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VwGH vom 21.11.2018, Ra 2016/04/0115

VwGH vom 21.11.2018, Ra 2016/04/0115

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Rigler, die Hofräte Dr. Kleiser und Dr. Mayr, Hofrätin Mag. Hainz-Sator sowie Hofrat Dr. Pürgy als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Tiefenböck, über die Revision des S R e.U. in B, vertreten durch MMag. Dr. Claus Casati, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Mariahilfer Straße 1b/17, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Salzburg vom , Zl. 405-5/13/1/22-2016, betreffend vergaberechtliches Nachprüfungsverfahren (mitbeteiligte Partei:

S GmbH in S, vertreten durch MMag. Dr. Philipp Götzl, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Imbergstraße 19), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Salzburg hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

I.

1 1. Beginnend mit der Bekanntmachung im April 2016 führte die Auftraggeberin S GmbH (mitbeteiligte Partei) ein offenes Vergabeverfahren im Oberschwellenbereich betreffend den Abschluss einer Rahmenvereinbarung durch. Leistungsgegenstand war die Erbringung von Personenverkehrsdiensten mit Bussen betreffend den "Linienverkehr S Leistungspaket 2490 Linienbündel G", wobei mehrere näher bezeichnete Buslinien mit einer Jahreskilometerleistung von insgesamt ca. 670.000 km erfasst waren. Der Auftrag wurde als Dienstleistungsauftrag ausgeschrieben. Ende der Angebotsfrist war der .

2 Anhaltspunkte dafür, dass es sich um Verkehrsdienste handelt, die "hauptsächlich aus Gründen des historischen Interesses oder zu touristischen Zwecken betrieben werden" (siehe Art. 1 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße, ABl. Nr. L 315 vom , S 1, im Folgenden: Verordnung Nr. 1370/2007), wurden im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof nicht vorgebracht und sind auch nicht ersichtlich. Nach den übereinstimmenden Angaben der Parteien ist keine Veröffentlichung gemäß Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1370/2007 (im Folgenden: Vorinformation) erfolgt.

3 2. Mit Schriftsatz vom beantragte der Revisionswerber, die Ausschreibung dieses Vergabeverfahrens - in eventu einzelne näher bezeichnete Ausschreibungsbestimmungen - für nichtig zu erklären.

4 Der Revisionswerber rügte u.a. die unterlassene Veröffentlichung nach Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1370/2007, die als rechtswidrig angesehene Wahl einer Rahmenvereinbarung, die zu kurz bemessene Angebotsfrist, überschießende Anforderungen hinsichtlich der Eignung, überschießende Pönalebestimmungen sowie eine unzulässige Beschränkung der Haftung der Auftraggeberin.

5 3. Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom wies das Landesverwaltungsgericht Salzburg diese Anträge - ebenso wie den Antrag auf Pauschalgebührenersatz - als unbegründet ab. Die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG wurde für nicht zulässig erklärt.

6 Nach Darstellung der Äußerungen des Revisionswerbers und der mitbeteiligten Parteien in ihren Schriftsätzen und in den beiden mündlichen Verhandlungen hielt das Verwaltungsgericht fest, dass (offenbar: im Land S) nahezu alle Verkehrslinien bzw. Linienbündel im Wege einer Rahmenvereinbarung ausgeschrieben worden seien. Die (auch vorliegend erfolgte) Wahl der Rahmenvereinbarung sei nicht als missbräuchlich anzusehen, zumal die Auftraggeberin im Hinblick auf die vom Revisionswerber beantragte Konzessionserteilung für den Betrieb einer eigenwirtschaftlichen Linie (nach dem Kraftfahrliniengesetz) nicht sämtliche Parameter der beabsichtigten Vergabe der Verkehrsdienstleistungen fixieren könne. Eine Rahmenvereinbarung sei nur dann unzulässig, wenn der Wettbewerb behindert, eingeschränkt oder verfälscht werde.

7 Auf die fehlende Veröffentlichung nach Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1370/2007 ging das Verwaltungsgericht in seinen Erwägungen nicht ausdrücklich ein. Das Verwaltungsgericht hielt diesbezüglich lediglich fest, dass der vom Revisionswerber in diesem Zusammenhang ebenfalls ins Treffen geführte § 19 Abs. 4 Bundesvergabegesetz 2006 (BVergG 2006) der Ausschreibung nicht entgegenstehe, weil die Auftraggeberin rechtlich und wirtschaftlich in der Lage sei, die ausgeschriebene Leistung zu vergeben. Das Verwaltungsgericht sah es nicht als seine Aufgabe an, die Einhaltung der Bestimmungen des Kraftfahrliniengesetzes zu überprüfen.

8 Die geforderte Fuhrpark- bzw. Personalausstattung erachtete das Verwaltungsgericht als nicht überschießend. Da der Markt eine ausreichende Anzahl geeigneter Unternehmer aufweise, werde der Wettbewerb nicht eingeschränkt. Die in der Ausschreibung vorgesehene Einschränkung der Haftung der Auftraggeberin auf grobe Fahrlässigkeit oder Vorsatz unter Beweislastumkehr stelle keinen Nachteil für den Revisionswerber dar, weil diese Festlegung alle Bieter gleichermaßen treffe und klar definiert sei. Die Pönalebestimmungen seien weder unsachlich noch überschießend, zumal "die Höhe einer Vertragsstrafe im Ermessen der Vertragsparteien gelegen" sei. Die festgestellte 53-tägige Angebotsfrist sei - entgegen der Auffassung des Revisionswerbers - nicht als zu kurz anzusehen.

9 4. Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber außerordentliche Revision.

10 Zur Zulässigkeit seiner Revision bringt der Revisionswerber u.a. vor, das Verwaltungsgericht habe sich nicht inhaltlich mit den rechtlichen Auswirkungen der unterlassenen Veröffentlichung nach Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1370/2007 befasst. Eine derartige Vorinformation wäre im Hinblick auf das Volumen des Auftrags (mehr als 600.000 km/Jahr) erforderlich gewesen. Zudem fehle höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Zulässigkeit der Einschränkung der Haftung der Auftraggeberin für vergaberechtliche Verstöße. Das Verwaltungsgericht habe sich diesbezüglich zu Unrecht nicht mit dem Gebot des fairen Wettbewerbs im Verhältnis "Bieter-Auftraggeber" befasst.

11 5. Die mitbeteiligte Partei erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der sie die Zurückweisung - in eventu Abweisung - der Revision beantragt.

12 Zum behaupteten Verstoß durch die fehlende Vorinformation verweist die mitbeteiligte Partei darauf, dass vorliegend keine Direktvergabe nach der Verordnung Nr. 1370/2007 durchgeführt worden sei. Überdies habe der Revisionswerber bereits seit langem Kenntnis vom Zeitpunkt der Betriebsaufnahme der gegenständlichen Buslinien und von der Notwendigkeit gehabt, zuvor ein Vergabeverfahren durchzuführen. Bei der vom Revisionswerber gerügten Beschränkung der Haftung der Auftraggeberin handle es sich um eine zivilrechtliche Bestimmung, die allein keine (Vergabe)Rechtswidrigkeit darstelle. Das diesbezüglich ins Treffen geführte Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) C- 314/09 treffe lediglich Aussagen zu Bau- und Lieferleistungen, nicht aber zu Verkehrsdienstleistungen, und sei daher nicht einschlägig.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

13 1. Die Revision ist im Hinblick auf das unter

Rn. 10 dargestellte Vorbringen des Revisionswerbers zulässig.

14 2. Der Verwaltungsgerichtshof hat aus Anlass der

vorliegenden Revisionssache mit Beschluss vom , EU 2017/0003, dem EuGH folgende Fragen gemäß Art. 267 AEUV zur Vorabentscheidung vorgelegt:

"1. Ist Art. 7 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße auch bei der Vergabe eines Dienstleistungsauftrages nach Art. 5 Abs. 1 zweiter Satz dieser Verordnung für Personenverkehrsdienste mit Bussen gemäß einem in den Vergaberichtlinien (Richtlinie 2004/17/EG oder 2004/18/EG) vorgesehenen Verfahren anwendbar?

2. Bei Bejahung der ersten Frage:

Führt ein Verstoß gegen die Verpflichtung, spätestens ein Jahr vor Einleitung des wettbewerblichen Vergabeverfahrens die in Art. 7 Abs. 2 lit. a bis c der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 enthaltenen Informationen zu veröffentlichen, dazu, dass eine ohne eine derartige Veröffentlichung ein Jahr vor Verfahrenseinleitung, aber nach Art. 5 Abs. 1 zweiter Satz dieser Verordnung in einem Verfahren gemäß den Vergaberichtlinien erfolgte Ausschreibung als rechtswidrig anzusehen ist?

3. Bei Bejahung der zweiten Frage:

Stehen die für die Vergabe öffentlicher Aufträge geltenden Vorschriften des Unionsrechts einer nationalen Regelung entgegen, der zufolge von der in Art. 2 Abs. 1 lit. b der Richtlinie 89/665/EWG vorgesehenen Aufhebung einer auf Grund einer fehlenden Veröffentlichung nach Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1370/2007 als rechtswidrig anzusehenden Ausschreibung abgesehen werden kann, wenn die Rechtswidrigkeit für den Ausgang des Vergabeverfahrens nicht von wesentlichem Einfluss war, weil der betroffene Betreiber rechtzeitig reagieren konnte und keine Beeinträchtigung des Wettbewerbs vorlag?"

15 3. Mit Urteil vom in der Rechtssache C-518/17, Rudigier, beantwortete der EuGH diese Fragen wie folgt:

"Art. 7 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße und zur Aufhebung der Verordnungen (EWG) Nr. 1191/69 und (EWG) Nr. 1107/70 des Rates ist dahin auszulegen, dass

- die darin vorgesehene Vorinformationspflicht auch

bei Aufträgen über öffentliche Busverkehrsdienste gilt, die grundsätzlich gemäß den Verfahren vergeben werden, die in der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG oder in der Richtlinie 2014/25/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom über die Vergabe von Aufträgen durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/17/EG vorgesehen sind;

  • die Verletzung dieser Vorinformationspflicht nicht

  • zur Aufhebung der betroffenen Ausschreibung führt, sofern die Grundsätze der Äquivalenz, der Effektivität und der Gleichbehandlung beachtet sind, was vom vorlegenden Gericht zu prüfen ist."

  • 16 In den Entscheidungsgründen führte der EuGH u.a. wie folgt

  • aus:

  • " ...

  • 54 Mit der zweiten und der dritten Frage, die zusammen zu

  • prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Rechtswidrigkeit, die aus der Verletzung oder dem Versäumnis der in Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1370/2007 vorgesehenen Vorinformationspflicht folgt, geeignet ist, zur Aufhebung einer ordnungsgemäß veröffentlichten Ausschreibung zu führen.

  • ...

  • 57 Demgegenüber sieht das Unionsrecht auf dem Gebiet der

  • Vergabe öffentlicher Aufträge keine allgemeine Regel vor, nach der die Rechtswidrigkeit einer Handlung oder Unterlassung in einem bestimmten Stadium des Verfahrens zur Rechtswidrigkeit aller späteren Handlungen in diesem Verfahren führen und ihre Aufhebung rechtfertigen würde. Eine solche Folge sieht das Unionsrecht nur in besonderen, genau bestimmten Situationen vor.

  • ...

60 Da der Unionsgesetzgeber keine spezifische Bestimmung in

Bezug auf einen Verstoß gegen Art. 7 Abs. 2 der Verordnung

Nr. 1370/2007 vorgesehen hat, ist eine entsprechende Regelung

Angelegenheit des nationalen Rechts.

61 In Ermangelung einer näheren unionsrechtlichen

65 Insofern sollte die Prüfung, ob der

Effektivitätsgrundsatz beachtet wurde, je nachdem, ob eine

Direktvergabe oder eine Ausschreibung beabsichtigt ist,

unterschiedlich ausfallen.

66 Bei einer Direktvergabe kann das Fehlen einer

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2018:RA2016040115.L00

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