VwGH vom 01.03.2007, 2004/15/0002
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Sulyok, Dr. Zorn, Dr. Büsser und Dr. Mairinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schilhan, über die Beschwerde des K-H S in B, vertreten durch Dr. Gerhard Lebitsch, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Rudolfskai 48, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Salzburg, vom , Zl. RV/0176-S/02, betreffend Einkommensteuer für 1991, 1992, 1997 und 2000, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von 1.088 EUR binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit seinen Einkommensteuererklärungen für 1991 und 1992 machte der Beschwerdeführer u.a. Betriebsausgaben im Zusammenhang mit dem von ihm betriebenen Einzelhandelsunternehmens geltend, welche im Zusammenhang mit einer vor diesen Jahren eingegangenen "Bürgschaftsverpflichtung" für eine GesmbH stünden.
Das Finanzamt setzte die Einkommensteuer für 1991 und 1992 mit gemäß § 200 Abs. 1 BAO vorläufig erlassenen Bescheiden vom (für 1991) und vom (für 1992) fest und erkannte diese geltend gemachten Betriebsausgaben nicht an.
Gegen diese Bescheide erhobene Berufungen wies die Finanzlandesdirektion für Salzburg mit einem u.a. die Einkommensteuer für die Jahre 1989 bis 1993 betreffenden Bescheid vom ab. Da die den Aufwendungen zu Grunde liegende "Bürgschaftsverpflichtung" nicht betrieblich veranlasst sei, seien auch die für u.a. die Streitjahre 1991 und 1992 mit dieser Verpflichtung im Zusammenhang stehenden geltend gemachten Aufwendungen nicht betrieblich veranlasst und daher nicht als Betriebsausgaben anzuerkennen.
Mit Bescheiden vom wurden die Bescheide des Finanzamtes über die vorläufige Einkommensteuerfestsetzung für 1991 und 1992 gemäß § 200 Abs. 2 BAO für endgültig erklärt.
Gegen diese Bescheide berief der Beschwerdeführer. Er vertrat die Ansicht, die Übernahme der Bürgschaftsverpflichtung hätte ausschließlich betriebliche Gründe gehabt, weshalb die damit im Zusammenhang stehenden für die Streitjahre 1991 und 1992 geltend gemachten Aufwendungen als Betriebsausgaben anzuerkennen seien.
Für das Streitjahr 1997 setzte das Finanzamt mit Bescheid vom (nach Wiederaufnahme des Verfahrens) die Einkommensteuer fest und erkannte ebenfalls im Zusammenhang mit der in Rede stehenden "Bürgschaftsverpflichtung" vom Beschwerdeführer geltend gemachte Aufwendungen nicht als Betriebsausgaben an.
Eine dagegen erhobene und mit einer betrieblichen Veranlassung des Eingehens der in Rede stehenden Bürgschaftsverpflichtung begründete Berufung wies das Finanzamt mit Berufungsvorentscheidung vom ab.
Der Beschwerdeführer beantragte die Entscheidung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz.
Für das Jahr 2000 setzte das Finanzamt mit Bescheid vom die Einkommensteuer fest und erkannte vom Beschwerdeführer geltend gemachte Aufwendungen im Zusammenhang mit der in Rede stehenden "Bürgschaftsverpflichtung" ebenfalls nicht als Betriebsausgaben an.
Auch dagegen berief der Beschwerdeführer, weil die Übernahme der Bürgschaft nicht aus privaten Gründen, sondern aus betrieblicher Veranlassung erfolgt sei, weshalb die damit im Zusammenhang stehenden Aufwendungen als Betriebsausgaben anzuerkennen seien.
Die belangte Behörde wies mit dem angefochtenen Bescheid die vier Berufungen (nämlich gegen die Bescheide des Finanzamtes vom , betreffend die Jahre 1991 und 1992, vom betreffend das Jahr 1997 und vom betreffend das Jahr 2000) als unzulässig zurück. Nach Schilderung des Verwaltungsverfahrens führte die belangte Behörde aus, eine Berufung sei u.a. dann zurückzuweisen, wenn in ein und derselben Sache die Abgabenbehörde bereits einmal rechtskräftig entschieden habe (Grundsatz "ne bis in idem"). Dieser Grundsatz bedeute die Unwiederholbarkeit einer Entscheidung und sei mit dem Begriff "Rechtskraftwirkung von Bescheiden" untrennbar verbunden. Die materielle Rechtskraft eines Bescheides stehe der Erlassung weiterer Bescheide in derselben Sache entgegen und erstrecke sich auf den bescheidmäßigen Willensakt der Behörde, also auf den Spruch des Bescheides, als den Abspruch über die verwaltungsrechtliche Angelegenheit auf Grund des von der Behörde angenommenen Sachverhaltes und der im Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides geltenden Rechtslage. Die Rechtskraftwirkung und damit das Wiederholungsverbot beziehe sich somit auf den Gegenstand des Sachbegehrens oder des Sachanspruches und erfasse folglich den damit verknüpften Inhalt und Entstehungsgrund des rechtskräftig festgelegten öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnisses. Aus dem Wesen der materiellen Rechtskraft habe sich die Lehre von der "Identität der Sache" entwickelt. Anbringen, die etwa auf Abänderung oder Aufhebung eines nicht mehr mit Berufung unterliegenden Bescheides gerichtet seien, seien "wegen entschiedener Sache" zurückzuweisen. Die Behörde sei nicht berechtigt, über einen Antrag eine Sachentscheidung zu fällen, wenn ein gleiches Ansuchen bereits einmal abgewiesen und seither keine wesentliche Änderung des Sachverhaltes behauptet worden sei.
Im Beschwerdefall habe die Finanzlandesdirektion für Salzburg mit der erwähnten Entscheidung vom u.a. über die Berufung gegen die Einkommensteuerbescheide der Jahre 1989 und 1990 bereits einmal rechtskräftig entschieden und ausgesprochen, dass die vom Beschwerdeführer eingegangene Bürgschaftsverpflichtung nicht betrieblich bedingt und die damit im Zusammenhang stehenden Aufwendungen nicht als Betriebsausgaben des Unternehmens des Beschwerdeführers abziehbar seien. Dieser Bescheid sei sohin formell und materiell rechtskräftig und somit unanfechtbar und unwiderrufbar geworden. "Sache" im Sinne des Grundsatzes von "ne bis in idem" sei im Verfahren vor der Finanzlandesdirektion ausschließlich die Frage gewesen, ob die vom Beschwerdeführer eingegangene Bürgschaftsverpflichtung betrieblich bedingt gewesen sei und ob die durch das Schlagendwerden dieser Verpflichtung entstandenen Aufwendungen Betriebsausgaben seien. Sämtliche im nunmehrigen Verfahren vorgebrachten Argumente des Beschwerdeführers beträfen diese "Sache", nämlich, ob die vom Beschwerdeführer eingegangene Bürgschaftsverpflichtung betrieblich bedingt gewesen sei oder nicht. Über diese "Sache" sei mit Berufungsentscheidung der Finanzlandesdirektion vom bereits einmal rechtskräftig entschieden worden und das Eingehen dieser Verpflichtung sei als nicht betrieblich bedingt beurteilt worden. Der belangten Behörde sei es wegen des Vorliegens des materiell rechtskräftigen Bescheides der (damaligen) Finanzlandesdirektion vom verwehrt, in ein und derselben Sache, nämlich, ob die vom Beschwerdeführer eingegangene Bürgschaftsverpflichtung betrieblich bedingt gewesen sei oder nicht und ob die durch das Schlagendwerden dieser Verpflichtung entstandenen Aufwendungen als Betriebsausgaben abziehbar seien, nochmals zu entscheiden, auch wenn, wie im Beschwerdefall, die Einkommensteuerbescheide der nachfolgenden Jahre 1991, 1992, 1997 und 2000 bekämpft würden, aber der Grund der Anfechtung die bereits rechtskräftig entschiedene idente Sache beträfe. Deshalb seien die Berufungen hinsichtlich der Streitjahre 1991, 1992, 1997 und 2000 zurückzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Der Beschwerdeführer erachtet sich im Recht "auf antrags- und erklärungsgemäße Sachentscheidung und Nichtzurückweisung der erhobenen Berufungen gegen die Bescheide des Finanzamtes betreffend die Einkommensteuer 1991, 1992, 1997 und 2000 verletzt".
Gemäß § 273 Abs. 1 BAO hat die Abgabenbehörde eine Berufung durch Bescheid zurückzuweisen, wenn die Berufung nicht zulässig ist (lit. a) oder nicht fristgerecht eingebracht wurde (lit. b).
Bescheide, die an die Stelle eines früheren Bescheides treten, sind gemäß § 251 BAO in vollem Umfang anfechtbar. Das Gleiche gilt für endgültige Bescheide, die an die Stelle eines vorläufigen Bescheides (§ 200) treten und für Bescheide, die einen vorläufigen zum endgültigen Bescheid erklären.
Die Bestimmung des § 251 BAO lässt somit Berufungen "in vollem Umfang" zu, wenn der Spruch des bekämpften Bescheides lediglich darin besteht, einen früheren vorläufigen Bescheid für endgültig zu erklären. Damit ermöglicht der Gesetzgeber eine Berufung nicht nur gegen den Ausspruch der "Endgültigerklärung" mit der Begründung, die dafür erforderlichen Umstände seien nicht eingetreten oder erfüllt, sondern "in vollem Umfang", sohin etwa auch gegen Steuerfestsetzung mit einer Begründung, welche bereits gegen den vorläufigen Bescheid möglich war.
Da die von der belangten Behörde zurückgewiesenen Berufungen gegen die Bescheide des Finanzamtes vom Bescheide betroffen haben, mit welchen vorläufige Bescheide für endgültig erklärt worden waren, stand dem Beschwerdeführer mit den von der belangten Behörde zurückgewiesenen Berufungen gemäß § 251 BAO die Möglichkeit offen, die bekämpften Bescheide in vollem Umfang, sohin auch hinsichtlich von Fragen zu bekämpfen, welche Gegenstand der vorläufigen Bescheide waren.
Soweit die belangte Behörde hinsichtlich der Streitjahre 1991, 1992, 1997 und 2000 vermeint, es läge entschiedene Sache vor, unterliegt sie einem Rechtsirrtum. Sache der bekämpften Bescheide war die Einkommensteuerfestsetzung für die Jahre 1991, 1992, 1997 und 2000 mit der dazu erforderlichen Ermittlung der Höhe der Einkünfte des Beschwerdeführers in diesen Jahren. Darüber war mit Bescheiden betreffend die Jahre 1989 und 1990, auf welche die belangte Behörde abstellt, noch nicht entschieden worden. Die von der belangten Behörde als "Sache" der jeweiligen Bescheide angesehene Beurteilung, ob das Eingehen einer bestimmten Bürgschaftsverpflichtung betrieblich bedingt gewesen sei, ist Teil der Begründung der jeweiligen Einkommensteuerbescheide. Ausgehend von dem rechtsirrigen Verständnis der belangten Behörde über die "Sache" der vor ihr mit Berufung bekämpften Bescheide hat sie übersehen, dass nur der Spruch eines Bescheides und nicht auch dessen Begründung in Rechtskraft erwächst (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom , 2000/14/0194, und vom , 2000/14/0197).
Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich - im Rahmen des gestellten Begehrens - auf die §§ 47 ff, insbesondere § 59 Abs. 1 VwGG und auf die Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003. Wien, am