VwGH vom 14.06.2012, 2009/21/0058
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Beschwerde des A, zuletzt in S, vertreten durch Mag. Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom , Zl. St 208/08, betreffend Erlassung eines unbefristeten Rückkehrverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 57,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der 1988 geborene Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Georgien, reiste gemeinsam mit seinen Eltern am in das Bundesgebiet ein. Mit Bescheid vom wies das Bundesasylamt einen Asylantrag ab; unter einem stellte es jedoch gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 1997 im Familienverfahren fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Georgien nicht zulässig sei. Demzufolge wurde (auch) dem Beschwerdeführer eine befristete Aufenthaltsberechtigung zuerkannt. Ihm kommt nunmehr der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zu.
Mit in Rechtskraft erwachsenem Urteil des Geschworenengerichts beim Landesgericht Wels vom wurde der Beschwerdeführer für schuldig erkannt, er habe - nach Betreten eines Wettbüros -
"am in Attnang-Puchheim L. und V. dadurch, dass er ihnen ein Messer mit einer Klingenlänge von etwa 10 bis 15 cm vorhielt, mithin durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 89 StGB) und unter Verwendung einer Waffe, fremde bewegliche Sachen, nämlich eine Handkasse mit einem Bargeldbetrag in Höhe von EUR 1.807,94 mit dem Vorsatz weggenommen und in Höhe eines Bargeldbetrages von EUR 3.219,06 wegzunehmen versucht, sich durch Zueignung unrechtmäßig zu bereichern."
Im Hinblick auf diese Straftat wurde der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens des teils vollendeten, teils versuchten schweren Raubes nach den §§ 142 Abs. 1, 143 zweiter Fall und 15 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von drei Jahren verurteilt.
Unter Bezugnahme auf diese Verurteilung und das ihr zugrunde liegende strafbare Verhalten erließ die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich (die belangte Behörde) mit dem nunmehr bekämpften, im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom gemäß § 62 Abs. 1 und 2 sowie § 60 Abs. 2 Z 1 und §§ 63 und 66 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG ein unbefristetes Rückkehrverbot. Die belangte Behörde führte - nach wörtlicher Wiedergabe (insbesondere) von Teilen des erstinstanzlichen Bescheides und der Berufung des Beschwerdeführers sowie nach Zitierung der maßgeblichen Vorschriften - aus, "der Tatbestand des § 62 Abs. 1 FPG in Verbindung mit § 62 Abs. 2 FPG und § 60 Abs. 2 Zi. 1 FPG" sei im Hinblick auf die Verurteilung zu einer "sehr hohen unbedingten Freiheitsstrafe" erfüllt. Gegenteiliges sei auch vom Beschwerdeführer nicht behauptet worden.
Die Erlassung des Rückkehrverbotes sei im Sinne des § 66 Abs. 1 FPG - so die belangte Behörde weiter - dringend erforderlich, weil der Beschwerdeführer das Verbrechen des teils vollendeten, teils versuchten schweren Raubes begangen habe. Besonders erschwerend sei, dass er bei dem Raub ein Messer mit einer Klingenlänge von etwa 10 bis 15 cm verwendet bzw. dieses Messer einer Person vorgehalten habe. Es bedürfe keiner näheren Erörterung, dass bei derartigen Delikten eine sehr große Gefahr bestehe, dass andere Menschen verletzt oder getötet werden könnten. Auch der Hinweis des Beschwerdeführers darauf, dass er nun "ein Haftübel verspürt" habe und sich bezüglich seiner Spielsucht in Therapie befinde, vermöge "keine derartige Gewähr für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit zu geben, die eine Abstandnahme von der Erlassung eines Rückkehrverbotes rechtfertigen würde". Diesbezüglich habe bereits die Erstbehörde darauf hingewiesen, dass der Beschwerdeführer bereits "im schulischen Bereich" wegen Gefährdung von Schülern "in körperlicher und geistiger Weise" auffällig geworden sei.
Hinsichtlich der persönlichen und familiären Verhältnisse sei zu berücksichtigen, dass sich der Beschwerdeführer seit 2001 im Bundesgebiet aufhalte und hier mit seiner Familie lebe; neben seinen Eltern und seinem Bruder halte sich auch seine Verlobte hier auf. Es sei dem Beschwerdeführer (daher) eine der Dauer seines Aufenthaltes entsprechende Integration zuzubilligen. Eine berufliche Integration sei dem Beschwerdeführer jedoch nicht gelungen, weil er nur sporadisch einer Erwerbstätigkeit nachgegangen sei.
Unter Abwägung dieser Umstände sei im Hinblick auf die für den weiteren Aufenthalt des Beschwerdeführers zu stellende negative Zukunftsprognose davon auszugehen, dass die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung des Rückkehrverbotes wesentlich schwerer wiegen würden als die Auswirkungen dieser Maßnahme auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers. Das Rückkehrverbot sei daher auch im Sinn des § 66 Abs. 2 FPG zulässig. Aus den angeführten Gründen sei auch eine Ermessensübung zu Gunsten des Beschwerdeführers nicht vorzunehmen, weil das ihm vorwerfbare (Fehl)Verhalten (Verbrechen des Raubes) im Verhältnis zu der von ihm geltend gemachten Integration (Aufenthalt seit 2001 im Familienverband; Verlobung) überwiege.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:
Vorauszuschicken ist, dass der bekämpfte Bescheid auf Basis der bei seiner Erlassung geltenden Rechtslage zu beurteilen ist. Soweit im Folgenden von Bestimmungen des FPG die Rede ist, wird daher auf die im Jänner 2009 gültige Fassung Bezug genommen.
Dem Beschwerdeführer kommt unstrittig der Status des subsidiär Schutzberechtigten zu. Gemäß § 62 Abs. 1 iVm § 1 Abs. 2 letzter Satz FPG kann gegen einen subsidiär Schutzberechtigten ein Rückkehrverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet (Z 1) oder anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft (Z 2). Gemäß § 62 Abs. 2 FPG sind bestimmte Tatsachen im Sinn des Abs. 1 u.a. jene des § 60 Abs. 2 Z 1 FPG. Danach hat als bestimmte, die erwähnte Gefährdungsprognose rechtfertigende Tatsache zu gelten, wenn ein Fremder von einem inländischen Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten, zu einer teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe, zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten oder mehr als einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender strafbarer Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist.
Dass vorliegend der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 1 FPG - in Gestalt der ersten Alternative - erfüllt ist, stellt auch der Beschwerdeführer nicht in Frage. Er wendet sich aber gegen die Gefährdungsprognose der belangten Behörde. In diesem Zusammenhang bringt er wie schon im Verwaltungsverfahren vor, dass seine Spielsucht Ursache seines strafrechtlichen Fehlverhaltens gewesen sei und dass er sich in Therapie begeben habe, die er auch nach seiner Haft fortsetzen werde; auch vom Geschworenengericht sei seine im Tatzeitpunkt bestehende schwierige persönliche Situation berücksichtigt worden; schließlich verspüre er das Haftübel nunmehr erstmals, sodass insgesamt Gewähr dafür geleistet werde, dass er kein weiteres Fehlverhalten mehr setzen werde.
Dem kann nicht gefolgt werden. Zum einen lag der vom Beschwerdeführer begangene schwere Raub bei Erlassung des bekämpften Bescheides nämlich erst knapp zehn Monate zurück. Zum anderen aber kam in der Tatbegehung - insbesonders durch den Einsatz eines Messers - ein hohes Maß an krimineller Energie zum Ausdruck, was auf eine hohe Gefährlichkeit des Beschwerdeführers schließen lässt. Wenn der Beschwerdeführer Überlegungen des Geschworenengerichts ins Treffen führt, so ist darauf hinzuweisen, dass dieses auch von einer "durchaus als geplant bezeichneten Vorgangsweise" ausgegangen ist. Was die behauptete Therapie der Spielsucht des Beschwerdeführers anlangt, so ist sie schon nach seinem eigenen Vorbringen noch nicht abgeschlossen. Dass das verspürte Haftübel aber eine Läuterung des Beschwerdeführers bewirken werde, wird dieser erst durch Wohlverhalten nach seiner Haftentlassung unter Beweis zu stellen haben.
Die belangte Behörde hat im Zusammenhang mit der für den Beschwerdeführer anzustellenden Prognose auch noch darauf hingewiesen, dass er bereits im schulischen Bereich wegen Gefährdung von Schülern "auffällig" geworden sei. Im - von der belangten Behörde insoweit wiedergegebenen - erstinstanzlichen Bescheid war dazu ergänzend festgehalten worden, dass der Beschwerdeführer für die Dauer eines Monats vom Schulbesuch suspendiert worden war. Wenn die seinerzeitige Gefährdung von Mitschülern neben dem strafrechtlichen Fehlverhalten des Beschwerdeführers auch völlig in den Hintergrund tritt, so ist dennoch im Sinne der erkennbaren Überlegungen der belangten Behörde daraus zu erschließen, dass dem Beschwerdeführer aggressives Verhalten grundsätzlich nicht fremd ist.
Nach § 62 Abs. 3 FPG ist bei der Erlassung eines Rückkehrverbotes (u.a.) auf § 66 FPG Bedacht zu nehmen. Gemäß § 66 Abs. 1 FPG ist ein Aufenthaltsverbot, mit dem in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Ein Aufenthaltsverbot darf nach § 66 Abs. 2 FPG jedenfalls nicht erlassen werden, wenn die Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie schwerer wiegen, als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von seiner Erlassung. Bei dieser Abwägung ist insbesondere auf die Dauer des Aufenthaltes und das Ausmaß der Integration des Fremden oder seiner Familienangehörigen sowie auf die Intensität der familiären oder sonstigen Bindungen Bedacht zu nehmen.
Ersichtlich unter Bezugnahme auf § 66 Abs. 2 FPG macht der Beschwerdeführer geltend, dass er verlobt sei und dass sich sämtliche Familienmitglieder in Österreich aufhalten. In Georgien verfüge er über "keinerlei verwandtschaftliches Netzwerk", auf das er zurückgreifen könnte, dort würde ihm jegliche Existenzgrundlage fehlen. Insbesondere im Hinblick auf die Dauer des Aufenthalts in Österreich, aber auch im Hinblick auf die hier bestehenden familiären Bindungen würden die nachteiligen Folgen des Rückkehrverbotes die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von seiner Erlassung bei weitem überwiegen. Die belangte Behörde gehe zwar von einem Eingriff in sein Privat- und Familienleben aus, habe aber eine Interessenabwägung nur oberflächlich vorgenommen und sich mit den Auswirkungen des Rückkehrverbots auf seine Lebenssituation nicht ausreichend auseinandergesetzt.
Auch dieses Vorbringen ist letztlich nicht zielführend. Einzuräumen ist, dass die behördliche Interessenabwägung eingehender hätte ausfallen können. Auf die wesentlichen Gesichtspunkte (Aufenthaltsdauer und familiäre Verankerung) ist die belangte Behörde allerdings eingegangen, sie hat überdies (siehe oben) unbestritten festgestellt, dass der Beschwerdeführer nur sporadisch einer Erwerbstätigkeit nachgegangen ist. Diesen persönlichen Interessen des Beschwerdeführers hielt die belangte Behörde zutreffend die von ihm ausgehende große Gefährlichkeit entgegen. Die durch das Rückkehrverbot (in Verbindung mit einer Ausweisung nach allfälliger Aberkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten) bewirkte Trennung von den in Österreich aufhältigen Angehörigen ist daher im öffentlichen Interesse an der Verhinderung von schwerwiegenden Straftaten in Kauf zu nehmen, zumal nicht ersichtlich ist, dass der erwachsene Beschwerdeführer auf seine Familie, insbesondere die Eltern, angewiesen wäre. Ebenso müssen gegebenenfalls auch schwerwiegende Beeinträchtigungen in der Möglichkeit der Gestaltung der persönlichen Lebensverhältnisse in Georgien hingenommen werden. Würde dabei in Zukunft die Schwelle des Art. 3 EMRK überschritten, so käme eine (spätere) Ausweisung des Beschwerdeführers ohnehin nicht in Betracht.
Dass die belangte Behörde von dem ihr eingeräumten Ermessen zu Gunsten des Beschwerdeführers hätte Gebrauch machen müssen, zeigt die Beschwerde nicht auf. Sie erweist sich daher insgesamt als nicht berechtigt, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen war.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am