VwGH vom 02.04.2009, 2007/16/0126

VwGH vom 02.04.2009, 2007/16/0126

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Steiner und die Hofräte Dr. Mairinger, Dr. Köller, Dr. Thoma und Dr. Zehetner als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Bayer LL.M., über die Beschwerde des Zollamtes Wien in Wien, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Zollsenat 1, vom , GZ. ZRV/0056-Z1W/05, betreffend u. a. Erstattung von Eingangsabgaben und Nebenansprüchen (mitbeteiligte Partei: R AG in W, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird im angefochtenen Umfang, sohin in seinem Spruchpunkt I. (Aufhebung des vor der belangten Behörde bekämpften Bescheides und Zurückverweisung der Sache an die Abgabenbehörde erster Instanz), wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Beim Zollamt Wien, Zweigstelle Donau-Praterkai, wurde am für eine Schiffsladung mit 874.000 kg Weizen aus Ungarn ein externes gemeinschaftliches Versandverfahren eröffnet. Auf dem Versandschein (T1) scheint als Empfänger (Feld 8) auf:

"(mitbeteiligte Partei), F: G GmbH (Postleitzahl) A." Als Hauptverpflichteter (Feld 50) war die Spedition E AG aufgetreten. Als Bestimmungsstelle (Feld 53) war das Zollamt Linz eingetragen. Das am Versandschein vorgesehene Feld "angebrachte Verschlüsse" war nicht ausgefüllt. Als letzter Tag der Gestellungsfrist wurde der festgesetzt.

Mit Schriftsatz vom an das (damalige) Hauptzollamt Wien erstattete die mitbeteiligte Partei eine "Selbstanzeige" und führte darin aus, dass die in Rede stehende Ladung Weizen nach Ausstellung des Versandscheines beim Zollamt Wien, Zweigstelle Donau-Praterkai, an die G GesmbH in P weitergeleitet worden sei. Da keine Zollverschlüsse angelegt gewesen seien, sei ihr Kunde davon ausgegangen, dass die Ware bereits "einfuhrabgefertigt" gewesen sei, und habe den Weizen ohne zollamtliche Aufsicht in Silozelle 1 und Silozelle 2 eingelagert. Leider sei von Seiten der mitbeteiligten Partei verabsäumt worden, sowohl ihren Kunden darauf hinzuweisen, dass der Weizen noch nicht "einfuhrverzollt" gewesen sei, als auch die Zollbehörde über die "geplante Entladung auf das vorgesehene Zolllager" zu verständigen. Die mitbeteiligte Partei ersuche um "nachträgliche Einfuhrzollabfertigung und um Vorschreibung der Eingangsabgaben".

Das Hauptzollamt Wien stellte mit Bescheid vom fest, dass die G GesmbH die im näher bezeichneten Versandschein angeführten eingangsabgabepflichtigen Waren, die am beim Zollamt Wien in das Versandverfahren übergeführt worden seien, durch "Nichtgestellung" der zollamtlichen Überwachung entzogen habe. Dadurch sei für die G GesmbH gemäß Art. 203 Abs. 1 Zollkodex (ZK) iVm § 2 Abs. 1 Zollrechts-Durchführungsgesetz (ZollR-DG) die Eingangsabgabenschuld (Zoll und Einfuhrumsatzsteuer in jeweils angeführter Höhe) entstanden. Weiters schrieb das Hauptzollamt Wien der mitbeteiligten Partei mit diesem Bescheid eine Abgabenerhöhung nach § 108 Abs. 1 ZollR-DG in näher angeführter Höhe vor. Dem Ansuchen der mitbeteiligten Partei vom um Beitritt für die gemäß Art. 203 ZK entstandene Zollschuld wurde stattgegeben.

Mit Schriftsatz vom beantragte die mitbeteiligte Partei die Erstattung der Einfuhrzollschuld mit der Begründung, dass sie mit ihrer "Selbstanzeige" einen Ursprungsnachweis (Warenverkehrsbescheinigung) für die in Rede stehende Schiffsladung Weizen vorgelegt habe und dass keine betrügerische Absicht oder offensichtliche Fahrlässigkeit, sondern ein entschuldbarer Irrtum auf Seiten der mitbeteiligten Partei vorgelegen sei.

Mit Bescheid vom wies das Hauptzollamt Wien den Antrag der mitbeteiligten Partei auf Erstattung des Zollbetrages ab. Von der mitbeteiligten Partei sei bei der Übernahme der unverzollten Ware durch einen Mitarbeiter der G GesmbH lediglich leichte Fahrlässigkeit zu verantworten, weil der Beteiligte wegen des Fehlens von Zollverschlüssen davon ausgegangen sei, die Einfuhrabfertigung sei bereits erfolgt. Der mitbeteiligten Partei sei keine offensichtliche Fahrlässigkeit bei der Abwicklung der Zollformalitäten vorzuwerfen, weil sie von der Spedition, welche das in Rede stehende Versandverfahren eröffnet habe, nicht auf das Fehlen von Zollverschlüssen hingewiesen worden sei und daher ihren Kunden auch nicht entsprechend habe informieren können. Das Hauptzollamt Wien gehe aber davon aus, dass andere am Verfahren Beteiligte, wie etwa der Mitarbeiter der Spedition, welcher die Ware in das Versandverfahren übergeführt habe, grob fahrlässig gehandelt hätten. Daher käme eine Erstattung des Zollbetrages nicht in Betracht.

Mit Schriftsatz vom berief die mitbeteiligte Partei dagegen und legte in der Folge eine Stellungnahme der von ihr beauftragten Spedition E AG vor, wonach jene eine grob fahrlässige Handlungsweise bestreite. Der Spediteur habe nur das Versandverfahren beantragt. Einen Hinweis auf das Fehlen von Zollverschlüssen könne die Spedition auf den Zoll- oder Versandformularen nicht geben, weil die Nämlichkeitssicherung ausschließlich durch das Zollamt erfolge und anders als durch Raumverschluss, nämlich etwa durch Beschreibung der Ware vorgenommen werden könne.

Mit Vorhalt vom ersuchte das Zollamt Wien die mitbeteiligte Partei u.a. auf die Fragen zu antworten, wie das Vertragsverhältnis zwischen der mitbeteiligten Partei und der Spedition E AG im konkreten Fall ausgesehen habe, nach welchen Kriterien die mitbeteiligte Partei sich seinerzeit die Spedition E AG als Hauptverpflichteten ausgesucht habe und ob sie mit dieser eine Vereinbarung getroffen habe, wer für allfällige Verfahrensverletzungen und daraus resultierende Abgabenvorschreibungen einzustehen habe. Weiters verkenne die Spedition mit dem Argument, die Nämlichkeitssicherung erfolge durch das Zollamt, dass es im Beschwerdefall darauf nicht ankomme. Der Hauptverpflichtete beantrage nicht nur das Versandverfahren, sondern habe als Inhaber dieses Verfahrens die Waren innerhalb der vorgesehenen Frist unter Beachtung der von den Zollbehörden zur Nämlichkeitssicherung getroffenen Maßnahmen unverändert der Bestimmungszollstelle zu gestellen sowie die Vorschriften über das gemeinschaftliche Versandverfahren einzuhalten. Daher ersuche das Zollamt Wien um Antwort auf die Fragen, welche Vorsichtsmaßnahmen die Spedition E AG im fraglichen Zeitraum generell getroffen habe, um als Hauptverpflichteter eine ordnungsgemäße Abwicklung der Versandverfahren zu gewährleisten und Fehler wie im Beschwerdefall hintan zu halten, und wer beauftragt gewesen sei, die Versandware bei der Bestimmungszollstelle fristgerecht unter Vorlage der Versandpapiere zu gestellen, und schließlich, wer die Ware an die G GesmbH ausgefolgt habe.

Darauf antwortete die mitbeteiligte Partei mit Schriftsatz vom , der Auftrag zur Beförderung und Verzollung sei an die Spedition E AG wie in der Vergangenheit auf Grund eines Telephonates ergangen. Im Übrigen lege sie ein Telefax vom der Spedition E AG an die mitbeteiligte Partei vor, aus welchem hervorgehe, dass sich "die Fracht" einschließlich u. a. der Einfuhrzollabfertigung in Österreich verstehe. Zu den Kriterien der Auswahl der Spedition halte die mitbeteiligte Partei fest, dass die E AG jahrzehntelang von einem näher genannten, im Jahr 2000 dann in die mitbeteiligte Partei eingebrachten Unternehmen (Anm.: des Konzerns) für internationale Transporte und Verzollungen insbesondere im Getreidebereich herangezogen worden sei und sich die Geschäftsbeziehung auf ein jahrzehntelanges reibungslos funktionierendes Verhältnis zurückführen ließe. Deshalb bestünden auch keine gesonderten Vereinbarungen betreffend allfällige Verfahrensverletzungen und daraus entstehende Abgabenvorschreibungen. Zur Frage nach Vorsichtsmaßnahmen der Spedition E AG verweise die mitbeteiligte Partei auf das gleichzeitig vorgelegte Schreiben der Spedition E AG vom , worin darauf verwiesen werde, dass der Zolldeklarant der Spedition dem Kapitän einen Versandschein T 1 ausgehändigt und ihm mitgeteilt habe, dass die Sendung innerhalb der Gestellungsfrist unverändert der Bestimmungszollstelle zu stellen sei. Wäre die Ware nicht als "Zollgut" transportiert worden, wäre auch auf dem Frachtbrief ein Verzollungsvermerk angebracht gewesen. Das Fehlen eines derartigen Verzollungsvermerkes hätte vom Schifffahrtsunternehmen (A GesmbH und dessen Kapitän) erkannt werden müssen. Diesem Kapitän, der für die Ware den internationalen Transport übernehme, sei ohne Zweifel zuzumuten, auch "die entsprechenden zollamtlichen Agenden" korrekt und vorschriftsgemäß durchzuführen. Mit der fristgerechten Gestellung der Ware bei der Bestimmungszollstelle sei von der mitbeteiligten Partei die Spedition E AG beauftragt gewesen, wobei es für die mitbeteiligte Partei nicht bedeutsam sei, ob für den Fall des Heranziehens eines Subunternehmens (Schifffahrtsunternehmen als Frachtführer) die Gestellungspflicht von der Spedition an das Schifffahrtsunternehmen übergegangen sei. Die Ausfolgung der Waren an die G GesmbH könne laut Stellungnahme der Spedition E AG nur dahingehend beantwortet werden, dass dafür der Warenführer (A GesmbH) und dessen Kapitän als Ausfolger der Ware in Frage gekommen seien. Zusammenfassend verweise die mitbeteiligte Partei darauf, dass allein aus der Tatsache des Entstehens der Zollschuld nach Art. 202 bis 204 ZK nicht auf offensichtliche Fahrlässigkeit geschlossen werden dürfe.

Mit Berufungsvorentscheidung vom wies das Zollamt Wien die Berufung ab. Es sei zwar von keiner betrügerischen Absicht der mitbeteiligten Partei auszugehen, doch bleibe zu prüfen, ob sich die mitbeteiligte Partei auch das grob fahrlässige Verhalten anderer am Verfahren Beteiligter zurechnen lassen müsse. Aus der Stellungnahme der Spedition E AG vom gehe hervor, dass der am ausgestellte Versandschein T 1 dem Warenführer, dem Kapitän des Schiffes SL 20 der A GesmbH, übergeben worden sei und dass diesem mitgeteilt worden sei, die Sendung sei innerhalb der im Versandschein genannten Frist unverändert der Bestimmungsstelle zu gestellen. Damit sei der Personenkreis der Beteiligten um den Kapitän des Schiffes SL 20 erweitert worden, ohne dass der Hauptverpflichtete, die E AG, ihrer Gestellungsverpflichtung enthoben worden wäre. Die mitbeteiligte Partei habe die Spedition E AG mit der gesamten Einfuhrzollabfertigung beauftragt, welche erst nach Gestellung des Versandscheines und Verzollung unter Vorlage der erforderlichen Unterlagen bei der Zollbehörde und der Vorschreibung der Eingangsabgaben beendet gewesen wäre. Wenn in der Stellungnahme der Spedition E AG zutreffend festgehalten werde, dem Kapitän, der die Ware für den internationalen Transport übernehme, sei zuzumuten, auch "die zollamtlichen Agenden" korrekt und den Vorschriften entsprechend durchzuführen, verbleibe die Verantwortung der Überwachung des Importvorganges dennoch beim Spediteur. Mit Übernahme des Versandscheines habe dem Kapitän des Schiffes SL 20 die Verpflichtung zur Gestellung der Versandwaren klar gewesen sein müssen, insbesondere weil er von der Spedition E AG darauf hingewiesen worden sei. Für den Warenführer, die A GesmbH, welche laufend im internationalen Schiffsverkehr tätig sei, handle es sich bei der Gestellung von Versandwaren weder um eine komplexe Vorschrift noch könne es bei diesem an der nötigen Erfahrung mit der Durchführung solcher Geschäfte mangeln. Nachdem der Kapitän ausdrücklich belehrt worden sei, komme Offensichtlichkeit der Fahrlässigkeit auf dessen Seite zum Ausdruck. Demnach liege offensichtliche Fahrlässigkeit eines an diesem Verfahren Beteiligten vor, welche die nachträgliche Anerkennung des vorgelegten Präferenznachweises und den "Erlass" des Zolles ausschließe. Demzufolge sei eine der Voraussetzungen, dass nämlich keinem der Beteiligten offensichtlich fahrlässiges Handeln vorwerfbar sein dürfe, nicht gegeben. Scheide für denjenigen, für den eine Zollschuld entstanden sei, ein "Abgabenerlass" mangels Vorliegens der Voraussetzungen dafür aus, sei auch für den, der dieser Zollschuld beitrete, ein "Erlass" ausgeschlossen.

Mit Schriftsatz vom erhob die mitbeteiligte Partei gegen diese Berufungsvorentscheidung Administrativbeschwerde vor der belangten Behörde und begründete dies im Wesentlichen damit, die Spedition E AG habe ordnungsgemäß gehandelt, weil für den Fall, dass die Ware nicht als "Zollgut" transportiert worden wäre, auf dem Frachtbrief ein Verzollungsvermerk angebracht worden wäre. Das Fehlen eines solchen Vermerkes hätte vom Schifffahrtsunternehmen, der A GesmbH, und dessen Kapitän erkannt werden müssen. Die Spedition E AG habe dem Warenführer, dem Kapitän des Schiffes SL 20 der A GesmbH, den Versandschein übergeben und diesem auch mitgeteilt, dass die Sendung innerhalb der im Versandschein genannten Frist unverändert der Bestimmungsstelle gestellt werden müsse. Da aber das Fehlen von Zollverschlüssen die in Zollsachen unkundigen Mitarbeiter der G GesmbH zur Annahme veranlasst habe, eine Einfuhrabfertigung sei bereits erfolgt, könne diesen Mitarbeitern lediglich leichte Fahrlässigkeit bei der Übernahme der unverzollten Ware vorgeworfen werden. Aus einer mündlichen Mitteilung der Spedition E AG an den Kapitän des Warenführers könne keine "ausdrückliche Belehrung" gefolgert werden. Daher könne dem Kapitän und auch dem Hauptverpflichteten nicht offensichtlich fahrlässiges Handeln vorgeworfen werden. Zusammenfassend liege nach Ansicht der mitbeteiligten Partei keine offensichtliche Fahrlässigkeit, sondern ein entschuldbarer Irrtum oder eine entschuldbare Fehlleistung vor.

Mit auf § 279 Abs. 2 BAO gestütztem Schreiben vom ersuchte die belangte Behörde das Zollamt Wien, durch ergänzende Erhebungen bei den beteiligten (physischen und juristischen) Personen zu klären, ob und wem eine grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen sei. Allein auf Grund der Entstehung der Zollschuld nach Art. 202 bis 204 ZK oder aus bloßer Vermutung könne nicht auf betrügerische Absicht oder offensichtliche Fahrlässigkeit geschlossen werden.

Dies beantwortete das Zollamt Wien mit einer Stellungnahme vom , wonach es sich bei der A GesmbH wie auch bei der Spedition E AG um Unternehmen handle, denen Kenntnisse der zu erfüllenden Zollverfahrensvorschriften zuzumuten seien. Die unstrittige Verletzung der Verpflichtungen aus dem Versandverfahren sei nach der aus der Aktenlage hervorgehenden Verhaltensweise des Kapitäns der A GesmbH als den fundamentalen Verfahrensvorschriften widersprechend und sohin als offensichtlich fahrlässig zu werten. Wenn auch die A GesmbH nicht mehr bestehe und die Ausforschung des den seinerzeitigen Transport ausführenden Kapitäns deshalb und wegen des dazwischen liegenden langen Zeitraums nahezu ausgeschlossen sei, weshalb die Frage, wem grobe Fahrlässigkeit vorwerfbar sei, nicht mehr zufriedenstellend beantwortet werden könne, halte das Zollamt Wien dennoch daran fest, dass der A GesmbH in der Person des Kapitäns grobe Fahrlässigkeit anzulasten sei. Da eine offensichtliche Fahrlässigkeit auch nur eines Beteiligten einer Erstattung nach Art. 239 ZK entgegenstehe, erübrige sich auch die Beurteilung, ob das Verhalten der G GesmbH als offensichtlich fahrlässig einzustufen sei.

Mit Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides hob die belangte Behörde den vor ihr bekämpften Bescheid (Berufungsvorentscheidung des Zollamtes Wien) gemäß § 289 Abs. 1 BAO auf und verwies die Sache an die Abgabenbehörde erster Instanz zurück.

Nach Schilderung des Verwaltungsgeschehens stellte die belangte Behörde fest, die mitbeteiligte Partei habe im Dezember 1999 von einem ungarischen Unternehmen 874.000 kg Weizen gekauft, welcher mit einem Schiff der A GesmbH nach Österreich gebracht worden sei. Bei der Anlegestelle Donau-Praterkai sei ein Versandverfahren mit der Bestimmungsstelle Zollamt Linz eröffnet worden. Als Hauptverpflichteter sei die Spedition E AG, als Empfänger die mitbeteiligte Partei und die G GesmbH eingetragen gewesen. Die Beförderung sei durch die A GesmbH erfolgt. Wie bei größeren Mengen teilbarer Waren und Flüssigkeiten, die in großen Behältern befördert würden, sei "in gesetzeskonformer Weise" vom Anbringen von Verschlüssen abgesehen worden. Die Ladung sei bei der Kundin der mitbeteiligten Partei, der G GesmbH, ohne ordnungsgemäße Beendigung des Versandverfahrens eingelagert worden. Am habe die mitbeteiligte Partei um Vorschreibung der Eingangsabgaben ersucht und eine Warenverkehrsbescheinigung EUR.1 vorgelegt.

Die im Beschwerdefall durch Unregelmäßigkeiten im Versandverfahren (Unterbleiben der ordnungsgemäßen Gestellung der Ware) gemäß Art. 203 ZK entstandene Zollschuld ohne Berücksichtigung des Präferenzzollsatzes habe das Zollamt im Rahmen des Auswahlermessens einem der Gesamtschuldner, nämlich der auf Grund des Schuldbeitritts zur Gesamtschuldnerin gewordenen mitbeteiligten Partei vorgeschrieben. Für den besonderen Fall, dass ein Beitritt zur Zollschuld erfolgt sei, teile die belangte Behörde die Ansicht des Zollamtes, dass sich schon die grobe Fahrlässigkeit irgendeines Beteiligten "erstattungsschädlich" auswirke.

Allerdings könne die belangte Behörde im Beschwerdefall aus dem gegebenen Akteninhalt keine grobe Fahrlässigkeit erblicken. Allein aus der Tatsache der Entstehung der Zollschuld nach Art. 202 bis 204 ZK könne nicht auf grobe Fahrlässigkeit geschlossen werden. Auch dürfe grobe Fahrlässigkeit nicht unterstellt werden. Die vom Zollamt dahingehend getroffenen Feststellungen gingen über bloße Behauptungen und Vermutungen nicht hinaus und seien jedenfalls keine Beweisführungen im Sinne der Abgabenvorschriften. Fahrlässigkeit könne in Form eines Auswahlverschuldens oder in Form eines Handlungsverschuldens vorliegen. Diesbezüglich seien den zollamtlichen Erledigungen keine konkreten Ausführungen zu entnehmen.

Das Zollamt habe in der Berufungsvorentscheidung ausgeführt, es müsse dem Kapitän des Schiffes SL 20 die Gestellungspflicht der Ware klar gewesen sein, weil er von der Spedition darauf hingewiesen worden sei. Im Verhalten des Kapitäns und auch des Hauptverpflichteten liege offensichtlich fahrlässiges Handeln vor.

In der Beantwortung des Ermittlungsauftrags vom sei davon die Rede, dass eine Ausforschung des den Transport seinerzeit ausführenden Kapitäns nahezu ausgeschlossen sei, weil die A GesmbH heute nicht mehr bestehe, und dass die Frage, welcher natürlichen Person grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen sei, nicht mehr zufriedenstellend beantwortet werden könne, dass aber jedenfalls die Spedition E AG und die A GesmbH "solche seien, denen Kenntnisse im Versandverfahren zuzumuten seien und die die im Versandverfahren zu erfüllenden Verpflichtungen verletzt" hätten. Somit sei der A GesmbH in der Person des Kapitäns grobe Fahrlässigkeit anzulasten.

Mit diesen allgemein und uneinheitlich gehaltenen Ausführungen des Zollamtes könne von einem Beweis der groben Fahrlässigkeit keine Rede sei.

Dem Argument der mitbeteiligten Partei zum Fehlen von Verschlüssen sei entgegenzuhalten, dass die Nämlichkeit der Ware auch durch Beschreibung festgehalten werden könne. Die Vorwürfe der mitbeteiligten Partei, die erfolgte Beschreibung sei zu rudimentär geblieben, weil zumindest ein Hinweis auf die Qualität des Weizens möglich gewesen wäre und in den Versandpapieren hätte erwartet werden müssen, sei zwar berechtigt, die belangte Behörde erblicke darin jedoch keinen den gesamten Verfahrensablauf gefährdenden Mangel. Diese Unzulänglichkeit könne nicht vom Fehler entschuldigen, am Ankunftsort nicht zu bemerken, dass es sich um Nichtgemeinschaftswaren handle.

Der Ermittlungsstand in diesem Verfahren sei daher insofern unvollkommen, als es entgegen der Ansicht des Zollamtes notwendig sei, auch in der Sphäre des Empfängers aufzuklären, ob "hier" eine grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen sei. Das Zollamt habe sich dahingehend nur mit der Sphäre des Hauptverpflichteten und der Warenführerin auseinander gesetzt und dabei eine grobe Fahrlässigkeit nicht nachweisen können. Da denkbar sei, dass sich im Bereich der Empfängerin bei der Einlagerung der Waren eine über einen Arbeitsfehler hinaus gehende Nachlässigkeit ereignet habe, werde bei dieser ergänzenden Ermittlung auch das Verhältnis zwischen der mitbeteiligten Partei und der G GesmbH zu beachten sein.

Die belangte Behörde halte es nicht für zweckmäßig, im Bereich des Hauptverpflichteten und der Warenführerin die Abgabenbehörde erster Instanz ermitteln zu lassen und bei der Empfängerin der Ware die Ermittlungstätigkeit auf die zweite Instanz zu verlagern.

Dagegen richtet sich die vorliegende gemäß § 85c Abs. 7 ZollR-DG erhobene Beschwerde des Zollamtes Wien.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und reichte eine Gegenschrift ein.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Art. 96 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften, ABlEG Nr. L 302 vom , (Zollkodex - ZK) lautet:

"Art. 96 (1) Der Hauptverpflichtete ist der Inhaber des externen gemeinschaftlichen Versandverfahrens. Er hat

a) die Waren innerhalb der vorgeschriebenen Frist unter Beachtung der von den Zollbehörden zur Nämlichkeitssicherung getroffenen Maßnahmen unverändert der Bestimmungszollstelle zu gestellen;

b) die Vorschriften über das gemeinschaftliche Versandverfahren einzuhalten.

(2) Unbeschadet der Pflichten des Hauptverpflichteten nach Absatz 1 ist ein Warenführer oder ein Warenempfänger, der die Waren annimmt und weiß, dass sie dem gemeinschaftlichen Versandverfahren unterliegen, auch verpflichtet, sie innerhalb der vorgeschriebenen Frist unter Beachtung der von den Zollbehörden zur Nämlichkeitssicherung getroffenen Maßnahmen unverändert der Bestimmungszollstelle zu gestellen."

Nach Art. 203 Abs. 1 ZK entsteht eine Einfuhrzollschuld, wenn eine einfuhrabgabenpflichtige Ware der zollamtlichen Überwachung entzogen wird. Zollschuldner sind nach Art. 203 Abs. 3 ZK u.a. die Person, welche die Ware der zollamtlichen Überwachung entzogen hat (erster Anstrich), und gegebenenfalls die Person, welche die Verpflichtungen einzuhalten hatte, die sich aus der Inanspruchnahme des betreffenden Zollverfahrens ergeben (vierter Anstrich).

Gibt es für eine Zollschuld mehrere Zollschuldner, so sind diese gemäß Art. 213 ZK gesamtschuldnerisch zur Erfüllung dieser Zollschuld verpflichtet.

Gemäß § 79 Abs. 1 letzter Satz Zollrechts-Durchführungsgesetz (ZollR-DG) in der im Beschwerdefall noch anzuwendenden Stammfassung kann bewilligt werden, dass eine dritte Person neben dem Zollschuldner ganz oder teilweise der Zollschuld beitritt und dadurch im entsprechenden Ausmaß Gesamtschuldner wird (Schuldbeitritt).

Im Beschwerdefall ist unstrittig, dass für die in Rede stehenden 874.000 kg Weizen dadurch, dass der Weizen innerhalb der vom Zollamt Wien, Zweigstelle Donau-Praterkai, gesetzten Frist nicht der Bestimmungszollstelle gestellt, sondern in Räumlichkeiten der G GesmbH eingelagert und dadurch der zollamtlichen Überwachung entzogen worden ist, die Zollschuld nach Art. 203 Abs. 1 ZK entstanden ist.

Die Verfahrensparteien gehen übereinstimmend davon aus, dass zumindest neben der Spedition E AG als Hauptverpflichtete (Zollschuldner nach Art. 203 Abs. 3 vierter Anstrich ZK) die mitbeteiligte Partei durch Beitritt zur Zollschuld Gesamtschuldnerin geworden ist.

Nach Art. 235 ZK gelten als

Erstattung: die Rückzahlung der Gesamtheit oder eines Teiles der entrichteten Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben (Buchstabe a) und Erlass: eine Entscheidung, durch die auf die Erhebung der Gesamtheit oder eines Teiles einer Zollschuld verzichtet wird, oder eine buchmäßige Erfassung der Gesamtheit oder eines Teiles eines noch nicht entrichteten Einfuhr- oder Ausfuhrabgabenbetrags für ungültig erklärt wird (Buchstabe b).

Gemäß Art. 239 Abs. 1 ZK können Einfuhrabgaben in anderen als in den in Artikeln 236 bis 238 ZK genannten Fällen in nach dem Ausschussverfahren festgelegten Fällen erstattet oder erlassen werden. Diese Fälle ergeben sich aus Umständen, die nicht auf betrügerische Absicht oder offensichtliche Fahrlässigkeit des Beteiligten zurückzuführen sind. Nach dem Ausschussverfahren wird festgelegt, in welchen Fällen diese Bestimmung angewandt werden kann und welche Verfahrensvorschriften dabei zu beachten sind. Die Erstattung oder der Erlass kann von besonderen Voraussetzungen abhängig gemacht werden. Die Erstattung oder der Erlass der Abgaben aus den genannten Gründen erfolgt nach Art. 239 Abs. 2 ZK auf Antrag.

Nach Art. 878 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 der Kommission vom mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften ABlEG Nr. L 253 vom (Zollkodex-Durchführungsverordnung - ZK-DVO) ist der Antrag auf Erstattung oder Erlass von der Person zu stellen, die die Abgaben entrichtet hat, vom Zollschuldner oder von den Personen, die seine Rechte und Pflichten übernommen haben.

Art. 899 Abs. 1 ZK-DVO idF der Verordnung (EG) Nr. 1335/2003 der Kommission vom , ABlEG Nr. L 187 vom lautet:

"Artikel 899 (1) Stellt die Entscheidungsbehörde, bei der eine Erstattung oder ein Erlass nach Artikel 239 Absatz 2 Zollkodex beantragt worden ist, fest,


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dass die für diesen Antrag vorgebrachten Gründe einen der in den Artikeln 900 bis 903 beschriebenen Tatbestände erfüllen und keine betrügerische Absicht oder offensichtliche Fahrlässigkeit des Beteiligten vorliegt, so erstattet oder erlässt sie die betreffenden Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben;
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..."
Nach Art. 899 Abs. 3 ZK-DVO in der zitierten Fassung gelten als "Beteiligte(r)" im Sinne des Art. 239 Abs. 1 Zollkodex und im Sinn dieses Artikels die Person oder die Personen nach Art. 878 Absatz 1 oder ihr Vertreter sowie gegebenenfalls jede andere Person, die zur Erfüllung der Zollförmlichkeiten für die in Frage stehenden Waren tätig geworden ist oder die Anweisungen gegeben hat, die zur Erfüllung dieser Förmlichkeiten notwendig waren.
Die Einfuhrabgaben werden nach Art. 900 Abs. 1 Buchstabe o) ZK-DVO erstattet oder erlassen, wenn die Zollschuld auf andere als die in Art. 201 des Zollkodex beschriebene Weise entsteht und der Beteiligte durch Vorlage u.a. einer Warenverkehrsbescheinigung nachweist, dass im Fall der Anmeldung zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr ein Anspruch auf Gemeinschaftsbehandlung oder auf eine Zollbehandlung mit Abgabenbegünstigung bestanden hätte, sofern die übrigen Voraussetzungen nach Art. 890 erfüllt sind.
Gemäß § 85c Abs. 8 ZollR-DG gelten u.a für die Entscheidungen des unabhängigen Finanzsenates die diesbezüglichen Bestimmungen der BAO sinngemäß, soweit die im ZollR-DG enthaltenen Regelungen nicht entgegenstehen.

"(1) Ist die Berufung weder zurückzuweisen (§ 273) noch als zurückgenommen (§ 85 Abs. 2, § 86a Abs. 1, § 275) oder als gegenstandslos (§ 256 Abs. 3, § 274) zu erklären, so kann die Abgabenbehörde zweiter Instanz die Berufung durch Aufhebung des angefochtenen Bescheides und allfälliger Berufungsvorentscheidungen unter Zurückverweisung der Sache an die Abgabenbehörde erster Instanz erledigen, wenn Ermittlungen (§ 115 Abs. 1) unterlassen wurden, bei deren Durchführung ein anders lautender Bescheid hätte erlassen werden oder eine Bescheiderteilung hätte unterbleiben können. Im weiteren Verfahren sind die Behörden an die für die Aufhebung maßgebliche, im Aufhebungsbescheid dargelegte Rechtsanschauung gebunden. Durch die Aufhebung des angefochtenen Bescheides tritt das Verfahren in die Lage zurück, in der es sich vor Erlassung dieses Bescheides befunden hat. ....."

In Übereinstimmung mit dem beschwerdeführenden Zollamt vertrat die belangte Behörde die Ansicht, eine offensichtliche Fahrlässigkeit nur eines Beteiligten, darunter des Kapitäns der Warenführerin, der A GesmbH, würde im Beschwerdefall der von der mitbeteiligten Partei begehrten Erstattung entgegen stehen.

Die belangte Behörde legte ihrer Aufhebung der vor ihr bekämpften Berufungsvorentscheidung aber die tragende Rechtsanschauung zugrunde, dass die Feststellungen des Zollamtes Wien in der vor der belangten Behörde bekämpften Berufungsvorentscheidung nicht zulassen, von einer offensichtlichen Fahrlässigkeit im Sinn des Art. 899 Abs. 1 ZK-DVO auch nur bei irgend einem Beteiligten zu sprechen.

Das Zollamt Wien hat in seiner Berufungsvorentscheidung festgestellt, die Hauptverpflichtete, die Spedition E AG, habe dem Kapitän des Schiffes SL 20 als Vertreter der Warenführerin mitgeteilt, dass die Waren unverändert der Bestimmungsstelle zu gestellen seien. Die Warenführerin, welche gemäß Art. 96 Abs. 2 ZK die Verpflichtungen aus dem Versandverfahren (insb. die Gestellungspflicht) getroffen haben, war eine nach den Feststellungen des Zollamtes Wien im internationalen Warenverkehr tätige Person. Dass diese Feststellungen unrichtig wären, hat weder die mitbeteiligte Partei in der Administrativbeschwerde ausdrücklich behauptet noch die belangte Behörde dem angefochtenen Bescheid zu Grunde gelegt. Deshalb handelt es sich entgegen der Ansicht der belangten Behörde bei der Schlussfolgerung des Zollamtes Wien in seiner Berufungsvorentscheidung, es habe sich beim Verhalten des Kapitäns - und damit der Warenführerin, der A GesmbH, zurechenbar - um auffallende Sorglosigkeit gehandelt, nicht um eine bloße Vermutung. Den vorgelegten Verwaltungsakten ist kein Hinweis auf einen Umstand zu entnehmen, der es erlaubte, dem Kapitän, dessen Wissen um seine Gestellungspflicht und den Charakter der Waren als unter zollamtlicher Überwachung stehender Nichtgemeinschaftswaren von keiner Partei des Verwaltungsverfahrens in Abrede gestellt wurde, für die Pflichtverletzung des Unterlassens der Gestellung bei der Bestimmungszollstelle (etwa wegen der Annahme, bei der G GesmbH handle es sich um einen zugelassenen Empfänger - Art. 407 ZK-DVO in der im Beschwerdefall anzuwendenden Stammfassung) lediglich eine entschuldbare Fehlleistung oder leichte Fahrlässigkeit zuzubilligen.

Die von der belangten Behörde als erforderlich gesehenen weiteren Ermittlungen zur groben Fahrlässigkeit anderer Beteiligter hätten deshalb keine im Spruch anders lautende Berufungsvorentscheidung des Zollamtes Wien herbeiführen können.

Der bekämpfte Bescheid erweist sich somit insoweit als inhaltlich rechtswidrig und war daher im bekämpften Umfang, nämlich in seinem Abspruch über die Aufhebung des vor der belangten Behörde bekämpften Bescheides des Zollamtes und Zurückverweisung der Sache an die Abgabenbehörde erster Instanz, gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am