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VwGH vom 21.12.2010, 2009/21/0002

VwGH vom 21.12.2010, 2009/21/0002

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher, Dr. Pfiel und Mag. Eder als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Henk, über die Beschwerde der C, vertreten durch Mag. Dr. Wolfgang Fromherz, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Graben 9, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom , Zl. 318.741/2-III/4/08, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die 1956 geborene Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige von Bosnien-Herzegowina und beantragte am unter Bezugnahme auf ihren 1952 geborenen Ehemann, dem am die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen worden war, die Erteilung eines Aufenthaltstitels "Familienangehöriger".

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde diesen Antrag gemäß § 11 Abs. 2 Z 4 und Abs. 5 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab. Das begründete sie - auf das Wesentliche zusammengefasst - damit, dass die Beschwerdeführerin ihren Ehemann am in Mala Kladusa geheiratet habe und sich auf Grundlage eines bis gültigen Visums seit im Bundesgebiet befinde. Seither sei sie an der Wohnadresse ihres Ehemannes aufrecht gemeldet, von welchem als Zusammenführenden ein Einkommensnachweis zu erbringen gewesen sei. "Aufgrund der vorliegenden Unterlagen" sei ersichtlich, dass der Ehemann der Beschwerdeführerin für den Zeitraum April bis September 2008 ein durchschnittliches Einkommen in der Höhe von EUR 987,-- bezogen habe, welches somit unter dem maßgeblichen Richtsatz nach § 293 ASVG in Höhe von EUR 1.120,-- liege. Es habe somit nicht nachgewiesen werden können, dass "die Unterhaltsmittel gedeckt" seien, weshalb es sehr wahrscheinlich sei, dass der Aufenthalt der Beschwerdeführerin zur finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen würde. In Anbetracht dessen sei die Erteilungsvoraussetzung des § 11 Abs. 2 Z 4 NAG - so die belangte Behörde im Ergebnis - nicht erfüllt. Da sich die Erteilung des begehrten Aufenthaltstitels im Sinn des § 11 Abs. 3 NAG als nicht geboten erweise, sei der Antrag der Beschwerdeführerin somit abzuweisen gewesen.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage erwogen:

Die belangte Behörde ist unter dem Blickwinkel der Erteilungsvoraussetzung des § 11 Abs. 2 Z 4 NAG zutreffend davon ausgegangen, dass das Haushaltseinkommen der Beschwerdeführerin und ihres zusammenführenden Ehemannes den Richtsatz nach § 293 Abs. 1 lit. a sublit. aa ASVG in der hier maßgeblichen Fassung BGBl. I Nr. 101/2007 - das sind EUR 1.120,-- monatlich - zu erreichen hätte (vgl. grundlegend das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/22/0711). Diesem erforderlichen Haushaltseinkommen steht nach den unbestrittenen Feststellungen des bekämpften Bescheides allerdings nur ein Durchschnittsmonatseinkommen in Höhe von EUR 987,-- - Pensionsvorschuss des Ehemanns der Beschwerdeführerin - gegenüber, weshalb die belangte Behörde die in Rede stehende Erteilungsvoraussetzung, ohne dass auf weitere Berechnungsfragen eingegangen werden müsste, im Einklang mit der Rechtslage als nicht erfüllt erachtete.

Das stellt letztlich auch die Beschwerdeführerin nicht in Abrede. Sie vertritt allerdings den Standpunkt, die gebotene Abwägung nach § 11 Abs. 3 NAG hätte ungeachtet dessen zur Erteilung des begehrten Aufenthaltstitels "Familienangehöriger" führen müssen.

§ 11 Abs. 3 NAG in der hier maßgeblichen Fassung vor der Novelle BGBl. I Nr. 29/2009 lautete wie folgt:

"(3) Ein Aufenthaltstitel kann trotz Ermangelung einer Voraussetzung gemäß Abs. 2 Z 1 bis 6 erteilt werden, wenn dies zur Aufrechterhaltung des Privat- oder Familienlebens im Sinne des Art. 8 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention - EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, geboten ist."

Die belangte Behörde hat unter Bedachtnahme auf diese Bestimmung ausgeführt, dass durch den Aufenthalt des Ehemannes der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet familiäre Bindungen in Österreich bestünden. Da es sich im vorliegenden Fall jedoch um einen Erstantrag handle und mangels Aufenthaltsrechts für Österreich noch kein Privat- und Familienleben geführt worden sei, könne im vorliegenden Fall nicht von einer Aufrechterhaltung des Privat- oder Familienlebens gesprochen werden. Die belangte Behörde führte weiter aus, gemäß der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes stehe einer "Ausländerfamilie" nicht das unbedingte Recht auf ein gemeinsames Familienleben in einem Vertragsstaat zu. Art. 8 EMRK umfasse nicht die generelle Verpflichtung eines Vertragsstaates, die Wahl des Familienwohnsitzes durch die verschiedenen Familienmitglieder anzuerkennen und die Zusammenführung einer Familie auf seinem Gebiet zu erlauben. Auch beinhalte Art. 8 EMRK nicht das Recht, den geeignetsten Ort für die Entwicklung des Familienlebens zu wählen. Es bestehe "nicht die grundsätzliche Verpflichtung zur Herstellung des Familienlebens". Jeder Vertragsstaat habe das Recht, die Einreise von Nichtstaatsangehörigen einer Kontrolle zu unterwerfen. Der Antrag der Beschwerdeführerin sei somit, so die belangte Behörde abschließend, abzuweisen gewesen, weil auf die Sicherung des Lebensunterhaltes im NAG eine wichtige Grundvoraussetzung für die Erteilung eines Aufenthaltstitels darstelle.

Die Beschwerdeführerin hält diesen Erwägungen zunächst mit Recht entgegen, aus dem Umstand, dass sie bislang für Österreich kein Aufenthaltsrecht innegehabt habe, könne nicht darauf geschlossen werden, es sei noch "kein Privat- und Familienleben" (gemeint offenbar: in Bezug auf den Ehemann der Beschwerdeführerin) geführt worden. Sie zeigt in diesem Zusammenhang weiter auf, dass die behördliche Annahme, die Ehe der Beschwerdeführerin sei am geschlossen worden, aktenwidrig ist. Bei dem genannten Datum handelt es sich nämlich um das Datum der Ausstellung der von der Beschwerdeführerin im Verwaltungsverfahren vorgelegten Heiratsurkunde, die ihrerseits jedoch in Übereinstimmung mit ihrem Vorbringen eine Eheschließung bereits am dokumentiert. Die Beschwerdeführerin weist schließlich aber auch noch zutreffend darauf hin, dass die belangte Behörde das Vorbringen über die gesundheitlichen Beeinträchtigungen ihres Ehemannes völlig außer Acht gelassen hat. Dazu wurde in der Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid behauptet, der 57-jährige Ehemann der Beschwerdeführerin bedürfe ständiger Unterstützung durch die Beschwerdeführerin, ihre "Hilfe im Alltag" sei unverzichtbar. Schon im erstinstanzlichen Verfahren war ein Behindertenpass vorgelegt worden, demzufolge der Grad der Behinderung bzw. die Minderung der Erwerbsfähigkeit beim Ehemann der Beschwerdeführerin ab 80 % ausmache. Dass einer Unterstützungsbedürftigkeit des österreichischen Ehemannes im Kontext des § 11 Abs. 3 NAG Bedeutung zukommt, wurde etwa im hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/22/0111, zum Ausdruck gebracht.

Vor dem Hintergrund der aufgezeigten Umstände hat die belangte Behörde die im Rahmen des § 11 Abs. 3 NAG vorzunehmende Interessenabwägung fehlerhaft vorgenommen. Im Übrigen ist im gegebenen Zusammenhang aber noch auf das zur Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom betreffend das Recht auf Familienzusammenführung ergangene "Chakroun" zu verweisen. In diesem Urteil wurde zum Einen unter Rdnr. 48 zum Ausdruck gebracht, dass die Unterschreitung eines vorgegebenen Mindesteinkommens nicht jedenfalls, ohne eine konkrete Prüfung der Situation des einzelnen Antragstellers, die Ablehnung der Familienzusammenführung zur Folge haben dürfe, was nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes insbesondere bei einer nur geringfügigen Unterschreitung des nach der österreichischen Rechtslage maßgeblichen Richtsatzes nach § 293 ASVG von Bedeutung sein kann (vgl. in diesem Sinn schon das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/21/0004). Zum Anderen hat der EuGH unter Rdnr. 65 aber deutlich zu erkennen gegeben, dass einer langen Ehedauer unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK besonderes Gewicht beizumessen ist.

Das eben erwähnte Urteil ist für den vorliegenden Fall nicht unmittelbar relevant, weil die darin behandelte Richtlinie nur die Familienzusammenführung durch Drittstaatsangehörige zum Gegenstand hat. Es kann aber schon aus gleichheitsrechtlichen Gründen keinem Zweifel unterliegen, dass ihre Grundsätze auf die Familienzusammenführung durch Österreicher jedenfalls insofern "ausstrahlen", als es um von den Mitgliedstaaten zu beachtende Mindeststandards geht. In diesem Sinn hatte auch das oben genannte Erkenntnis vom die Familienzusammenführung zu einem österreichischen Staatsbürger zum Gegenstand. All das hat die belangte Behörde verkannt, weshalb der bekämpfte Bescheid zusammenfassend wegen der prävalierenden Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am