VwGH vom 21.11.2017, Ra 2016/05/0025

VwGH vom 21.11.2017, Ra 2016/05/0025

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger und den Hofrat Dr. Enzenhofer sowie die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Lorenz, über die Revision des Gemeinderates der Stadtgemeinde M, vertreten durch Dr. Johann Postlmayr, Rechtsanwalt in 5230 Mattighofen, Stadtplatz 6, gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich vom , Zl. LVwG-150605/3/VG/WFu - 150606/2, betreffend Benützung eines fremden Grundstückes nach § 15 Abs. 1 Oö. BauO 1994 (mitbeteiligte Parteien: 1. Mag. G R in S und

2. Mag. O R in L, beide vertreten durch die Lirk Spielbüchler Hirtzberger Rechtsanwälte OG in 5020 Salzburg, Hellbrunnerstraße 9a; weitere Partei: Oberösterreichische Landesregierung), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

I.

1 Mit Bescheid des Bürgermeisters der Stadtgemeinde M. (im Folgenden: Bürgermeister) vom wurden gemäß § 15 Abs. 1 und 4 Oö. Bauordnung 1994 (im Folgenden: BauO) die mitbeteiligten Parteien als Eigentümer eines näher bezeichneten Grundstückes aufgrund des Antrages der L. GmbH verpflichtet, die Benützung ihres Grundstückes zur Bauausführung einer Tiefgaragenwand an der Grundgrenze entsprechend einem näher genannten Bauplan zu dulden, wobei der zur Verfügung zu stellende Grundstücksstreifen näher beschrieben und der Duldungszeitraum festgelegt wurde. Ferner wurde ausgesprochen, dass die L. GmbH verpflichtet sei, nach Beendigung der Inanspruchnahme (des Grundstückes) den ursprünglichen Zustand wieder herzustellen.

2 Mit Bescheid des Gemeinderates des Stadtgemeinde M. (im Folgenden: Gemeinderat) vom wurde der von den mitbeteiligten Parteien gegen den vorgenannten Bescheid erhobenen Berufung teilweise stattgegeben und dieser Bescheid in Bezug auf die darin ausgesprochene Wiederherstellungsverpflichtung dahin abgeändert, dass die L. GmbH verpflichtet sei, nach Beendigung der Inanspruchnahme (des Grundstückes) den früheren Zustand so weit als möglich wieder herzustellen. Im Übrigen wurde die Berufung als unbegründet abgewiesen und der erstinstanzliche Bescheid in allen anderen Punkten bestätigt.

3 Dazu führte der Gemeinderat unter anderem aus, dass der Bürgermeister seiner Entscheidung die schriftliche Stellungnahme des bauausführenden Unternehmens vom zugrunde gelegt habe, worin aufgrund der Beschaffenheit des Untergrundes bautechnische Varianten zur Baugrubensicherung, wie Einsetzen einer Spundwand oder der Einbau einer Schlitzwand, thematisiert worden seien und abschließend darauf hingewiesen worden sei, dass man sich bezüglich des Transportes der dafür erforderlichen Gerätschaft zur Baustelle ernsthaft Gedanken mache, da diese Zufahrtsstraße zwar für den normalen Baustellenverkehr, aber kaum für Spezialtiefbaugeräte geeignet zu sein scheine. Die Berufungsbehörde habe zu diesem wesentlichen Beschwerdepunkt ein ergänzendes Ermittlungsverfahren vorgenommen und den ihr vom Bezirksbauamt R. beigestellten Amtssachverständigen Ing. A. beauftragt, zu prüfen, ob die von den mitbeteiligten Parteien angeführten anderen Ausführungen technisch möglich und geeignet seien, die Arbeiten auch auf andere Weise durchzuführen, sodass die Inanspruchnahme des Grundstückes der mitbeteiligten Parteien nicht erforderlich sei. Der Amtssachverständige komme nach Prüfung der vorgeschlagenen alternativen Techniken in seiner gutachterlichen Stellungnahme vom zu dem Ergebnis, dass trotz anderer technischer Möglichkeiten die beantragte und vom Bürgermeister verfügte befristete Duldung der Inanspruchnahme des Grundstückes der mitbeteiligten Parteien unumgänglich sei, um das genehmigte Bauvorhaben ausführen zu können. Die vom Amtssachverständigen angeführten Angaben des DI P. über die geologischen Verhältnisse seien weiter nicht maßgeblich, weil - unabhängig davon, ob Spundwände eingeschlagen oder eingepresst würden - die dafür erforderlichen Maschinen aufgrund der Beengtheit der Zufahrt nicht zur Baustelle transportiert werden könnten. Das Gutachten des Verkehrssachverständigen vom sei ebenfalls erklärend angeführt. Gerade diese auch in der Natur feststellbare Beengtheit dieser einzigen Zufahrtsstraße sei auch der einzige Grund für die gegenständliche Grundinanspruchnahme.

4 Mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss wurde (unter Spruchpunkt I.) gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG der von den mitbeteiligten Parteien gegen den Berufungsbescheid erhobenen Beschwerde stattgegeben, dieser Bescheid aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an den Gemeinderat zurückverwiesen sowie (unter Spruchpunkt II.) eine ordentliche Revision für unzulässig erklärt.

5 Dazu führte das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich (im Folgenden: Verwaltungsgericht) im Wesentlichen aus, die mitbeteiligten Parteien seien mit ihrem Einwand, dass der Gemeinderat das Vorliegen der Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 BauO nicht ausreichend von Amts wegen ermittelt habe, im Recht. Zwar erübrigten sich nach dem Wortlaut dieser Bestimmung Ermittlungen zur Unzumutbarkeit der Kosten, wenn von vorneherein keine andere technische Lösung als jene durch Fremdgrundinanspruchnahme möglich sei. Entgegen der offenkundigen Ansicht des Gemeinderates könne jedoch dem vorgelegten Verwaltungsakt und insbesondere der im Berufungsverfahren eingeholten gutachterlichen Stellungnahme vom gerade nicht entnommen werden, dass die erforderlichen Arbeiten nicht auf andere Weise vorgenommen werden könnten. Der Amtssachverständige habe lediglich geprüft, ob die von den mitbeteiligten Parteien vorgeschlagenen Alternativen zur Bauausführung möglich seien und dies verneint. Jedenfalls könne der fachlichen Stellungnahme nicht die ausdrückliche fachliche Aussage entnommen werden, dass alle grundsätzlich technisch machbaren Ausführungsvarianten derartige Spezialgeräte erforderten, die aufgrund ihrer Art und Beschaffenheit und der Beengtheit der Zufahrtsstraße nicht zur Baustelle transportiert werden könnten. Auch enthalte die Stellungnahme nicht etwa die fachliche Aussage, dass die verfügte befristete Duldung der Inanspruchnahme des Grundstückes der mitbeteiligten Parteien im Ausmaß des planlich dargestellten 3 m-Streifens unumgänglich sei, um das genehmigte Bauvorhaben ausführen zu können.

6 Es reiche nicht aus, wenn der bautechnische Amtssachverständige die allenfalls von den mitbeteiligten Parteien aufgezeigten Bauausführungsalternativen auf deren Machbarkeit hin überprüfe. Vielmehr erfordere die Bestimmung des § 15 Abs. 1 BauO iVm § 37 AVG, - auf Basis eines Sachverständigengutachtens unter Wahrung des Parteiengehörs - von Amts wegen festzustellen, ob Arbeiten zur Ausführung des Bauvorhabens nicht auch auf andere Weise ohne Fremdgrundinanspruchnahme erfolgen könnten. Derartige Ermittlungsergebnisse lägen jedoch nicht vor. Die Stellungnahme vom erfülle die Anforderungen an ein im gegenständlichen Fall einzuholendes Sachverständigengutachten im Sinne des § 52 AVG nicht, und es sei dieses daher auch aus diesem Grund ergänzungsbedürftig. Im Ergebnis habe der Gemeinderat zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes somit ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt, weshalb eine gravierende Ermittlungslücke bestehe und der für eine inhaltliche Entscheidung des Verwaltungsgerichtes maßgebliche Sachverhalt im Sinne des § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG nicht feststehe. Für das Verwaltungsgericht sei auch nicht ersichtlich, dass gemäß § 28 Abs. 2 Z 2 VwGVG die eigene Sachverhaltsermittlung eine Kostenersparnis in welche Richtung auch immer bewirken könnte, und es sei auch nicht davon auszugehen, dass der Gemeinderat das Ermittlungsverfahren erst zu einem späteren Zeitpunkt werde abschließen können, als das Verwaltungsgericht ein von ihm geführtes Verfahren abschließen könnte. Im Hinblick auf die Vorgeschichte des gegenständlichen Falles und die Nähe zur Sache werde der Gemeinderat die erforderlichen Ermittlungsschritte und damit die Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes im Sinne des Gesetzes zumindest mit der gleichen Raschheit und mit nicht höheren Kosten als das Verwaltungsgericht bewerkstelligen können. Die Zurückverweisung an den Gemeinderat erfolge daher im Hinblick auf die Einfachheit, Raschheit und Kostenersparnis, die sich insbesondere aus der räumlichen Nähe des Gemeinderates zu den gegenständlichen Liegenschaften ergebe.

7 Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende Revision. 8 Das Verwaltungsgericht legte die Verfahrensakten vor. 9 Es wurde von den anderen Parteien keine

Revisionsbeantwortung erstattet.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

10 Die Revision bringt zur Begründung ihrer Zulässigkeit unter Hinweis auf Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes (u.a.) vor, dass das Verwaltungsgericht von dieser Judikatur abgewichen sei, weil danach eine Ausnahme von der Verpflichtung zur Fällung einer Sachentscheidung durch das Verwaltungsgericht über eine Beschwerde nur bei krassen und gravierenden Ermittlungslücken bestehe, selbst dürftig begründete Bescheide nicht aufgehoben und die Sache nicht an die Behörde zurückverwiesen werden dürften, wenn Ermittlungen vorgenommen worden seien und selbst nach Ansicht des Verwaltungsgerichtes das bautechnische Gutachten nur hinsichtlich einer Frage zu ergänzen gewesen wäre.

11 Die Revision erweist sich in Anbetracht dieses Vorbringens als zulässig und auch als berechtigt.

12 § 28 VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, lautet auszugsweise:

"Erkenntnisse

§ 28. (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z. 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

  1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

  2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das

  3. Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

(3) Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z. 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

..."

13 In Bezug auf die angesprochene Frage der Zulässigkeit einer kassatorischen Entscheidung durch das Verwaltungsgericht ist auf das hg. Erkenntnis vom , Ro 2014/03/0063, zu verweisen. Der Verwaltungsgerichtshof hat sich dort mit dieser Frage auseinandergesetzt und dargelegt, dass ein prinzipieller Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht durch die Verwaltungsgerichte gesetzlich festgelegt ist. Die nach § 28 VwGVG von der meritorischen Entscheidungspflicht verbleibenden Ausnahmen sind strikt auf den ihnen gesetzlich zugewiesenen Raum zu beschränken. Auf die Begründung dieses Erkenntnisses wird gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen.

14 Von der Möglichkeit der Zurückverweisung kann somit nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher nur dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden. Selbst Bescheide, die in der Begründung dürftig sind, können die Zurückverweisung nicht rechtfertigen, wenn brauchbare, allenfalls in der Verhandlung zu ergänzende Ermittlungsergebnisse vorliegen. Auch die Notwendigkeit der Einholung eines (weiteren) Gutachtens oder die allenfalls erforderliche Durchführung von Vernehmungen rechtfertigt im Allgemeinen nicht die Aufhebung des angefochtenen Bescheides und die Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG (vgl. zum Ganzen auch , mwN).

15 Im vorliegenden Fall hat der Gemeinderat, dem auch eine Stellungnahme des bauausführenden Unternehmens zur Frage der Baugrubensicherung vorlag, im Berufungsverfahren den bautechnischen Amtssachverständigen Ing. A. beigezogen, der die oben genannte Stellungnahme vom erstattet hat, worin sich dieser mit den von den mitbeteiligten Parteien in der Berufung entgegengehaltenen Möglichkeiten der Bauausführung auseinandergesetzt hat. Im Hinblick darauf kann keine Rede davon sein, dass der Gemeinderat jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen, lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt habe. Ferner ist nicht ersichtlich, dass die im Berufungsverfahren vorliegenden Ermittlungsergebnisse völlig unbrauchbar seien. Die Ergänzungsbedürftigkeit eines Gutachtens oder die Notwendigkeit der Einholung eines (weiteren) Gutachtens rechtfertigt - wie bereits dargelegt - eine Aufhebung des angefochtenen Bescheides und Zurückverweisung gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG nicht. Auch ist nicht erkennbar und ergibt sich aus den Ausführungen des Verwaltungsgerichtes im angefochtenen Beschluss nicht, dass der Gemeinderat weitere Ermittlungen nicht durchgeführt habe, damit diese durch das Verwaltungsgericht vorgenommen würden.

16 Auf dem Boden der oben zitierten hg. Judikatur erweist sich der angefochtene Beschluss daher als inhaltlich rechtswidrig, weshalb er - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat -

gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

Wien, am

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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2017:RA2016050025.L00

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