VwGH vom 27.01.2010, 2009/21/0009
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher, Dr. Pfiel und Mag. Eder als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Stelzl, über die Beschwerde des I, vertreten durch Dr. Thomas Neugschwendtner, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Kärntner Ring 6, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom , Zl. Senat-FR-08-0095, betreffend Schubhaft (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres),
Spruch
1. zu Recht erkannt:
Der angefochtene Bescheid wird hinsichtlich seiner Abweisung der Schubhaftbeschwerde und des damit verbundenen Ausspruches, dass die Festnahme und die Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft ab dem nicht rechtswidrig waren, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
2. den Beschluss gefasst:
Im Übrigen, also hinsichtlich des Ausspruches, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen, wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, wurde wie folgt rechtskräftig strafgerichtlich verurteilt:
1.) LG für Strafsachen Wien vom wegen eines im Oktober 1997 begangenen Einbruchsdiebstahls in einen Personenkraftwagen nach den §§ 127 und 129 Z. 1 StGB zu einer (ursprünglich bedingt nachgesehenen) dreimonatigen Freiheitsstrafe.
2.) LG für Strafsachen Wien vom wegen verschiedener, teils durch Einbruch begangener Diebstähle, widerrechtlicher Ingebrauchnahme eines Personenkraftwagens, Unterdrückung von Ausweisen und anderen Urkunden sowie Körperverletzung (Tatzeiten im April und November 2001) nach den §§ 127, 129 Z. 1, 136 Abs. 1 und 2, 229 Abs. 1 und 83 Abs. 1 StGB zu einer (unbedingten) Freiheitsstrafe von sechs Monaten.
3.) LG für Strafsachen Wien vom wegen § 28 Abs. 2 vierter Fall, Abs. 3 erster Fall und Abs. 4 Z. 3 SMG und § 15 Abs. 1 StGB sowie § 27 Abs. 1 erster und zweiter Fall SMG zu einer dreijährigen Freiheitsstrafe. Im Wesentlichen hat die Verurteilung den versuchten Verkauf von 830,6 g Heroin am sowie Erwerb und Besitz von Heroin und Kokain in der jeweiligen Absicht, sich durch die Weitergabe des Suchtgifts eine fortlaufende Einnahmequelle zu verschaffen, betroffen.
Darauf gegründet wurde über den Beschwerdeführer mit im Instanzenzug ergangenem Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen. Einer dagegen erhobenen, zu Zl. 2008/18/0615 protokollierten Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof wurde keine aufschiebende Wirkung zuerkannt.
Mit Bescheid vom "" verhängte die Bezirkshauptmannschaft Baden gegen den Beschwerdeführer, der damals die erwähnten, vom genannten Strafgericht verhängten Freiheitsstrafen verbüßte, gemäß § 76 Abs. 1 und 3 sowie § 113 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG und § 57 Abs. 1 AVG die Schubhaft, um seine Abschiebung zu sichern. Die Zustellung des Bescheides und der Vollzug der Schubhaft erfolgten nach der Entlassung aus der vom Gericht verhängten Strafhaft am .
Mit dem angefochtenen Bescheid vom wies die belangte Behörde eine vom Beschwerdeführer am erhobene Schubhaftbeschwerde gemäß § 83 FPG ab und stellte fest, dass die Festnahme und die Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft ab dem nicht rechtswidrig gewesen seien sowie dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen (§ 83 Abs. 4 erster Satz FPG).
In ihrer Begründung führte die belangte Behörde aus, im Zeitpunkt der Erlassung des auf § 57 AVG gestützten Bescheides der Bezirkshauptmannschaft Baden (am ) sei der Beschwerdeführer bereits aus der gerichtlichen Strafhaft entlassen worden. Sein Vorbringen, diese Bescheidform hätte gemäß § 76 Abs. 3 FPG nicht verwendet werden dürfen, gehe daher ins Leere. Die Datierung des die Schubhaft anordnenden Bescheides () sei auf eine offenkundige und augenscheinlich irrelevante Unrichtigkeit zurückzuführen, zumal sich aus dem Vermerk über die Zustellung dieses Bescheides eindeutig ergebe, dass er dem Beschwerdeführer am ausgefolgt worden sei. Zum Zeitpunkt der Erlassung dieses Mandatsbescheides seien die Voraussetzungen des § 76 Abs. 1 FPG vorgelegen (wird näher ausgeführt). Mit der Anwendung eines gelinderen Mittels könne nicht das Auslangen gefunden werden, habe der Beschwerdeführer doch hinreichend gezeigt, dass er weder bereit sei, seinen Reisepass im Verfahren betreffend seine Abschiebung einzusetzen, noch sonst gewillt zu sein, am behördlichen Verfahren mitzuwirken.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen hat:
Zu 1.:
§ 76 Abs. 3 Satz 1 FPG lautet:
"(3) Die Schubhaft ist mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft."
Die Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage (952 BlgNR 22. GP 103) führen zu § 76 FPG auszugsweise Folgendes aus:
"In dieser Bestimmung werden jene Fälle zusammengefasst, in denen die Verhängung der Schubhaft zulässig ist. Hiebei geht es um den Gesichtspunkt der Sicherung der erforderlichen Maßnahmen. So wie bisher ist die Verhängung der Schubhaft nur mit Bescheid zulässig. In diesem Bescheid hat die Sicherheitsbehörde darzulegen, inwiefern die Haft notwendig ist, um den Sicherungszweck zu erreichen. Sie hat insbesondere darauf Bedacht zu nehmen, dass die Schubhaft im Verfahren zur Erlassung einer Ausweisung jene Maßnahme ist, die den Rückgriff auf das Mandat im 'Hauptverfahren' ausschließt. Der im § 57 AVG genannten 'Gefahr im Verzug' ist in Verfahren zum bescheidmäßigen Entzug der Aufenthaltsberechtigung (Ausweisung und Aufenthaltsverbot) durch Verhängung der Schubhaft zu begegnen. Es kommt daher die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes oder einer Ausweisung im Mandatsverfahren nicht in Betracht.
Die in den Abs. 3 und 4 getroffenen Regelungen stellen zwei weitere Parallelen zum gerichtlichen Haftrecht dar. So wie beim richterlichen Haftbefehl, aber auch wie bei dem Beschluss auf Verhängung der Untersuchungshaft soll es bei der Erlassung des Schubhaftbescheides zunächst zu keinem weitwendigen Verfahren kommen. Es wird davon ausgegangen, dass dann, wenn die Voraussetzungen zur Verhängung der Schubhaft als solche gegeben sind, stets auch Gefahr im Verzug im Sinne des § 57 AVG vorliegt. Andernfalls wird weder die Notwendigkeit bestehen, ein Verfahren oder auch eine Außerlandesschaffung zu sichern. Eine Ausnahme besteht nur dann, wenn sich der Betroffene bereits aus anderem Grund in Haft befindet. In diesen Fällen kann ohne weiteres ein Ermittlungsverfahren zur Erlassung eines Schubhaftbescheides, dessen zeitliche Geltung mit dem Ende der vorgehenden Haft einsetzt, durchgeführt werden. ..."
Sowohl aus dem Gesetzestext als auch aus den Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage geht deutlich hervor, dass der Gesetzgeber die Verhängung der Schubhaft jedenfalls dann nicht im Mandatsverfahren zulassen wollte, wenn sich der Fremde bereits aus einem anderen Grund in Haft befindet und diese Anhaltung nicht bloß kurzfristig ist. In diesem Fall liegt nämlich keine Gefahr im Verzug dahingehend vor, dass sich ein Fremder (etwa) seiner Abschiebung entziehen könnte. Es ist somit in den Fällen, in denen ein Fremder, so wie hier der Beschwerdeführer, bei Einleitung des Verfahrens zur Erlassung eines die Schubhaft anordnenden Bescheides (die hier, wie sich aus der Datierung dieses Bescheides ergibt, spätestens am erfolgt ist) nicht bloß kurzfristig in Haft angehalten wird, geboten, im Fall der beabsichtigten Erlassung eines die Schubhaft anordnenden Bescheides ein Ermittlungsverfahren durchzuführen. Das Ergebnis dieses Verfahrens ist dem Fremden im Rahmen des ihm zustehenden Parteiengehörs zur Kenntnis zu bringen, um die rechtzeitige Wahrnehmung seiner Rechtsschutzbehelfe, die ihm nach Erlassung des Bescheides zustehen (§ 76 Abs. 7 iVm § 82 Abs. 1 Z. 3 FPG), nicht zu vereiteln.
Dass dies der Bezirkshauptmannschaft Baden nicht möglich gewesen wäre oder dass sich die Notwendigkeit der Schubhaft erst mit der Entlassung aus der Strafhaft ergeben hätte, lässt sich weder dem bekämpften Bescheid noch den Verwaltungsakten entnehmen.
Da die belangte Behörde ihrer Entscheidung eine gegenteilige, vom Verwaltungsgerichtshof nicht geteilte Auslegung des § 76 Abs. 3 FPG zu Grunde gelegt hat, hat sie den angefochtenen Bescheid hinsichtlich der Abweisung der Schubhaftbeschwerde und des damit verbundenen Ausspruches, dass die Festnahme und die Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft ab dem nicht rechtswidrig waren, mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet. Dieser war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Von der Durchführung der vom Beschwerdeführer beantragten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Zu 2.:
Gemäß Art. 131 Abs. 3 B-VG und § 33a VwGG kann der Verwaltungsgerichtshof die Behandlung einer Beschwerde gegen einen Bescheid eines unabhängigen Verwaltungssenates durch Beschluss ablehnen, wenn die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen wird, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Soweit sich die Beschwerde über die Bekämpfung des in Behandlung genommenen Umfangs hinaus auf den Ausspruch, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen, bezieht, wirft sie keine für die Entscheidung des Falles maßgeblichen Rechtsfragen auf, denen im Sinne der zitierten Bestimmungen grundsätzliche Bedeutung zukäme. Gesichtspunkte, die dessen ungeachtet gegen eine Ablehnung der Beschwerdebehandlung in diesem Umfang sprechen würden, liegen nicht vor, zumal die im Einzelnen vorgenommene Prüfung des Beschwerdefalles keine vom Verwaltungsgerichtshof wahrzunehmende Fehlbeurteilung durch die belangte Behörde ergeben hat.
Der Verwaltungsgerichtshof hat daher beschlossen, insoweit die Behandlung der Beschwerde abzulehnen.
Wien, am