VwGH vom 12.10.2010, 2009/21/0089
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher, Dr. Pfiel und Mag. Eder als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Henk, über die Beschwerde des B, vertreten durch Dr. Farhad Paya, Rechtsanwalt in 9020 Klagenfurt, Herrengasse 12/I, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom , Zl. 317.444/3-III/4/09, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des 1979 geborenen Beschwerdeführers, eines Staatsangehörigen von Bosnien und Herzegowina, auf Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung - Angehöriger" gemäß § 47 Abs. 3, § 11 Abs. 2 Z. 4 und Abs. 5 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes - NAG ab.
Begründend führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer strebe mit seinem am im Weg der Österreichischen Botschaft Sarajewo gestellten Antrag die Familienzusammenführung mit seinem die österreichische Staatsbürgerschaft besitzenden Vater (als "sonstiger Angehöriger" iSd § 47 Abs. 3 Z. 3 NAG) an. Es sei allerdings nicht nachgewiesen, dass der verheiratete Beschwerdeführer - wie von § 47 Abs. 3 Z. 3 lit. a oder b NAG verlangt - von seinem Vater (als Zusammenführendem) bereits im Herkunftsstaat Unterhalt bezogen oder mit dem Vater in häuslicher Gemeinschaft gelebt und Unterhalt bezogen hätte. Mit Stellungnahme vom seien lediglich amtliche Bestätigungen des Standesamtes K. mit beglaubigter Übersetzung aus dem Bosnischen vorgelegt worden, aus denen ersichtlich sei, dass der Beschwerdeführer als Familienangehöriger zum Haushalt seines Vaters gehöre und von diesem unterhalten werde, sowie dass er in keinem Arbeitsverhältnis stehe und auch nicht selbständig berufstätig sei. Belege und Nachweise (etwa Kontobewegungen) über eine tatsächliche Unterhaltsleistung durch den Vater im Herkunftsstaat seien jedoch nicht vorgelegt worden.
Der Vater des Beschwerdeführers habe als Zusammenführender zwar am eine Haftungserklärung abgegeben, die sich jedoch als nicht tragfähig erweise: Er sei zuletzt im Zeitraum vom 1. Februar bis zum bei der N. Bau GmbH beschäftigt gewesen und habe - unter Berücksichtigung der Sonderzahlungen - über ein Nettoeinkommen von monatlich EUR 1.970,08 verfügt. Dabei sei seine Sorgepflicht für seine (mit ihm im Haushalt lebende) Ehefrau (die Mutter des Beschwerdeführers) zu berücksichtigen. Für die Leistungsfähigkeit sei auf das pfändungsfreie Existenzminimum (§ 291a EO) des Vaters abzustellen, sodass sich dieser nur in einem EUR 1.339,60 monatlich übersteigenden Ausmaß von EUR 630,48 monatlich für den Beschwerdeführer verpflichten könnte. Erforderlich wäre für den Beschwerdeführer jedoch ein Betrag von EUR 772,40 gewesen. Dazu komme, dass das erwähnte Arbeitsverhältnis des Zusammenführenden mit geendet habe und dieser ab lediglich Arbeitslosengeld beziehe, das rund 55 % des letzten Nettoeinkommens betrage. Da für den Zusammenführenden "zuletzt für September 2008 ein Einkommen von EUR 1.571,60 inkl. Sonderzahlung nachgewiesen" worden sei, könne davon ausgegangen werden, dass der aktuelle Arbeitslosengeldbezug weit niedriger als das nach den erwähnten Richtsätzen des § 291a EO erforderliche Einkommen sei. Es stehe somit fest, dass der Lebensunterhalt des Beschwerdeführers in Österreich durch seinen Vater keinesfalls gesichert wäre.
Eine weitere, von dem in Österreich aufhältigen Herrn H. abgegebene Haftungserklärung sowie das von diesem bezogene Einkommen seien unbeachtlich, weil H. nicht Zusammenführender, auf den sich der beantragte Aufenthaltstitel beziehe, sei und der Zusammenführende (Vater des Beschwerdeführers) in der Lage sein müsse, seiner in der Haftungserklärung eingegangenen Verpflichtung auch tatsächlich nachkommen zu können.
Im Zuge ihrer Interessenabwägung gemäß § 11 Abs. 3 NAG stellte die belangte Behörde fest, dass durch den Aufenthalt der Eltern des Beschwerdeführers im Bundesgebiet familiäre Bindungen in Österreich bestünden. Da es sich jedoch um einen Erstantrag handle und weil mangels Aufenthaltsrechts für Österreich noch kein Privat- oder Familienleben geführt werde, könne nicht von der Aufrechterhaltung eines solchen gesprochen werden. Darüber hinaus sei der Beschwerdeführer verheiratet "und lebe vermutlich mit (seiner) Ehegattin" im Herkunftsstaat. Ein weiterer Verbleib bei seiner Gattin in Bosnien stelle daher nicht nur keinen gravierenden unzumutbaren Eingriff in sein Privat- und Familienleben dar, sondern vielmehr eine unabdingbare Notwendigkeit zu dessen Fortführung.
Dem geordneten Zuwanderungswesen komme - so argumentierte die belangte Behörde weiter - eine hohe Bedeutung zu, weshalb es von besonderer Wichtigkeit sei, dass die diesbezüglichen Rechtsnormen eingehalten werden. Die Abwägung der gegenüberstehenden Interessenlagen gehe zu Lasten des Beschwerdeführers aus, weil das öffentliche Interesse an der Einhaltung einschlägiger Zuwanderungsbestimmungen sein persönliches Interesse an einer Neuzuwanderung überwiege. Art. 8 EMRK begründe nicht die generelle Verpflichtung eines Vertragsstaates, die Wahl des Familienwohnsitzes durch die verschiedenen Familienmitglieder anzuerkennen und die Zusammenführung einer Familie auf seinem Gebiet zu erlauben. Auch begründe Art. 8 EMRK nicht das Recht, den geeignetsten Ort für die Entwicklung des Familienlebens zu wählen. Es bestehe nicht die grundsätzliche Verpflichtung zur Herstellung des Familienlebens. Vielmehr habe jeder Vertragsstaat das Recht, die Einreise von Nichtstaatsangehörigern einer Kontrolle zu unterwerfen. Anzumerken sei schließlich, dass der Beschwerdeführer auch aus der Richtlinie 2004/38/EG (Freizügigkeitsrichtlinie) nichts gewinnen könne, weil nicht dargetan worden sei, dass sein Vater das Recht auf (gemeinschaftsrechtliche) Freizügigkeit in Anspruch genommen habe.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde sowie Erstattung ergänzender Ausführungen durch den Beschwerdeführer erwogen:
Eingangs ist festzuhalten, dass unter Berücksichtigung des Zeitpunktes der Bescheiderlassung (am ) die Rechtslage des NAG idF des BGBl. I Nr. 4/2008 maßgeblich ist.
Der belangten Behörde ist grundsätzlich darin beizupflichten, dass der Beschwerdeführer einen Aufenthaltstitel nach § 47 Abs. 3 Z. 3 NAG anstrebt. Voraussetzung für die Erteilung eines solchen ist gemäß lit. a dieser Bestimmung (nur diese kommt fallbezogen in Betracht), dass der Angehörige des österreichischen Staatsbürgers von diesem (als Zusammenführendem) bereits im Herkunftsstaat Unterhalt bezogen hat. Die entsprechende Unterhaltszahlungen verneinende Feststellung der belangten Behörde wurde jedoch nicht mängelfrei getroffen: Im Verwaltungsverfahren wurde nämlich eine Haushaltsbescheinigung des Standesamtes K. vom vorgelegt, in der bestätigt wurde, dass der (in keinem Arbeitsverhältnis stehende und auch nicht selbständig berufstätige) Beschwerdeführer vom Zusammenführenden unterhalten werde. Ebenso wurden in der im Verwaltungsverfahren vorgelegten Stellungnahme vom laufende Unterhaltszahlungen ins Treffen geführt. Der angefochtene Bescheid enthält keine schlüssige Begründung dafür, weshalb diesen Beweisergebnissen nicht gefolgt werden könnte. Eine Beweismittelbeschränkung auf urkundliche Vorlage von Zahlungs- oder Kontobelegen ist dem Gesetz nicht zu entnehmen (vgl. etwa das - Banküberweisungen betreffende - hg. Erkenntnis vom , Zlen. 2008/21/0051 und 0052).
Bei ihrer rechtlichen Beurteilung hat die belangte Behörde verkannt, dass sie hinsichtlich der Deckung des Bedarfs für den Vater des Beschwerdeführers und seine (mit ihm im gemeinsamen Haushalt lebende) Ehefrau auf den Ausgleichszulagenrichtsatz abzustellen gehabt hätte (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/21/0012). Demnach wäre in Bezug auf den Bedarf des Vaters des Beschwerdeführers und seiner Ehefrau vom Richtsatz nach § 293 Abs. 1 lit. a sublit. aa ASVG auszugehen gewesen. Dieser hatte nach der hier maßgeblichen Fassung des BGBl. II Nr. 7/2009 bei Erlassung des bekämpften Bescheides EUR 1.158,08 betragen. Zur Deckung des Lebensbedarfs des Beschwerdeführers selbst hätte - insoweit ist die belangte Behörde im Recht - ein dem Richtsatz nach § 293 Abs. 1 lit. a sublit. bb ASVG entsprechender Betrag von (damals) EUR 772,40 zur Verfügung stehen müssen. Auf Basis der im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides (am ) geltenden Rechtslage wäre damit zur Aufbringung der notwendigen Mittel ein monatliches Einkommen von EUR 1.930,48 erforderlich gewesen.
Zwar erreichte das Einkommen des Zusammenführenden damals nicht diese Höhe. Die Beschwerde rügt jedoch zu Recht, dass gerade bei einem Bauarbeiter - ausgehend von einem Bezug von Arbeitslosengeld erst seit - nicht darauf geschlossen werden kann, dass auch in Zukunft nur Arbeitslosengeld als Einkommen zur Verfügung stehen werde. Aus dem Versicherungsdatenauszug ist nämlich erkennbar, dass der Zusammenführende abwechselnd Lohn- bzw. Arbeitslosengeld bezog. Es greift in einem solchen Fall zu kurz, wenn die belangte Behörde zur Ermittlung des verfügbaren Einkommens nur den aktuellen Bezug von Arbeitslosengeld heranzieht und keine - von der Beschwerde zu Recht vermisste - Prognose über ein erzielbares Jahreseinkommen stellt (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/22/0637, insbesondere Punkt 5.).
Beizupflichten ist der belangten Behörde - entgegen der in der Beschwerde vertretenen Ansicht - hingegen darin, dass im vorliegenden Zusammenhang der weiteren Haftungserklärung (des H.) keine entscheidende Bedeutung zukommt (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/21/0024, mwN).
Schließlich behauptet der Beschwerdeführer (ohne nähere - etwa betragsmäßige - Konkretisierung), sein Vater verfüge über derart hohe Ersparnisse, dass sie einen für seinen gesicherten Unterhalt "fehlenden Betrag durch Erträgnisse seines Vermögens überhaupt substituieren können". Hierauf ist schon als unzulässige Neuerung nicht inhaltlich einzugehen.
Im Hinblick auf die eingangs dargestellte Verkennung der Rechtslage war der angefochtene Bescheid jedoch wegen (vorrangig wahrzunehmender) Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am