VwGH vom 17.11.2011, 2009/21/0004
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Senft, über die Beschwerde der T, vertreten durch Mag. Josef Herr, Rechtsanwalt in 5400 Hallein, Thunstraße 16, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom , Zl. 152.523/3- III/4/08, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.211,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin ist weißrussische Staatsangehörige. Sie befindet sich zumindest seit 2005 in Österreich und verfügte im Hinblick auf ihr an der Universität Salzburg betriebenes Bachelor-Studium "Recht und Wirtschaft" zuletzt über eine Aufenthaltsbewilligung "Studierende".
Im November 2007 beantragte die Beschwerdeführerin die Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung - Schlüsselkraft" (selbständig). Sie brachte vor, bereits in Weißrussland ein Universitätsstudium abgeschlossen zu haben und neben ihrer Muttersprache Weißrussisch noch Deutsch, Russisch, Griechisch, Englisch und Ukrainisch zu beherrschen. Sie beabsichtige die Gründung eines Einzelunternehmens im Bereich "Relocationservice", welches sich mit der Beschaffung und Weitergabe von Informationen betreffend infrastrukturelle Einrichtungen wie Schulen, Einkaufsmöglichkeiten, Verkehrsverbindungen und kulturelle Veranstaltungen sowie betreffend die Gründung und Auflösung eines Wohnsitzes und damit im Zusammenhang stehenden Geschäften befasse. Die Beschwerdeführerin werde von osteuropäischen Firmen engagiert (werden), welche sich primär in Salzburg oder Österreich ansiedeln bzw. Tochtergesellschaften gründen würden, um den europäischen Binnenmarkt von Österreich aus zu bearbeiten. Ziel ihres Unternehmens sei die Betreuung von Mitarbeitern ansiedlungswilliger Firmen aus Osteuropa und die Vornahme der hiefür notwendigen Tätigkeiten. Aktuelle Statistiken belegten, dass sich immer mehr osteuropäische Konzerne in Österreich bzw. in Salzburg ansiedelten oder Tochtergesellschaften gründeten. Insbesondere auf Grund der Osterweiterung der europäischen Union wäre mit der geplanten Unternehmenstätigkeit ein Transfer von Investitionskapital verbunden. Salzburg stehe bei osteuropäischen Konzernen "sehr hoch im Kurs". Bei einem Ausbau der Flugverbindungen würden sich sehr viele zusätzliche Firmen ansiedeln und eine große Anzahl von Arbeitsplätzen schaffen. "Die meisten in den Führungsebenen" möchten in Salzburg oder Salzburg-Umgebung ihren Wohnsitz haben. Durch diese - von der Beschwerdeführerin durch ihre Beratungstätigkeit geförderten - Firmenansiedlungen werde es auch ein entsprechendes Steueraufkommen geben bzw. sei "der Kaufkraftzufluss nicht zu unterschätzen". In Anbetracht der steigenden Anzahl an Firmen, die den europäischen Binnenmarkt von Österreich bzw. Salzburg aus bearbeiten möchten, könne mit einem kontinuierlichen Ausbau des Geschäftsbetriebes der Beschwerdeführerin und mit der Schaffung von ca. zehn zusätzlichen Arbeitsplätzen bis 2010 gerechnet werden.
Zum Beweis ihres Vorbringens legte die Beschwerdeführerin u. a. den Entwurf eines "Beratungsvertrages" vor.
In dem im Zuge des Verfahrens eingeholten "Gutachten" der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Salzburg - in dem die Beschwerdeführerin fälschlich als russische Staatsangehörige bezeichnet wird - heißt es dazu (Fehler im Original):
"Aufgrund der vorliegenden Unterlagen kann nicht festgestellt, dass im Zusammenhang mit einer selbständigen Tätigkeit von (Beschwerdeführerin) für Dolmetsch-, Beratung- und Übersetzerin ein nachhaltiger Transfer von Know-how und Investitionskapital nach Österreich erfolgt, zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen werden oder das Unternehmen eine wesentliche Bedeutung für eine ganze Region hat.
Auf Grund der dem AMS derzeit vorliegenden Unterlagen, kann ein gesamtwirtschaftlicher Nutzen der Tätigkeit nicht erkannt werden, weshalb es sich nicht um eine selbständige Schlüsselkraft im Sinne des § 24 AuslBG handelt."
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom wies die Bundesministerin für Inneres (die belangte Behörde) den Antrag der Beschwerdeführerin gemäß §§ 13 Abs. 1 und 2, 29 Abs. 1 und 41 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab. Das begründete die belangte Behörde zusammenfassend unter Verweis auf das dargestellte Gutachten der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Salzburg damit, dass die Beschwerdeführerin die Anstellung weiterer Mitarbeiter bloß behauptet, dafür jedoch keinen geeigneten Nachweis vorgelegt habe. Auf Grund der vorgelegten Unterlagen sei auch nicht ersichtlich, dass die beabsichtigte selbständige Tätigkeit der Beschwerdeführerin einen Transfer von nachhaltigem Investitionskapital nach Österreich zur Folge haben werde. Somit könne in ihrer beabsichtigten Tätigkeit kein gesamtwirtschaftlicher Nutzen im Sinn des § 24 AuslBG erkannt werden. Der Erbringung ihrer Arbeitsleistung wäre ausschließlich ein einzelbetriebliches bzw. persönliches Interesse zuzumessen, weshalb sie nicht als selbständige Schlüsselkraft "zu verifizieren" sei.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ergibt sich aus § 24 AuslBG, dass für die Beurteilung, ob eine beabsichtigte selbständige Tätigkeit zur Stellung als Schlüsselkraft führt, der gesamtwirtschaftliche Nutzen der Erwerbstätigkeit maßgeblich ist. Bei der Beurteilung, ob ein solcher vorliegt, ist insbesondere zu berücksichtigen, ob mit der selbständigen Erwerbstätigkeit ein Transfer von Investitionskapital verbunden ist und/oder ob die Erwerbstätigkeit der Schaffung von neuen oder der Sicherung von gefährdeten Arbeitsplätzen dient. Der Gesetzgeber stellt also darauf ab, ob ein zusätzlicher Impuls für die Wirtschaft zu erwarten ist (vgl. aus jüngerer Zeit etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/22/0809).
Die belangte Behörde ging (siehe oben) davon aus, dass der Arbeitsleistung der Beschwerdeführerin ausschließlich ein "einzelbetriebliches bzw. persönliches Interesse" zukomme; es sei kein Transfer von nachhaltigem Investitionskapital nach Österreich "durch Ihre Person" ersichtlich, die Behauptung über die Anstellung von weiteren Mitarbeitern habe sie nicht geeignet nachweisen können.
Diese Überlegungen werden dem Vorbringen der Beschwerdeführerin nicht gerecht. Unabhängig von der Frage, welchen Umfang der Geschäftsbetrieb der Beschwerdeführerin in Zukunft selbst erreichen werde bzw. inwieweit im Rahmen dieses Unternehmens mit einem Kapitaleinsatz zu rechnen sei, wäre nämlich darauf einzugehen gewesen, ob sich ihre Geschäftstätigkeit - wie der Sache nach behauptet - auf die Ansiedelungspolitik osteuropäischer Unternehmen in Österreich auswirken würde. Träfe es, wie in der Beschwerde präzisierend vorgebracht, zu, dass durch die Tätigkeit der Beschwerdeführerin die Ansiedelung osteuropäischer Unternehmen in Österreich wesentlich erleichtert werde, so könnte dieser unterstützenden Tätigkeit ein positiver Effekt für die österreichische Wirtschaft nicht ohne weiteres abgesprochen werden.
Indem sich die belangte Behörde mit den behaupteten Auswirkungen der Tätigkeit der Beschwerdeführerin auf das österreichische Wirtschaftsleben nicht beschäftigt hat, hat sie ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet. Der bekämpfte Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich - im Rahmen des gestellten Begehrens - auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am
Fundstelle(n):
KAAAE-68935