Österreich auf, weil ihm weder ein Einreisetitel nach dem FPG noch ein Aufenthaltstitel nach dem NAG erteilt worden sei. Es sei ihm allerdings eine "entsprechend der Aufenthaltsdauer ableitbare Integration" zuzugestehen. Diese werde dadurch verstärkt, dass auch seine Ehefrau und seine drei Töchter in Österreich lebten, dass er seit September 2001 beinahe durchgehend einer Beschäftigung nachgehe, dass zahlreiche Verwandte (zum Teil österreichische Staatsbürger) in Österreich lebten, dass der Beschwerdeführer Deutschkurse besucht habe und dass er den üblichen Kontakt zu Arbeitskollegen und Nachbarn pflege.
Dieser Integration sei jedoch gegenüberzustellen, dass die Ehefrau des Beschwerdeführers und seine minderjährige Tochter seit Dezember 2006 in Wien lebten, während der Beschwerdeführer mit seinen beiden erwachsenen Töchtern im gemeinsamen Haushalt in Ried im Innkreis wohne. Die räumliche Trennung von Ehefrau und minderjähriger Tochter könne bei der Würdigung des Familienlebens des Beschwerdeführers nicht unberücksichtigt bleiben, wozu komme, dass die genannten Familienmitglieder denselben aufenthaltsrechtlichen Status wie der Beschwerdeführer innehätten. Was die beiden erwachsenen Töchter anlange, so befänden sie sich beide im asylrechtlichen Berufungsverfahren. Die zum Beschwerdeführer bestehende Abhängigkeit manifestiere sich in dessen Unterhaltsleistungen, was aber dadurch zu relativieren sei, dass Unterhaltsleistungen auch vom Ausland aus erbracht werden könnten. Demzufolge sei es nicht von vornherein unumgänglich, dass die erwachsenen Töchter (zu ergänzen: bei Ausreise des Beschwerdeführers) die Grundversorgung in Anspruch nehmen müssten.
Das Gewicht der Integration des Beschwerdeführers werde außerdem - so die belangte Behörde weiter - maßgebend dadurch gemindert, dass sein Aufenthalt während des Asylverfahrens nur auf Grund eines Antrages, welcher sich letztlich als unberechtigt erwiesen habe, temporär berechtigt gewesen sei. Dem Beschwerdeführer sei bewusst gewesen, dass er ein Privat- und Familienleben während eines Zeitraumes geschaffen habe, in dem er einen "unsicheren" Aufenthaltsstatus gehabt habe. Er habe nicht von vornherein damit rechnen dürfen, nach einem allfälligen negativen Ausgang des Asylverfahrens weiterhin in Österreich bleiben zu dürfen. Der Umstand, dass der Beschwerdeführer über vier Jahre die Flüchtlingseigenschaft innegehabt habe, relativiere sich dadurch, dass ihm letztlich der Status des Asylberechtigten wieder aberkannt worden sei. Dabei sei ihm die Glaubwürdigkeit seines Fluchtvorbringens rückwirkend abgesprochen worden; er habe somit im Hinblick auf seine unglaubwürdigen Angaben zum Fluchtvorbringen bereits im Zeitraum der Asylgewährung nicht von einem "sicheren" Aufenthaltsstatus ausgehen können.
Der Integration des Beschwerdeführers sei weiter gegenüberzustellen, dass er schlepperunterstützt nach Österreich eingereist sei. Das Vergehen der Schlepperei gehöre zu den schwerwiegendsten Verwaltungsübertretungen (bzw. gerichtlich strafbaren Handlungen), da diese Art der Kriminalität bereits Formen angenommen habe, die ein rigoroses Vorgehen dringend erforderlich machten. Auch habe die mit der Schlepperei einhergehende Begleitkriminalität bereits enorme Maße und Formen angenommen, weshalb es schon aus sicherheitspolizeilicher Sicht unerlässlich sei, entsprechend gegenzusteuern. Es würde geradezu einer Förderung des Schlepperunwesens gleichkommen, würde man dem Beschwerdeführer den weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet gestatten. Unter Berücksichtigung des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes vom , Zl. 2004/21/0242, sei es "im Lichte der geschilderten Tatsache" im Interesse der Aufrechterhaltung der Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens unumgänglich, dass auch gegen jene Personen vorgegangen werde, die bei ihrer Einreise die Dienste von Schlepperorganisationen (bloß) in Anspruch nehmen, da diese Personen gerade die Basis für das kriminelle Handeln von Schlepperorganisationen bildeten.
Der Beschwerdeführer halte sich, so die belangte Behörde abschließend, seit ca. acht Monaten unrechtmäßig in Österreich auf. Bereits ein mehrmonatiger unrechtmäßiger Aufenthalt gefährde die öffentliche Ordnung in hohem Maß, weshalb die Ausweisung des Beschwerdeführers gemäß § 66 Abs. 1 FPG zu deren Wahrung dringend geboten sei. Die Übertretung fremdenpolizeilicher Vorschriften stelle (nämlich) einen gravierenden Verstoß gegen die österreichische Rechtsordnung dar. Den für die Einreise und den Aufenthalt von Fremden getroffenen Regelungen und deren Beachtung durch den Normadressaten komme aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein sehr hoher Stellenwert zu. Die öffentliche Ordnung werde (demnach) schwerwiegend beeinträchtigt, wenn sich einwanderungswillige Fremde, ohne das betreffende Verfahren abzuwarten, unerlaubt nach Österreich begäben und versuchten, damit die österreichischen Behörden vor vollendete Tatsachen zu stellen. Dasselbe gelte, wenn Fremde nach Auslaufen einer Aufenthaltsberechtigung bzw. nach Abschluss eines Asylverfahrens das Bundesgebiet nicht rechtzeitig verließen. Die Ausweisung sei in solchen Fällen erforderlich, um jenen Zustand herzustellen, der bestünde, wenn sich der Fremde gesetzestreu verhalten hätte. Vor diesem Hintergrund habe auch von dem der Behörde durch § 53 Abs. 1 FPG eingeräumten Ermessen nicht zu Gunsten des Beschwerdeführers Gebrauch gemacht werden können, weil das ihm vorwerfbare Fehlverhalten (schlepperunterstützte Einreise in das Bundesgebiet und nach "negativ abgeschlossenem Asylverfahren" achtmonatiger illegaler Aufenthalt) die von ihm geltend gemachte Integration (die wie dargelegt in erheblichem Ausmaß zu relativieren gewesen sei) überwiege.
Über die gegen die Ausweisung erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:
Der Beschwerdeführer hält sich seit Rechtskraft des Aberkennungsbescheides des Bundesasylamtes vom unrechtmäßig in Österreich auf. Der Ausweisungstatbestand des § 53 Abs. 1 FPG (in der hier anzuwendenden Fassung vor dem FrÄG 2011) ist daher erfüllt.
Würde durch eine Ausweisung in das Privat- oder Familienleben eines Fremden eingegriffen, so ist sie gemäß § 66 Abs. 1 FPG (in der genannten Fassung) aber nur dann zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.
Im vorliegenden Fall ging die belangte Behörde erkennbar davon aus, dass die verfügte Ausweisung sowohl in das Privat- als auch in das Familienleben des Beschwerdeführers eingreife. Was den Eingriff in das Familienleben anlange, so sei dessen Gewicht allerdings dadurch relativiert, dass die Ehefrau und die minderjährige Tochter des Beschwerdeführers mit ihm nicht mehr im gemeinsamen Haushalt lebten und außerdem seinen "aufenthaltsrechtlichen Status" teilten. Zu den beiden erwachsenen Töchtern aber sei auszuführen, dass Unterhaltsleistungen auch vom Ausland aus erbracht werden könnten.
Diese Überlegungen sind, ohne darauf im Detail einzugehen, jedenfalls nicht grundsätzlich verfehlt.
An den Umständen des vorliegenden Beschwerdefalles vorbei geht allerdings die weitere Argumentation der belangten Behörde, die Bedeutung der - dem Beschwerdeführer zugestandenen - privaten und beruflichen Integration werde dadurch maßgeblich gemindert, dass der Aufenthalt des Beschwerdeführers während des Asylverfahrens nur auf Grund eines Antrages, welcher sich letztlich als unberechtigt erwiesen habe, temporär berechtigt gewesen sei. Auch die weitere Überlegung, ihm sei bewusst gewesen, dass er ein Privat- und Familienleben während eines Zeitraumes geschaffen habe, in dem er einen unsicheren Aufenthaltsstatus gehabt habe, und er habe nicht von vornherein damit rechnen dürfen, nach einem allfälligen negativen Ausgang des Asylverfahrens weiterhin in Österreich bleiben zu dürfen, ist nicht zutreffend. Insoweit hat sich die belangte Behörde erkennbar eines Textbausteines (siehe zu einer nahezu wortgleichen Formulierung etwa - als Beispiel für viele - das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2009/21/0109) bedient, der im vorliegenden Fall aber nicht passt und der der konkreten Situation des Beschwerdeführers nicht entspricht. Angesichts des asylgewährenden Bescheides des unabhängigen Bundesasylsenates vom kann nämlich nicht davon die Rede sein, dass der Beschwerdeführer einen letztlich unberechtigten Asylantrag gestellt habe und dass er sich hätte bewusst sein müssen, ein Privat- und Familienleben während eines Zeitraums zu schaffen, in dem er einen unsicheren Aufenthaltsstatus gehabt habe. Ab Asylgewährung musste der Beschwerdeführer auch nicht in Frage stellen, ob er "nach einem allfälligen negativen Ausgang des Asylverfahrens" weiterhin in Österreich bleiben dürfe. Die dann knapp vier Jahre später erfolgte Aberkennung des Asyls ändert daran nichts und vermochte auch nicht rückwirkend eine Relativierung der ursprünglichen Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers und der daraus abgeleiteten Positionen herbeizuführen. Soweit die belangte Behörde in diesem Zusammenhang darauf hinweist, dass dem Beschwerdeführer mit dem Aberkennungsbescheid des Bundesasylamtes "die Glaubwürdigkeit (seines) Fluchtvorbringens rückwirkend abgesprochen" worden sei, ist ihr zu entgegnen, dass das im Spruch des nach § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 - wegen Vorliegens eines Endigungsgrundes nach Art. 1 Abschnitt C der Genfer Flüchtlingskonvention - ergangenen Aberkennungsbescheides keinen Niederschlag gefunden hat. Es ist insbesondere auch nicht zu einer Wiederaufnahme des ursprünglichen Asylverfahrens gekommen. Soweit die belangte Behörde aber selbst eine Beurteilung der Glaubwürdigkeit der ursprünglichen Angaben des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen vornehmen wollte, hätte dies - jedenfalls vor dem Hintergrund des die Erstattung von unglaubwürdigen Angaben bestreitenden Berufungsvorbringens - einer beweiswürdigenden Darstellung bedurft.
Die belangte Behörde hat der Integration des Beschwerdeführers außerdem noch gegenübergestellt, dass er 2001 schlepperunterstützt nach Österreich eingereist sei. Demgegenüber kommt diesem Umstand jedenfalls im vorliegenden Zusammenhang keine Bedeutung zu. Die gegenteilige Auffassung der belangten Behörde lässt sich nicht - wie im angefochtenen Bescheid formuliert - "unter Berücksichtigung" des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes vom , Zl. 2004/21/0242, vertreten, sondern sie steht vielmehr im ausdrücklichen Widerspruch zu den diesbezüglichen Erwägungen in dem genannten Erkenntnis (so schon zu einem im Wesentlichen gleichlautenden Bescheidductus das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2009/21/0070).
Zusammenfassend ergibt sich, dass die belangte Behörde im Rahmen der ihr obliegenden Abwägung nach § 66 Abs. 1 FPG in wesentlichen Gesichtspunkten Fehlbeurteilungen vorgenommen hat. Das gilt auch hinsichtlich der für die gebotene Ermessensübung herangezogenen Parameter. Der bekämpfte Bescheid ist daher mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am
Fundstelle(n):
BAAAE-69132