VwGH vom 29.03.2017, Ra 2016/05/0069

VwGH vom 29.03.2017, Ra 2016/05/0069

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger und den Hofrat Dr. Moritz sowie die Hofrätin Mag. Rehak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Lorenz, über die Revision der H S in W, vertreten durch Koller & Schreiber Rechtsanwälte Partnerschaft in 1180 Wien, Währingerstraße 162, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom , Zl. VGW- 011/030/3468/2015-2, betreffend Übertretung baurechtlicher Bestimmungen (vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde: Magistrat der Stadt Wien), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Die Bundeshauptstadt Wien hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von insgesamt EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

1 Mit Straferkenntnis des Magistrates der Stadt Wien, Magistratsabteilung 64, vom wurde der Revisionswerberin als Eigentümerin einer Wellblechgarage von 18,75 m2 mit einer Höhe von 2,25 m auf einem näher genannten Kleingartengrundstück angelastet, dass dieser vorschriftswidrige Bau, für den eine nachträgliche Bewilligung nicht erwirkt worden sei, vom bis nicht beseitigt worden sei. Gemäß § 135 Abs. 1 iVm § 129 Abs. 10 Bauordnung für Wien iVm den § 1 Abs. 2, § 8 und § 22 Wiener Kleingartengesetz 1996 wurde über die Revisionswerberin eine Geldstrafe von EUR 1.280,-- (Ersatzfreiheitsstrafe von 20 Stunden) verhängt, weiters wurde als Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens EUR 128,-- vorgeschrieben. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Nichtbeseitigung der Wellblechgarage sei am bei einem Ortsaugenschein durch ein Amtsorgan des Magistrates festgestellt worden. Mit Bescheid des Magistrates der Stadt Wien, Magistratsabteilung 37, vom , Zl. MA 37/17-1632- 1/2013, sei der Revisionswerberin der Auftrag erteilt worden, diesen vorschriftswidrigen Bau binnen einer Frist von einem Jahr nach Rechtskraft dieses Bescheides zu beseitigen.

2 Die Wellblechgarage befinde sich im Grünland-Erholungsgebiet-Kleingartengebiet für ganzjähriges Wohnen. Das Ausmaß der bebauten Fläche sei dort mit 50 m2 beschränkt. Auf der gegenständlichen Liegenschaft sei das rechtmäßig bestehende Kleingartenwohnhaus mit einer bebauten Fläche von 50 m2 mit Bescheid des Magistrates der Stadt Wien, Zl. MA 37/17-25639- 1/2010, bewilligt worden. Die beanstandete Wellblechgarage stelle somit eine unzulässige Überschreitung des höchstzulässigen Ausmaßes der bebauten Fläche um 18,75 m2 dar. Die Bewilligung für das Kleingartenwohnhaus sei nur unter der Voraussetzung erteilt worden, dass die Wellblechgarage abgetragen werde. Die Voraussetzungen für eine Erlangung einer Bewilligung für die Wellblechgarage lägen wegen Überschreitung des Ausmaßes der bebauten Fläche nicht vor. Eine solche Bewilligung für die Wellblechgarage sei daher nicht erteilt worden. Erst nach dem angelasteten Tatzeitraum sei die Wellblechgarage auf ein zulässiges Nebengebäude zur Unterbringung von Fahrrädern mit 5 m2 abgeändert worden.

3 Das Straferkenntnis vom wurde nach dem im Akt befindlichen Rückschein nach einem Zustellversuch am durch Hinterlegung mit dem Beginn der Abholfrist am zugestellt.

4 In der Folge langte beim Magistrat der Stadt Wien, Magistratsabteilung 64, am ein Schreiben der Revisionswerberin vom ein, das übertitelt ist:

"Zl: MA 64-S 18086/14-Beschwerde". Darin führte die Revisionswerberin aus, sie kenne sich mit dem Straferkenntnis nicht aus. Laut Bescheid der MA 37 vom habe sie die Maßnahmen (den teilweisen Abbruch der Garage) binnen eines Jahres umzusetzen gehabt, was sie getan habe. Es könne wohl nur ein Missverständnis vorliegen.

5 Im Akt befindet sich weiters eine "Beschwerde" der Revisionswerberin, nunmehr rechtsfreundlich vertreten, datiert vom , gerichtet gegen das Straferkenntnis vom . Darin wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Wellblechgarage sei am vom Magistrat der Stadt Wien, Magistratsabteilung 37, bewilligt worden, was sich aus beiliegendem Bestandsplan mit Bewilligungsvermerk ergebe. Im Tatzeitraum seien somit sowohl die Wellblechgarage als auch das Kleingartenwohnhaus bewilligt gewesen. Somit könne kein strafbares Verhalten vorliegen.

6 Außerdem sei der Revisionswerberin für die Entfernung der Wellblechgarage ein Jahr ab Rechtskraft des Bescheides vom eingeräumt worden, der am rechtskräftig geworden sei. Die Revisionswerberin habe folglich davon ausgehen können, dass sie die Wellblechgarage bis spätestens zu entfernen habe.

7 Das Verschulden der Revisionswerberin sei daher geringfügig. Dazu komme, dass die Wellblechgarage seit Jahrzehnten aufrechter, von der Behörde unbeanstandeter Baubestand gewesen und das Grundstück von der Revisionswerberin mit diesem Bestand übernommen worden sei. Die Tat habe auch überhaupt keine nachteiligen Folgen nach sich gezogen. Die Bedeutung der strafrechtlich geschützten Rechtsgüter und die Intensität der Beeinträchtigung durch die Tat seien ebenso gering. Auch bedürfe es weder aus spezial- noch generalpräventiven Gründen einer Bestrafung der Revisionswerberin. Da die Revisionswerberin Aufträgen von Behörden fristgerecht nachkomme, bestehe keine Gefahr, dass sie neuerlich strafbare Handlungen gleicher Art begehe. Um sie davon abzuhalten, bedürfe es keiner Bestrafung. Sollte ein strafbares Verhalten dennoch anzunehmen sein, würde eine Ermahnung ausreichen. Zu bemerken sei weiters, dass die Revisionswerberin verwaltungsstrafrechtlich unbescholten sei und die Tat keine nachteilige Folgen nach sich gezogen habe. Die Tatsache, dass die geforderten Verpflichtungen innerhalb der vorgeschriebenen Frist ordnungsgemäß erfüllt worden seien, sei bei der Strafbemessung außer Betracht geblieben. Schaden sei keiner entstanden, die Revisionswerberin habe im Übrigen allenfalls die Tat schon vor längerer Zeit begangen und sich seither wohl verhalten.

8 Im Akt befindet sich weiters ein Telefaxsendebericht, wonach am um 11.51 Uhr von der Telefaxnummer der Rechtsvertreter der Revisionswerberin an jene der Magistratsabteilung 64, wie sie im Straferkenntnis vom angegeben war, eine Übertragung mit acht Seiten erfolgt ist mit dem Ergebnis "OK". Weiters angeschlossen ist eine Postbestätigung, wonach am um 17.26 Uhr unter anderem ein Poststück an die Magistratsabteilung 64 eingeschrieben aufgegeben worden ist.

9 Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis wurde der Beschwerde insoweit Folge gegeben, als die Geldstrafe auf EUR 900,-

- (Ersatzfreiheitsstrafe auf 13 Stunden) herabgesetzt wurde. Der Beitrag zu den Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens wurde mit EUR 90,-- festgesetzt. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Revisionswerberin der Beseitigungspflicht nach ihren eigenen Angaben erst nach dem Ende der Tatzeit nachgekommen sei. Auf das Vorbringen der Revisionswerberin im Schriftsatz vom ging das Verwaltungsgericht in keiner Weise ein.

10 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision mit dem Antrag, es wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufzuheben.

11 Das Verwaltungsgericht Wien hat die Akten des Verfahrens vorgelegt.

12 Die vor dem Verwaltungsgericht Wien belangte Behörde hat eine Revisionsbeantwortung erstattet mit dem Antrag, die Revision kostenpflichtig als unzulässig zurückzuweisen bzw. als unbegründet abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

13 Die vorliegende Revision ist in Anbetracht der Frage eines Verfahrensmangels durch Nichteingehen auf den Schriftsatz der Revisionswerberin vom zulässig. Sie ist auch begründet.

14 In der Revision wird im Wesentlichen ausgeführt, die Wellblechgarage sei seit behördlich bewilligt. Außerdem sei für deren Beseitigung nach dem entsprechenden behördlichen Auftrag bis Zeit gewesen. Diese Frist sei eingehalten worden. Ein strafbares Verhalten der Revisionswerberin liege nicht vor, allenfalls sei das Verschulden gering, sodass nur eine Ermahnung auszusprechen gewesen wäre. Das Verwaltungsgericht Wien habe sich überhaupt nicht mit den Ausführungen und Beweisangeboten der Revisionswerberin in der Beschwerde vom auseinandergesetzt.

15 In der Revisionsbeantwortung wird von der vor dem Verwaltungsgericht belangten Behörde unter anderem ausgeführt, dass die Nichtberücksichtigung des Schreibens vom einen Verfahrensmangel darstelle, der jedoch nicht wesentlich sei, weil bei seiner Vermeidung kein anderes Ergebnis erzielt worden wäre.

16 Die Bauordnung für Wien, LGBl. für Wien Nr. 11/1930, in der hier maßgebenden Fassung LGBl. für Wien Nr. 64/2012 lautet auszugsweise:

"§ 129. ...

(10) Jede Abweichung von den Bauvorschriften einschließlich der Bebauungsvorschriften ist zu beheben. Ein vorschriftswidriges Bauwerk, für das eine nachträgliche Bewilligung nicht erwirkt oder eine Bauanzeige nicht rechtswirksam (§ 62 Abs. 6) erstattet wurde, ist zu beseitigen. ...

...

§ 135. (1) Übertretungen dieses Gesetzes und der auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Verordnungen werden, unbeschadet der Abs. 2 und 3, mit Geld bis zu 21 000 Euro, im Fall der Uneinbringlichkeit mit Ersatzfreiheitsstrafe bis zu zwei Wochen, bestraft.

..."

17 Auch das Kleingartengesetz ist eine Bauvorschrift im Sinne des § 129 Abs. 10 Bauordnung für Wien (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/05/0133).

18 Die Revisionswerberin hat im Beschwerdeschriftsatz vom unter anderem vorgebracht, dass die Wellblechgarage behördlich bewilligt sei. Ein derartiges Vorbringen ist an sich geeignet, dass ein anderes Verfahrensergebnis hätte erzielt hätte werden können. Sollte es nämlich zutreffen, dass für die Wellblechgarage während der Tatzeit eine Bewilligung vorhanden gewesen ist, wäre es nicht nachvollziehbar, weshalb von der Vorschriftswidrigkeit dieses Bauwerkes auszugehen ist bzw. gerade dieses Bauwerk eine Abweichung von den Bauvorschriften einschließlich der Bebauungsvorschriften bewirkt. Das Verwaltungsgericht Wien ist aber auf das Vorbringen der Revisionswerberin vom in keiner Weise eingegangen. Bemerkt wird in diesem Zusammenhang, dass vor den Verwaltungsgerichten kein Neuerungsverbot besteht (vgl. den hg. Beschluss vom , Zl. Ra 2014/10/0044, und das hg. Erkenntnis vom , Zl. Ra 2015/06/0033; Eder/Martschin/Schmid, Das Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte2, 44, K 2).

19 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

20 Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 518/2013 idF Nr. 8/2014. Das Mehrbegehren war abzuweisen, da die Umsatzsteuer in den Beträgen nach der genannten Verordnung bereits berücksichtigt ist bzw. ein Ersatz für einen "Erhöhungsbetrag (ERV)" in den genannten Rechtsvorschriften nicht vorgesehen ist.

Wien, am